ESC-Fina­le 1996: Bin fieb­rig vor Verlangen

Logo des Eurovision Song Contest 1996
Der Genick­bruch der Jurys

Für ein deut­lich höhe­res Inter­es­se als das eigent­li­che Teil­neh­mer­feld sorg­te in die­sem Jahr der Aus­wahl­skan­dal im Vor­feld des Wett­be­werbs. Nach der Erwei­te­rung der EBU gen Ost­eu­ro­pa, wo bei­na­he stünd­lich neue Staa­ten ent­stan­den, woll­ten heu­er 30 Län­der mit­ma­chen beim Grand Prix Euro­vi­si­on. Laut EBU-Regle­ment darf die Show erst um 21:00 Uhr mit­tel­eu­ro­päi­scher Zeit anfan­gen. Das ent­spricht 20:00 Uhr bri­ti­scher Zeit, dem Beginn der abend­li­chen Prime­time bei der BBC, wel­che bei der Fest­le­gung die­ser Zeit­mar­ke das Sagen hat­te. Wes­we­gen die ARD die Lücke zwi­schen dem Ende der tages­schau und dem Beginn der ESC-Über­tra­gung stets mit die­ser furcht­ba­ren, ver­reg­ne­ten Grand-Prix-Par­ty von der Ree­per­bahn über­brü­cken muss. Schlech­ter traf es aller­dings die nach­träg­lich dazu­ge­kom­me­nen Ost­län­der: in Mos­kau beginnt die Show um 23:00 Uhr Orts­zeit, in Baku (Aser­bai­dschan) gar erst um Mit­ter­nacht. Soll­te nun also die Sen­dung nicht bis tief in die Nacht aus­ge­dehnt wer­den, muss­te man das Teil­neh­mer­feld begren­zen. Bis­lang bedeu­te­te das für die schlech­test­plat­zier­ten Län­der des Vor­jah­res, jeweils eine Run­de aus­set­zen zu müs­sen, doch dies­mal hat­te man eine neue Idee.

Alle 30 Bewer­bungs­vi­de­os für den Jahr­gang 1996. Die neh­men 1:30 Stun­de in Anspruch. Mit Umbau­pau­sen, Rah­men­pro­gramm und Voting läge die Gesamt­sen­de­zeit bei rund 3 Stun­den. Das emp­fand die EBU als deut­lich zu lang.

23 Bei­trä­ge leg­te die EBU als für die euro­päi­schen Zuschauer:innen maxi­mal ver­kraft­ba­re Men­ge fest, also muss­te man sie­ben der bereits in natio­na­len Vor­ent­schei­dun­gen aus­ge­wähl­ten Titel rele­gie­ren. So tra­fen sich die Jurys aller poten­zi­el­len Teil­neh­mer­län­der am 21. März 1996 und gaben nach dem Anhö­ren der Songs vom Band ihre Voten ab (Vor­jah­res­sie­ger Nor­we­gen hat­te als Gast­ge­ber natür­lich einen siche­ren Start­platz). Und das Unglaub­li­che geschah: der deut­sche Ver­tre­ter Leon flog raus! Ver­mut­lich nicht wegen sei­nes Songs ‘Blau­er Pla­net’, der war näm­lich um Län­gen bes­ser als fast alles, was sich nach­her im Wett­be­werb befand (was nicht für die beson­de­re Qua­li­tät von Han­ne Hal­lers Kom­po­si­ti­on spricht, son­dern gegen die aus­ge­spro­chen maue rest­li­che Bestü­ckung des dies­jäh­ri­gen Jahr­gangs). Es ging den Juror:innen wohl eher um nach­träg­li­che Rache für die deut­schen Ohren­fol­te­rer Stone & Stone vom Vor­jahr, die mit dem gott­ge­fäl­li­gen ‘Ver­liebt in Dich’ einen der fünf uner­träg­lichs­ten Lie­der der Mensch­heits­ge­schich­te abge­lie­fert hat­ten. Eine mensch­lich ver­ständ­li­che Reak­ti­on somit, den­noch grob unge­recht gegen­über dem armen Leon, der sich schon so auf Oslo gefreut hat­te, denn “da fah­ren die immer Ski”!

Major Tom dreht sich im Welt­all um sei­ne eige­ne Ach­se: Leons abge­lehn­ter Song (DE).

