ESC-Semi 2006: I’ll fuck­ing win

Logo des Eurovision Song Contest 2006 (Finale)
Das Jahr der Monsterrocker

West­eu­ro­päi­sche Grand-Prix-Fan­clubs bestehen in der Regel – in exak­ter Umkeh­rung der übli­chen Bevöl­ke­rungs­an­tei­le – zu 95% aus schwu­len Män­nern. Und die haben, logi­scher­wei­se, einen völ­lig ande­ren Musik­ge­schmack als das beim Euro­vi­si­on Song Con­test abstim­men­de Mas­sen­pu­bli­kum an den Bild­schir­men. Natür­lich scherz­ten die im Athe­ner Olym­pia­sta­di­on ver­sam­mel­ten Fans noch vor Beginn des Halb­fi­na­les, dass man hin­ter­her, wenn die zehn Fina­lis­ten fest­stün­den, wohl mal wie­der kopf­schüt­telnd in der Hal­le säße. Und genau so kam es auch.

Die bei­den größ­ten Schocks stell­ten das Aus­schei­den der Fan-Favo­ri­tin Kate Ryan[ref]Die Bel­gie­rin hat­te einst mit blas­phe­mi­schen Cover­ver­sio­nen von unan­tast­ba­ren Mylè­ne-Far­mer-Songs in ganz West­eu­ro­pa Hit­pa­ra­den­er­fol­ge gefei­ert und galt daher schon dank ihrer Pro­mi­nenz als siche­re Finalistin.[/ref] sowie das Wei­ter­kom­men der ver­hass­ten litaui­schen Sta­di­onro­cker LT United (‘We are the Win­ners’) dar. Selbst die eigens für den Con­test zusam­men­ge­stell­te Band, als iro­ni­scher Kom­men­tar zur anhal­ten­den Euro­vi­si­ons­er­folg­lo­sig­keit des Bal­ten­staa­tes gedacht, staun­te: “I can’t belie­ve this Shit!”, ver­kün­de­ten sie auf der Pres­se­kon­fe­renz. Das sicht­lich düpier­te Kät­chen schob am nächs­ten Tag im grie­chi­schen Fern­se­hen die Schuld für ihr Schei­tern auf das Block­vo­ting, womit sie Ursa­che und Wir­kung ver­wech­sel­te. Lie­ßen sich die Ost­eu­ro­pä­er, von denen die Bel­gie­rin tat­säch­lich nicht eine Stim­me erhielt, doch schlicht­weg nicht von ihrem Namen blen­den. So dass ihnen das man­geln­de stimm­li­che Talent der Blon­di­ne und die musi­ka­li­sche Belie­big­keit ihres Tra­la­la-Lied­chens ‘Je t’a­do­re’ trotz aller­lei Ablen­kungs­ma­nö­vern mit beleuch­te­ten Mikro­fon­stän­dern halt auffiel.


Bei 1:23 Min: jetzt weiß ich end­lich, was “Muschi House” ist! (BE)

Einen schö­nen Ein­stieg in den Abend und ein weg­wei­sen­des Grand-Prix-Debüt für sein Land lie­fer­te Arme­ni­ens André Hov­nan­yan (‘Wit­hout your Love’) mit sei­ner zu glei­chen Tei­len von Rus­la­na (UA 2004) und Ser­tab Ere­ner (TR 2003) inspi­rier­ten, hoch­gra­dig artis­ti­schen SM-Show. Scha­de nur, dass sich kei­ne sei­ner Tän­ze­rin­nen in den roten Gum­mi­bän­dern, die zum opti­schen Mar­ken­zei­chen arme­ni­scher Auf­trit­te wer­den soll­ten, ver­hak­te und sich auf die Fres­se leg­te! Ent­täu­schend auch Bul­ga­ri­en. Der hier als Beglei­tung gebuch­te, übli­cher­wei­se in spek­ta­ku­lä­ren Out­fits auf­tre­ten­de voll­bär­ti­ge Tran­sen­bär Azis ging in sei­nem popel­far­be­nen Lur­ex­dress im Büh­nen­hin­ter­grund völ­lig unter, wäh­rend Lead­sän­ge­rin Maria­na Popo­va sich von der Dop­pel­deu­tig­keit ihres Titels ‘Let me cry’ in die Irre füh­ren ließ: sie schrie der­ma­ßen dis­har­mo­nisch, dass den Zuhö­rern die Trä­nen kamen. Vor Schmerz.


