Fes­ti­val da Can­ção 1966: Rebel wit­hout a Cause

Es war im Grun­de genom­men ein ein­zi­ges Mada­le­na-Iglé­si­as-Fest­spiel, das Lis­sa­bon­ner Fes­ti­val da Can­ção von 1966. Die mit vol­lem Namen auf Mada­le­na Lucí­lia Iglé­si­as do Vale de Oli­vei­ra Por­tu­gal getauf­te Sän­ge­rin (por­tu­gie­si­sche Per­so­nal­aus­wei­se müs­sen wohl im DIN-A-3-For­mat aus­ge­stellt wer­den!) inter­pre­tier­te gleich drei der ins­ge­samt acht Wett­be­werbs­ti­tel. Davon ver­irr­ten sich die lieb­lich plin­kern­den ‘Camin­hos per­di­dos’, die ‘Ver­lo­re­nen Wege’, dem Titel gerecht wer­dend auf den sechs­ten Rang. Mit ihrem dritt­plat­zier­ten, als Lied über eine ver­lo­re­ne Lie­be gut getarn­ten Bei­trag fass­te sie gar ein hei­ßes Eisen an: in der dama­li­gen herr­schen­den rechts­ge­rich­te­ten Dik­ta­tur unter Sala­zar von ‘Rebel­dia’ (‘Rebel­li­on’) zu sin­gen, kann man fast schon als mutig bezeich­nen. Auf euro­päi­scher Ebe­ne lag sie damit aller­dings voll im Trend: auch in ande­ren natio­na­len Vor­ent­schei­dun­gen, wie zum Bei­spiel beim nor­we­gi­schen Melo­di Grand Prix, tauch­ten Lie­der auf, wel­che die begin­nen­de Jugend­re­vol­te gegen die ver­krus­te­ten Struk­tu­ren im Nach­kriegs­eu­ro­pa zumin­dest atmo­sphä­risch aufgriffen.

Gro­ßes Kino: Frau Iglé­si­as ruft vor üppi­gen flo­ra­len Arran­ge­ments die Revo­lu­ti­on aus.

Das sei­nem Titel ent­spre­chend auch musi­ka­lisch hoch­dra­ma­ti­sche Chan­son unter­stütz­te die Frau mit dem recht­ecki­gen Gesicht mit einer abso­lut kon­trol­lier­ten, eben­so dra­ma­ti­schen Mimik und Ges­tik. Einen unfrei­wil­li­gen klei­nen komö­di­an­ti­schen Kon­tra­punkt setz­te sie dann in der Song­mit­te, als sich beim kur­zen Schüt­teln der Fri­sur ein Här­chen in den zum Sin­gen offen­ste­hen­den Mund ver­irr­te, wel­ches sie anschlie­ßend ver­such­te, so unauf­fäl­lig wie mög­lich her­aus­zu­pu­len. Auf den zwei­ten Rang schob sich in der Wer­tung durch die 15 regio­na­len Jurys der sen­sa­tio­nel­le Tren­nungs­schmacht­fet­zen ‘Eu nun­ca direi Ade­us’ (‘Ich sage nie­mals Adieu’), den der im Jah­re 2011 ver­stor­be­ne, von der ob ihrer pracht­vol­len Vege­ta­ti­on, aber auch wegen ihres Wei­nes gerühm­ten Mit­tel­meer­in­sel Madei­ra stam­men­de Sérgio Bor­ges hier zwar solo vor­trug, wobei er die Kol­le­gen sei­ner ehe­ma­li­gen Schü­ler­band und jet­zi­gen Beat-Kapel­le Con­jun­to Aca­dé­mi­co João Pau­lo, mit wel­cher er über die Lan­des­gren­zen hin­aus kom­mer­zi­el­le Erfol­ge fei­er­te, jedoch zur see­li­schen und instru­men­ta­len Unter­stüt­zung als Begleit­per­so­nen mit­brach­te. Dies sorg­te gleich zu Beginn sei­nes Auf­trit­tes für eini­ge Momen­te gelös­ter Hei­ter­keit, als die mit Gold­fo­lie bespann­te, vier­flü­ge­li­ge Dreh­tür, die den über­aus mon­dä­nen Blick­fang der Büh­nen­de­ko­ra­ti­on bei die­sem FdC bil­de­te und durch die alle Teilnehmer:innen zum Auf­takt schrit­ten, gar nicht mehr auf­hö­ren woll­te, sich zu drehen.

Erin­nert ein biss­chen an Julio Igle­si­as (ES 1970), nur etwas schaum­ge­brems­ter: Sérgio.

