ESC-Fina­le 1992: Why her?

Logo des Eurovision Song Contest 1992
Das Jahr des feh­len­den “I”.

Im Gegen­satz zu ihrem legen­dä­ren ita­lie­ni­schen Vor­gän­ger zwar kom­pe­tent, doch nor­disch unter­kühlt und bar jeden Cha­ris­mas: das schwe­di­sche Mode­ra­ti­ons­paar. Musi­ka­lisch blieb sehr wenig hän­gen vom Auf­ge­bot die­ses Abends, auch in den Charts resü­mier­te die­ses Jahr­gang in einer kom­plet­ten Fehl­an­zei­ge. Und das ver­wun­der­te nicht, hat­ten die fast aus­schließ­lich eigens für den Con­test und den Geschmack der inter­na­tio­na­len Juror:innen geschrie­be­nen Lie­der nun wirk­lich nicht das Gerings­te mehr mit aktu­el­lem Hit­pa­ra­den­pop zu tun. Und so blie­ben mal wie­der nur die opti­schen Ein­drü­cke, die den Bericht loh­nen. Wie bei­spiels­wei­se der als Gim­mick ein­ge­setz­te, kreg­le Zei­chen­trick­vo­gel Song Trush, der jeweils die Post­kar­ten vor den eigent­li­chen Auf­trit­ten ein­läu­te­te und der spä­ter sei­ne vir­tu­el­le Hei­mat auf der exzel­len­ten Song­tex­te-Sei­te Dig­gi­loo fand). Oder das rie­si­ge Wikin­ger­schiff als Büh­nen­de­ko, das die Zuschauer:innen dar­an erin­nern soll­te, wel­ches Völk­chen hier Mil­lio­nen für fla­che Unter­hal­tung aus­gab. Und das die 23 ange­tre­te­nen Sänger:innen, Tro­cken­eis­rauch aus sei­nem Dra­chen­kopf am Bug spei­end, von der Büh­ne scheuch­te, wenn die­se ihre drei Minu­ten zu über­zie­hen drohten.

Drei Stun­den tadel­lo­ser Orga­ni­sa­ti­on und blan­ker Lan­ge­wei­le: der ESC 1992 aus Malmö.

Augen­fäl­lig auch die farb­star­ken Sak­kos der aus­ge­spro­chen fröh­li­chen Israe­lin Daf­na Dekel und ihres männ­li­chen Begleit­cho­res, die in ihrem Bei­trag das für den Grand Prix (wie eigent­lich auch in der sons­ti­gen Pop­mu­sik­ge­schich­te) eher unge­wöhn­li­che The­ma ‘Ze rak Sport’ auf­griff zum flot­ten Rhyth­mus des Songs her­um­hop­pel­te, als wol­le sie einen 100-Meter-Lauf im Stand bewerk­stel­li­gen. In High Heels. Daf­na nahm ihren sechs­ten Platz sport­lich: 1999 kehr­te sie als Mode­ra­to­rin des dann in Jeru­sa­lem statt­fin­den­den Wett­be­werbs auf die Euro­vi­si­ons­büh­ne zurück. Grie­chen­land setz­te beim Out­fit erneut auf die Kom­ple­men­tär­farb­kom­bi­na­ti­on ‘Aspro-mav­ro’ (schwarz-weiß) – außer im Gesicht der Sän­ge­rin Cleo­pa­tra Pan­ta­zi, wo ein Stuk­ka­teur gan­ze Arbeit geleis­tet hat­te. ‘Olu tu Kos­mou i Elpi­tha’ (‘Die Hoff­nung auf der gan­zen Welt’) erwies sich, trotz eher ori­en­ta­lisch anmu­ten­der “Ohooooo“s, erwar­tungs­ge­mäß als hoch­dra­ma­ti­sche Ange­le­gen­heit. Dem­entspre­chend zog die Inter­pre­tin des Öfte­ren ein Gesicht, als bre­che sie vor lau­ter Welt­schmerz bezie­hungs­wei­se unter der Last der allei­ne auf ihren schma­len Schul­tern ruhen­den Mensch­heits­hoff­nun­gen augen­blick­lich zusam­men. Viel­leicht hat­te sie aber auch nur ihren Vibra­tor ste­cken lassen.

