ESC-Fina­le 1965: Die Hit­ze der Jungs

Logo des Eurovision Song Contest 1965
Die Pop-Revo­lu­ti­on

Im zehn­ten Jahr sei­nes Bestehens schien der Euro­vi­si­on Song Con­test end­gül­tig bei sich ange­kom­men zu sein, die gröbs­ten Kin­der­krank­hei­ten eini­ger­ma­ßen aus­ge­merzt. Unver­zeih­li­che archi­va­ri­sche Lücken durch eine feh­len­de Auf­zeich­nung der Live-Sen­dung wie noch 1956 und 1964 soll­ten künf­tig nicht mehr vor­kom­men. Die Fra­ge, wer auf der Büh­ne die Sie­ges­tro­phäe über­reicht bekommt – Interpret:in oder Komponist:in – sorg­te nicht mehr für Ver­wir­rung und pein­li­che Situa­tio­nen wie noch 1957. Die Punk­te­wer­tung unter­lag zwar noch stän­di­gen Ver­fah­rens­än­de­run­gen, hat­te sich aber als unver­zicht­ba­rer Teil der Sen­dung eta­bliert. Die Zahl der teil­neh­men­den euro­päi­schen Staa­ten zeig­te einen erfreu­lich sta­bi­len Auf­wärts­trend, von ledig­lich sie­ben im Anfangs­jahr zu aktu­ell 18 Natio­nen. Und schließ­lich hat­te die BBC 1963 ers­te Mei­len­stei­ne in Sachen moder­ner Insze­nie­rung der Auf­trit­te gesetzt, wel­che die im Jubi­lä­ums­jahr erst­ma­li­ge gast­ge­ben­de ita­lie­ni­sche TV-Anstalt Rai, als Erfin­de­rin des dem Song Con­test zugrun­de­lie­gen­den San-Remo-Fes­ti­vals gewis­ser­ma­ßen die Mut­ter der Show, aller­dings nicht aufgriff.

Glei­ßen­de Schein­wer­fer statt süd­li­cher Son­ne: die Rai ver­wan­del­te das Sen­de­stu­dio zu Nea­pel in eine Licht­burg (gan­zer Contest). 

Viel­mehr wirk­te die Ver­an­stal­tung in Nea­pel extrem sta­tisch: alle Teilnehmer:innen muss­ten hin­ter einem klo­bi­gen Ste­reo-Mikro­fon Auf­stel­lung neh­men und durf­ten sich so gut wie nicht bewe­gen, wäh­rend die Kame­ras sie über­wie­gend vom Hals auf­wärts ein­fin­gen. Dazu kam eine Beleuch­tung, die so grell wirk­te, als habe sich die Rai für die Ver­an­stal­tung bei der NATO ein Dut­zend Rake­ten­such­schein­wer­fer aus­ge­lie­hen, mit denen man nicht nur das knapp 1.000 gela­de­ne Gäs­te fas­sen­de TV-Stu­dio, son­dern zur Not auch den Nacht­him­mel von ganz Nord­ita­li­en tag­hell hät­te illu­mi­nie­ren kön­nen. Musi­ka­lisch hin­ge­gen setz­te der Con­test von Nea­pel Maß­stä­be: zwar zeig­te sich das Teil­neh­men­den­feld wei­ter­hin domi­niert von getra­ge­nen fran­ko­phi­len Bal­la­den, wie sie den von seni­ler Bett­flucht geplag­ten Geron­ten der Jurys den Weg in den süßen Schlum­mer berei­te­ten, doch zugleich streu­te das vom Sen­der ange­heu­er­te Orches­ter, das vor einer äußerst sakral anmu­ten­den Orgel­pfei­fen­wand auf­spiel­te, jede Men­ge süd­län­di­sches Tem­pe­ra­ment und Pfef­fer über die Bei­trä­ge, nicht zuletzt durch eine beson­ders tem­po­reich und vir­tu­os agie­ren­de Trom­mel­grup­pe. Davon pro­fi­tier­te bereits die Eröff­nungs­sän­ge­rin die­ses Con­cour­ses, die fabel­haf­te Nie­der­län­de­rin Con­ny Van­den­bos.

Nea­pel sehn und ster­ben: Con­ny Van­den­bos (NL).