Zu Hau­se blei­ben muss­ten neben Leon auch Mar­tin Loft und Dorthe Ander­sen aus Däne­mark mit dem öden Sof­trock­ge­du­del ‘Kun med dig’, das in einer eng­lisch­spra­chi­gen Cover­ver­si­on der Band Micha­el lear­ns to Rock als ‘Paint your Love’ zum Hit im Hei­mat­land, der Schweiz und Asi­en wur­de; außer­dem Gjon Del­hu­sa aus Ungarn mit ‘For­tu­na’, Galit Bell aus Isra­el mit ‘Shalom olam’, der Rus­se Andrej Kos­in­ski mit ‘Ja eta ja’ sowie die spä­te­ren Euro­vi­si­ons­ver­tre­te­rin­nen Moni­ca Ang­hel (Rumä­ni­en 2002) mit ‘Rugă pen­tru Pacea Lumii’ und Kali­o­pi Buklé (Nord­ma­ze­do­ni­en 2012 und 2016) mit ‘Samo ti’. Nach­hal­ti­ge Fol­gen für den Wett­be­werb hat­te vor allem der Raus­wurf Leons: die Deut­schen zeig­ten sich mehr­heit­lich erbost und in ihrem Natio­nal­stolz getrof­fen. Und zwar auch jene, die sich sonst für den Grand Prix nicht (mehr) die Boh­ne inter­es­sier­ten. Der Wer­tungs­skan­dal fand in den Medi­en, die in den Jah­ren zuvor nicht mehr die gerings­te Notiz vom Euro­vi­si­on Song Con­test nah­men, einen breit dis­ku­tier­ten Wider­hall. Dabei gab es kaum Häme gegen­über dem sin­gen­den Mün­che­ner Fri­seur, son­dern fast aus­schließ­lich gro­ße Empö­rung über das ein­hel­lig so emp­fun­de­ne kras­se Fehl­ur­teil der inter­na­tio­na­len Jurys. Der ers­te von zwei ent­schei­den­den Feh­lern, den die klan­des­ti­nen Punk­te­scha­che­rer in die­sem Jahr begingen.

2012 gefei­ert, 1996 noch ver­hin­dert: Maze­do­ni­ens Aus­nah­me­stim­me Kaliopi.

Auch die ARD zeig­te sich zutiefst belei­digt und wei­ger­te sich, den Wett­be­werb, wie üblich, live im Ers­ten aus­zu­strah­len, son­dern zeig­te ihn dort nur zeit­ver­setzt zu nacht­schla­fen­der Stun­de. Zur übli­chen Sen­de­zeit über­trug man den Grand Prix ledig­lich im drit­ten Pro­gramm des Nord­deut­schen Rund­funks. Und da der Wett­be­werb somit ohne­hin kein offi­zi­el­les Ereig­nis mehr dar­stell­te, brach sich bei Jür­gen Mei­er-Beer die Expe­ri­men­tier­freu­de Bahn: der Unter­hal­tungs­chef des NDR ließ mit Ulf Ansor­ge einen Kom­men­ta­tor ans Mikro­fon, der in dem Spek­ta­kel genau das Trash­fes­ti­val erkann­te, das es ist. Er beglei­te­te die Über­tra­gung aus dem Ham­bur­ger Funk­haus her­aus (die Kos­ten einer Dienst­rei­se nach Oslo erspar­te man den Gebührenzahler:innen) mit wun­der­bar lus­ti­gen bis bös­ar­ti­gen Poin­ten. Das sorg­te zwar für zahl­rei­che wüten­de Zuschau­er­an­ru­fe eher tra­di­tio­na­lis­ti­scher Grand-Prix-Fans, aber der Euro­vi­si­on Song Con­test wur­de durch Ansor­ges groß­ar­ti­ge, nicht hoch genug zu loben­de Kom­men­ta­to­ren­leis­tung end­lich iro­nie­fä­hig! Der auf­rech­te Euro­vi­si­ons­fan Ulf Ansor­ge leis­te­te so die Vor­ar­beit und berei­te­te den Boden für den Meis­ter, der 1998 den Grand Prix rettete.

Auch mit Asth­ma kann man sie­gen: ein gan­zer Eimer Quinn (IE).

