Eurovi­isukar­sin­ta 1965: Gib mir ’nen Kerl

Mar­jat­ta Leppä­nen, Sie­ge­rin des fin­ni­schen Vor­ent­scheids 1965, und Vik­tor Klimenko.

111 Ein­sen­dun­gen hat­te das fin­ni­sche Fern­se­hen YLE im Jah­re 1965 von hei­mi­schen Komponist:innen für die Suo­men Eurovi­isukar­sin­ta erhal­ten. Zehn Titel such­te YLE her­aus, um sie in den Wochen vor dem Semi­fi­na­le des Grand-Prix-Vor­ent­scheids mehr­fach im Radio zu spie­len. Per Post­kar­ten­ab­stim­mung durf­ten die Zuhörer:innen hier­aus ihre sechs Lieb­lings­lie­der für die End­run­de in Hel­sin­ki bestim­men. Auf der Stre­cke blieb unter ande­rem eine unfass­bar lang­wei­lig dahin­plät­schern­de Bal­la­de namens ‘Pava­ne itke­väl­le neidol­le’, was die unglaub­lich schwei­ni­sche kali­for­ni­sche Inter­net-Such­ma­schi­ne Goog­le mit ‘Piss auf eine klei­ne Mut­ter’ über­setzt (wirk­lich, ich denk mir das nicht aus!), was aber tat­säch­lich wohl einen ‘Tanz für ein wei­nen­des Mäd­chen’ meint. Kein Wun­der: wer heul­te da nicht, wenn irgend­ein wild­frem­der Wüst­ling die eige­ne Amme vollstrullt!

Schön skur­ril: alle zehn fin­ni­schen Vor­ent­schei­dungs­bei­trä­ge von 1965 als Audio-Playlist.

Auch die Schwe­din Caro­la schei­ter­te im Semi­fi­na­le – und wer jetzt kurz vor dem euro­vi­sio­nä­ren Herz­kas­per steht, den kann ich beru­hi­gen: nicht von der umstrit­te­nen Fan-Iko­ne und drei­fa­chen Reprä­sen­tan­tin ihres Lan­des, Caro­la Häggkvist, ist hier die Rede, son­dern von Caro­la Stan­dertskjöld, einer in Finn­land gebo­re­nen Jazz- und Chan­son­le­gen­de mit schwe­di­schen Wur­zeln, die mit der vom Vor­jah­res­ver­tre­ter Las­se Mår­ten­son geschrie­be­nen, rhyth­misch akzen­tu­ier­ten und mit herr­lich hart rol­len­dem “R” vor­ge­tra­ge­nen Auf­for­de­rung ‘Ge mig en Grabb’ (‘Gib mir ’nen Kerl’) antrat. Ja, wer wünscht sich den nicht! Das in den Jugend­jah­ren in der Schweiz auf­ge­wach­se­ne, fünf­spra­chi­ge Mul­ti­ta­lent, das zeit­wei­lig mit dem Hazy Oster­wald Sex­tett (‘Kri­mi­nal­tan­go’) tour­te und im Lau­fe ihrer hei­mi­schen Pop­kar­rie­re gleich drei Grand-Prix-Sie­ger­ti­tel cover­te, nahm im glei­chen Jahr sogar einen deut­schen Schla­ger auf. ‘War­um willst Du das alles ver­ges­sen?’ erwies sich jedoch als düs­te­res Omen für die­se Caro­la: 1985 dia­gnos­ti­zier­ten die Ärz­te bei ihr eine Alz­hei­mer-Erkran­kung, an der sie 1997 im Alter von nur 56 Jah­ren starb.

Wohin die Wind­ma­schi­ne sie weht: die fin­ni­sche Schla­ger­le­gen­de Kat­ri Hele­na bei ihrem stür­mi­schen Start ins Musikgeschäft.