Der ankla­gen­den Bot­schaft ihres Bezie­hungs­auf­kün­di­gungs­schla­gers ‘T is genoeg’, in wel­chem sie ihrem chro­nisch untreu­en Gespons den Bet­tel vor die Füße wirft, ver­lie­hen die gera­de­zu feu­ri­gen, aber prä­zi­se gespiel­ten Bon­gos den ange­mes­se­nen Nach­druck. Bei den streng kon­ser­va­ti­ven Her­ren der Jury kam soviel weib­li­che Selbst­be­stimmt­heit nicht gut an: mit einem elf­ten Platz erfuhr Con­ny eine skan­da­lös schlech­te Beur­tei­lung. Unglück­lich auch der spä­te­re Zwi­schen­fall beim Mei­len­stein-Con­test von 1998, wo sie als Punk­te­fee die hol­län­di­schen Voten durch­gab und sich nicht zurück­hal­ten konn­te, auf ihre dama­li­ge eige­ne Teil­nah­me am Grand Prix hin­zu­wei­sen. Ihr läs­sig rela­ti­vie­ren­der Nach­satz, dass das aber schon lan­ge her sei, ging im Gejoh­le der Fans unter. Im Gegen­satz zur Bestä­ti­gungs­fra­ge der Komo­de­ra­to­rin Ulri­ka Jons­son, “A long Time ago, was­n’t it?”, die ohne die­sen Bezug ziem­lich respekt­los wirk­te. 2002 fiel die Sän­ge­rin mit dem längs­ten Hals seit Bar­bie dem Krebs zum Opfer. Für sehr viel Pep in einem außer­ge­wöhn­lich drö­gen Umfeld sorg­te außer­dem, wie bereits 1961, die Spa­nie­rin Con­chi­ta Bau­tis­ta. Das Namens­vor­bild der spä­te­ren öster­rei­chi­schen Grand-Prix-Kai­se­rin Con­chi­ta Wurst hieß laut Geburts­ur­kun­de eigent­lich María Con­cep­ción (= Mariä Emp­fäng­nis) Bau­tis­ta Fernán­dez. “Con­chi­ta” lei­tet sich nun, wie Wiki­pe­dia weiß, einer­seits von “Con­chi” ab, der Ver­nied­li­chungs­form die­ses ziem­lich from­men Vor­na­mens. Gleich­zei­tig bedeu­tet es im Spa­ni­schen pikan­ter­wei­se aber auch “Muschel­chen”, im Sin­ne eines wun­der­hübsch blu­mi­gen Kose­wor­tes für das weib­li­che Geschlechtsorgan.

Mar­ken­zei­chen bel­len­der Gesang: Con­chi­ta Bau­tis­ta (ES).

Frau Bau­tis­ta leb­te die­se Dop­pel­deu­tig­keit: als ein biss­chen anrü­chig (jeden­falls nach Rai-Maß­stä­ben) erwies sich eben­falls die Insze­nie­rung ihres druck­vol­len und sehr zutref­fend ‘¡Qué bue­no!’ (‘Wie gut!’) beti­tel­ten Schla­gers, einer der weni­gen Bei­trä­ge die­ses Jahr­gan­ges, der einen nicht sofort in traum­lo­sen Tief­schlaf ver­setz­te. Als ein­zi­ge (!) von 18 Sänger:innen igno­rier­te sie das unaus­ge­spro­che­ne Tanz­ver­bot und leg­te eine fabel­haf­te Show mit exal­tier­ten Arm­be­we­gun­gen und feu­ri­gen, gele­gent­lich koket­ten Bli­cken hin – gewis­ser­ma­ßen die Mut­ter von Azú­car Moreno gebend. Dazu kam ihr kraft­vol­ler Gesangs­stil: bei den lang­ge­zo­ge­nen Tönen ihres Songs fühl­te man sich stel­len­wei­se an ein Nebel­horn erin­nert. Die­ses audio­vi­su­el­le Feu­er­werk straf­ten die augen­schein­lich katho­li­schen Juro­ren umge­hend ab und schick­ten die gran­dio­se Spa­nie­rin mit null Punk­ten nach Hau­se, was mich noch heu­te unsag­bar wütend macht. Der für das in Nea­pel sei­nen Euro­vi­si­ons­ein­stand geben­de Irland star­ten­de Butch Moo­re mach­te sei­nem Vor­na­men hin­ge­gen kei­ne Ehre: er gehe zum “Wei­nen in den Regen”, damit sie die Trä­nen nicht sehe, sang er. Dabei wei­nen but­che Ker­le doch gar nicht, erst recht nicht wegen einer Frau!