Mor­gen ver­ra­ten wir Ihnen, wie der Kno­ten wie­der auf­geht! (AM)

Nur durch Mani­pu­la­ti­on der hier­für berüch­tig­ten Jury bei der slo­we­ni­schen Vor­ent­schei­dung EMA erhielt Anžej Dežan über­haupt das Ticket nach Athen. Die eigent­li­che Sie­ge­rin der EMA hieß näm­lich Saša Len­de­ro: für ihren von  And­re Babič kom­po­nier­ten, kraft­voll-tra­shi­gen Dis­co­schla­ger ‘Man­do­li­ne’ erhielt sie jeweils rund 12.000 Stim­men im getrennt gewer­te­ten Tele­fon- und SMS-Voting, mehr als dop­pelt so vie­le wie Anžej. Doch die nach Augen­zeu­gen­be­rich­ten “etwa acht­zig­jäh­ri­gen” Juro­ren hass­ten Saša inbrüns­tig, eben­so wie die Zweit- und Dritt­plat­zier­ten der Publi­kums­ab­stim­mung, die Tur­bo­folk­ka­pel­le Ato­mik Har­mo­nik (‘Polk­aho­lik’) sowie Rebe­ka Dre­melj (SI 2008) mit Domen Kumer. Einem Tipp eines vor Ort anwe­sen­den deut­schen Fans fol­gend, gin­gen sie daher stra­te­gisch vor und bedach­ten Saša sowie die Atom-Quetschn-Spie­ler mit jeweils Nil Points, Frau Dre­melj ledig­lich mit zwei Pünkt­chen. Dafür aber vote­ten sie den ver­mu­te­ten (und tat­säch­li­chen) Viert­plat­zier­ten in der Publi­kums­gunst mit ihrer Spit­zen­wer­tung nach oben: Anžej Dežan!

Nah­men ihr die slo­we­ni­schen Juro­ren den kroa­ti­schen Kom­po­nis­ten übel? Saša Len­de­ro (Vor­ent­scheid SI)

Zumin­dest kann man der slo­we­ni­schen Jury kei­ne Schwu­len­feind­lich­keit vor­wer­fen: nach dem Drag-Queen-Trio Sest­re (SI 2002) mogel­te sie hier bereits zum zwei­ten Mal offen­sicht­li­che Homos an den vom Publi­kum prä­fe­rier­ten Blon­di­nen vor­bei auf die Euro­vi­si­ons­büh­ne. Viel­leicht hät­te Anžej dort bes­ser auf die Mimi­kri mit den ihn umtan­zen­den Mädels ver­zich­ten sol­len. Denn dass er hete­ro­se­xu­ell sein könn­te, kauf­te ihm ange­sichts sei­ner exal­tier­ten Bewe­gun­gen und sei­nes (groß­ar­ti­gen!) auf­ge­don­ner­ten, super cam­pen Bal­kan-Dis­co-Trash-Klop­pers ‘Mr. Nobo­dy’ (in der etwas ein­dring­li­che­ren, dafür weni­ger mit­singfreund­li­chen Ori­gi­nal­fas­sung noch ‘Plan B’) sicher­lich nicht ein Zuschau­er ab. Über die Inspi­ra­ti­on für Text­zei­len wie “So deep­ly, so bad­ly, you’­re hur­ting me” möch­te ich hier auch lie­ber nicht spe­ku­lie­ren: eine 9 auf der Hal­dor-Læg­reid-Ska­la. Wes­we­gen mich das Aus­schei­den des sta­chel­haa­ri­gen slo­we­ni­schen Deen (BA 2004) im Semi auch über die Maßen erboste.