Eine Frau am Ran­de des Ner­ven­zu­sam­men­bruchs: Cleo­pa­tra (GR).

Der hel­le­ni­sche Erz­feind, die Tür­kei, vom Los­glück unge­ach­tet aller poli­ti­schen Span­nun­gen zwi­schen den bei­den Natio­nen auf den Start­platz direkt davor bestimmt, über­rasch­te gleich zum Songauf­takt mit der im Kos­mos der Grand-Prix-Cho­reo­gra­fien (und dar­über hin­aus) aus­ge­spro­chen belieb­ten Figur der sechs kreis­för­mig aus­ge­brei­te­ten Arme, mit denen die drei Chor­sän­ger der Inter­pre­tin Aylin Vat­an­koş die opti­sche Illu­si­on der Hin­du-Göt­tin Gaya­tri zu erzeu­gen such­ten. Ein sol­cher unver­mit­telt aus dem Nichts auf­tau­chen­der Show-Effekt nennt sich seit­her in ein­ge­weih­ten Fan-Krei­sen ein ‘Yaz Bit­ti’-Moment. Er soll­te, neben dem eben­falls unvor­her­ge­se­he­nen, kas­tra­ten­haft hohen Gekrei­sche einer der männ­li­chen Backings, das ein­zi­ge Erin­ne­rungs­wür­di­ge am Bei­trag aus Anka­ra blei­ben, der im Nach­hin­ein wohl selbst sei­nen Ent­sen­dern so pein­lich erschien, dass sie ihn aus sämt­li­chen You­tube-Mit­schnit­ten des 1992er Wett­be­werbs her­aus­schnei­den ließen.

 

Frank­reich über­rasch­te mit Kari­bik­klän­gen. Des anhal­ten­den Miss­erfol­ges des klas­si­schen fran­zö­si­schen Chan­sons über­drüs­sig, begann die ehe­ma­li­ge Kolo­ni­al­macht in den Neun­zi­gern eine musi­ka­li­sche Rei­se ‘Ein­mal um die Welt’. Einen ers­ten, aller­dings bis dato ein­ma­li­gen Aus­flug hat­te La Gran­de Nati­on bereits 1981 mit dem gebür­ti­gen Tahitia­ner Jean Gabilou und sei­nem ‘Huma­nahum’ unter­nom­men. Nach einem Besuch der Maghreb­staa­ten im Vor­jahr folg­te nun ein wei­te­rer Abste­cher zu den ozea­ni­schen Dépar­te­ments der Gran­de Nati­on. Und so ver­wirr­te der voll­bär­ti­ge Kali (bür­ger­lich: Jean-Marc Mon­ner­ville) von der Kari­bik-Insel Mar­ti­ni­que die Juror:innen mit Steel­drums, Gesang in Kreo­lisch und som­mer­lich-leich­tem Gitar­ren­sound: ‘Mon­té la Riviè’. Groß­ar­tig! Für das Gast­ge­ber­land erkrächz­te sich ein hei­se­rer Chris­ter Björk­man mit der Plat­ti­tü­de ‘I mor­gen är en annan Dag’ (eine Weis­heit, die er direkt aus dem Text des deut­schen Bei­trags ent­nahm) den vor­letz­ten Platz. Trotz die­ser ernüch­tern­den Erfah­rung blieb der lei­den­schaft­li­che Euro­vi­si­ons­fan dem Wett­be­werb in Treue fest ver­bun­den: von 2002 an lei­te­te er für sat­te zwei Deka­den das schwe­di­sche Aus­wahl­ver­fah­ren Melo­di­fes­ti­valen. 2013 zeich­ne­te er gar für die Orga­ni­sa­ti­on des nach dem Sieg sei­ner Lands­frau Loreen erneut in Mal­mö, der Stät­te sei­ner Schan­de, statt­fin­den­den Euro­vi­si­on Song Con­test verantwortlich.