Der somit erst- und letzt­ma­lig ohne deut­sche Betei­li­gung statt­fin­den­de Wett­be­werb ende­te wie­der­um (gähn!) mit einem Sieg für Irland. Die Sopra­nis­tin Eimear Quinn besang ‘The Voice’, womit sie wohl ihre eige­ne, unan­ge­nehm hohe und stän­dig von ihren lau­ten Atem­ge­räu­schen über­tön­te Stim­me mein­te. Bescher­te ihr gera­de die­ser Moni­ca-Seles-Effekt den Sieg? Ein ande­rer Grund (außer der Begeis­te­rung der Juro­ren für die iri­sche Gast­freund­schaft oder pure Gewohn­heit) lässt sich näm­lich beim bes­ten Wil­len nicht fin­den. Erschwe­rend kam hin­zu, dass sich unter den 23 Lie­dern die­ses Abends, die alle­samt nicht mal in die Nähe der Sin­gle­charts kamen, nicht ein ein­zi­ges befand, das der Grand-Prix-Kro­ne tat­säch­lich wür­dig gewe­sen wäre. Mit einer ent­schei­den­den Aus­nah­me: näm­lich der für Groß­bri­tan­ni­en star­ten­den gebür­ti­gen Aus­tra­lie­rin Gina G. und ihrem Dis­co­hit ‘Ooh aah… just a litt­le bit’, einem Aus­läu­fer­mo­dell des bes­ten Musik­gen­res aller Zei­ten, dem Euro­dance, der mit Acts wie Snap! um 1990 von Frank­furt am Main aus sei­nen Sie­ges­zug gestar­tet hat­te und für meh­re­re seli­ge Jah­re die euro­päi­schen Charts domi­nier­te. Der bri­ti­sche Song und des­sen Arran­ge­ment stamm­ten vom House-Pro­du­zen­ten Motiv8, der mit Remi­xen für Acts wie Pulp, Robert Pal­mer oder die Spi­ce Girls, deren Debutsin­gle ‘Wan­na­be’ er erst den rich­ti­gen Schliff ver­lieh, Bekannt­heit erlangte.

You know what I’m loo­king for: Gina G. (UK)

Der mit sexu­el­len Kon­no­ta­tio­nen auf­ge­la­de­ne Pop­song notier­te zum Zeit­punkt des Con­tests bereits auf der Spit­zen­po­si­ti­on der bri­ti­schen Hit­pa­ra­de und wur­de sogar in den USA zum Megas­el­ler (#12 der Bill­board Charts, nur #88 in Deutsch­land). Ins­ge­samt konn­te Gina welt­weit 2 Mil­lio­nen Exem­pla­re von ‘Ooh aah…’ ver­kau­fen. In einem 5.000 £ teu­ren Gold­mün­zen-Kleid von Paco Raban­ne sorg­te sie auch optisch für Auf­se­hen, denn der Desi­gner ging mit den Mün­zen so spar­sam um, dass sie gera­de eben reich­ten, das Nötigs­te zu bede­cken. Als Zeit­geist-Attri­but stell­te man sogar zwei Com­pu­ter-Moni­to­re auf die Büh­ne, ver­gaß sie aller­dings anzu­schlie­ßen. Dass sie die­sen schi­cken Auf­tritt mit dem ach­ten Platz abstraf­ten, sorg­te denn auch auf der Insel für Wut­aus­brü­che gegen­über den Jurys. Die hat­ten mit die­ser zwei­ten gro­ben Fehl­ent­schei­dung den Bogen end­gül­tig über­spannt: 1997 stimm­ten sowohl Deutsch­land als auch das Ver­ei­nig­te König­reich per TED ab. Und nur ein Jahr dar­auf schaff­te die EBU die geschmack­lich hoff­nungs­los ver­staub­ten Kun­gel­clubs – wenn auch zwan­zig Jah­re zu spät und lei­der nur vor­über­ge­hend – end­lich ab. So schau­felt man sich sein eige­nes Grab!

Bit­te füt­tert die Frau: Seb­nem Paker (TR).