Muss sich wäh­rend sei­nes Vor­trags selbst ans Bein klop­fen, um beim Sin­gen nicht ein­zu­schla­fen: der sanf­te Butch (IE). Eine min­des­tens 1,25-fache Abspiel­ge­schwin­dig­keit (über die You­tube-Ein­stel­lun­gen) ist drin­gend anempfohlen.

Gebo­ren wur­de der in den Sech­zi­gern auf der grü­nen Insel zu den erfolg­reichs­ten Pop­stars gehö­ren­de Butch frei­lich als James Augus­tin Moo­re. Wie David Bla­ke Knox in sei­nem 2015 erschie­ne­nen Buch ‘Ire­land and the Euro­vi­si­on’ schreibt, sei sein (melo­disch durch­aus hör­ba­rer, aber ent­setz­lich lang­sa­mer!) Grand-Prix-Bei­trag unty­pisch für sein übli­ches, eher aus Coun­try & Wes­tern bestehen­des Reper­toire: die TV-Sta­ti­on der streng katho­li­schen Insel leg­te, wie auch der deut­sche Grand-Prix-Ver­ant­wort­li­che Hans-Otto Grü­ne­feld, größ­ten Wert dar­auf, dass das Land mit “wür­di­gem” Mate­ri­al ver­tre­ten wer­de. Und so bestimm­ten die in der ers­ten Deka­de des Con­tests bereits so prä­gen­den fest­li­chen Bal­la­den in der frü­hen Pha­se der iri­schen Teil­nah­me das Bild, übri­gens mit durch­weg guten Ergeb­nis­sen. Über ein sol­ches konn­te sich auch die bri­ti­sche Ver­tre­te­rin Kathy Kir­by freu­en, wobei mich der zwei­te Platz für das musi­ka­lisch aus­ge­spro­chen plum­pe und mit dem wohl ein­falls­lo­ses­ten Refrain aller Zei­ten (näm­lich der stu­ren, man­tra­ar­ti­gen Wie­der­ho­lung der drei­sil­bi­gen Titel­zei­le) auf­war­ten­de ‘I belong’ offen gestan­den rat­los zurück­lässt. Optisch konn­te sich die als maß­stabs­ge­treue Mary­lin-Mon­roe-Kopie zurecht­fri­sier­te und ‑geschmink­te Inter­pre­tin, die nach ihrem der Euro­vi­si­ons­teil­nah­me fol­gen­den Kar­rie­re­en­de zeit­wei­lig unter Schi­zo­phre­nie lei­den und ihren Lebens­abend teils ohne eige­nes Dach über dem Kopf ver­brin­gen soll­te, hin­ge­gen sehen las­sen. Aller­dings nicht ohne Nach­hil­fe: wie der BBC-Pro­du­zent Ernest Maxi­ne im Inter­view mit Gor­don Rox­burgh erzählt, ließ der selbst­de­kla­rier­te “Hol­ly­wood-Fan” für Kir­bys Auf­tritt zusätz­li­che Kame­ra-Lich­ter instal­lie­ren, wel­che “jede Fal­te über­blen­de­ten”. Madon­na lässt grüßen!

Visu­ell glatt­ge­bü­gelt: Kathy Kir­by (UK).