Ein­mal um die Welt: Kali (FR).

Nach­dem sie als Chor­sän­ge­rin bereits 1983, 1986 und 1987 für den grie­chi­schen Teil der Mit­tel­meer­in­sel Dienst gescho­ben hat­te, ent­sand­te Zypern die auf­re­gend schö­ne Evri­di­ki Theo­k­leous das ers­te von drei Malen als Solois­tin. In einem auf­re­gen­den roten Kleid mit lang­är­me­li­gen Hand­schu­hen trug sie das auf­re­gen­de, hoch­dra­ma­ti­sche ‘Teriazo­u­me’ vor. In wel­chem sie, lyrisch zwar sehr anspre­chend ver­packt, den­noch recht ein­deu­tig, ihren letz­ten Bei­schlaf besang. Der wohl ver­dammt gut gewe­sen sein muss: es ging um Explo­sio­nen, dem Bet­teln nach Berüh­run­gen und kos­mi­sche Ver­schmel­zung. Dazu schick­te sie der­ar­ti­ge Bli­cke in die Kame­ra, dass man sich wun­der­te, war­um nicht der Bild­schirm von innen beschlug. Selbst bei der nicht mehr ganz tau­fri­schen bri­ti­schen Kom­men­ta­to­ren­le­gen­de Ter­ry Wogan stie­gen bei ihrem Anblick die Früh­lings­säf­te. Die offen­sicht­lich völ­lig ver­trock­ne­ten ESC-Juror:innen hin­ge­gen bestraf­ten die­sen lei­den­schaft­li­chen (Eurovisions-)Höhepunkt, ohne Zwei­fel den sexies­ten Auf­tritt aller Zei­ten, mit einem abso­lut skan­da­lö­sen Mit­tel­feld­platz. Anschei­nend stand man mehr auf alt­ba­cke­ne Haus­frau­en­kost, wie der unfass­li­che, ja ver­bre­che­risch zu nen­nen­de drit­te Platz für die mal­te­si­sche Mut­ter Bei­mer, Mary Spi­teri, mit ihrer Brech­reiz erre­gen­den Backe-Backe-Kuchen-Bal­la­de ‘Litt­le Child’ unter Beweis stellte.

Jetzt brau­che ich eine Ziga­ret­te! Evri­di­ki (CY).

Finn­land beleg­te mal wie­der unver­dient den letz­ten Platz – es war ein ‘Yam­ma-yam­ma’! Für die Schweiz bla­mier­te sich eine kli­mak­te­ri­ums­ge­schä­dig­te Schnep­fe mit Namen Dai­sy Auvray bei dem Ver­such, den alt­ehr­wür­di­gen Grand Prix in ein bil­li­ges Ani­mier­lo­kal zu ver­wan­deln. Jeden­falls deu­te­te das die schlei­mi­ge Strip­schup­pen-Saxo­phon­mu­sik an, zu dem Dai­sy den ‘Mis­ter Music Man’ (Disc­jo­ckey heißt das Wort, das Du suchst, Hase!) keil­te, ihr eine Eng­tanz­num­mer auf­zu­le­gen. Gott sei Dank konn­te sich Frau Auvray, die als Zweit­plat­zier­te des hei­mi­schen Vor­ent­scheids von der Dis­qua­li­fi­ka­ti­on der eigent­li­chen Sie­ge­rin Géral­di­ne Oli­vi­er pro­fi­tier­te, im Rah­men ihrer Frus­trier­te-Haus­frau-spielt-Moulin-Rouge-Show noch soweit zusam­men­rei­ßen, dass sie wenigs­tens die Kla­mot­ten anbe­hielt. Allei­ne schon bei dem Gedan­ken gin­gen einem die letz­ten Res­te der von Evri­di­ki zuvor so raf­fi­niert erweck­ten Libi­do voll­ends flö­ten! Nichts gelernt aus dem Deba­kel von 1960 hat­te Luxem­burg, das sei­ne Ver­tre­te­rin Mari­on Welter in einer die Augen belei­di­gen­den Patch­work-Jacke und mit einem furcht­ba­ren Lied im zum Sin­gen völ­lig unge­eig­ne­ten lët­ze­buer­ge­schen Dia­lekt (‘Sou fräi’) antre­ten ließ.