Als schö­ne Idee des aus­rich­ten­den nor­we­gi­schen Sen­ders NRK erwies es sich, die Interpret:innen in den Post­kar­ten von den Glück­wün­schen eines offi­zi­el­len Reprä­sen­tan­ten ihres Lan­des beglei­ten zu las­sen. Das reich­te vom Dele­ga­ti­ons­lei­ter oder der Staats­se­kre­tä­rin über die Kul­tus­mi­nis­te­rin bis hin zum Staats­prä­si­den­ten, wor­aus sich auch wun­der­bar able­sen ließ, wel­chen Stel­len­wert der Euro­vi­si­on Song Con­test im jewei­li­gen Land besaß. Die Tür­kei eröff­ne­te den Rei­gen mit dem Buli­mie-Wer­be­mo­del Şeb­nem Paker, die trotz des sehr hüb­schen, ele­gi­schen (und mal wie­der sträf­lich unter­be­wer­te­ten) ‘Beşin­ci Mev­sim’ erst im nächs­ten Jahr eine wich­ti­ge Rol­le spie­len soll­te. Zypern ent­sandt – das ers­te von ins­ge­samt drei Malen – den sei­ner­zeit extra für sei­nen Auf­tritt vom Grund­wehr­dienst frei­ge­stell­ten Schnu­ckel Con­stan­ti­nos Chris­to­fo­rou, lei­der mit einem sehr lang­wei­li­gen Lied­chen. Etwas flot­ter kam die im kur­zen Jeans­rock wie ein Vor­stadt­flitt­chen auf­ge­bre­zel­te Mal­te­se­r­in Miri­am Chris­ti­ne Borg daher. Deren belie­big vor sich hin plät­schern­der Pop­schla­ger ‘In a Woman’s Heart’ punk­te­te mit der frau­en­freund­li­chen Text­zei­le “I’m down on my Kne­es”. Für einen höhe­ren als den zehn­ten Rang fehl­te jedoch der Vor­spann “Seven Degrees” sowie eine Hand­voll Ster­nen­staub.

Wei­ße Gur­kerl, yeah: der Nuß­bau­mer Schorsch und sei­ne Pos­see (AT).

Für Kroa­ti­en ver­such­te sich Maja Blagd­an an einer klas­sisch auf­ge­bau­ten Grand-Prix-Hym­ne mit einem der­ar­tig hoch (und unsau­ber) gekri­schenen Schluss­ton, dass euro­pa­weit die Milch sau­er wur­de. ‘Sve­ta Lju­bav’ blieb den­noch farb­los. Öster­reich schick­te den blin­den Georg Nuss­bau­mer, der einen rund­weg fan­tas­ti­schen, hoch opti­mis­ti­schen und mit­rei­ßen­den Gos­pel­song (“So sind sie, die Öster­rei­cher: den gan­zen Tag nur sin­gen und tan­zen,” neck­te Ansor­ge) über die Freu­de am Leben dar­bot. Und das auf Vor­arl­ber­ger Mund­art! Wäh­rend er am Flü­gel saß, tanz­te und sang direkt hin­ter ihm die im Fol­ge­jahr solo wie­der­kom­men sol­len­de Bet­ti­na Sori­at in höchs­ter Eksta­se, was stel­len­wei­se bedroh­lich wirk­te. “Ob’s der gut geht?” frag­te man sich da als Zuschauer:in. Was man ange­sichts der Zustän­de von Ver­wirrt­heit für die grie­chi­sche Ver­tre­te­rin Maria­na Efstra­tiou aus­schlie­ßen konn­te. Sie behaup­te­te in ihrem von Cos­tas Biga­lis geschrie­be­nen Song näm­lich, auch im Win­ter den Früh­ling zu füh­len. Was zumin­dest erklär­te, war­um sie außer einem knap­pen, nur not­dürf­tig zuge­knöpf­ten Jäck­chen kein Ober­teil trug und ihr Tän­zer in einem hauch­dün­nen, durch­sich­ti­gen Lurex-Shirt per­form­te, was eher so aus­sah, als habe er sich eine Müll­tü­te über­ge­streift. Dann doch lie­ber gleich mit rich­tig frei­em Ober­kör­per! Und bes­se­re Titel hat­ten die Hel­le­nen auch schon.

Mei, da steckst net drin: Maria­na und ihr Schat­ten­mann (GR).

Für das Gast­ge­ber­land trat erneut Eli­sa­beth Andre­as­sen ali­as Bet­tan an, die damit zu ihrem vier­ten und letz­ten Euro­vi­si­ons­auf­tritt kam. Ihr zu mei­nem blan­ken Ent­set­zen zweit­plat­zier­ter Titel han­del­te nicht nur von der ‘Ewig­keit’, es dau­er­te gefühlt auch so lan­ge, bis er end­lich vor­bei war. Das schreck­li­che, kör­per­lich uner­träg­li­che Pan­flö­ten­ge­jau­le des Songs löst bei mir bereits nach 2 Mil­li­se­kun­den eine der­art star­ke ästhe­ti­sche All­er­gie aus, dass jeder Geheim­dienst­ler von mir mit die­ser Plat­te in kür­zes­ter Zeit sämt­li­che erwünsch­ten Geständ­nis­se erpres­sen könn­te. Der bedau­er­li­cher­wei­se anhal­ten­de Euro­vi­si­ons­er­folg kel­ti­scher Musik (einer wei­te­ren geeig­ne­ten Fol­ter­me­tho­de) inspi­rier­te das sich noch immer auf dem Eth­notrip befind­li­che Frank­reich, sei­nen Euro­vi­si­ons­ti­tel dies­mal nicht in Über­see zu suchen, son­dern in der Bre­ta­gne. Dan Ar Braz et l’Hé­ri­ta­ge des Cel­tes pro­fi­tier­ten jedoch nicht vom Trend: Platz 19 für ‘Diwa­nit Buga­le’. Womög­lich irri­tier­te die auf eng­li­sche Tex­te geeich­ten Juro­ren, dass in dem auf Bre­to­nisch gesun­ge­nen und somit völ­lig unver­ständ­li­chen Lied im zwei­ten Vers plötz­lich klar ver­nehm­lich das Wort “Toma­to!” auftauchte.

