Ein Lied für Luxem­burg 1973: Was ist Dein Geschenk an mich?

Gitte, DE 1973
Die For­dern­de

Was ist schon ein Jahr?”, so lau­tet die ori­gi­nal­ge­treue Über­set­zung eines spä­te­ren Sie­ger­ti­tels beim Euro­vi­si­on Song Con­test. Nun: manch­mal augen­schein­lich ein gan­zes Leben, wenn es zwi­schen zwei deut­schen Grand-Prix-Vor­ent­schei­dun­gen liegt. Rein for­mal unter­schied sich das dies­jäh­ri­ge natio­na­le Fina­le aus Frank­furt am Main kaum vom dem eben­falls durch den Hes­si­schen Rund­funk mit ver­an­stal­te­ten aus Ber­lin anno 1972: wie schon dort gab es wie­der­um zwölf Bei­trä­ge und zehn Juror:innen (davon fünf “musik­in­ter­es­sier­te Lai­en”), die jeden Song mit min­des­tens einem bis maxi­mal fünf Punk­ten zu bewer­ten hat­ten. Selbst das deut­sche Spit­zen­schla­ger­pär­chen Cin­dy & Bert sowie deren sozi­al­de­mo­kra­tisch-lie­der­ma­cher­haf­te Strick­pul­lun­der­va­ri­an­te Inga & Wolf waren, wie bereits im Vor­jahr, erneut am Start. Und den­noch konn­te man sich des Ein­dru­ckes nicht erweh­ren, es gehe beim deut­schen Vor­ent­scheid – ganz ähn­lich wie in der hie­si­gen Poli­tik – im ste­ti­gen Wech­sel immer einen Schritt vor­wärts und dann wie­der zwei zurück.

Man fasst es nicht: seit ‘Men­do­ci­no’ (1969) lan­de­te der gro­ße Micha­el Holm Hit auf Hit, und dann macht er bei so einem Mist mit? (Plus Play­list zum Durch­skip­pen mit sie­ben der 12 Bei­trä­ge in Startreihenfolge).

Denn was das inhalt­li­che Niveau angeht, so lagen Wel­ten zwi­schen den bei­den Ver­an­stal­tun­gen. Wüss­te man es nicht bes­ser, glaub­te man, bei einer der ster­benspein­li­chen End-Acht­zi­ger­jah­re-Vor­ent­schei­dun­gen gelan­det zu sein, als so boden­los schlecht erwies sich die musi­ka­li­sche Qua­li­tät der hier ver­klapp­ten Schlicht­schla­ger. Und als der­ma­ßen lieb­los und unin­spi­riert die gesam­te Show, als deren ein­sa­mer – wenn man das über­haupt so nen­nen möch­te – Höhe­punkt das zwi­schen­drin zur Über­brü­ckung der Stim­men­aus­zäh­lung tän­ze­risch auf­tre­ten­de Ehe­paar Trautz fun­gier­te: das vom Unter­hal­tungs­chef des hr, Hans-Otto Grü­ne­feldt, in einem ful­mi­nan­ten Roll­back der Spie­ßig­keit wie­der aus der Ver­sen­kung gehol­te Pau­sen­fül­ler-Pär­chen bot mit sei­ner preu­ßisch-zackig exe­ku­tier­ten und damit um so drol­li­ge­ren Tanz­stun­den­akro­ba­tik wenigs­tens ein klei­nes biss­chen an (wenn auch unfrei­wil­li­ger) Komik. Die rest­li­chen 80 Minu­ten der Sen­dung, die von zeit­ge­mä­ßer Unter­hal­tung nicht wei­ter hät­te ent­fernt sein kön­nen und in Sachen Fremd­scham selbst das 1969er Klein­tier­züch­ter­ver­eins­tref­fen spie­lend in den Schat­ten stell­te: Schlaf­ta­blet­te pur!

Ein kaput­ter Bau­zaun als Stu­dio­de­ko, eine lieb­lo­se Mode­ra­ti­on: der Hes­si­sche Rund­funk scheu­te 1973 sowohl Kos­ten als auch Mühen.

Pein­li­cher­wei­se gelang es dem Hes­si­schen Rund­funk nicht, genü­gend Sänger:innen für die vor­ge­se­he­nen zwölf Bei­trä­ge zusam­men­zu­krat­zen. Und so muss­te ein:e jede:r Der­je­ni­gen, die sich “freund­li­cher­wei­se zur Ver­fü­gung gestellt” hat­ten, wie man nicht müde wur­de, zu beto­nen, gleich zwei Mal ran. Was ange­sichts der furcht­ba­ren Songs als rei­ner Sadis­mus gegen­über den Zuschauer:innen gewer­tet wer­den muss. Kein Mit­leid hin­ge­gen mit den kol­la­bo­rie­ren­den Interpret:innen, zu denen auch die bei­den Schla­ger­stars Rober­to Blan­co und Micha­el Holm zähl­ten: die hät­ten sich ja wei­gern kön­nen! Lei­der erwie­sen sich nicht nur die Lie­der als ster­bens­lang­wei­lig, auch über die Auf­trit­te des sin­gen­den Per­so­nals gibt es abso­lut nichts Inter­es­san­tes  oder auch nur Läs­ter­li­ches zu berich­ten. Mal abge­se­hen viel­leicht von der Bel­gie­rin Tonia (1966, ‘Un peu du Poi­v­re, un peu du Sel’), die wenigs­tens mit ulki­gen Gri­mas­sen von der Drög­heit ihrer bei­den Bei­trä­ge abzu­len­ken such­te, wobei ihr ihr Doris-Schrö­der-Köpf-glei­ches Gebiss sehr zupass kam. Mit ‘Sebas­ti­an’, einem Lie­bes­lied für einen bel­len­den Vier­bei­ner (frönt man nicht eher in den Nie­der­lan­den der Sodo­mie?), beleg­te sie denn auch den zwei­ten Platz. Ver­dient, denn auf den Hund gekom­men war die­se Show nun wirklich.