Udo Jür­gens schien der Erfolg bereits so zu Kopf gestie­gen zu sein, dass er sei­nen abge­leg­ten Grou­pies nicht mal mehr per­sön­lich den Lauf­pass gab, son­dern Hiobs­bo­ten beschäf­tig­te: mit dem tief­trau­ri­gen Über-Ban­de-Abschieds-Chan­son ‘Sag ihr, ich lass sie grü­ßen’ ver­bes­ser­te sich der vom ORF erneut intern bestimm­te Kärnt­ner bei sei­ner zwei­ten Grand-Prix-Teil­nah­me den­noch um zwei Plät­ze. Da ist doch noch mehr drin, wird man sich im Hau­se Bockel­mann dar­auf­hin wohl gedacht haben: der Rest ist Geschich­te… Die Schweiz greift ob ihres unter­hal­tungs­ge­werb­li­chen Not­stands bekannt­lich ger­ne zum Inter­pre­tin­nen-Import, was sich 1988 mit einer sin­gen­den Fran­ko­ka­na­die­rin und ihrem von einem gebür­ti­gen Tür­ken geschrie­be­nen Song als rich­ti­ge Stra­te­gie erwei­sen soll­te. Die für den Con­test von 1965 in Grie­chen­land ein­ge­kauf­te Ver­tre­te­rin, Yovan­na, brach­te den Hel­ve­ti­ern hin­ge­gen kei­nen Erfolg: zu sprö­de ihr ret­tungs­los alt­mo­di­scher Bal­la­den­rie­men ‘Non (à jamais sans toi)’, zu affek­tiert ihre sehr offen­sicht­lich durch eine jah­re­lan­ge Musi­cal-Aus­bil­dung ver­sau­te Mimik. Unse­re Ulla Wies­ner, vom nach einem frü­hen Fei­er­abend schie­len­den Rai-Orches­ter im Schweins­ga­lopp durch ihren anrüh­ren­den Erbau­ungs­schla­ger gehetzt und von der Wucht des Sound­es ein wenig erschla­gen, such­te lan­ge Zeit ver­geb­lich nach ihrer Stim­me und fand sie erst nach andert­halb Minuten.

Grü­ße aus dem Dark­room: der gro­ße Udo Jür­gens (AT) mit sei­nem Wettbewerbsbeitrag.

Unbe­ant­wor­tet blieb so die exis­ten­zi­el­le Fra­ge: ‘Para­dies, wo bist Du’? Dass die deut­sche Reprä­sen­tan­tin ihren per­sön­li­chen Hap­py Spot noch nicht gefun­den hat­te, merk­te man ihr deut­lich an, und nicht nur beim Migrä­ne-Schlä­fen­griff zum Songfi­na­le ver­mit­tel­te sie den Ein­druck, als wol­le sie sich gleich vor Welt­schmerz ent­lei­ben. Wer aber der­art ver­zagt agiert, ern­tet bes­ten­falls Mit­leid­spünkt­chen. Doch noch nicht ein­mal die­se woll­ten die inter­na­tio­na­len Juro­ren ihr spen­die­ren. Die weh­lei­di­ge Wies­ner bil­de­te daher gemein­sam mit der cha­ris­ma­ti­schen Con­chi­ta, der belang­lo­sen Bel­gie­rin Lize Mar­ke und dem für Finn­land antre­ten­den Croo­ner Vik­tor Kli­men­ko das dies­jäh­ri­ge Klee­blatt der Punk­te­lo­sen. Der sich selbst als “sin­gen­der Kosak” und “Russ­lands Geschenk an die Fin­nen und die Welt” bezeich­nen­de Sän­ger, der erst 1973 die suo­mi­sche Staats­bür­ger­schaft erhielt, ritt im Text sei­ner melan­cho­li­schen Tren­nungs­schnul­ze dar­auf her­um, dass die Son­ne im Wes­ten unter­geht, was er mit dem Ende der Lie­be alle­go­ri­sier­te. Das emp­fan­den die pro­west­li­chen Juro­ren wohl als poli­ti­schen Affront. Heu­te macht Kli­men­ko, wie auch Frau Wies­ner, christ­li­che Gos­pel­mu­sik. Für Nor­we­gen trat das ers­te von drei Malen (immer fein säu­ber­lich im Zwei-Jah­res-Abstand) Kir­s­ti Spar­boe an, die man in Deutsch­land von dem ulki­gen Hit ‘Ein Stu­dent aus Upp­sa­la’ kennt. Doch den Jurys wur­de es vom ‘Karu­sell’ fah­ren wohl schwind­lig: es gab nur einen Punkt.

Schien etwas unpäss­lich: Ulla Wies­ner (DE).