Wie eine kal­te Dusche: Dai­sy (CH)

Öster­reich bedien­te sich erneut einer, nun­ja, Kom­po­si­ti­on Die­ter Boh­lens. ‘Zusam­men gehn’ soll­te Tony Weg­as mit Boh­len nicht all zu lan­ge und eigent­lich ver­dien­te der im Refrain größ­ten­teils auf dem 1981 als Album­ti­tel ver­öf­fent­lich­ten Lied ‘Ich brau­che dich’ von Mari­an­ne Rosen­berg basie­ren­de, drö­ge Bal­la­den­schla­ger kei­ne wei­te­re Erwäh­nung. Wenn sich nicht sein Erschaf­fer Kopist elf Jah­re spä­ter auf der Suche nach Musik­fut­ter für die Fern­seh­misch­po­ke von Deutsch­land sucht das Super­schaf an das von Weg­as in den media­len Orkus gesun­ge­ne Lied erin­nert und es unter der neu­en Über­schrift ‘We have a Dream’ einem kom­mer­zi­ell höchst erfolg­rei­chen Recy­cling zuge­führt hät­te. Unge­rech­te Welt: die RTL-Ban­de um die mitt­ler­wei­le auf tra­gi­schem Wege von uns gegan­ge­ne Quak­ta­sche Dani­el Küb­lböck ver­moch­te 2003 mit dem Euro­vi­si­ons­flop einen Num­mer-Eins-Hit in Deutsch­land zu lan­den. Sei­nem Euro­vi­si­ons­in­ter­pre­ten brach­te er dage­gen kein Glück: 1997 ver­ur­teil­te ein Wie­ner Rich­ter Tony zu fünf Jah­ren Haft, nach­dem die­ser zwei Omas aus­ge­raubt hat­te, um sei­ne Dro­gen­sucht zu finan­zie­ren. Was man nach einer der­ar­tig trau­ma­ti­sie­ren­den Erfah­rung wie einem Grand-Prix-Auf­tritt mit einem Boh­len-Song irgend­wie ver­ste­hen kann.

Mit etwas län­ge­ren Haa­ren wäre er eigent­lich genau Die­ters Typ: Tony Weg­as (AT).

Auch der – was sonst! – zweit­plat­zier­te bri­ti­sche Ver­tre­ter Micha­el Ball ver­bin­det mit sei­ner Euro­vi­si­ons­teil­nah­me kei­ne all zu guten Erin­ne­run­gen. In einem Inter­view sag­te er spä­ter, eher wür­de er sich die “Aug­äp­fel mit ros­ti­gen Gabeln aus­ste­chen”, als noch mal zum Grand Prix zu gehen. Beruht auf Gegen­sei­tig­keit: auch ich stä­che ihm eher die Aug­äp­fel mit ros­ti­gen Gabeln aus, als noch ein­mal sei­ne unfass­bar blö­de Musi­cal-Num­mer ‘One Step out of Time’ ertra­gen zu müs­sen. Aus aktu­el­len poli­ti­schen Grün­den (der Jugo­sla­wi­en­krieg) erfuhr die ser­bi­sche Ver­tre­te­rin Extra Nena (bür­ger­lich: Sneža­na Berić, also nicht mit Frau Ker­ner ver­wandt), die offi­zi­ell noch für das sich bereits in der Auf­lö­sung befind­li­che Jugo­sla­wi­en antrat, eine recht unter­kühl­te Auf­nah­me in den Kreis ihrer Sangeskolleg:innen. Sie buhl­te mit der wun­der­schö­nen Bal­kan­bal­la­de ‘Ich küs­se dich mit Lie­dern’ um Zuspruch und hoff­te ver­geb­lich, die Juro­ren mögen “so schnell wie mög­lich ver­ges­sen”. Taten sie nicht: für die nächs­ten Jah­re hieß es für die Ser­ben erst mal “Wir müs­sen drau­ßen blei­ben”, wäh­rend die sich vom Staa­ten­bund abspal­ten­den neu­en Län­der uni­so­no zur Euro­vi­si­on drängten.

