Ein Lied für Kopen­ha­gen 1964: Ist die Ent­täu­schung groß

Nora Nova, DE 1964
Die GSD-Beam­tin: Nora Nova.

Bereits in den frü­hen Sech­zi­ger­jah­ren ver­lief kein Jahr­gang wie der ande­re beim deut­schen Grand-Prix-Vor­ent­scheid: eine Tra­di­ti­on, die sich bis heu­te gehal­ten hat. Nach den gla­mou­rö­sen Deut­schen Schla­ger­fest­spie­len von 1962, deren aktu­el­le Sie­ge­rin Siw Malmkvist mit ihrem dor­ti­gen Wett­be­werbs­bei­trag ‘Lie­bes­kum­mer lohnt sich nicht’ die deutsch­spra­chi­ge Hit­sin­gle des Jah­res lie­fer­te, und der in Sachen Ein­schalt­quo­te extrem erfolg­rei­chen One-Women-Show mit Hei­di Brühl in Jah­re 1963 fand dies­mal im Gro­ßen Sen­de­saal des Hes­si­schen Rund­funks in Frank­furt am Main wie­der eine klas­si­sche öffent­li­che Vor­ent­schei­dung mit meh­re­ren Interpret:innen statt. Die­se stand erst­mals unter dem dann für ein knap­pes Vier­tel­jahr­hun­dert gül­ti­gen Rubrum “Ein Lied für…” (ELF), gefolgt vom Namen des Aus­tra­gungs­or­tes des euro­päi­schen Haupt­wett­be­werbs. In die­sem Fall also: Ein Lied für Kopen­ha­gen. Denn in der pit­to­res­ken däni­schen Metro­po­le, heut­zu­ta­ge ein welt­wei­tes Vor­bild in Sachen Ver­kehrs­wen­de, fand der Euro­vi­si­on Song Con­test nach dem gescho­be­nen Sieg der ‘Dan­se­vi­se’ beim letzt­jäh­ri­gen Wett­be­werb von Lon­don statt.

Wie so vie­le Top­stars mied auch die schwe­di­sche Schla­ger­kö­ni­gin Siw den deut­schen Vor­ent­scheid. Bei den Deut­schen Schla­ger­fest­spie­len sieg­te sie jedoch mit dem Super­hit ‘Lie­bes­kum­mer lohnt sich nicht’, hier in der schwe­di­schen Ver­si­on. Und für den ganz vor­ne rechts näh­me ich etwas Kärl­ek­strub­bel ger­ne in Kauf!

Das aus dama­li­ger Sicht unbe­frie­di­gen­de Abschnei­den der bei­den kom­mer­zi­ell über­aus erfolg­rei­chen deut­schen Super­stars Con­ny Fro­boess und Hei­di Brühl bei den inter­na­tio­na­len Grand-Prix-Juro­ren hat­te das Image des Con­tests in der deut­schen Pop-Sze­ne aller­dings nach­hal­tig beschä­digt. Eta­blier­te, zeit­ge­mä­ße Namen blei­ben dem Vor­ent­scheid fern, ledig­lich vier alt­ge­dien­te Schlagersänger:innen, die ihren Zenit schon lan­ge über­schrit­ten hat­ten, lie­ßen sich für die Sen­dung zusam­men­trei­ben. Sowie ein No-Name und eine New­co­me­rin: die in der bul­ga­ri­schen Haupt­stadt Sofia gebo­re­ne Ahi­no­ra Kuma­no­va kam anno 1960 nach Ber­lin und konn­te hier sogleich einen Plat­ten­ver­trag ergat­tern. Ende 1962 lan­de­te sie mit der fabel­haf­ten Schla­ger­weis­heit ‘Män­ner gibt’s wie Sand am Meer’ ihren ein­zi­gen Hit und knack­te damit die Top 20. Auch die B‑Seite der Sin­gle, das aus­ge­spro­chen lus­ti­ge Hör­spiel ‘Nora (Tele­fon aus St. Tro­pez)’, gehört zu den erle­se­nen Schla­ger­per­len der Wirt­schafts­wun­der­zeit. A pro­pos B‑Seite: sech­zehn Jah­re nach ihrer Euro­vi­si­ons­teil­nah­me ver­lie­hen die Hel­den der Neu­en Deut­schen Wel­le, Ide­al, Nora Nova (so ihr schlicht­weg auf die jeweils letz­ten vier Buch­sta­ben ihres Namens ein­ge­kürz­tes Pseud­onym) den künst­le­ri­schen Cool­ness-Rit­ter­schlag, in dem sie ‘Män­ner gibt’s wie Sand am Meer’ cover­ten und auf die Rück­sei­te ihrer legen­dä­ren Erst­lings­sin­gle ‘Ber­lin’ packten.

