Natio­naal Song­fes­ti­val 1966: Oran­je is the new black

Wie bereits im Vor­jahr optier­te der nie­der­län­di­sche Sen­der NTS auch beim Natio­naal Song­fes­ti­val (NSF) 1966 für ein zwei­stu­fi­ges Ver­fah­ren mit fünf Vor­run­den und einem Fina­le, das sich über eine kom­plet­te Woche hin­zog. Zunächst trat jede:r der fünf aus­ge­wähl­ten Kombattant:innen in einem eige­nen Semi an, wo er oder sie jeweils drei Titel prä­sen­tier­ten durf­te, aus denen eine fünf­zehn­köp­fi­ge Jury einen Song für das NSF-Fina­le bestimm­te. Den Auf­takt mach­te die als Leni Schaap gebo­re­ne Helen She­p­herd. Die kann­te man bis dato vor allem als Front­frau des fol­k­ori­en­tier­ten Geschwis­ter­tri­os The She­p­herds, das in den frü­hen Sech­zi­gern Dau­er­gast im hol­län­di­schen Fern­se­hen war. Mit ihrem net­ten, aber belang­lo­sen Solo­ti­tel ‘Wereld’ soll­te ihr eben­so wenig ein Erfolg gelin­gen wie Piet Sybran­di, der sich bereits 1960 ver­geb­lich am NSF betei­ligt hat­te und mit sei­ner extrem alt­mo­di­schen Schnul­ze ‘Ik hab je lief’ auch heu­er den letz­ten Platz belegte.

Bis auf den Sie­ger­song eine bun­te Tüte der Belang­lo­sig­kei­ten: die Bei­trä­ge des NSF 1966 als Audio-Playlist.

Womög­lich wäre es mit dem kämp­fe­risch-dra­ma­ti­schen ‘In een Batt­ledress’ bes­ser gelau­fen, aber das schied in der Vor­run­de aus. Mit ledig­lich zwei bzw. drei Mit­leids­zäh­lern von der Jury spiel­ten die Bei­den im von der ehe­ma­li­gen Euro­vi­si­ons­sie­ge­rin Ted­dy Schol­ten mode­rier­ten Fina­le des dies­jäh­ri­gen NSF eben­so wenig eine Rol­le wie der aus einer Künst­ler­fa­mi­lie stam­men­de Schau­spie­ler und Sän­ger Bob Bou­ber. Für den zwei­ten Platz reich­te es für das noch rela­tiv neue, gemischt­ge­schlecht­li­che Schla­ger­duo The Luck­ber­rys, deren für deut­sche Augen lus­tig zu lesen­der Titel ‘Mijn Hart klopt alleen maar voor jou’ die Vor­auswahl nicht über­leb­te und dem pep­pi­gen Rock’n’Roll-Schlager ‘Dro­men zijn Bedrog’ den Vor­tritt las­sen muss­te. ‘Träu­me sind Betrug’: ich höre vor mei­nem inne­ren Ohr förm­lich, wie der deut­sche Hoch­leis­tungs-Schla­ger­tex­ter Bernd Mei­nun­ger ob die­ses Sakri­legs in schock­be­ding­te Schnapp­at­mung ver­fällt! Doch auch die Luck­ber­rys kas­sier­ten nicht ein­mal ein Drit­tel der Stim­men, die auf das alles über­ra­gen­de Sie­ger­lied die­ser Vor­ent­schei­dung ent­fie­len, das als fort­schritt­li­che und muti­ge Wahl bezeich­net wer­den kann. Denn die Juror:innen ent­schie­den sich den Song ‘Fer­nan­do en Filip­po’, vom nie­der­län­di­schen Kom­men­ta­to­ren beim Euro­vi­si­on Song Con­test als “Par­odie” auf die all­seits belieb­ten und meist vor ras­sis­ti­schen Kli­schees nur so trie­fen­den Sam­ba-Schla­ger ange­kün­digt, mit denen sich die Westeuropäer:innen ger­ne mal ein wenig Exo­tik und latein­ame­ri­ka­ni­sche Lebens­freu­de in die Wohn­stu­be holten.

Dahin­ten liegt San Anto­nio, gleich links von der Büh­ne und dann nur ein paar tau­send Kilo­me­ter über den Atlantik.