Bei 1:45 Minu­ten: bit­te kei­ne Para­dei­ser wer­fen! (FR)

A pro­pos Toma­ten: die Nie­der­lan­de schick­ten den hünen­haf­ten sin­gen­den Poli­zis­ten Frank­lin Brown und sein halb so gro­ßes Stand­ge­blä­se mit dem iro­ni­schen Namen Maxi­ne. Bei ihrem pos­sier­li­chen Schun­kel­schla­ger ‘De eers­te Keer’ han­del­te es sich jedoch nicht, wie der Titel ver­mu­ten lie­ße, um das Moti­va­ti­ons­lied der hol­län­di­schen Straßenfeger:innen: der Song beschrieb das schö­ne The­ma “Sex mit dem Ex”. Ärger damit bekam Frank­lin, den spä­ter eine Kol­le­gin wegen angeb­li­cher sexu­el­ler Beläs­ti­gung ver­klag­te. Im Nach­hin­ein stell­te sich die Unschuld Browns her­aus: abge­wie­se­ne Ver­eh­re­rin­nen hat­ten ihn in eine Fal­le gelockt. Dabei hät­te ich ihm dafür doch jeder­zeit zur Ver­fü­gung gestan­den! Für die bel­gi­schen Nach­barn ging die heut­zu­ta­ge in Volks­mu­sik­sen­dun­gen auf­tre­ten­de Lisa del Bo an den Start. Ihr bil­li­ger Syn­thie­schla­ger ‘Lief­de is een Kaarts­pel’ soll­te den fünf­ten Platz bele­gen – aller­dings erst fünf Jah­re spä­ter, dann unter der neu­en Über­schrift ‘Lis­ten to your Heart­beat’ und dar­ge­bo­ten von den die­bi­schen schwe­di­schen Friends. Sehr nied­lich übri­gens die deut­sche ‘Kar­ten­spiel’-Fas­sung, die zur Kir­mes­mu­sik mit unglaub­li­chen, aber ori­gi­nal­ge­treu über­setz­ten Text­zei­len wie “Willst Du mich ver­schlin­gen?” und “Bin fieb­rig vor Ver­lan­gen” glänzt!

So macho: Frank­lin Brown (NL)

Wo wir gera­de bei betrü­ge­ri­schen Schwe­den sind: die schick­ten zwei Frau­en mit fet­ten Han­ne­lo­re-Els­ner-Perü­cken. Was bei der Melo­di­fes­ti­valen-Legen­de Nan­ne Grön­vall optisch noch durch­ging, Maria Råds­ten aller­dings aus­se­hen ließ wie Peg­gy Bun­dy. Sie hat­ten einen am Enya-Sound (einer dan­kens­wer­ter­wei­se nur für eine sehr kur­ze Peri­ode erfolg­rei­chen Pest des Äthers) geschul­ten, vor­der­grün­dig mys­ti­schen Eth­nobei­trag über ‘Den Vil­da’ am Start. Bei dem es sich in Wahr­heit jedoch um eine beson­ders per­fi­de Form der Schleich­wer­bung han­del­te: näm­lich für den umstrit­te­nen schwe­di­schen Atom­strom­gi­gan­ten Vat­ten­fall (Was­ser­fall), des­sen Name das Duo One More Time wer­be­wirk­sam gleich acht Mal in ihrem Titel unter­brach­te. Pfui! Islands Anna Mjöll Ólaf­sdót­tir umging den ver­hass­ten und wett­be­werbs­hin­der­li­chen Hei­mat­spra­chen­zwang mit dem Titel ‘Sjú­bi­dú’ und der hier­zu erwart­ba­ren Auf­lis­tung toter ame­ri­ka­ni­scher Jazzsänger:innen. Leben­di­ger mach­te das ihren Song aber auch nicht.

