Ein Lied für Dub­lin 1988: Das ist nicht viel

Chris Garden, DE 1988
Die Fami­li­en­ban­de

Ich wünsch Dir Lie­be ohne Lei­den’ hieß ein wirk­lich wun­der­schö­ner Vater-und-Toch­ter-Schla­ger aus dem Jahr 1984, den der gro­ße Udo Jür­gens gemein­sam mit sei­nem Sproß Jen­ny Jür­gens sang. Die sich heu­er dar­an ver­such­te (und lei­der über­hob), die deut­sche Grand-Prix-Vor­ent­schei­dung zu mode­rie­ren. “Ich wünsch mir Lie­der ohne Lei­den”: die­ser sehn­suchts­vol­le Gedan­ke über­kam die Zuschauer:innen des tele­vi­sio­nä­ren Elends hin­ge­gen ange­sichts des unbe­schreib­lich mise­ra­blen Songta­bleaus die­ser Ver­an­stal­tung. Bei der sich, wie in den letz­ten Jah­ren bereits Usus, völ­lig unbe­kann­te Hoff­nungs­lo­se und abge­half­ter­te Schla­ger­stars die Klin­ke in die Hand gaben. So bei­spiels­wei­se der nur kur­ze Zeit nach dem Start sei­ner Hit­pa­ra­den­kar­rie­re bereits wie­der an deren Ende ste­hen­de Tom­my Stei­ner, der berüch­tig­te Ficker Fischer von San Juan’, der in den Neun­zi­gern im Zuge des iro­ni­schen Schla­ger­re­vi­vals rund um “die sin­gen­de Föhn­wel­le” Die­ter Tho­mas Kuhn und “den Meis­ter” Guil­do Horn sein Aus­kom­men eine Zeit­lang als ger­ne mal unter dem deut­li­chen Ein­fluss geis­ti­ger Geträn­ke ste­hen­der Ver­an­stal­ter von Schla­ger­dis­cos mit pro­mi­nen­ten Gast­stars (und ihm höchst­per­sön­lich im aus­führ­li­chen Vor­pro­gramm) fin­den soll­te. Und hier ein von Han­ne Hal­ler und ihrer Lebens­ge­fähr­tin Ramo­na Leiß ver­bro­che­nes Schla­ger­chen gegen die Wand sang.

Die Play­list mit den ver­füg­ba­ren Titeln zum Durchskippen.

Der als Kom­po­nist für sol­che süf­fig-dop­pel­deu­ti­gen Guil­ty Plea­su­res wie ‘Lieb mich ein letz­tes Mal’ oder ‘Ja ja, die Kat­ja, die hat ja’ (sowie rund ein­tau­send wei­te­re Titel) ver­ant­wort­li­che Gerd Gra­bow­ski ali­as G.G. Ander­son (‘Som­mer­nacht in Rom’) lote­te in Beglei­tung min­des­tens eines Wil­de­cker Herz­bu­bens mit dem selbst­ver­ständ­lich selbst ver­fass­ten, har­mo­ni­ka­ge­tränk­ten ‘Hät­test Du heut Zeit für mich’ sei­ne Chan­cen auf einen Qui­ckie im Senio­ren­stift aus. Wäh­rend der unver­meid­li­che Bern­hard Brink mit dem von Mat­thi­as Reim geschrie­be­nen Titel ‘Komm ins Para­dies’, der sich inhalt­lich nicht so recht zwi­schen Welt­frie­dens- und Knat­ter­schla­ger ent­schei­den konn­te, mal wie­der im Kitsch bade­te. Der Lokal­ma­ta­dor Chris­ti­an Fran­ke (‘Ich wünsch Dir die Höl­le auf Erden’), der als Sohn der Stadt den dicks­ten Saal­applaus und daher eine Trost-Tro­phäe kas­sier­te, bei den im gesam­ten Bun­des­ge­biet ver­teil­ten Abstim­mungs­be­rech­tig­ten jedoch auf dem gerech­ten vor­letz­ten Platz lan­de­te, durf­te ver­mut­lich nur auf­grund sei­ner Her­kunft und sei­nes Nach­na­mens mit­ma­chen. Denn der Baye­ri­sche Rund­funk hat­te die Ver­an­stal­tung erneut in die Nürn­ber­ger Fran­ken­hal­le abge­scho­ben, um sich das gehei­lig­te Mün­che­ner Stu­dio nicht mit die­sem arm­se­li­gen Schla­ger­dreck zu beschmut­zen. Verständlich.