Tick, Trick & Track oder Hum­phrey, Car­lo & Ben (NL).

Konn­ten Wind in den Acht­zi­gern noch regel­mä­ßig zwei­te Plät­ze für Deutsch­land ein­tü­ten, so reich­te es für die schon mehr­fach umbe­setz­te Kapel­le und ihr ent­setz­lich trost­lo­ses ‘Träu­me sind für alle da’ dies­mal gera­de für Rang 16. Und das auch nur des­we­gen, weil sich für eine noch nied­ri­ge­re Plat­zie­rung die Kon­kur­renz schlicht­weg als zu schwach erwies. Die bestand bei­spiels­wei­se aus einer schwar­zen Ver­si­on der Dal­tons (eigent­lich: Hum­phrey Camp­bell und sei­nen Brü­dern), die sich von Hol­land aus zur ver­geb­li­chen Suche nach der Sie­ger­stra­ße auf­mach­ten: ‘Wijs me de Weg’ baten sie noch die Juro­ren. Die ange­sichts der flot­ten und tanz­ba­ren Num­mer, von allen 23 Bei­trä­gen mit Aus­nah­me Öster­reichs der­je­ni­ge, der regu­lä­rem Hit­pa­ra­den­pop noch am nähes­ten stand (oder prä­zi­ser: die wenigs­ten Licht­jah­re davon ent­fernt war), wie nicht anders zu erwar­ten, rat­los mit den Schul­tern zuck­ten. Viel­leicht lag’s auch am Akkor­de­on, beim Grand Prix stets ein ris­kan­tes Instru­ment, wie auch Extra Nena (oder, Jah­re spä­ter, Kuun­kuis­kaajat) erfah­ren mussten.

Rechts ging der Stoff wohl aus: Lin­da Mar­tin (IE).

Offen­bar mehr dem alt­ba­cke­nen und ein­ge­staub­ten Geschmack der ger­ia­tri­schen Jury ent­sprach dage­gen der Sie­ger­ti­tel: ‘Why me?’ frug sich die nicht mehr unbe­dingt tau­fri­sche, mit einem eher an eine fehl­pro­du­zier­te Tele­fon­ab­deck­hau­be erin­nern­den, alter­tüm­li­chen Bro­kat­un­ge­tüm beklei­de­te Lin­da Mar­tin ange­sichts der War­te­zei­ten an der Pass­kon­trol­le auf dem ‘Ter­mi­nal 3’ des Dub­li­ner Flug­ha­fens genervt. “Why not?” dach­ten wohl die meis­ten Juro­ren und krön­ten sie zur Köni­gin des Abends. Nun ist ihre wenigs­tens noch klas­sisch auf­ge­bau­te und ledig­lich mit­tel­lah­me, mit­tel­lang­wei­li­ge Euro­vi­si­ons­schnul­ze aus der Feder von John­ny Logan von allen iri­schen Gewin­ner­ti­teln der Neun­zi­ger – und derer soll­ten noch etli­che fol­gen – noch die mit wei­tem Abstand erträg­lichs­te. Oder, prä­zi­ser for­mu­liert: die ein­zi­ge erträg­li­che. “Why her?” dürf­te sich den­noch nicht nur Mia Mar­ti­ni gefragt haben, die für den eigent­lich ver­dien­ten Sieg offen­bar schlicht­weg ein “I” zuviel im Nach­na­men trug.

