Deut­scher Vor­ent­scheid 1962: Der Weg des Was­sers wird es uns weisen

Conny Froboess, DE 1962
Die Migra­ti­ons­exper­tin: Con­ny Fro­boess. © NDR

Nicht nur für den Euro­vi­si­on Song Con­test bil­de­te das im ligu­ri­schen Kur­ort San Remo statt­fin­den­de Fes­ti­val del­la Can­zo­ne Ita­lia­na einst das Vor­bild. Wie in vie­len ande­ren euro­päi­schen Natio­nen, die sich eben­falls von den Italiener:innen für eige­ne Schla­ger­fes­ti­vals inspi­rie­ren lie­ßen, fan­den in den Sech­zi­ger­jah­ren auch in deut­schen Kur­städ­ten gedie­ge­ne Wett­be­wer­be der leich­ten Muse statt. So hat­te das von Radio Luxem­burg im Jah­re 1959 begrün­de­te Deut­sche Schla­ger­fes­ti­val im hes­si­schen Wies­ba­den bereits 1960 als Grand-Prix-Vor­ent­scheid gedient, aller­dings nur ein­ma­lig. 1961 hob der Süd­deut­sche Rund­funk (heu­te: SWR) in Kon­kur­renz hier­zu die Deut­schen Schla­ger­fest­spie­le aus der Tau­fe, an deren Erst­aus­ga­be unter ande­rem Lys Assia, Nora Nova und Inge Brück teil­nah­men, die jedoch alle­samt gegen einen Instru­men­tal­ti­tel unter­la­gen. Die zwei­te Aus­ga­be die­ser Ver­an­stal­tung soll­te nun 1962 wie­der­um als Grand-Prix-Vor­ent­scheid fun­gie­ren, auch, um die Attrak­ti­vi­tät der Sen­dung zu stei­gern. Ent­spre­chend groß zog die ARD die Show auf: in vier TV-Vor­run­den, in denen sie jeweils eines von zwei Lie­dern zurück­las­sen muss­ten, qua­li­fi­zier­ten sich ins­ge­samt 12 Sänger:innen für die End­run­de im mon­dä­nen Baden-Baden.

Herr­lichs­ter Schla­ger­kitsch, lei­der nur in der Audio­fas­sung: der wun­der­bar weh­lei­dig into­nie­ren­de Jim­my Makulis.

Logo der Deut­schen Schla­ger­fest­spie­le © Wikipedia

Und so gaben sich im dor­ti­gen Kur­haus eine gan­ze Rei­he aktu­el­ler Schla­ger­stars ein Stell­dich­ein, mit auf­fäl­lig fern­wehl­as­ti­gen, wenn auch teil­wei­se arg fla­chen Lied­chen, die fast alle sicher­heits­hal­ber direkt mit dem Refrain eröff­ne­ten. Dar­un­ter der gebür­ti­ge Grie­che Jim­my Maku­lis (†2007), der in Deutsch­land etli­che Hits erzie­len konn­te, unter ande­ren mit dem herr­lich schnul­zi­gen Ever­green ‘Gitar­ren klin­gen lei­se durch die Nacht’, der im Jahr zuvor aller­dings mit dem sehr faden Euro­vi­si­ons­bei­trag ‘Sehn­sucht’ für Öster­reich die Rote Later­ne ersun­gen hat­te und dem in Baden-Baden mit dem hem­mungs­los weh­lei­di­gen, wun­der­schö­nen Super­schmacht­fet­zen ‘Ich habe im Leben nur Dich’ eben­falls kein Glück beschie­den sein soll­te. Sowie die uner­müd­li­che Melo­di­fes­ti­valen-Dau­er­teil­neh­me­rin Ann-Loui­se Han­son, die neben ihrer Hei­mat Schwe­den damals auch den hie­si­gen Schla­ger­markt unsi­cher mach­te. Oder aber die in den Fünf­zi­gern vor allem mit deut­schen Cover­ver­sio­nen, aber auch mit kolo­ni­al-ras­sis­ti­schen Schla­gern wie ‘Bar­ba­ra, komm fahr mit nach Afri­ka’ erfolg­rei­che und nun ihrem Kar­rie­re­en­de ent­ge­gen­se­hen­de Ber­li­ne­rin Rita Paul (†2021), der nicht nur vom Namen her stets spie­ßig wir­ken­de Peter Beil, des­sen ‘Ein ver­lieb­ter Ita­lie­ner’ wohl genau einer zu wenig war, und die bei Schla­ger­wett­be­wer­ben die­ser Ära nach­ge­ra­de unver­meid­ba­re Mar­got Eskens. Nicht feh­len durf­ten auch der ursprüng­lich mal als Besat­zungs­sol­dat der US-Armee in Frank­furt am Main sta­tio­nier­te und durch unglück­li­che Ver­stri­ckung irgend­wie ins deut­sche Schla­ger­ge­schäft abge­rutsch­te Bill Ram­sey mit einem hei­te­ren Faschings­schla­ger über den ach so lus­ti­gen Geno­zid an den ame­ri­ka­ni­schen Ureinwohner:innen wäh­rend der euro­päi­schen Kolo­nia­li­sie­rung der USA sowie der Hei­no-Ent­de­cker Ralf Ben­dix (†2014), die mit ‘Pigal­le’ respek­ti­ve dem ‘Baby­sit­ter-Boo­gie’ im Vor­jahr bei­de jeweils einen Num­mer-Eins-Hit lan­den konn­ten und damit zwei­fels­frei zur aktu­el­len A‑Liste zähl­ten. Sowie schließ­lich und end­lich sogar der Sie­ger des ein­gangs erwähn­ten Deut­schen Schla­ger­fes­ti­vals von 1960 und dama­li­ge ESC-Ver­tre­ter Wyn Hoop: sie alle kamen, sahen und sangen.