Camp­ta­stic: der Anzej (SI)

Wer Jen­nys Büh­nen­out­fit am Don­ners­tag­abend gewagt fand, sah nicht ihre Kame­ra­pro­ben: dort trat die figür­lich ein wenig zur Fül­le nei­gen­de Sän­ge­rin (ihr Nach­na­me Ser­ra­no hat­te schon sei­ne Berech­ti­gung!) näm­lich eben­so ledig­lich in Strap­sen beklei­det auf wie ihre vier Tanz­mäu­se. An sich ein muti­ger und vor­bild­li­cher Akt, der noch über­zeu­gen­der aus­ge­fal­len wäre, wenn sie auf eben die­se vier hero­in­dür­ren, im Bur­les­que-Stil um Café­haus­stüh­le wir­beln­den Tän­ze­rin­nen ver­zich­tet hät­te. Ob die uni­so­no nega­ti­ven Reak­tio­nen der Fans Jen­ny bewo­gen, sich für ihren Semi-Auf­tritt doch noch etwas über­zu­wer­fen – ich weiß es nicht. Fakt ist: all die Mätz­chen um das Out­fit lenk­ten nicht von dem typisch andor­ra­ni­schen, also zu glei­chen Tei­len sper­ri­gen, sprö­den und lang­wei­li­gen Song ab. Und so hieß es im Fina­le völ­lig zu Recht: ‘Sen­se tu’!


Ging wei­ter als sämt­li­che Ost­eu­ro­päe­rin­nen: die Andorra-Gang

Wie schon 1970 bei der Irin Dana schie­nen auch die Eltern des jun­gen Alba­ners Luiz Ejl­li sehr besorgt, dass ihr Aug­ap­fel sich bei sei­nem Aus­lands­auf­ent­halt unter all die­sen son­der­ba­ren Men­schen was holen könn­te. Selbst wenn Athen ein nicht ganz so star­ker Ruf als Sün­den­ba­bel vor­aus­eilt wie Ams­ter­dam. Den­noch stell­ten sie ihm zwei älte­re Onkels mit über­gro­ßen Kon­dom­hüt­chen zur Sei­te, die ihn stets dar­an erin­nern soll­ten, nur Safer Sex zu prak­ti­zie­ren. ‘Zjarr et Ftho­të’ erwies sich als sper­ri­ger, erst nach dem sieb­zehn­ten Hören zugäng­li­cher (dann aber umso stär­ker zün­den­der!) Ëth­no­song, der lei­der noch nicht mal bei den zahl­rei­chen Dia­spo­ra-Alba­nern ankam. Annet Arta­nis Auf­ma­chung im frei­zü­gi­gen grell­gel­ben Kleid, das ihre beein­dru­cken­den Dop­pel­pol­ler gut zur Gel­tung brach­te, har­mo­nier­te nicht so recht mit dem Welt­frie­dens­the­ma ihres bom­bas­ti­schen Gos­pel­songs ‘Why Angels cry’. “Inno­cent Child­ren die” beklag­te die für Zypern sin­gen­de Ame­ri­ka­ne­rin – dabei sind die es doch, deren Lei­chen das Col­la­gen für ihre frisch auf Schlauch­boot­grö­ße auf­ge­spritz­ten Lip­pen lieferten!


Dudel­sä­cke und lus­ti­ge Hüt­chen: genau dafür schal­te ich den Grand Prix ein! (AB)