Ein Out­fit wie eine Zwangs­ja­cke: die famo­se Cin­dy Berger.

Zu dem lei­der auch die von mir sonst hoch­ver­ehr­te Cin­dy (ohne Bert) Ber­ger bei­trug: ‘Und leben will ich auch’ mag eine inhalt­lich durch­aus nach­voll­zieh­ba­re und abso­lut berech­tig­te For­de­rung sein; ihrem schwind­süch­tig sich dahin­schlep­pen­den Lied­chen wünsch­te man jedoch vol­ler Mit­leid den bal­di­gen Gna­den­tod. Und so erfolg­los all die­se Schla­ger­alt­las­ten mitt­ler­wei­le in den Ver­kaufs­charts waren, so erfolg­los blie­ben sie auch bei die­ser Ver­an­stal­tung. Denn ver­mut­lich lie­ßen sich nur noch hart­ge­sot­tens­te Ralph-Sie­gel-Fans zur Teil­nah­me an der Infra­test-Umfra­ge erwei­chen, mit wel­cher die deut­schen Repräsentant:innen ermit­telt wur­den. Anders sind die Sie­ge­rin­nen nicht zu erklä­ren: das heu­te zu Recht ver­ges­se­ne Hanau­er Mut­ter-und-Toch­ter-Duo Maxi & Chris Gar­den (eigent­lich Mei­ke und Chris Gärt­ner) mit ihrem zu Recht ver­ges­se­nen ‘Lied für einen Freund’. Man ver­glei­che die­ses mit auf­ge­setz­tem, zent­ner­schwe­ren Pathos into­nier­te, stein­dum­me Gesumms nur mal mit dem zur glei­chen The­ma­tik ver­fass­ten ‘Gute Nacht, Freun­de’ aus der 1972er Vor­ent­schei­dung: da kann einen schon der hei­li­ge Zorn über­kom­men, welch abso­lut erbärm­li­chen inhalt­li­chen und musi­ka­li­schen Bock­mist Sie­gel & Mei­nun­ger sich trau­ten, hier abzu­lie­fern. Und die ARD sich trau­te, zu versenden.

Wie Mut­ter und Toch­ter: die Gardens.

Schief ging hin­ge­gen lei­der der Ver­such von Ralph Sie­gel (der bei Sie­ge­rin­nen­eh­rung mal wie­der das Mikro­fon an sich riss und zu einer voll­kom­men von sich selbst ergrif­fe­nen, pein­lich pathe­ti­schen Dan­kes­re­de ansetz­te, was für den lus­tigs­ten Moment des Abends sorg­te, als die ver­zwei­fel­te Jen­ny Jür­gens mehr­fach ver­geb­lich ver­such­te, ihm den Sprach­stab wie­der aus der Hand zu angeln), die erst vier­zehn­jäh­ri­ge Tam­my Swift zur nächs­ten San­dra Kim auf­zu­bau­en. Zum einen konn­te der annä­he­rungs­wei­se im gera­de noch so eben aktu­el­len Italo-Dis­co-Sound gehal­te­ne Weg­werf­schla­ger ‘Tan­zen gehn’ im Ver­gleich zu ‘J’ai­me la Vie’ natür­lich nicht bestehen. Zum ande­ren schnief­te offen­bar Tam­mys Drum­mer das gan­ze Speed weg, mit dem die blut­jun­ge Inter­pre­tin, die den Titel den­noch sän­ge­risch mit ado­ra­blem Aplomb und tän­ze­risch mit pit­to­res­ken Pirou­et­ten per­form­te, auf Sie­ge­rin­nen­for­mat gebracht wer­den soll­te. Rang 7, Geme­cker von Onkel Ralph, Flucht vor der Schan­de in die USA: für die klei­ne Hupf­doh­le nahm der Abend kei­nen erfreu­li­chen Aus­gang. Unge­rech­ter­wei­se, wie man sagen muss, denn unter dem gan­zen ent­setz­li­chen Müll, den man uns hier auf­tisch­te, war ‘Tan­zen gehn’ noch das Lied mit dem gerings­ten Fremd­schäm­po­ten­ti­al. Schuld an der musi­ka­li­schen Mise­re trug natür­lich das hals­star­ri­ge Fest­hal­ten des Baye­ri­schen Rund­funks am mitt­ler­wei­le vom ste­chen­den Lei­chen­ge­ruch umflor­ten, klas­si­schen deut­schen Schla­ger, der im ech­ten Leben bereits im Hades der Volks­tüm­li­chen Hit­pa­ra­de schmorte.