Konn­te ihren Schla­ger­text auch nicht hun­dert­pro­zen­tig ernst neh­men: Con­ny Fro­boess bei der Sie­ger­re­pri­se in Baden-Baden (plus Play­list mit den rest­li­chen Vorentscheidungstiteln).

Doch alle blie­ben sie mit ihren inhalt­lich teils mehr als frag­wür­di­gen Titeln chan­cen­los gegen zwei weib­li­che Stars, die sich in Baden-Baden ein Kopf-an-Kopf-Ren­nen der Extra­klas­se lie­fer­ten. Die bereits beim schwe­di­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid Melo­di­fes­ti­valen mehr­fach aus­ge­boo­te­te Siw Malmkvist teilt der Sage zufol­ge das Schick­sal mit dem ehe­ma­li­gen baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­den­ten und eins­ti­gen Kanz­ler­kan­di­da­ten Edmund Stoi­ber: bei­de schei­ter­ten in ihrem Bestre­ben, die Num­mer Eins zu wer­den, an einem Hoch­was­ser. Die “pro­fes­sio­nel­le” Jury setz­te sich aus Ver­tre­tern der ein­zel­nen ARD-Lan­des­rund­funk­an­stal­ten zusam­men. Auf­grund der Ham­bur­ger Sturm­flut vom glei­chen Tage, die über drei­hun­dert Todes­op­fer for­der­te und die natür­lich auch die ursprüng­lich vor­ge­se­he­ne Live-Über­tra­gung des Schla­ger­fes­ti­vals im Ers­ten ver­un­mög­lich­te, ver­zich­te­ten der NDR und Radio Bre­men jedoch auf die Teil­nah­me an der Abstim­mung. Wenn­gleich rei­ne Spe­ku­la­ti­on, so liegt es doch im Bereich des Vor­stell­ba­ren, dass die Skan­di­na­vie­rin Siw und ihre ’Wege der Lie­be’ ihr Pla­zet erhal­ten hät­ten. So aber stand es nach der Jury­wer­tung Remis, wor­auf­hin eine Stich­wahl im Saal­pu­bli­kum den Aus­schlag für den ehe­ma­li­gen Kin­der­star Con­ny Fro­boess (‘Pack die Bade­ho­se ein’) und den ers­ten Migra­ti­ons­schla­ger der Nach­kriegs­zeit gab, der heu­te frag­los eben­so zum pop­kul­tu­rel­len Grund­in­ven­tar der Bun­des­re­pu­blik gehört wie Udo Jür­gens’ zum glei­chen The­ma ver­fass­ter Schla­ger­klas­si­ker ‘Grie­chi­scher Wein’.