Etwas bes­ser schnitt da schon der 2011 ver­stor­be­ne, fleisch­müt­zen­tra­gen­de Schwe­de mit dem lus­ti­gen Namen Ing­var Wixell ab, obwohl – oder gera­de weil – der Inha­ber des deut­schen Bun­des­ver­dienst­kreu­zes, der 30 Jah­re an der Ber­li­ner Oper sang, sei­ne Arie vom ‘Absent Fri­end’ auf Eng­lisch schmet­ter­te. Er beging damit noch nicht mal einen Regel­ver­stoß: wie auch beim von Seño­ri­ta Bau­tis­ta miss­ach­te­ten Tanz­ver­bot han­del­te es sich um ein unge­schrie­be­nes Gesetz; dass ein:e Jede:r beim Grand Prix in sei­ner bzw. ihrer Mut­ter­spra­che sän­ge, nahm man damals ein­fach als gege­ben an. Ing­vars über­flüs­si­ge Über­tre­tung (bedingt durch die Art sei­nes Vor­trags ver­stand man ohne­hin kein ein­zi­ges Wort) sorg­te für umge­hen­de Pro­tes­te – und dafür, dass die EBU die ver­ma­le­dei­te Spra­chen­re­gel im nächs­ten Jahr schrift­lich fixier­te. Dan­ke, Du Wixell! Die Gast­ge­ber beka­men hier­von ver­mut­lich nichts mit, denn für den typi­schen Ragaz­zi klingt wohl jede ande­re Spra­che außer Ita­lie­nisch glei­cher­ma­ßen unver­ständ­lich. Eng­lisch, Schwe­disch, Sua­he­li: wo soll da der Unter­schied sein? Zudem ori­en­tier­ten sich die Stiefelbewohner:innen selbst an angel­säch­si­schen Vor­bil­dern und schick­ten einen jun­gen Elvis-Imi­ta­to­ren namens Bob­by Solo, der ver­geb­lich ver­such­te, sich mit einer nur not­dürf­tig kaschier­ten Cover­ver­si­on von ‘Are you lone­so­me tonight?’ in die Her­zen der Juro­rin­nen zu schmach­ten: dazu fehl­te ihm die gewis­se Locker­heit in der Hüfte.

12 Punk­te allei­ne schon für den Bart. Und für die Wan­gen­kno­chen! (FI)

Solo sorg­te für einen Skan­dal: gemäß des damals bestehen­den Vor­ver­öf­fent­li­chungs­ver­bo­tes durf­ten die am Grand Prix teil­neh­men­den Lie­der – außer im Rah­men des jewei­li­gen Vor­ent­scheids – erst­ma­lig in der Euro­vi­si­ons­en­dung öffent­lich auf­ge­führt wer­den. Vor allem aber war jede Plat­ten­ver­öf­fent­li­chung vor einem von der EBU fest­ge­leg­ten, für alle Teilnehmer:innen euro­pa­weit gül­ti­gen Datum strengs­tens unter­sagt (heu­te erscheint der offi­zi­el­le Sam­pler mit allen Wett­be­werbs­ti­teln schon Wochen vor dem Fina­le, die Dis­qua­li­fi­zie­rungs-Dead­line ist stets der 1. Sep­tem­ber des Vor­jah­res). ‘Se pian­gi, se ridi’ ver­stieß klar gegen die­ses Ver­bot, von dem Num­mer-Eins-Hit waren in Ita­li­en direkt nach dem San-Remo-Fes­ti­val bereits eine Vier­tel­mil­li­on Sin­gles über die Laden­ti­sche gegan­gen. Doch die aus­tra­gen­de Nati­on von der eige­nen Ver­an­stal­tung aus­zu­schlie­ßen, das trau­te sich natür­lich nie­mand. So drück­te die EBU alle Augen zu und hoff­te instän­dig, dass das Adria­land nicht erneut gewän­ne, denn dann hät­te sich der bis­lang außer­halb der Fach­krei­se kaum bekann­te Ver­stoß zu einem ech­ten Eklat aus­ge­wei­tet. Glück­li­cher­wei­se kam es nicht soweit: Bob­by lan­de­te auf einem (wohl­wol­len­den) fünf­ten Rang.