In der Radio-Vor­run­de 1988 schräg­te es haupt­säch­lich an den top­ak­tu­el­len Stock-Ait­ken-Water­man-Sound ange­lehn­te Dis­co­schla­ger. Die waren für das ARD-Schla­ger­wel­len­pu­bli­kum wohl zu jugendlich-frisch.

Mit dem stein­zeit­lich-qua­si­re­li­giö­sen ‘Patro­na Bava­riae’ hat­te das direkt aus der Höl­le geschick­te Ori­gi­nal Napalm Naab­tal Duo in die­sem Jahr einen der an einer Hand abzähl­ba­ren, deutsch gesun­ge­nen Chart­stür­mer. Wäh­rend inter­na­tio­nal erfolg­rei­che hei­mi­sche Musik­pro­du­zen­ten auf eng­lisch sin­gen lie­ßen, so wie Frank Fari­an (Mil­li Vanil­li, des­sen 1998 an einer Über­do­sis gestor­be­ner Front­mann Rob Pila­tus noch im Vor­jahr als Teil der Com­bo Wind auf der Euro­vi­si­ons­büh­ne gestan­den hat­te), Micha­el Cre­tu (San­dra), Die­ter Boh­len (Blue Sys­tem) oder Dra­fi Deut­scher (Mixed Emo­ti­ons). Doch beim Grand Prix galt wei­ter­hin die über­kom­me­ne Spra­chen­re­gel, und die ein­fluss­rei­che ARD rühr­te kei­nen Fin­ger, die EBU in die­sem Punkt zum Umden­ken zu bewe­gen. Hät­te auch nur Ärger mit den ein­hei­mi­schen Kom­po­nis­ten­lob­bys bedeu­tet. Außer­dem sprach der dama­li­ge Kanz­ler, Hel­mut Kohl, bekannt­lich kein Eng­lisch, und als uni­ons­treue Anstalt woll­te es sich der BR wohl nicht mit ihm ver­scher­zen. Lie­ber nahm man rapi­de sin­ken­de Ein­schalt­quo­ten in Kauf. So blieb die Vor­ent­schei­dung ein Müll­platz für Aus­schuss­wa­re mit längst abge­lau­fe­nem Ver­falls­da­tum und eine Spiel­wie­se für Chan­cen­lo­se. Grand-Prix-Geschich­te soll­te übri­gens noch ein Titel schrei­ben, der in der Radio­vor­auswahl für Nürn­berg her­aus­ge­flo­gen war: ‘Das Bes­te’ des öster­rei­chisch-schwei­ze­ri­schen Duos Duett. Wenn auch eine etwas unrühm­li­che.

Schon die Ansa­ge des deut­schen Vor­ent­scheids 1988 geriet zum Fias­ko, was für die Sen­dung erst recht galt.

Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1988

Ein Lied für Dub­lin. Sams­tag, 31. März 1988, aus der Fran­ken­hal­le in Nürn­berg. 12 Teilnehmer:innen, Mode­ra­ti­on: Jen­ny Jür­gens. Demo­sko­pi­sche Umfrage.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­tePlatzCharts
01Tho­mas & ThomasTräu­men kann man nie zuviel238812-
02Tom­my SteinerInsel im Wind318506-
03Tam­my SwiftTan­zen gehn317207-
04Bern­hard Brink + GildaKomm ins Paradies353803-
05Michae­laEin klei­nes Wunder317108-
06G.G. Ander­sonHät­test Du heut Zeit für mich?35080459
07Ren­dez­vousDu bist ein Stern für mich282610-
08Ann Tho­masRegen­bo­gen­land335105-
09Heart­wa­reIch geb Dir mein Herz302109-
10Maxi & Chris GardenEin Lied für einen Freund44750129
11Chris­ti­an FrankeIn Dei­ner Hand256911-
12Cin­dy BergerUnd leben will ich auch376902-

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 26.04.2023

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