Eine schreck­lich net­te Schwe­din: Peg­gy Bun­dy ali­as Maria Råds­ten plus ihre Kol­le­gin Nan­ne Grön­vall als Han­ne­lo­re Elsner.

Zum Fan­fa­vo­ri­ten avan­cier­te der hoch­dra­ma­ti­sche und erwar­tungs­ge­mäß mit vie­len hoch gekri­schenen Tönen auf­war­ten­de pol­ni­sche Schmacht­fet­zen. Bedau­er­lich, dass der Song­ti­tel fast aus­schließ­lich aus Kon­so­nan­ten bestand und für Men­schen außer­halb des Ent­sen­de­lan­des so noch nicht mal aus­sprech­bar war. Und dass die Sän­ge­rin Kasia Kowals­ka optisch ein wenig an die erwach­se­ne Wed­nes­day Addams erin­ner­te. So reich­te es für die doch etwas zähe Num­mer ledig­lich für den vier­zehn­ten Platz. Eine noch unge­rech­te­re Behand­lung erfuh­ren mal wie­der die Finn:innen, die mit ‘Nin kau­nis on Tai­vas’ (auch bekannt als ‘Ich kauf nix in Tai­wan’) eine echt hüb­sche, schwung­vol­le Coun­try­num­mer ablie­fer­ten, an der sich selbst das deut­sche ‘No no never’ noch eine Schei­be abschnei­den könn­te. Lei­der zeig­te sich die Inter­pre­tin Tat­ja­na Anet­te Valen­tin ali­as Jas­mi­ne der­ar­tig ner­vös, dass sie sich kurz vor dem letz­ten Refrain ver­sang. Lus­ti­ger­wei­se fiel direkt nach die­sem Schnit­zer alle Anspan­nung von der schne­cken­lo­cki­gen Sän­ge­rin ab und sie dreh­te zum Schluss noch mal rich­tig auf. Im Gegen­satz zum auf­mun­ternd klat­schen­den Saal­pu­bli­kum hat­ten die ver­stock­ten Juro­ren kein Mit­leid: letz­ter Platz. Buh!

Bei 3:30 Min.: Mist, ver­sun­gen (FI)!

Ohne die Start­ge­büh­ren der ARD erwies sich das irr­sin­nig teu­re Fes­ti­val für den aus­rich­ten­den nor­we­gi­schen Sen­der als kaum noch zu stem­men­de finan­zi­el­le Belas­tung. Zudem mach­ten sich die weg­bre­chen­den Zuschauer:innenzahlen bemerk­bar. Jür­gen Mei­er-Beer: “Dass Deutsch­land beim Grand Prix gebraucht wur­de, merk­te ich mir”. So ent­stand die berüch­tig­te und mitt­ler­wei­le hef­tig umstrit­te­ne Big-Four-Rege­lung, nach wel­cher die gro­ßen Ein­zah­ler­län­der Spa­ni­en, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en und Deutsch­land (sowie seit 2011 auch wie­der Ita­li­en) beim Euro­vi­si­on Song Con­test nie­mals mehr raus­flie­gen soll­ten, egal, wie schlecht ihr Lied abschnit­te. Nach der Ein­füh­rung der Qualifikationsrunde(n) im Jah­re 2004 bedeu­te­te dies logi­scher­wei­se den Fix­start im Fina­le. Das wir auf die­se Rege­lung, die den betrof­fe­nen Natio­nen eben­so vie­le Nach­tei­le wie Pri­vi­le­gi­en bringt, bald schon bit­ter ange­wie­sen sein soll­ten, ahn­te zu die­sem Zeit­punkt aller­dings noch niemand!

Die kom­plet­te Show am Stück, mit dem genia­len Ansorge-Kommentar.