How sil­ly can you get? (IT

Die Bron­ze­me­dail­le ging völ­lig unver­dien­ter­ma­ßen an Frank­reich, wel­ches, genau so übri­gens wie sei­ne Satel­li­ten­staa­ten Luxem­burg und Mona­co, in die­ser Pha­se des Grand Prix Euro­vi­si­on anschei­nend ein­fach nur auf­zu­lau­fen brauch­te, um von den gal­lier­ge­neig­ten Juro­ren mit Punk­ten nur so über­häuft zu wer­den, völ­lig unab­hän­gig von der musi­ka­li­schen Qua­li­tät der dar­ge­brach­ten Kom­po­si­ti­on. Die hieß in die­sem Fall ‘N’a­voue jamais’ und war von solch frap­pan­ter Ein­falls­lo­sig­keit, dass noch nicht mal die Fran­zo­sen selbst die Plat­te kau­fen woll­ten. Immer­hin bewies unser Nach­bar­land Inter­na­tio­na­li­tät: der vom Sen­der intern aus­ge­wähl­te Ver­tre­ter hör­te gebür­tig auf den Namen Mar­do­chée Elkou­bi, stamm­te aus der dama­li­gen Kolo­nie Alge­ri­en und kam erst 1959 nach Frank­reich. Mitt­ler­wei­le lebt Guy Mar­del, so sein Künst­ler­na­me, in Jeru­sa­lem. Guys in Paris gebo­re­ne Lands­frau Fran­çoi­se Nivot ali­as Mar­jo­rie Noël, die nach nur weni­gen Sin­gle-Ver­öf­fent­li­chun­gen wie­der vom Markt ver­schwand, wich auf den Klein­staat Mona­co aus. Mit einer mit­tel­mä­ßi­gen Lie­bes­bal­la­de, into­niert mit einer mit­tel­mä­ßi­gen Stim­me, lan­de­te sie… im Mit­tel­feld. Als wah­re Meis­ter des Herz­schmer­zes erwie­sen sich hin­ge­gen, bereits vier­zig Jah­re vor ‘Lane moje’, die Jugo­sla­wen: vor lau­ter Ergrif­fen­heit über die Dra­ma­tik sei­ner Sehn­suchts­bal­la­de über sei­ne uner­füll­te Lie­be zu unse­rer Renn­fah­rer-Iko­ne Micha­el Schu­ma­cher (er sang doch wohl “Schu­mi, Schu­mi amo­re”?) hat­te der Kroa­te Vice Vukov einen deut­lich wahr­nehm­ba­ren Kloß im Hals.

Gleich weint einer! (YU)

Der in den Sech­zi­gern zu den bekann­tes­ten Musi­kern Jugo­sla­wi­ens zäh­len­de Vukov, hier von sei­nen Lands­leu­ten bereits das zwei­te Mal zum inter­na­tio­na­len Wett­be­werb ent­sandt, ging nach der Unab­hän­gig­keit Kroa­ti­ens in die Poli­tik und zog 2003 als Abge­ord­ne­ter der Sozi­al­de­mo­kra­ten ins Par­la­ment ein. Dort fand er den Tod: 2005 stürz­te er, wie Wiki­pe­dia weiß, im Sab­or eine Trep­pe hin­un­ter und erlitt so star­ke Kopf­ver­let­zun­gen, dass er nach drei Jah­ren im Koma ver­starb. Por­tu­gal, bei sei­ner Pre­miè­re im Vor­jahr noch so grob mit einer Roten Later­ne und null Punk­ten emp­fan­gen, konn­te sich bei sei­ner zwei­ten Teil­nah­me mit Simo­ne de Oli­vei­ra deut­lich ver­bes­sern: für die von ihr besun­ge­ne, rela­tiv kraft­lo­se ‘Win­ter­son­ne’ gab es einen gan­zen Zäh­ler! Gera­de bei Simo­nes Auf­tritt konn­te man sich stel­len­wei­se nicht des Ein­dru­ckes erweh­ren, dass die RAI-Kame­ra mil­li­me­ter­dicht am anmu­ti­gen Ant­litz der Inter­pre­tin kleb­te und man jede Sekun­de damit rech­nen muss­te, mit ihren Rachen­man­deln Bekannt­schaft zu schlie­ßen. Ein Umstand, den das nor­we­gi­sche Fern­se­hen in einer klei­nen, bis­si­gen Par­odie auf den Wett­be­werb auf­griff und kari­kier­te, in wel­cher auch die Unart der natio­na­len Kom­men­ta­to­ren, über die Anmo­de­ra­tio­nen der char­man­ten Gast­ge­be­rin Rena­ta Mau­ro hin­weg­zu­spre­chen, auf die Schip­pe genom­men wurde.