Die Num­mer eröff­ne­te mit den legen­dä­ren laut­ma­le­ri­schen Text­zei­len “Tong-ki tong ti-ki kong-kong-kong” und lie­fer­te in den Stro­phen nicht viel Tief­grei­fen­de­res über den Chi­le­nen Fer­nan­do und sei­nen Neben­buh­ler Filip­po ab. Noch weg­wei­sen­der als die­ser ers­te Come­dy-Song der Grand-Prix-Geschich­te aber war die Wahl sei­ner Inter­pre­tin. Denn bei Mari­on Hen­riët­te Loui­se Mol­ly, bes­ser bekannt unter ihrem Künst­ler­na­men Mil­ly Scott, han­del­te es sich um die ers­te Schwar­ze beim Euro­vi­si­on Song Con­test. So teilt sich die gebür­ti­ge Nie­der­län­de­rin mit dem für 2020 / 2021 aus­ge­wähl­ten hol­län­di­schen Grand-Prix-Reprä­sen­tan­ten Jean­gu Macrooy die suri­na­mi­schen Wur­zeln. Die dama­li­ge hol­län­di­sche Kolo­nie, pop­kul­tu­rell ver­ewigt durch den deut­schen Easy-Lis­tening-Knül­ler ‘The Girls from Para­ma­ri­bo’, die erst 1975 ihre voll­stän­di­ge Unab­hän­gig­keit erlang­te, liegt – wie Chi­le – eben­falls in Latein­ame­ri­ka, was der Nacht­club­sän­ge­rin Mil­ly, die im Jahr zuvor durch eine eige­ne TV-Show Bekannt­heit erlangt hat­te, zusätz­li­che Authen­ti­zi­tät ver­lieh. Um die par­odis­ti­sche Absicht des Bei­trags zu visua­li­sie­ren, fuhr das nie­der­län­di­sche Fern­se­hen bei der Prä­sen­ta­ti­on eine eige­ne, ela­bo­rier­te Büh­nen­show mit zwei mit­tels Pon­cho und Som­bre­ro stil­echt ver­klei­de­ten Fake-Gitar­ren­spie­lern auf, wel­che als die ange­spro­che­nen “Fer­nan­do” und “Filip­po” fun­gier­ten. Ner­vö­se Tanz­ein­la­gen von Mil­ly, die sich zudem zum Songauf­takt noch nicht auf der Büh­ne befand, son­dern erst nach­träg­lich über eine Wen­del­trep­pe ein­trip­pel­te, über wel­che sie zum Ende auch wie­der ver­schwand, ergänz­ten das Gan­ze zu gran­dio­sem Grand-Prix-Kino!

Als Jazz- und Musi­cal­sän­ge­rin hat­te Mil­ly Scott zahl­rei­che Auf­trit­te im TV (Reper­toire­bei­spiel).

Wel­ches lei­der größ­ten­teils unver­stan­den blieb: wie so vie­le ande­re Come­dy-Bei­trä­ge schei­ter­te ihr Gesamt­kunst­werk auf inter­na­tio­na­lem Par­kett an der völ­li­gen Humor­lo­sig­keit der kon­ser­va­ti­ven Jurys. Oder prä­zi­ser gesagt an der trau­ri­gen Tat­sa­che, dass 90% der Men­schen (natür­lich mit der löb­li­chen Aus­nah­me der aufrechtgehn.de-Leser:innen!) für Iro­nie nicht emp­fäng­lich sind und damit auch Par­odien für bare Mün­ze neh­men. Die Sän­ge­rin selbst, deren Vater, ein in den Nie­der­lan­den sta­tio­nier­ter Sol­dat, 1943 in deut­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft umkam, führ­te ihr (in der Tat skan­da­lös) schlech­tes Euro­vi­si­ons-Ergeb­nis in einem Inter­view gar auf “ras­sis­ti­sche Juro­ren” zurück. Ein wenig tröst­li­chen Zuspruch erhielt Mil­ly in Luxem­burg vom Sie­ger des Jahr­gangs, Udo Jür­gens, der ihr vor Ort bestä­tig­te, eine gute Sän­ge­rin zu sein. Auf Udo traf die im Lau­fe ihrer beweg­ten Kar­rie­re zeit­wei­lig auch in Gel­sen­kir­chen als Musi­cal­dar­stel­le­rin auf­tre­ten­de Scott laut ihrer Auto­bio­gra­fie auf einem Kreuz­fahrt­schiff wie­der, wo der Öster­rei­cher die Hoch­zeit sei­ner Toch­ter fei­er­te und sie das Bord­un­ter­hal­tungs­pro­gramm bestritt. Einen zwei­ten Kar­rie­re­früh­ling erleb­te Mil­ly Mit­te der Neun­zi­ger­jah­re, als sie eine Rol­le in der hol­län­di­schen RTL-Serie Vrou­wen­v­leu­gel über­nahm, der Vor­la­ge für Hin­ter Git­tern – Der Frau­en­knast. Bereits im Ren­ten­al­ter, sat­tel­te sie anschlie­ßend noch ein­mal zur Heil­prak­ti­ke­rin um. Respekt!

Oran­ge is the new Black konn­ten die Nie­der­län­der bereits 20 Jah­re früher.

Vor­ent­scheid NL 1966

Natio­naal Song­fes­ti­val. Sams­tag, 5. Febru­ar 1966 aus dem Tivo­li in Utrecht. Fünf Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Ted­dy Scholten.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01Helen She­p­herdWereld033
02Piet Sybran­diIk heb je lief025
03The Luck­ber­riesDro­men zijn Bedrog152
04Bob Bou­berNog wel bedankt033
05Mil­ly ScottFer­nan­do en Filipo521

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 17.10.20

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