Spa­ni­scher Vor­ent­scheid 1965: Fess­le mich!

Mit einem nach­ge­ra­de gigan­ti­schen Knock-out-Ver­fah­ren bestimm­te der spa­ni­sche Sen­der TVE im Jah­re 1965 sei­nen Euro­vi­si­ons­bei­trag. Begin­nend im Okto­ber 1964, stell­te man der Öffent­lich­keit im Rah­men der wöchent­li­chen TV-Show Gran Para­da ins­ge­samt 54 (!) Lie­der vor. Gegen Ende jedes Monats tra­ten die zurück­lie­gend prä­sen­tier­ten Titel in einem Semi­fi­na­le gegen­ein­an­der an, die dort jeweils bei­den Best­plat­zier­ten erhiel­ten das Ticket für das Anfang Febru­ar 1965 ange­setz­te Fina­le des Eurofes­ti­val. Das hät­te man sich aber auch spa­ren kön­nen. Denn zu den so gefun­de­nen acht Bei­trä­gen (genau­er gesagt: sie­ben, denn einen Titel muss­te der Sen­der dis­qua­li­fi­zie­ren) addier­te TVE anschlie­ßend noch­mal sechs Direkt­star­ter hin­zu, die sich nicht dem Vor­auswahl­ver­fah­ren stel­len muss­ten. Dar­un­ter – man möch­te sagen: natür­lich! –  der spä­te­re Siegersong.

Laut Titel geht es um einen ver­gnüg­li­chen Besuch auf der Kir­mes. Musi­ka­lisch und gesang­lich scheint es hin­ge­gen um Leben und Tod zu gehen: der herr­lich über­dra­ma­ti­sche Rapha­el (Audio).

Im Fina­le ver­ga­ben sech­zehn Juror:innen, dar­un­ter auch aus­ge­wähl­te Zuschauer:innen, pro Wer­tungs­durch­gang jeweils einen Punkt für jedes Lied, bis auf eines, näm­lich ihr am wenigs­ten gemoch­tes. Der Bei­trag mit den wenigs­ten Punk­ten flog raus, alle ande­ren stell­ten sich erneut zur Wahl. Puh, noch kom­pli­zier­ter ging es wohl nicht? Dach­ten sich übri­gens anschei­nend auch die Sen­der­ver­ant­wort­li­chen: die nächs­ten drei Jah­re bestimm­te TVE Bei­trag und Sänger:in intern, 1969 gab es dann wie­der eine Song­aus­wahl, aller­dings mit bereits vor­ab fest­ste­hen­der Inter­pre­tin. Zurück zum aktu­ell bespro­che­nen Jahr­gang: hier traf es bereits rela­tiv früh, als Vier­ten von 13 Teilnehmer:innen, den ibe­ri­schen Ver­tre­ter von 1972, Jai­me Morey, mit sei­nem Lied über einen Fla­men­co­tän­zer – einer von zahl­rei­chen (lei­der größ­ten­teils nicht mehr auf­find­ba­ren) Bei­trä­gen, die sich mit gera­de­zu kli­schee­haft spa­ni­schen The­men befass­te. Der Bron­ze­platz ging an Rapha­el, der mit den ‘Feri­an­tes’ (‘Rum­mel­platz­be­su­chern’) eine der für ihn so typi­schen hoch­dra­ma­ti­schen Num­mern ablie­fer­te, für wel­che ich die Halb­in­sel im Süden Euro­pas so sehr liebe.

Viel LaLa­La und Olé­O­lé: Loren­zo Val­ver­de (Audio).

Den Kür­ze­ren in der alles ent­schei­den­den letz­ten Abstim­mungs­run­de zogen die bei­den Sän­ger, Schau­spie­ler, Kom­po­nis­ten und Pro­du­zen­ten Manu­el de la Cal­va und Ramón Arcu­sa, die als das gemein­sam fun­gie­ren­de Dúo Diná­mi­co in den Sech­zi­ger­jah­ren eine beacht­li­che Popu­la­ri­tät im Lan­de genos­sen und etli­che Top-Hits lan­de­ten, dar­un­ter auch mit ihrem rund­her­aus fan­tas­ti­schen Vor­ent­schei­dungs­bei­trag ‘Esos Oji­tos negros’ (‘Die­se schwar­zen Augen’). In die­ser Deka­de gal­ten sie zuhau­se als min­des­tens so groß wie die Beat­les. Ende der Acht­zi­ger gelang ihnen nach einer län­ge­ren Aus­zeit ein Come­back, 1990 fand ihr Titel ‘Resistiré’ Ein­zug in den Sound­track des fabel­haf­ten und unbe­dingt anzu­schau­en­den Pedro-Almo­dó­var-Films ‘Áta­me’ (‘Fess­le mich’), mit dem Anto­nio Ban­de­ras sei­nen Durch­bruch in den USA schaff­te. Ihren größ­ten Erfolg als Song­schrei­ber fei­er­te das Duo im Jah­re 1968, als sie für den befreun­de­ten Sän­ger Manu­el Ser­rat einen kraft­voll fun­keln­den, die Lust am Gesang und am Leben zele­brie­ren­den Schla­ger namens ‘La la la’ komponierten.