Stand: 21.06.2020

Euro­vi­si­on Song Con­test 1996

Euro­Song. Sams­tag, 18. Mai 1996, aus dem Spek­trum in Oslo, Nor­we­gen. 23 Teil­neh­mer­län­der, Mode­ra­ti­on: Invild Bryn und Mor­ten Harket.
#LandInter­pretTitelPunk­tePlatz
01TRŞeb­nem PakerBeşin­ci mevsim05712
02UKGina GOoh aah… just a litt­le bit07708
03ESAnto­nio Carbonell¡Ay, qué Deseo!01720
04PTLúcia MonizO meu Cora­ção não tem Cor09206
05CYCon­stan­ti­nos ChristoforouMono yia mas07209
06MTMiri­am Chris­ti­ne BorgIn a Woman’s Heart06811
07HRMaja Blagd­anSve­ta Ljubav09804
08ATGeor­ge NussbaumerWeil’s dr guat got06810
09CHKathy Lean­derMon Cœur l’aime02217
10GRMaria­na EfstratiouEmis fora­me to himo­na anixiatika03614
11EEMaar­ja-Liis Ilus + Ivo LinnaKae­la­kee Hääl09405
12NOEli­sa­beth AndreassenI Evi­ghet11402
13FRDan Ar Braz & L’Hé­ri­ta­ge des CeltesDiwa­nit Bugale01819
14SIRegi­na KogojDan Naj­lepših sanj01621
15NLMaxi­ne + Frank­lin BrownDe eers­te Keer07807
16BELisa del BoLief­de is een Kaartspel02216
17IEEimear QuinnThe Voice16201
18FIJas­mi­neNiin kau­nis on taivas00923
19ISAnna Mjöll ÓlafsdóttirSjú­bí­dú05113
20PLKasia Kowals­kaChcę znać swój Grzech03115
21BAAmi­la GlamočakZa našu Ljubav01322
22SKMar­cel PalonderKým nás máš01918
23SEOne more TimeDen Vil­da10003

7 Comments

  • Selt­sa­mer Con­test Zu 96 fällt mir nur eins ein: Laaaaaaa­ang­wei­lig. Wenn die drei Erst­pla­zier­ten wie geklont klin­gen, stimmt doch was nicht. Aller­dings muss ich hier mal eine Lan­ze für Eimear Quinn bre­chen: von den iri­schen Sie­ger­ti­teln kommt allen­falls noch Dana (1970) an die gute Frau Quinn her­an. Wenn man am Abend des Con­tests schwer erkäl­tet ist, hört man das dum­mer­wei­se! Und die Fin­nin wur­de skan­da­lös unter­be­wer­tet. Gina G‑Punkt (sor­ry!) hat hin­ge­gen genau das bekom­men, was sie ver­dien­te. Wie belang­los wird es noch? (Rhe­to­ri­sche Frage!)

  • Eimear Quinn’s ‘The Voice’ gehört immer noch zu mei­nen All-Time Favo­ri­te Songs, auch außer­halb des ESC. 😀 Mit Irish Folk bin ich sowie­so immer zu begeis­tern, so auch für Secret Garden’s ‘Noc­turne’ aus dem Jahr davor.

  • Secon­ded. Der Wett­be­werb mag nicht son­der­lich unter­halt­sam gewe­sen sein, aber er hat eini­ge mei­ner Lieb­lings­lie­der her­vor­ge­bracht. Ja, 1996. Ich bin eben ein biss­chen komisch. Eimear Quinn hat (ihre Per­for­mance am Abend mit den Moni­ca-Seles-Gedächt­nis-Atem­ge­räu­schen mal außen vor gelas­sen) ein schö­nes Lied gesun­gen. Schön, es wur­de ein biss­chen zu hoch bewer­tet, aber Gina G scheint der Fluch des zwei­ten Start­plat­zes voll erwischt zu haben. Hit­po­ten­zi­al und Erfolg beim ESC sind zwei ver­schie­de­ne Din­ge. Ich muss dazu auch noch anmer­ken, dass ich den Öster­rei­cher ger­ne wei­ter vorn gese­hen hätte.

  • Oio­ioi. Selt­sa­mer Jahr­gang, so ganz ohne Dschör­me­nie. Scha­de, der Leon war wirk­lich um vie­les bes­ser als so eini­ges ande­re, was in Oslo sin­gen durf­te! Aber es zeig­te sich ja spä­ter, dass Oslo viel­leicht doch nicht das aller­schlech­tes­te Pflas­ter für einen deut­schen Bei­trag sein muss.

    Den Song von Eimear mag ich sehr, aber ich schlie­ße mich dem Haus­her­ren an: Gina G. hät­te ZWIN­GEND gewin­nen müs­sen! Und ich den­ke, hät­te es damals schon Tele­vo­ting gege­ben, hät­te sie auch gewon­nen. Und auch der Nuss­bau­mer Schorsch hät­te viiii­iel wei­ter nach vor­ne gehört. Außer­dem toll: Frank­reich (jawohl, ich lie­be die­sen Sound!), aller­dings nur in der Stu­dio­ver­si­on. Live und auf drei Minu­ten gekürzt war der Song lei­der lang­wei­lig. Est­land war hübsch, Slo­wa­kei und Zypern (jawohl!) haben mir auch gefal­len.  Finn­land (“Ich kauf nix in Tai­wan” 😉 ) natür­lich krass unterbewertet.