Cover gibt’s wie Sand am Meer: 2009 spiel­te die Kapel­le Wirt­schafts­wun­der die wohl lahms­te Fas­sung von Nora Novas ein­zi­gem Hit ein (Reper­toire­bei­spiel).

Und obgleich sich die Nova beim Vor­ent­scheid 1964 selbst nur als Außen­sei­te­rin sah, wie sie spä­ter in einem hr-Spe­cial erzähl­te, und ihrem im “sla­wi­schen Rhyth­mus” gehal­te­nen Song wenig Chan­cen ein­räum­te: gegen ihre hin­rei­ßen­de, was­ser­stoff­per­oxyd­ge­bleich­te Bie­nen­korb­fri­sur und ihre an die Aus­strah­lung einer Domi­na gemah­nen­de “kal­te Vam­p­haf­tig­keit” (Jan Fed­der­sen) ver­moch­ten die älte­ren Her­ren der Kon­kur­renz kei­nen Stich zu lan­den und wur­den ‘Wie vom Wind ver­weht’, wie der als Favo­rit gesetz­te Tenor René Kol­lo ver­wun­dert bilan­zie­ren muss­te. Kol­lo (größ­ter Hit: ‘Hel­lo, Mary Lou’), der im Jahr dar­auf nach einer wei­te­ren erfolg­lo­sen Grand-Prix-Bewer­bung ins Opern­fach wech­sel­te, befand sich zu die­sem Zeit­punkt aller­dings eben­so bereits im Win­ter sei­ner Schla­ger­kar­rie­re wie sei­ne Kolleg:innen Ger­hard Wend­land (‘Tan­ze mit mir in den Mor­gen’), Fred Ber­tel­mann (‘Der lachen­de Vaga­bund’) und Git­ta Lind (‘My Hap­pi­ness’). Die bei­den Letzt­ge­nann­ten ver­leg­ten ihren Wir­kungs­kreis nach dem Aus­blei­ben wei­te­rer Hits auf die Nach­wuchs­för­de­rung: 1972 grün­de­ten sie gemein­sam in Mün­chen eine Show-Schu­le, an wel­cher sie ihre Erfah­run­gen gegen Kurs­ge­bühr an jün­ge­re Men­schen vermittelten.

Die Play­list mit den ver­füg­ba­ren Titeln die­ses Vor­ent­scheids, alle­samt lei­der nur als Audio.

Für den in Schwä­bisch Hall gebo­re­nen Musi­ker, Pro­du­zen­ten und Sän­ger Peter Kirs­ten, der zuvor in diver­sen Big­bands, Chö­ren und Orches­tern gear­bei­tet hat­te, blieb sein Vor­ent­schei­dungs­auf­tritt mit dem lieb­li­chen ‘Regen­bo­gen, Regen­bo­gen’ (zu schwul?) hin­ge­gen der ein­zi­ge Aus­flug in die Schla­ger­welt. Den­noch hielt auch er dem Musik­busi­ness die Treue: nach­dem sein Solo-Ver­such schei­ter­te, grün­de­te er Ende 1966, eben­falls in Mün­chen, den Glo­bal Musik­ver­lag und 1970 die Plat­ten­fir­ma Glo­bal Records & Tapes, bei der unter ande­rem die deut­schen Eurovisionsvertreter:innen Joy Fle­ming, Hoff­mann & Hoff­mann sowie Git­te Hæn­ning zeit­wei­lig unter Ver­trag stan­den. Die roll­ten immer­hin die Charts auf, was den Teilnehmer:innen am deut­schen Vor­ent­scheid 1964 alle­samt nicht ver­gönnt sein soll­te. Auch nicht der ELF-Sie­ge­rin: nach dem fol­gen­den Deba­kel beim inter­na­tio­na­len Wett­be­werb – mit dem sowohl musi­ka­lisch als auch inhalt­lich zwar durch­aus gou­tier­ba­ren, womög­lich aber doch etwas zu fros­tig vor­ge­tra­ge­nen Gemein­platz ‘Man gewöhnt sich so schnell an das Schö­ne’ ersang sie das ers­te Null-Punk­te-Resul­tat für Deutsch­land – ver­schwand Nora Nova sehr zügig wie­der in der Ver­sen­kung. Einen Ver­kaufs­er­folg konn­te sie mit dem durch sein (unfai­res) Ergeb­nis in Kopen­ha­gen toxisch belas­te­ten Titel lei­der nicht erzie­len, und so hei­ra­te­te sie statt­des­sen noch im glei­chen Jahr einen Nacht­club­be­sit­zer und führ­te mit ihm im Ruhr­ge­biet eine Rei­he von Kneipen.