Ihr Zahn­fleisch ist in Ord­nung: Mia Mar­ti­ni (IT).

Die Grand-Prix-Teil­neh­me­rin von 1977 (‘Libe­ra’) begeis­ter­te mit dem bes­ten ita­lie­ni­schen Bei­trag aller Zei­ten: der ergrei­fen­den ‘Rap­so­dia’, einem tief­trau­ri­gen Lied über das Älter­wer­den, lei­den­schaft­lich vor­ge­tra­gen mit tief­ge­rauch­ter, gän­se­hau­ter­zeu­gen­der Reib­ei­sen­stim­me. Das hat­te sel­te­nen inhalt­li­chen Anspruch, blieb völ­lig kitsch­frei und ging tief unter die Haut. Eine gro­be und gro­tes­ke, him­mel­schrei­en­de Unge­rech­tig­keit ihr vier­ter Platz! Womit sich der Kreis zu dem hin­der­li­chen “I” aus Mar­ti­nis Nach­na­men schließt: dem Auto­kenn­zei­chen ihrer Hei­mat Ita­li­en. Gut mög­lich, den­noch nicht weni­ger unge­recht, dass Mia den noch nicht ver­rauch­ten Zorn der Juro­ren ob des letzt­jäh­ri­gen Mode­ra­ti­ons­fi­as­kos in Rom aus­ba­den muss­te. So oder so: das Mit­tel­meer­land ver­lor ob der stän­di­gen Miß­ach­tung durch die Jurys bald dar­auf für fast zwei Jahr­zehn­te die Lust an wei­te­ren Teil­nah­men. Erst 2011 konn­te die EBU Ita­li­en nach end- und wür­de­lo­ser Bet­te­lei zur gnä­di­gen Rück­kehr bewe­gen – natür­lich als fixer Fina­list. Vor­sichts­hal­ber schanz­ten die Jurys dem Land gleich mal den zwei­ten Platz zu, obwohl der Bei­trag ‘Mad­ness of Love’ grau­en­haft war. Selbst wenn man, wie ich, Italo­pop per se nicht beson­ders mag: vom Qua­li­täts­stand­punkt her muss­te man das als Ver­lust für den Euro­vi­si­on Song Con­test betrach­ten. Wie natür­lich auch das der Gei­ßel Krebs geschul­de­te, viel zu frü­he Able­ben Mia Mar­ti­nis nur zwei Jah­re später.


Mer­e­the Trøan lacht Dich aus (NO).

Nach­träg­li­che Wür­di­gung als Inter­net­me­me erfuhr die nor­we­gi­sche Teil­neh­me­rin Mer­e­the Trøan. Die hat­te es wäh­rend der Pro­ben öfters nicht geschafft, zur rich­ti­gen Zeit in die rich­ti­ge Kame­ra zu schau­en. Als ihr das in der Live­sen­dung dann feh­ler­frei gelang, war sie selbst so über­rascht, dass ihr ein jauch­zen­des Lachen ent­fuhr – mit­ten im Song! Ein fin­di­ger Euro­vi­si­ons­fan bas­tel­te sich aus die­sem Miß­ge­schick eine unter der Über­schrift “Mer­e­the Trøan is mocking you” (“Mer­e­the Trøan lacht Dich aus”) bei You­tube ein­ge­stell­te Vor­la­ge, die er in Dis­kus­si­ons­run­den auf ESC­na­ti­on immer dann ein­streu­te, wenn jemand etwas Alber­nes sag­te. So dass unter netz­af­fi­nen, ein­ge­schwo­re­nen Grand-Prix-Fans der Begriff “Trøan” mitt­ler­wei­le der offi­zi­el­le Nach­fol­ger des über­stra­pa­zier­ten LOL ist. Auch ein Weg zur Unsterblichkeit!