Gerüch­te­wei­se hieß es, die damals erst neun­zehn­jäh­ri­ge und uns im Lau­fe der nächs­ten Jahr­zehn­te (!) noch mehr­fach in Grand-Prix-Zusam­men­hän­gen begeg­nen­de Kat­ri Hele­na Kalao­ja habe die Radio­vor­run­de mit ihrer nich­tig-flot­ten Pol­ka ‘Min­ne tuuli kul­jet­taa’ (‘Wohin der Wind mich führt’) gewon­nen. Das nütz­te ihr im Fina­le der Eurovi­isukar­sin­ta lei­der herz­lich wenig, denn hier stimm­ten sowohl aus­ge­wähl­te Studiozuschauer/innen aus allen zehn Regio­nen Finn­lands als auch eine “pro­fes­sio­nel­le” Jury gleich­be­rech­tigt ab. Und die setz­ten Kat­ri ledig­lich auf den kom­bi­nier­ten drit­ten Rang. Über den Sie­ger des Abends bestand zwi­schen bei­den Frak­tio­nen kei­ne Einig­keit: das wie stets in sol­chen Din­gen geschmacks­si­che­re und ado­rie­rens­wert klu­ge Volk bevor­zug­te ein wei­te­res Werk Las­se Mår­ten­sons: das ele­gan­te ‘Iltai­sin’ (‘Am Abend’), eine musi­ka­lisch auf char­man­te Wei­se ver­spiel­te, unglaub­lich viel­schich­ti­ge Jazz-Bal­la­de, die völ­lig mühe­los und ohne sich selbst dabei zu ver­lie­ren zwi­schen bei­na­he iro­ni­scher Hei­ter­keit und zutiefst melan­cho­li­schen Zwi­schen­tö­nen mäan­der­te, und die der Kom­po­nist im Anschluss an die Sen­dung als gemein­sa­mes Duett mit der Vor­ent­schei­dungs-Inter­pre­tin Mar­jat­ta Leppä­nen ver­öf­fent­lich­te. Eine ech­te Per­le, die auch im kom­bi­nier­ten Voting nach Punk­ten deut­lich führ­te und somit das Land eigent­lich hät­te ver­tre­ten müs­sen. Doch die Jury woll­te es anders.

Lei­der nur als Audio­fas­sung ver­füg­ba­re: der legi­ti­me Sie­ger­song die­ses Vor­ent­scheids, ‘Iltai­sin’.

Denn die “Pro­fes­sio­nel­len” bevor­zug­ten den gebür­ti­gen Rus­sen und selbst­er­nann­ten “sin­gen­den Kosa­cken” Vik­tor Kle­men­ko mit sei­ner skur­ri­len, hook-frei­en und sehr fin­ni­schen Lie­bes­schmerz­bal­la­de ‘Aurinko las­kee län­teen’ (‘Die Son­ne geht im Wes­ten unter’). Bei Unei­nig­keit, so woll­ten es die sei­ner­zeit gül­ti­gen YLE-Sta­tu­ten jedoch, lag das fina­le Ver­dikt beim Sen­der. Der ließ sich eini­ge Tage Zeit zur Ent­schei­dungs­fin­dung, konn­te aber den­noch nicht den Mut auf­brin­gen, sich auf die Sei­te des Vol­kes zu schla­gen, und stimm­te statt­des­sen mit der Jury. Mög­li­cher­wei­se auch, um mal einem ande­ren Kom­po­nis­ten als Las­se Mår­ten­son den Weg auf die euro­päi­sche Büh­ne zu ebnen. Nicht unbe­dingt der klügs­te Ent­schluss, wie wir mitt­ler­wei­le wis­sen: denn obwohl der im spä­te­ren Leben nach einem reli­giö­sen Erleb­nis ins Fach der christ­li­chen Erwe­ckungs­mu­sik gewech­sel­te Vik­tor Kle­men­ko in Nea­pel mit einem beein­dru­cken­den Abra­ham-Lin­coln-Bart von sei­ner sowje­ti­schen Her­kunft abzu­len­ken such­te, lie­ßen sich die strikt anti­kom­mu­nis­ti­schen Juro­ren beim euro­päi­schen Wett­sin­gen nicht täu­schen und schick­ten ihn mit null Punk­ten wie­der nach Hau­se. Ein unfai­res Ver­dikt gewiss, doch kei­nes­falls gemei­ner als die Bevor­zu­gung Kli­men­kos gegen­über der eigent­li­chen Vor­ent­schei­dungs­sie­ge­rin Mar­jat­ta Leppä­nen, die YLE nach 1963 nun schon zum zwei­ten Mal um ihren Euro­vi­si­ons­auf­tritt beh­umst hat­te. Kar­ma is a Bitch!