Viel Feind, viel Ehr: erst eine eige­ne Par­odie ver­leiht einer Show wie dem Euro­vi­si­on Song Con­test rich­ti­ge Relevanz.

Doch letz­ten Endes ver­blass­te die kom­plet­te Sen­dung in der kol­lek­ti­ven Erin­ne­rung voll­stän­dig gegen den Sie­ger­ti­tel die­ses Jahr­gangs, der als ers­ter kecker Vor­bo­te einer Zei­ten­wen­de bei Euro­pas liebs­tem Unter­hal­tungs­event gedeu­tet wer­den durf­te. Der zu Hau­se in Frank­reich bereits sehr erfolg­rei­che Pop­star France Gall gewann als Aus­hilfs­sän­ge­rin für Luxem­burg haus­hoch mit dem von Ser­ge Gains­bourg (‘Je t’ai­me – moi non plus’) geschrie­be­nen, so musi­ka­lisch ein­gän­gi­gen wie lyrisch mehr­deu­ti­gen Pop­song ‘Pou­pée de Cire, Pou­pée de Son’. In dem ging es um erwa­chen­de Jung­mäd­chenfan­ta­sien, hit­zi­ge Jungs, Wachs- und Sprech­pup­pen (als Code für Jung­frau­en bzw. sol­che, die beim Lie­bes­spiel lau­te Geräu­sche von sich geben), im Sub­text etwas ver­schlüs­selt aber auch um den Kom­po­nis­ten, der sei­ne Sän­ge­rin als naï­ve künst­le­ri­sche ‘Wachs­pup­pe’ benutzt, um sei­ne sexu­el­len Phan­ta­sien an der Zeit­geist-Zen­sur vor­bei­zu­schmug­geln. Die damals erst sieb­zehn­jäh­ri­ge France, die das Lied selbst aus zehn Songvor­schlä­gen aus­ge­wählt hat­te, trieb die köst­li­che Dop­pel­deu­tig­keit des Tex­tes unbe­wusst auf die Spit­ze, in dem sie ihn jugend­lich unbe­küm­mert, bei­na­he krä­hend, vor­trug. Am Ende muss­te sie sich gar auf die Unter­lip­pe bei­ßen, um sich das Lachen zu verkneifen.

Wuss­te angeb­lich nicht, was sie da sang: die fabel­haf­te France (LU).

Der genia­le Titel wur­de zum euro­pa­wei­ten Super­hit (#2 in den deut­schen Charts, #1 NO, #4 BE, #6 NL, #10 AT). Für die jun­ge France mar­kier­te ihr Euro­vi­so­ns-Auf­tritt den Beginn einer lang anhal­ten­den inter­na­tio­na­len Kar­rie­re: im fran­zö­sisch­spra­chi­gen Raum mit Yéyé-Pop­ti­teln, bei uns hin­ge­gen mit äußerst alber­nen, auf­grund ihres unglaub­li­chen Charmes und des nied­li­chen Akzents aber unwi­der­steh­li­chen Schla­ger­chen wie bei­spiels­wei­se ‘Aban­da (Zwei Apfel­si­nen im Haar)’ undWas­ser­mann und Fisch’, oder auch ihren sich stets gut plat­zie­ren­den Bei­trä­gen bei dem vom ZDF ver­an­stal­te­ten Deut­schen Schla­ger-Wett­be­werb von 1968 (‘Com­pu­ter Nr. 3’), 1969 (‘Ein biss­chen Goe­the, ein biss­chen Bona­par­te’) und 1970 (‘Dann schon eher der Pia­no-Play­er’). Im Jah­re 1988 gelang ihr noch mal ein grenz­über­grei­fen­der Hit mit der famo­sen Ella-Fitz­ge­rald-Femmage ‘Ella, elle l’a’. Trotz die­ser immensen Erfolgs­sto­ry woll­te sie spä­ter nichts mehr von ihrer Grand-Prix-Teil­nah­me wis­sen. Was neben der sub­ti­len Ver­ar­sche durch den noto­ri­schen Gains­bourg, der ihr mit dem Lol­li­pop-Lut­sche­rin­nen-Lied ‘Les Sucet­tes’ eine wei­te­re, noch offen­si­ve­re Fri­vo­li­tät schrieb, natür­lich auch dar­an lie­gen könn­te, dass man sie 1965 zwang, für den deut­schen Markt eine grau­sam däm­li­che, pho­ne­tisch ein­ge­sun­ge­ne Fas­sung ihres Sie­ger­ti­tels namens ‘Das war eine schö­ne Par­ty’ auf­zu­neh­men. Unnö­ti­ger­wei­se, denn auch bei uns gehör­te die fran­zö­si­sche Ori­gi­nal­ver­si­on zu den zehn best­ver­kauf­ten Sin­gles des Jah­res. Damit begann sie, die knapp 15 Jah­re wäh­ren­de künst­le­ri­sche wie kom­mer­zi­el­le Hoch­pha­se des Grand Prix Eurovision.