Euro­vi­si­on Song Con­test 1992

Euro­vi­si­on Song Con­test. Sams­tag, 9. Mai 1992, aus dem Mal­mö­mäs­san in Mal­mö, Schwe­den. 23 Teil­neh­mer­län­der, Mode­ra­ti­on: Lydia Capo­lic­chio und Harald Treutiger.
#LandInter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01ESSer­afín ZubiriTodo esto es la Música03714
02BEMor­ga­neNous, on veut des Violons01120
03ILDaf­na DekelZe rak Sport08506
04TRAylin Vat­an­koşYaz bit­ti01719
05GRCleo­pa­tra PantaziOlu tu Kos­mou i Elpitha09405
06FRKaliMon­té la Riviè07308
07SE Chris­ter BjörkmanI Mor­gon är en annan Dag00922
08PTDina Velo­soAmor d’Á­gua fresca02617
09CYEvri­di­ki TheokleousTeriazo­u­me05711
10MTMary Spi­teriLitt­le Child12303
11ISHeart 2 HeartNei eða já08007
12FIPave Mai­ja­nenYam­ma-yam­ma00423
13CHDai­sy AuvrayMis­ter Music Man03215
14LUMari­on WelterSou fräi01021
15ATTony Weg­asZusam­men gehn06310
16UKMicha­el BallOne Step out of Time13902
17IELin­da MartinWhy me?15501
18DKKen­ny Lüb­cke & Lot­te NilssonAlt det som ingen ser04712
19ITMia Mar­ti­niRap­so­dia11104
20YUExtra NenaLju­bim te Pesmama04413
21NOMer­e­the TrøanVis­jo­ner02318
22DEWindTräu­me sind für alle da02716
23NLHum­phrey CampbellWijs me de Weg06709

8 Comments

  • Von da an ging‘s berg­ab ! Was sich Ende der 80er Jah­re ange­deu­tet hat­te, beschleu­nig­te sich spä­tes­tens jetzt : kein halb­wegs „ zeit­ge­mäs­ser „ Titel beim ESC 92. Dafür ein gros­ses Wikin­ger­schiff und viel Caro­la, die es sicht­lich genoss, im Mit­tel­punkt zu ste­hen. Auf die immer weni­ger wer­den­den Zuschau­er wur­de end­gül­tig kei­ne Rück­sicht mehr genom­men, was zähl­te war den ver­mu­te­ten Geschmack der inter­na­tio­na­len Jury zu tref­fen. Was Mal­ta mit „ Litt­le Child „ oder auch der Gewin­ne­rin Lin­da Mar­tin glückte.

  • Von da da ging‘s berg­ab II Man muss die­sem Jahr­gang zugu­te hal­ten, dass es eini­ge Län­der : wie z.B. Grie­chen­land, Ita­li­en oder Zypern, wenigs­tens mit Qua­li­tät ver­such­ten, wäh­rend sich Isra­el und Island zumin­dest an etwas schnel­le­ren Titeln ver­such­ten und Frank­reich mal wie­der für ein wenig Exo­tik sorg­te. Aber die übri­gen Bei­trä­ge waren eigent­lich nicht der Rede wert. Natür­lich hät­te Ita­li­en den Sieg eher ver­dient, aber der chao­ti­sche ESC 91 wirk­te wohl noch nach. Lin­da Mar­tin hat­te wenigs­tens noch eine sym­pa­thi­sche Aus­strah­lung, in den fol­gen­den Jah­ren soll­te es noch viel schlim­mer kommen.

