Bel­gi­scher Vor­ent­scheid 1966: Lie­der! Luxem­burg! Lecker!

Das wal­lo­ni­sche Fern­se­hen, das 1966 wie stets in den gera­den Jah­ren an der Rei­he war, den bel­gi­schen Grand-Prix-Bei­trag zu bestim­men, bestritt den hei­mi­schen Vor­ent­scheid mit nur einer ein­zi­gen Sän­ge­rin. Und zwar mit einer… Schock­schwe­re­not: Flä­min! Zwar stamm­te die betref­fen­de Künst­le­rin aus dem unter ande­rem mit Ber­lin-Neu­kölln ver­schwis­ter­ten und heu­te vor allem als Kri­mi­na­li­täts­schwer­punkt bekann­ten Brüs­se­ler Vor­ort Ander­lecht, der in der poli­tisch neu­tra­len, zwei­spra­chi­gen Zone des lin­gu­is­tisch und kul­tu­rell zwie­ge­spal­te­nen Lan­des liegt, und sie trug als gebür­ti­ge Arlet­te Antoine Domi­ni­cus einen eher fran­zö­sisch klin­gen­den Namen. Doch für ihre Schla­ger­kar­rie­re benutz­te sie das Pseud­onym Tonia, und wie­wohl sie auch Titel en fran­çais auf­nahm, erziel­te sie ihre größ­ten Hits mit flä­mi­schen Cover­ver­sio­nen deut­scher Schla­ger wie ‘Mit 17 hat man noch Träu­me’, bei der etwas früh­rei­fe­ren Bel­gie­rin ‘Met 16 kan je nog dro­men’.

Viel Beat (und noch mehr Stimm­hall) um ein biss­chen Nichts: Tonia und ihr zweit­plat­zier­ter Yéyé-Bop.

Im bel­gi­schen Fina­le wie­der­um sang sie vier Bei­trä­ge in fran­zö­si­scher Spra­che, und per Post­kar­ten­ent­scheid durf­ten die Fernsehzuschauer:innen anschlie­ßend dar­aus ihr Sie­ger­lied bestim­men. Dabei lagen am Ende bis auf eben jenes alle Titel mehr oder min­der gleich­auf: gan­ze fünf Ein­sen­dun­gen trenn­ten das dritt­plat­zier­te ‘Tu pour­rais m’emmener dan­ser’ vom Schluss­licht, der unver­meid­lich kli­schee­trie­fen­den ‘Klei­nen Blu­me aus Chi­na’. Ledig­lich ein Song setz­te sich mit mas­si­vem Vor­sprung vom übri­gen Feld ab: das in sei­ner augen­zwin­kern­den Pos­sier­lich­keit schon wie­der fabel­haf­te ‘Un peu du Poi­v­re, un peu de Sel’ (‘Ein biss­chen Pfef­fer, ein biss­chen Salz’). Nein, kei­ne simp­le Würz­an­lei­tung für Kochanfänger:innen, wie man ver­mu­ten könn­te, son­dern eine Art kuli­na­ri­sches Bezie­hungs­re­zept, denn auch “Un peu d’A­mour, un peu du Miel” (“Ein biss­chen Lie­be, ein biss­chen Honig”) gehör­ten laut Tonia hin­zu. Also gleich zwei Mal kleb­ri­ge Kör­per­flüs­sig­kei­ten! Im benach­bar­ten Luxem­burg, wo der Wett­be­werb statt­fand, trug die mit einem sub­ti­len komö­di­an­ti­schen Talent aus­ge­stat­te­te Sän­ge­rin ihr ange­nehm kur­zes und erfri­schend flot­tes Chan­son mit der ihr so eige­nen, unnach­ahm­li­chen Mimik und Ges­tik vor und wur­de von den Juro­ren, bei denen die Lie­be eben auch durch den Magen ging, mit dem vier­ten Platz ange­mes­sen belohnt.

Lässt nichts anbren­nen: Tonia mit ihrer pos­sier­li­chen Kochshow.

Tonia konn­te sich, obgleich sie nie zu den ganz gro­ßen Stars ihrer Zeit zähl­te, nach ihrem gelun­ge­nen Euro­vi­si­ons­auf­tritt noch etli­che Jah­re auf dem west­eu­ro­päi­schen Markt hal­ten, wobei sie den Wett­be­wer­ben treu blieb. Zu ihren pro­mi­nen­tes­ten Schla­gern zäh­len die Lie­der ‘Karus­sell’ aus dem Jah­re 1968, eine deutsch­spra­chi­ge Cover­ver­si­on des San-Remo-Bei­trags ‘Gli Occhi miei’ von Wil­ma Goich, das der Wali­ser Tom “The Tiger” Jones unter dem süf­fi­san­ten Titel ‘Help yours­elf’ zu einem abso­lu­ten Welt­hit mach­te und das auch den sonst so bra­ven Peter Alex­an­der zu einer nicht min­der anzüg­li­chen deut­schen Fas­sung namens ‘Komm und bedien Dich bei mir’ ver­an­lass­te (das Fer­kel­chen!). Sowie ihr Bei­trag zum Deut­schen Schla­ger­wett­be­werb von 1969, das nun wirk­lich legen­där alber­ne Mach­werk ‘Texas-Cow­boy-Pfer­de-Sat­tel-Ver­käu­fe­rin’, auf des­sen Schwach­sinns­le­vel man sich bewusst ein­las­sen muss, um es in all sei­ner Pracht genie­ßen zu kön­nen, weil es einen ansons­ten in den ver­zweif­lungs­be­ding­ten Sui­zid treibt. 1973 betei­lig­te sie sich an der deut­schen Grand-Prix-Vor­ent­schei­dung, wo sie mit dem eben­falls sel­ten däm­li­chen ‘Sebas­ti­an’, einer gesun­ge­nen Lie­bes­er­klä­rung an einen Hund (ist das nicht ille­gal?), den zwei­ten Platz beleg­te. Wei­te­re drei Jah­re spä­ter, da schon im Spät­herbst ihrer Schla­ger­kar­rie­re ange­langt, bedien­te sie sich dann an einem Bei­trag aus der ger­ma­ni­schen Vor­auswahl Unser Lied für Den Haag: dem ‘Jahr­markt unse­rer Eitel­kei­ten’, dort ziem­lich brä­sig dar­ge­bo­ten von dem gebür­ti­gen Nie­der­län­der Bruce Low, dem sie mit einer deut­lich pfeff­ri­ge­ren Inter­pre­ta­ti­on ein biss­chen Leben einhauchte.

Was muss man rau­chen, um sich sol­che Schla­ger­tex­te auszudenken?

Vor­ent­scheid BE 1966

Fina­le bel­ge du Grand Prix Euro­vi­si­on. Diens­tag, 25. Janu­ar 1966 in Brüs­sel. Eine Teilnehmerin.

#Inter­pre­tinSong­ti­telPost­kar­tenPlatz
01Tonia Mer­tensTu pour­rais m’em­me­ner danser25013
02Tonia Mer­tensPeti­te Fleur de Chine24964
03Tonia Mer­tensUn petit Rien27572
04Tonia Mer­tensUn peu de Poi­v­re, un peu de Sel37651

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