Die Wege der Lie­be’ in einer Schla­ger­film­ad­ap­ti­on von Han­ne­lo­re Auer.

Nach Anga­ben des Kom­po­nis­ten Chris­ti­an Bruhn, der mit die­sem Titel sei­ne ers­te von zahl­lo­sen Gol­de­nen Schall­plat­te kas­sier­te, schrieb er das ziem­lich wort­rei­che (Tex­ter: Georg Busch­or) ‘Zwei klei­ne Ita­lie­ner’ ursprüng­lich für Roc­co Gra­nata, als Nach­zie­her für des­sen (ein­zi­gen) euro­pa­wei­ten Super­hit ‘Mari­na’. Gra­nata woll­te jedoch nicht, und so ging die Num­mer an die Ber­li­ner Göre, für die er schon den von flott prä­sen­tier­ten Paris-Kli­schees leben­den 1960er Top-Ten-Hit ‘Midi-Midi­net­te’ ver­fasst hat­te. In einem hr-Euro­vi­si­ons­spe­cial sprach Bruhn der bra­vou­rö­sen Con­ny, die rund um ihren Euro­vi­si­ons­auf­tritt eine Jahr­zehn­te umspan­nen­de Kar­rie­re als Schla­ger­sän­ge­rin, Syn­chron­spre­che­rin und Schau­spie­le­rin im Film, TV (“Pra­xis Bülow­bo­gen”) und am Thea­ter hin­be­kom­men soll­te, sei­ne Aner­ken­nung dafür aus, dass sie beim Sin­gen nicht vor Sau­er­stoff­man­gel umfiel, wo ihr doch der dem Song inne­woh­nen­de Strom der Wor­te (vgl. IT 1997) kaum eine Gele­gen­heit zum Atem­ho­len ließ. ‘Zwei klei­ne Ita­lie­ner’ the­ma­ti­sier­te auf irgend­wie nied­lich-naï­ve Wei­se das Heim­weh zwei­er “Gast­ar­bei­ter”, die sich im Anschluss an die anstren­gen­de Pla­cke­rei beim Auf­bau des deut­schen Wirt­schafts­wun­ders jeden Abend am Bahn­hof tref­fen, um sehn­suchts­voll dem “D‑Zug nach Napo­li” hin­ter­her zu schau­en, an ihre dort zurück­ge­las­se­nen Freun­din­nen Tina und, natür­lich, ‘Mari­na’ zu den­ken und sich dann auf dem Bahn­hofs­klo gegen­sei­tig… – äh, halt, das ist jetzt gera­de mein schmut­zi­ges Kopf­ki­no. Ich bit­te um Entschuldigung.

Kapi­ta­lis­mus­kri­tik in Schla­ger­form: Mar­got Eskens bei der Voll­play­back-Per­for­mance ihres Vor­ent­schei­dungs­bei­trags bei Die­ter Tho­mas Hecks ‘Melo­dien für Melonen’.