  • Star­ke Frau­en für den Con­test! Nur einer Frau hät­te in die­sem Jahr der Sieg zuge­stan­den: Evri­di­ki! Nor­ma­ler­wei­se benut­ze ich die­ses Wort eher nicht, aber: war das geil!! Betö­rend sah sie aus, ver­füh­re­risch – optisch lagen zwi­schen die­ser medi­te­ra­nen Göt­tin und ande­ren spie­ßig auf­ge­don­ner­ten Pup­pen­mut­tis (Dai­sy Auvray (CH), Mary Spi­teri (MT), Lin­da Mar­tin (IE)) Wel­ten! Wun­der­bar in Sze­ne gesetzt auch ihr Song: span­nungs­ge­la­den, an den rich­ti­gen Stel­len mit klei­nen orches­tra­len Details ver­se­hen und ein schlicht­weg orgas­mi­scher Schluss. Sinn­lich, ero­tisch, zum anbe­ten schön! Ähh, ja: bevor ich hier mit mei­ner Evri­di­ki-Gut­fin­de­rei total aus­schwei­fe – was gab’s denn sonst noch? Mia Mar­ti­ni! Gän­se­haut! Eine Stim­me, die wirk­lich unter die Haut geht – mir sind beim Hören von ‘Rap­so­dia’ schon des Öfte­ren die Trä­nen über die Wan­gen gelau­fen, und das obwohl ich als Tee­nie mit dem The­ma ‘Älter­wer­den’ noch nicht so viel am Hut habe. Allein die­se zwei alles über­strah­len­den Über­songs, mit den Plät­zen 4 und 11 bru­tal unge­recht bewer­tet (eigent­lich soll­ten es die Plät­ze 1 und 1 sein!), wer­fen ein posi­ti­ves Licht auf den ’92er-Con­test, obwohl es sonst wenig inter­es­san­tes gab, oh, Isra­el war ganz in Ord­nung, sym­pa­thi­sche Inter­pre­tin, flot­ter Song mit unge­wöhn­li­chem The­ma, hat sich Platz 6 verdient.

  • Evri­di­ki Ja, die Göt­tin Aphro­di­te hät­te gewin­nen müs­sen, aber die Jury war zu däm­lich. Daher freu­te ich mich sehr, als sie 2007 noch­mals mit einem tol­len Song antrat. Doch sie über­stand das Semi­fi­na­le nicht, weil die Zuschau­er zu däm­lich waren. Da hat sie also zwei­mal so rich­tig Pech gehabt.

  • Evri­di­ki zum 2. Sor­ry, habe gera­de gele­sen, daß Evri­di­ki bereits 1994 zum zwei­ten Mal antrat. Da ich die­se Ver­an­stal­tung aus beruf­li­chen Grün­den ver­paßt habe, war es mir nicht bewußt. Sie hat also drei­mal Pech gehabt.

  • Jurys! Sind! W******! Wo sah man das bes­ser als in die­sem Jahr?! Die Top 3 ist gro­tesk, und sor­ry, ich kann auch mit Ita­li­en nix anfan­gen. Dafür umso mehr mit Grie­chen­land, Zypern und Frank­reich, alle drei krass unter­be­wer­tet. Und sowas wie die mal­te­si­sche Plat­zie­rung ist bes­tens dazu geeig­net, aus grund­so­li­den, anstän­di­gen Leu­ten irre Amok­läu­fer zu machen!
    Den Sieg Irlands kann man nur dadurch erklä­ren, dass die Jurys an Lin­da ihr Ver­sa­gen (also das Ver­sa­gen der Jurys, nicht das von Lin­da) von 1984 wie­der gut machen woll­ten – der Name John­ny Logan dürf­te auch gezo­gen haben. Und außer­dem weiß man ja, dass auf der grü­nen Insel erschwing­li­ches Guin­ness in Strö­men fließt. So gese­hen kann ich das ja ver­ste­hen, aber Herr­gott­noch­mal, Ouzo oder fran­zö­si­schen Rot­wein kann man durch­aus auch trinken!

  • Ich finds echt schlimm, was Kos­tüm- und Mas­ken­bild­ner an Mer­e­the Trøan ver­bro­chen haben: Das Mädel war 22 und sieht beim Grand Prix aus wie Anfang 40 bes­ten­falls. Beim Melo­di Grand Prix sah sie zumin­dest eini­ger­ma­ßen alters­ge­mäß aus: https://www.youtube.com/watch?v=67fH5nNvukI

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