Ein Aca­dé­mi­co nach dem ande­ren quoll aus dem gül­de­nen Türen­ka­rus­sell her­vor, um für Sekun­den über die Büh­ne zu huschen und umge­hend rechts oder links der Kame­ra im Bild­rand zu ver­schwin­den. Erst, als man schon dach­te, das Defi­lee wol­le gar kein Ende mehr neh­men, erschien als Letz­ter unser Mann Sérgio und nahm vor dem Mikro­fon Auf­stel­lung. Dort zog er dann sän­ge­risch wie dar­stel­le­risch alle Regis­ter: er schmach­te­te, fleh­te, schluchz­te, gri­mas­sier­te, blick­te und ges­ti­ku­lier­te, als müss­ten die gebann­ten Zuschauer:innen jede Sekun­de befürch­ten, dass er sich auf offe­ner Büh­ne vor purer Ver­zweif­lung ent­leibt. Doch es war kein Vor­bei­kom­men an Frau Iglé­si­as: mit dem Schla­ger ‘Ele e ela’ (‘Er und sie’), heu­te ein immer wie­der ger­ne gehör­te Ever­green, erziel­te sie einen sehr ein­deu­ti­gen Sieg bei die­sem FdC. Dabei wag­te ihr Titel für por­tu­gie­si­sche Ver­hält­nis­se gera­de­zu Uner­hör­tes, han­del­te es sich doch – man mag es ange­sichts des Hangs ihrer Lands­leu­te zu fadem Fado kaum glau­ben – um einen Upt­em­po­song! Doch, wirk­lich! Beim Wett­be­werb in Luxem­burg erziel­te die Halb­in­sel damit lei­der nur einen völ­lig unter­be­wer­te­ten 13. Rang, was eine nach­hal­ti­ge Hin­wen­dung der Por­tu­gie­sen zum fröh­li­che­ren Lied­gut nicht gera­de beför­der­te. In einer spa­ni­schen Ver­si­on erschien ‘Ele e ela’ auch auf dem ibe­ri­schen und fran­zö­si­schen Markt.

Von flott bis dra­ma­tisch alles dabei: das FdC 1966 als (lei­der unvoll­stän­di­ge) Playlist.

Nach zahl­rei­chen wei­te­ren Alben, Film­aus­flü­gen und einer erneu­ten Teil­nah­me am Fes­ti­val da Can­ção 1969 über­sie­del­te Mada­le­na der Lie­be wegen 1972 nach Vene­zue­la, wo sie sich neben klei­ne­ren TV-Auf­trit­ten dem Fami­li­en­le­ben wid­me­te. 1987 zog sie nach Bar­ce­lo­na, wo sie bis zu ihrem Tod im Jah­re 2018 leb­te. Eine beson­ders unge­wöhn­li­che Ehrung kam ihr 1989 mit dem komö­di­an­ti­schen Muscial ‘What hap­pen­ed to Mada­le­na Iglé­si­as’ zuteil: etwas, das sicher die wenigs­ten Eurovisionskünstler:innen vor­wei­sen können.

Vor­ent­scheid PT 1966

Fes­ti­val da Can­ção. Sams­tag, 15. Janu­ar 1966, aus den Estú­di­os da Lumi­nar in Lis­sa­bon. Fünf Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Maria Fer­nan­da + Hen­ri­que Mendes.
#Interpret:inSong­ti­telJuryPlatz
01Mada­le­na IglésiasEle e ela8101
02Sérgio Bor­gesEu nun­ca direi Adeus5202
03João Maria TudelaOuto­no3504
04Tony de MatosNada e ninguém0508
05Antó­nio CalvárioEncon­tro para Amanhã2605
06Mada­le­na IglésiasRebel­dia4203
07João Maria TudelaAi! Gra­cin­ha!1007
08Mada­le­na IglésiasCamin­hos perdidos1906

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 14.10.20

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1 Comment

  • Es han­delt sich bei dem dritt­plat­zier­ten Lied kei­nes­falls um eine poli­ti­sche Rand­no­te der Geschich­te, son­dern der Text von “Rebel­día” erzählt von einem Auf­be­geh­ren gegen einen Mann (ihren Liebs­ten). Ein­zig der Hauch einer frü­hen femi­nis­ti­schen Revo­lu­ti­on lässt sich in ihrer Mimik und Ges­tik erahnen: 

    Rebel­li­on

    Schritt für Schritt wer­de ich ankommen
    Von nie­man­dem ver­ab­schie­de­te ich mich
    Schritt für Schritt kom­me ich zurück
    Ver­giss, war­um ich gegan­gen bin
    Rebell
    Ich habe mit dei­nen Küs­sen gekämpft
    Ich habe dei­ne Küs­se gewonnen
    Ich habe sie gut aufbewahrt
    Müde
    Ich habe dei­ne Küs­se verloren
    Und ich gab mei­ne Küsse
    Ich weiß nicht wem
    Ich habe nie dar­an gedacht zurück zu gehen
    War­te nicht
    Ich sage es mir oft
    Es ist einerlei
    ver­schlei­ert durch Hoffnung
    habe ich dei­ne Augen gesehen.
    Ich schloss mei­ne Augen
    Ich habe nicht ein­mal auf Wie­der­se­hen gesagt (bis)
    Zu gehen bedeu­tet schon Abschied zu nehmen

    https://www.letras.mus.br/madalena-iglesias/538260/
    (Ganz kor­rekt wur­de der gesun­ge­ne Text in den Quel­len nicht abgeschrieben).

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