Oder waren es die schwar­zen Pai­let­ten, die Vik­tors Ergeb­nis herbeiführten?

Um der Chro­nis­ten­pflicht (und dem pri­va­ten Ver­gnü­gen des Chro­nis­ten an der skur­ri­len Schön­heit fin­ni­scher Namen) Genü­ge zu tun, soll jedoch noch von einem Mann berich­tet wer­den, der auf der Teil­neh­mer­lis­te des 1965er Eurovi­isukar­sin­ta gar nicht zu fin­den ist, und den den­noch so vie­les mit der Show ver­bin­det: Erkki Poh­jan­heimo heißt der jun­ge Mann, der ursprüng­lich vor­ge­se­hen war, von den magi­schen Trom­meln Lapp­lands zu berich­ten, den ‘Lapin taika­rum­mut’. Dass beim Vor­ent­scheid an sei­ner Stel­le die in letz­ter Sekun­de ein­ge­sprun­ge­ne und weit­hin unbe­kann­te Sän­ge­rin Rit­va Mus­to­nen eine, wie das Por­tal Viisukup­pi­la es in der Goog­le-Über­set­zung so form­voll­endet nennt, “mys­tisch wir­beln­de Inter­pre­ta­ti­on” des für fin­ni­sche Ver­hält­nis­se bei­na­he unver­ant­wort­lich ein­gän­gi­gen Titels zum Bes­ten gab (und damit abge­schla­gen auf dem fünf­ten Platz lan­de­te), dafür trug der Sen­der die Ver­ant­wor­tung: YLE hat­te näm­lich dem neben sei­ner Gesangs­kar­rie­re dort im Zweit­job als Kame­ra­mann täti­gen Erkki gera­de eine Fest­an­stel­lung als Unter­hal­tungs­chef (!) ange­tra­gen, in wel­cher Funk­ti­on er im Lau­fe der Jah­re auch mit der EBU zusam­men­ar­bei­ten soll­te. Zwi­schen 1973 und 1996, so weiß es Wiki­pe­dia, kom­men­tier­te Poh­ja­ne­heimo für die fin­ni­schen Zuschauer:innen die Gescheh­nis­se beim Euro­vi­si­on Song Con­test, und 1981 mode­rier­te er dem hei­mi­schen Vor­ent­scheid. Eine gro­ße Grand-Prix-Familie!

Ist das der Kerl, den Caro­la woll­te? Erkki wirkt jeden­falls, als sei er nicht ganz so brav, wie das Foto ver­mit­teln soll.

Vor­ent­scheid FI 1965

Suo­men Eurovi­isukar­sin­ta. Sams­tag, 13. Febru­ar 1965, aus den YLE-Fern­seh­stu­di­os in Hel­sin­ki. Sechs Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Ant­ti Einiö + Mari­on Rung.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01Mar­jat­ta LeppänenIltai­sin2101
02Eero & JussiTah­don saaren0846
03Rit­va MustonenLapin Taika­rum­mut0935
04Vik­tor KlimenkoAurinko las­kee länteen1952
05Kat­ri HelenaMin­ne tuuli kuljettaa1863
06Kai LindMon Amie, mon Amour1334

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 13.10.20

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