Wobei Fro­boess’ Sie­ger­lied bei aller spür­ba­ren Sym­pa­thie für sei­ne zwei Prot­ago­nis­ten auch die (in eini­gen ewig­gest­ri­gen Köp­fen lei­der heu­te noch exis­tie­ren­den) Gren­zen des deut­schen Wohl­wol­lens auf­zeig­te, in dem es deren “Hei­mat” ein ums ande­re Mal strikt in Ita­li­en ver­or­te­te. Klar, abra­ckern für den deut­schen Wohl­stand durf­ten sich die Bei­den ger­ne, aber nicht, dass sie sich hier noch hei­misch füh­len und am Ende gar Tina und Mari­na hin­ter­her­ho­len! Der kom­mer­zi­el­len Ver­wer­tung tat das kei­nen Abbruch: ‘Zwei klei­ne Ita­lie­ner’, von Con­ny selbst sowie unter ande­rem den Euro­vi­si­ons­kol­le­gin­nen Colet­te Deré­al, Ani­ta Thall­aug und Lisa del Bo ein­ge­sun­gen in zig inter­na­tio­na­len Sprach­fas­sun­gen, wur­de ein Super­hit in Deutsch­land (#1), Öster­reich (#13), der Schweiz, den Bene­lux­län­dern (#1 NL) und Skan­di­na­vi­en (#1 NO): die mehr als eine Mil­li­on allei­ne vom Ori­gi­nal ver­kauf­ten Ein­hei­ten bür­gen für einen der erfolg­reichs­ten deut­schen Grand-Prix-Titel aller Zei­ten, in einer Liga mit den bei­den Sie­ger­songs ‘Ein biss­chen Frie­den’ (1982) und ‘Satel­li­te’ (2010). Einen Medail­len­platz in den hei­mi­schen Ver­kaufs­charts, wenn auch nur ein hin­te­res Ergeb­nis in die­sem Wett­be­werb, erreich­te außer­dem die super­schnul­zi­ge ‘Rose aus San­ta Moni­ca’, nach wie vor ein belieb­ter Wunsch­sen­dungs-Ever­green auf Schla­ger­wel­len, von der Israe­lin Car­me­la Cor­ren mit recht dezen­tem, aber wun­der­bar inter­na­tio­nal klin­gen­den Akzent (“Ayne Row-say”) hin­rei­ßend into­niert. Siws ‘Wege der Lie­be’ führ­ten zudem eben­so in die Top 20 wie das käuf­li­che Herz von ‘Mate­ri­al Girl’ Mar­got Eskens. Ins­ge­samt konn­te mehr als Hälf­te der Vorentscheidungsteilnehmer:innen ihre Bei­trä­ge in den Plat­ten­lä­den in klin­gen­de Mün­ze umwan­deln: ein bis heu­te ziem­lich sel­te­nes Ergebnis!

Viel­leicht geschieht ein Wun­der’, hoff­te Car­me­la Cor­ren lei­der vergebens.

Die Deut­schen Schla­ger-Fest­spie­le bestan­den übri­gens bis 1966 fort und brach­ten wei­te­re Mil­lio­nen­sel­ler wie ‘Ich will ’nen Cow­boy als Mann’ oder ‘Beiß nicht gleich in jeden Apfel’ her­vor, wur­den aller­dings für­der­hin nicht mehr zur Ermitt­lung des deut­schen Euro­vi­si­ons­bei­trags genutzt. 1968 über­nahm nach kur­zer Denk­pau­se dann das ZDF unter dem neu­en Rubrum Deut­scher Schla­ger-Wett­be­werb, ab der zwei­ten Aus­ga­be mode­riert von Die­ter Tho­mas Heck. Der destil­lier­te aus dem jähr­li­chen Wett­streit die Idee zu der ab Dezem­ber 1969 alle vier Wochen aus­ge­strahl­ten ZDF-Hit­pa­ra­de, mit wel­cher er die Fest­spie­le superfluidierte.

Vor­ent­scheid DE 1962

Deut­sche Schla­ger­fest­spie­le, Sams­tag, 17. Febru­ar 1962, aus dem Kur­haus in Baden-Baden. Zwölf Teil­neh­mer. Mode­ra­ti­on: Klaus Haven­stein. Jury.

#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatzCharts
01Con­ny FroboessZwei klei­ne Italiener190101
02Rita PaulLa Luna romantica0206-
03Jim­my MakulisIch habe im Leben nur Dich001147
04Peter BeilEin ver­lieb­ter Italiener0011-
05Peg­gy BrownDas Lexi­kon d’Amour0206-
06Siw MalmkvistDie Wege der Liebe180219
07Pir­ko Manola + Wyn HoopMama will Dich sehen060428
08Ralf Ben­dixSpa­ni­sche Hochzeit0505-
09Mar­got EskensEin Herz, das kann man nicht kaufen080319
10Car­me­la CorrenEine Rose aus San­ta Monica010803
11Bill Ram­seyHil­ly Bil­ly Ban­jo Bill010847
12Ann-Loui­se HansonSing, klei­ner Vogel010848

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 24.09.2022

Was waren dei­ne Favo­ri­ten aus die­sem Vor­ent­schei­dungs­jahr (max. drei Nennungen)

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2 Comments

  • Nur ein klei­ner Hin­weis. Frau Cor­ren trat ein Jahr spä­ter, 1963, für Öster­reich an. Die Schwei­zer Eid­ge­nos­sen schick­ten eine ande­re Israe­lin : Esther Ofarim.

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