Eine hun­de­ver­narr­te Bel­gie­rin im Ski­an­zug: To-ni‑a.

Bezeich­nend, dass einer der “Laien”-Juroren, von Beruf Schall­plat­ten­ver­käu­fer und somit ver­mut­lich ein klein wenig Ahnung von aktu­ell gefrag­ter Pop­mu­sik habend, die zwölf Titel fast durch­ge­hend mit der Min­dest­punkt­zahl bedach­te. Was die Unter­hal­tungs­chefs befreun­de­ter TV-Sta­tio­nen (sogar aus Spa­ni­en war jemand da) als Dank für die schö­ne Dienst­rei­se mit Maxi­mal­wer­tun­gen aus­gli­chen. Ganz offen­sicht­lich litt unter den Aus­ga­ben für eben die­se Dienst­rei­sen jedoch das Bud­get der rest­li­chen Show der­ma­ßen stark, dass weder für eine anspre­chen­de Stu­dio­de­ko­ra­ti­on noch für ein Pau­sen­pro­gramm, das sei­nen Namen ver­dient hät­te, Geld zur Ver­fü­gung stand. Statt­des­sen quäl­te ein ver­staub­ter Magi­er die Zuschauer:innen, konn­te aber auch kei­nen Glanz in die Vor­ent­schei­dung zau­bern. Die “Profi”-Juroren sorg­ten dann auch für den knap­pen Sieg von Git­te Hæn­ning. Was ver­mut­lich vor­her abge­spro­chen war, wenn auch nur aus dem einen Grund, dass die Gast­ge­be­rin, “Fräu­lein” Edith Groble­ben, in ihrer vom Blatt abge­le­se­nen Mode­ra­ti­on wenigs­tens eine “spon­ta­ne” Poin­te unter­brin­gen konn­te: das bei der Ansa­ge des Sie­ge­rin­nen­ti­tels schel­misch vor­ge­tra­ge­ne “Bit­te, Git­te!”.

Du musst mit den Wim­pern klim­pern: Gitte!

Das rich­tet sich kei­nes­falls gegen die von mir hoch­ver­ehr­te Frau Hæn­ning: ihr ‘Jun­ger Tag’, ein hym­ni­scher Anspruchs­hal­tungs­schla­ger, der inhalt­lich (“Jun­ger Tag, ich fra­ge Dich: was ist Dein Geschenk an mich?”) den Boden für ihre spä­te­re Maxi­mal­for­de­rung “Ich will alles, und zwar sofort!” berei­te­te, war tat­säch­lich das ein­zi­ge (!) erträg­li­che Ela­bo­rat an die­sem Abend. Auch wenn die grund­sym­pa­thi­sche Dänin die­se wun­der­ba­re, dezent swin­gen­de Bal­la­de in ihren gel­ben Gum­mi­stie­feln etwas unter­en­thu­si­as­tisch vor­trug. Aber wes­we­gen hät­te aus­ge­rech­net sie sich beson­de­re Mühe geben sol­len, wenn es sonst schon kei­ner tat? So bleibt die­se hei­mi­sche Vor­ent­schei­dung lei­der als lust­lo­se, fade Zeit­ver­schwen­dung in Erin­ne­rung, bis auf die Traut­zens noch nicht mal unfrei­wil­lig komisch: eine ganz und gar kon­ser­va­ti­ve und geist­lo­se, ja rich­tig­ge­hend dilet­tan­ti­sche Ver­an­stal­tung, gegen die selbst Die­ter Tho­mas HeckZDF-Hit­pa­ra­de wie ein Hort der Rebel­li­on und Fort­schritt­lich­keit wirk­te. A pro­pos Hit­pa­ra­de: Platz 19 in den deut­schen Sin­gle-Charts war das Geschenk der Deut­schen an Gitte.

Zeit­gleich mit ihrer Vor­ent­schei­dungs­teil­nah­me lan­de­te das saar­län­di­sche Schla­ger­pär­chen mit ‘Immer wie­der Sonn­tags’ sei­nen größ­ten Hit in den Ver­kaufs­charts. Ihre bei­den “Lie­der für Luxem­burg” erschie­nen hin­ge­gen noch nicht ein­mal als Sin­gle (Reper­toire­bei­spiel).

Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1973

Ein Lied für Luxem­burg. Mitt­woch, 21. Febru­ar 1973, aus dem Stu­dio 2 des Hes­si­schen Rund­funks in Frank­furt am Main. Sechs Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Edith Groble­ben. Zehn­köp­fi­ge Jury.
#Interpret:innenSong­ti­telJuryPlatzCharts
01Micha­el HolmDas Bes­te an Dir2509-
02Tonia Mer­tensMir gefällt die­se Welt3007-
03Inga & WolfManch­mal3206-
04Rober­to BlancoIch bin ein glück­li­cher Mann3404-
05Git­te HænningJun­ger Tag400119
06Cin­dy & BertWohin soll ich gehn?2608-
07Micha­el HolmGlaub dar­an1912-
08Tonia Mer­tensSebas­ti­an3902-
09Inga & WolfSchreib ein Lied3603-
10Rober­to BlancoAu revoir, auf Wiedersehn2411-
11Git­te HænningHal­lo, wie geht es Robert?330519
12Cin­dy & BertZwei Men­schen und ein Weg2509-

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