Irgend­wie möch­te man die gan­ze Zeit “THE RAIN! THE RAIN! DANCING!” dazu skan­die­ren: das zweit­plat­zier­te Dyna­mi­sche Duo.

Der in Bar­ce­lo­na Gebo­re­ne woll­te die weni­gen Stro­phen des Tex­tes aller­dings auf kata­la­nisch sin­gen. Der Dik­ta­tor Fran­co, der das Kas­ti­li­sche zur Lan­des­spra­che Spa­ni­ens erklärt hat­te und eisern dar­an fest­hielt, erlaub­te dies jedoch nicht. So über­nahm die künst­le­ri­sche Kol­la­bo­ra­to­rin Mas­siel den Song, der beim beim Euro­vi­si­on Song Con­test in Lon­don völ­lig zu Recht gewann und dem Land sei­nen ers­ten Euro­vi­si­ons­sieg brach­te. Beim Vor­ent­scheid von 1965 indes zog das Dyna­mi­sche Duo den Kür­ze­ren gegen eine alte Bekann­te, näm­lich die Grand-Prix-Reprä­sen­tan­tin von 1961, Con­chi­ta Bau­tis­ta. Die leg­te in Nea­pel mit dem sehr pas­send beti­tel­ten Kra­cher ‘¡Qué bue­no, qué bue­no!’ einen ful­mi­nan­ten Auf­tritt hin und miss­ach­te­te, wie schon vier Jah­re zuvor, als Ein­zi­ge das damals noch (wenn auch nur unge­schrie­ben) gel­ten­de strik­te Bewe­gungs­ver­bot. Die völ­lig ver­krus­te­ten Juro­ren bestraf­ten die heiß­blü­ti­ge Spa­nie­rin in einem skan­da­lö­sen Fehl­ur­teil, für das noch heu­te jeder Ein­zel­ne von ihnen mit der Eisen­stan­ge ver­prü­gelt gehör­te, näm­lich mit unfass­ba­ren Nul Points. Und eröff­ne­ten damit die bis heu­te nicht enden wol­len­de Ära der euro­vi­sio­nä­ren Miss­ach­tung des son­nen­ver­wöhn­ten Landes.

Ist es der Ruf des Muez­zin zum Frei­tags­ge­bet oder die (berech­tig­te) Lob­prei­sung der eige­nen gesang­li­chen Fähig­kei­ten? Con­chi­ta jodelt, bellt und schmet­tert für ein igno­ran­tes Europa.

Vor­ent­scheid ES 1965

Eurofes­ti­val. Sonn­tag, 7. Febru­ar 1965, im TVE-Fern­seh­stu­dio in Bar­ce­lo­na. 13 Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: José Luis Bar­ce­lo­na + Ire­ne Mur. Jurys.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01María del CarmenYo me arrepentín.b.13
02Juan Car­los MonterreyBar­co perdidon.b.12
03Con­chi­ta Bautista¡Qué bue­no, qué bueno!1001
04San­tySe lo he contadon.b.09
05Lui­si­ta TenorCabal­le­ro Andaluzn.b.08
06Dúo Diná­mi­coEsos Oji­tos negros0602
07YoliBajo el Cie­lo españoln.b.06
08Rapha­elFeri­an­tesn.b.03
09Adrián­ge­laCant­aresn.b.04
10Jai­me MoreyLa Bai­lo­aran.b.10
11Fran­cis­kaEl Hombre y el Toron.b.11
12Loren­zo ValverdeOtra Sere­na­tan.b.07
13Ánge­laTen­go miedon.b.05

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 11.06.2021

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