    Bet­tan, so sehr ich sie ansons­ten schät­ze, hat­te einen wirk­lich ent­setz­li­chen Trä­nen­zie­her am Start. Man haut doch auf die Trä­nen­drü­sen nicht mit dem Holz­ham­mer drauf, son­dern kit­zelt sie nur zart! Zum WEG­lau­fen und neben Spa­ni­en mein abso­lu­ter Hass­bei­trag in dem Jahr.

    Lus­tig übri­gens die Mode­ra­ti­on, so schlecht, wie Mor­ten und Ing­vild über­all gemacht wird, fand ich sie gar nicht. Und ob Ing­vilds Stimm­bän­der sich DAVON jemals wie­der erholt haben?!

  • Ich bezweif­le mal ganz offen, dass bei Tele­vo­ting ein Lied von Start­platz 2 bes­se­re Chan­cen gehabt hät­te. Gina G wäre viel­leicht wei­ter vor­ne gelan­det, aber gewon­nen hät­te sie wahr­schein­lich nicht. Eher hät­te dann Schwe­den die Stim­men der Eth­nobal­la­den-Fans abge­grif­fen. Aber das ist eine müßi­ge Debat­te, die man ger­ne und immer wie­der füh­ren kann. 😉 Außer­dem ist kaum zu leug­nen, dass “Ooh Aah” nicht gut geal­tert ist – was bei einem Song aus einem so zeit­ge­bun­de­nen Gen­re auch über­haupt nicht ver­wun­dert. “The Voice” mag kein ver­dien­ter Sie­ger gewe­sen sein, aber es hält sich deut­lich bes­ser. (Zustim­mung zu “I evi­ghet”, neben­bei. Wie hat die­se Sül­ze es geschafft, bes­ser dazu­ste­hen als “Den vil­da”? Und gibt es einen ande­ren ESC, bei dem die Top 3 sich so ähneln?)

    Nach­dem ich mich mal durch die sie­ben Aus­ge­schlos­se­nen gehört habe: Vie­les davon war wirk­lich nicht gut, aber neben Deutsch­land sticht ein zwei­tes Lied her­aus, das ich viel lie­ber in Oslo gese­hen hät­te als zum Bei­spiel Spa­ni­en, Island oder die Slo­wa­kei: “For­tu­na” aus Ungarn.

  • Fei­nel­li, fei­nel­li, fei­ne­lii! Es gibt den 96er jetzt end­lich mit Ansor­ge-Kom­men­tar auf der Tube!

    Guck­s­tu hier:

  • Ach ja, die Kom­men­ta­re von Ansor­ge sind der abso­lu­te Ham­mer. Scha­de, dass der Mann heut­zu­ta­ge nicht mehr groß in Erschei­nung tritt.
    Also wenn es nach mir gegan­gen wäre, hät­te ich Bel­gi­en, Bos­ni­en, Island, die Schweiz und Spa­ni­en durch Deutsch­land, Ungarn, Isra­el, Nord­ma­ze­do­ni­en und Russ­land ersetzt.
    Man kann es ja noch irgend­wo ver­ste­hen, dass die EBU kei­ne 30 Titel im Wett­be­werb haben woll­te, aber man hät­te das Gan­ze doch gut und ger­ne auf 25 statt 23 Titel beschrän­ken kön­nen. Heut­zu­ta­ge hat man doch schon Pro­ble­me damit, die Sen­dung unter fünf Stun­den zu hal­ten und damals hat man wegen drei Stun­den so ein Tam­tam betrie­ben. So wären wenigs­tens Deutsch­land und Ungarn noch rein­ge­rutscht. Viel­leicht hät­ten wir dadurch heut­zu­ta­ge kei­ne Big 5, wer weiß, wer weiß.
    In die­sem Jahr­gang sind Est­land (ihr bes­ter Bei­trag ever), Kroa­ti­en und Schwe­den mei­ne Favo­ri­ten, die ich eigent­lich alle gleich gut fin­de. Ansons­ten war es aber dann doch ein eher schwä­che­rer Jahr­gang mit eini­gen ganz net­ten Lied­chen. Rich­ti­ge High­lights blie­ben aber aus.

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