Lei­der nur im Stand­bild: die Super-Nova.

In den Acht­zi­gern betrieb sie eine Zeit lang noch eine Her­ren­bou­tique in Wup­per­tal Mode­bou­tique in Mün­chen, dann brach sie ihre Zel­te in Deutsch­land ab: 1989 kehr­te sie in ihre alte Hei­mat zurück und wand­te sich, wie Wiki­pe­dia weiß, dort der Poli­tik zu. Eine Beru­fung, die erstaun­lich vie­le ehe­ma­li­ge Eurovisionskünstler:innen ereilt. 2001 fun­gier­te sie als eine der Mit­be­grün­de­rin­nen der libe­ral-mon­ar­chis­ti­schen Natio­na­len Bewe­gung Sime­on der Zwei­te um den bis dahin im Exil leben­den frü­he­ren bul­ga­ri­schen Zaren Sime­on von Sach­sen-Coburg, die bei den dama­li­gen Par­la­ments­wah­len die Hälf­te der Man­da­te errang, nur zwei Legis­la­tur­pe­ri­oden spä­ter jedoch an der 4%-Hürde schei­tern soll­te. Was krass klingt, jedoch gar nicht so unge­wöhn­lich ist für bul­ga­ri­sche Ver­hält­nis­se, wo sich nach dem Ende des Sozia­lis­mus die Par­tei­en schnel­ler grün­den, zer­split­tern und auf­lö­sen, als man ‘Man gewöhnt sich so schnell an das Schö­ne’ sagen kann. Immer­hin ver­moch­te Nora Nova zu Hau­se noch etwas spä­ten Ruhm aus ihrer Grand-Prix-Teil­nah­me zu zie­hen. Nach­dem das bit­ter­ar­me Land 2005 erst­ma­lig beim Euro­vi­si­on Song Con­test an den Start ging, tauch­te sie im Okto­ber 2007, mitt­ler­wei­le etwas fül­li­ger um die Hüf­ten, völ­lig über­ra­schend als Talk­gast bei der bul­ga­ri­schen Vor­ent­schei­dung auf, wo sie sich von ihren kom­plett ahnungs­lo­sen Lands­leu­ten abfei­ern ließ, als habe sie 1964 die gan­ze Cho­se gewon­nen! Doch es sei ihr von Her­zen gegönnt. Immer­hin kann die Nova für sich den längs­ten Grand-Prix-Song­ti­tel aller Zei­ten und den ori­gi­nells­ten deut­schen Künst­ler­na­men in Anspruch neh­men. Eine Rol­le in der Sech­zi­ger­jah­re-Kult­se­rie Raum­pa­trouil­le (zum Bei­spiel als böse Stief­schwes­ter von Tama­ra Jagel­l­ovsk) hät­te ihr eigent­lich zum Dank gebührt!

Ein Kult­schätz­chen: das ‘Tele­fon aus St. Tro­pez’ (Reper­toire­bei­spiel).

Vor­ent­scheid DE 1964

Ein Lied für Kopen­ha­gen. Sams­tag, 11. Janu­ar 1964, aus dem Gro­ßen Sen­de­saal des Hes­si­schen Rund­funks in Frank­furt am Main. Mode­ra­ti­on: Hil­de Nocker. Sechs Teilnehmer:innen. Jury.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatzCharts
01Fred Ber­tel­mannDas macht Dein Lächeln, Mona Lisa1903-
02Peter Kirs­tenRegen­bo­gen, Regenbogen n.b.n.b.-
03René Kol­loWie vom Wind verwehtn.b.n.b.-
04Git­ta LindEin Chan­son in der Nacht2702-
05Nora NovaMan gewöhnt sich so schnell an das Schöne3001-
06Ger­hard WendlandWohin ist der Sommern.b.n.b.-

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 24.09.2022

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Ein Lied für Nea­pel 1965 >

2 Comments

  • Für mich eines der bes­ten deut­schen Lie­der. Ich mag den Rhyth­mus des Songs. Mit 0 Punk­ten sträf­lich unterbewertet!

  • euro­vi­si­on 1964 Das ist am bes­ten deut­sche lied bei euro­vi­si­on ich ver­ste­he nicht war­um war sie die let­ze sie soll min­des­ten in top 5 sein ich weiss was ich schrei­be ich habe alle lied von ihre euro­vi­son (1964)gehóren sie hat gleistad mit ita­li­en Deutsch­land rock !!

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