Ein biss­chen per­fi­de, wie die ZDF-Bild­re­gie bei der Text­stel­le “Groß: 1,82” auf den im Publi­kum sit­zen­den Häns­chen Rosen­thal blen­det (Reper­toire­bei­spiel).

Euro­vi­si­on Song Con­test 1965

Gran Pre­mio Euro­vi­sio­ne del­la Can­zo­ne. Sams­tag, 20. März 1965, aus dem RAI-Kon­zert­saal in Nea­pel, Ita­li­en. 18 Teilnehmer:innen, Mode­ra­ti­on: Rena­ta Mauro.
#LandInter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01NLCon­ny van den Bos‘T is genoeg0511
02UKKathy Kir­byI belong2602
03ESCon­chi­ta Bautista¡Qué bue­no, qué bueno!0015
04IEButch Moo­reI’m wal­king the Streets in the Rain1106
05DEUlla Wies­nerPara­dies, wo bist Du?0015
06ATUdo Jür­gensSag ihr, ich lass’ sie grüßen1604
07NOKir­s­ti SparboeKaru­sell0113
08BELize Mar­keAls het weer Len­te is0015
09MCMar­jo­rie NoëlVa dire à l’Amour0709
10SEIng­var WixellAbsent Fri­end0610
11FRGuy Mar­delN’avoue jamais2203
12PTSimo­ne de OliveiraSol de Inverno0113
13ITBob­by SoloSe pian­gi, se ridi1505
14DKBir­git BrúelFor din Skyld1007
15LUFrance GallPou­pée de Cire, Pou­pée de Son3201
16FIVik­tor KlimenkoAurinko las­kee länteen0015
17YUVice VukovČežn­ja0212
18CHYovan­naNon, à jamais sans toi0808

Was waren Dei­ne Lieb­lings­songs beim ESC 1965? (Max. 5 Nennungen)

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3 Comments

  • Klei­ne Kor­rek­tur Die­ser angeb­li­che ‘Skan­dal’ um Ulri­ka und Con­ny ent­stand nur, weil im Applaus des Publi­kums unter­ging, dass es Madame van den Bos war, die ZUERST dar­auf hin­wies, dass ihre Teil­nah­me beim ESC schon ein Weil­chen her sei. Das Publi­kum bekam nur die Ant­wort von Ulri­ka Johns­son mit: ‘A long time ago, is it?’ Was als Bestä­ti­gungs­fra­ge gedacht war, wur­de so zu einer Belei­di­gung ers­ten Ran­ges. Dumm gelaufen.

  • So, nach nur neun Jah­ren habe ich es denn auch mal geschafft, Dei­ne Kor­rek­tur ein­zu­bau­en. Herz­li­chen Dank für den Hinweis!

  • Super Tipp mit der Geschwin­dig­keits­er­hö­hung des iri­schen Bei­trags bei You­tube. Klingt tat­säch­lich besser 🙂

    Ella elle l’a” kam übri­gens 1987 raus und wur­de ein Jahr spä­ter zum Hit.

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