All­er­gisch reagie­re ich übli­cher­wei­se auf Kokos­nüs­se. Séveri­ne Fer­rers locker-flo­cki­ger, mari­tim-kari­bi­scher Som­mer­hit ‘La Coco-Dance’, ein leicht schme­cken­der und nicht belas­ten­der musi­ka­li­scher Gruß aus dem Para­dies der Tro­pen, so ganz ohne schwe­re Zuta­ten, gehört den­noch zu mei­nen gro­ßen Euro­vi­si­ons­fa­vo­ri­ten. Man hör­te förm­lich die Pal­men im sanf­ten Süd­see­wind rau­schen und sah auch mit geschlos­se­nen Augen, wie die für Mona­co star­ten­de Fran­zö­sin ihre Kokos­nüs­se für uns schüt­tel­te. Wobei, geschlos­sen hielt ich die Augen natür­lich nicht: dafür waren Séver­i­nes halb­nack­te Tän­zer viel zu ansehn­lich! Ver­ständ­lich, dass sie zur sug­ges­ti­ven Text­zei­le “ ‘C’est la Musi­que pour s’ai­mer” jedes­mal auf Hüft­hö­he der­sel­ben her­ab­sank. Um so bedau­er­li­cher, dass die put­zi­ge jun­ge Sän­ge­rin über so gar kein Fit­zel­chen Stim­me ver­füg­te. Denn so macht frau als Mone­gas­sin höchs­tens dann Pop­kar­rie­re, wenn frau zum Adels­haus des klei­nen Fürs­ten­tums zählt.


Sté­pha­nies legi­ti­me Nach­fol­ge­rin: Séveri­ne (MC)

Ange­sichts der noto­ri­schen Stur­heit, mit der die Grie­chen den Maze­do­ni­ern ihren Lan­des­na­men abspre­chen, erscheint es beson­ders per­fi­de, wie stark Ele­na (MK) bei Hele­na (GR) abkup­fer­te. Nicht so sehr beim Song – ‘Nin­a­na­j­na’ konn­te in Sachen Ein­gän­gig­keit mit ‘My Num­ber One’ nicht mit­hal­ten. Dafür aber bei Büh­nen­show und Arran­ge­ment. Ver­läss­lich (und ärger­lich) wie immer sorg­ten die Exil­ma­ze­do­ni­er und jugo­sla­wi­schen Bru­der­völ­ker für das Wei­ter­kom­men ins Fina­le, obwohl Frau Ris­tes­kas stimm­li­che Leis­tung kei­nes­falls über­zeug­te. Der zur Abwechs­lung nicht rot, son­dern grün gefärb­te Michał Wiś­niew­ski von Ich Tro­je brach­te alle sei­ne Ex- und aktu­el­len Frau­en (samt unge­bo­re­nem Nach­kom­men) mit auf die Büh­ne. Ein klu­ger Schach­zug: so klang der Song rund und warm und voll. ‘Fol­low my Heart’ stei­ger­te im Ver­gleich zur letz­ten Teil­nah­me die Anzahl der ver­wen­de­ten Spra­chen von drei (2003, ‘Kei­ne Gren­zen’: deutsch, pol­nisch und rus­sisch) auf fünf (zuzüg­lich eng­lisch und spa­nisch). Augen­krebs ver­ur­sa­chend die Kos­tü­me: mit Trod­deln behan­ge­ne Tages­de­cken aus dem Müll­con­tai­ner eines War­schau­er Alten­heims über recy­cel­ten Napo­le­on­kos­tü­men in frosch­grün-metal­lic. Schön geht anders!


Hat Ker­mit da drü­ber gekotzt? (PL)

Russ­lands sin­gen­des Unter­hemd Dima Bilan (RU 2008) füg­te dem schwu­len Erken­nungs­zei­chen des gebro­che­nen Hand­ge­lenks noch die gebro­che­ne Hüf­te hin­zu. Die Text­zei­le “Fle­sh of my Fle­sh, Bone of my Bone” dürf­te eini­ge unkeu­sche Gedan­ken­gän­ge in der Athe­ner Hal­le her­vor­ge­ru­fen haben (damals war er noch nicht von Dro­gen zer­fres­sen und sah durch­aus sexy aus). Die hiel­ten sich auch wäh­rend des Auf­tritts des tür­ki­schen ‘Süper Star’s Sibel Tüzün und ihrer vier mus­kel­be­pack­ten bri­ti­schen Tän­zer. Sibels musi­ka­lisch obsku­re Caba­ret-Num­mer (schö­ne Fan-Abwand­lung: “Ich kauf im Süper Markt / bei Ede­ka!”) gewann durch die opti­sche Prä­sen­ta­ti­on sicht­lich. Als Mus­ter­bei­spiel für erfolg­rei­che ost­eu­ro­päi­sche Euro­vi­si­ons­bei­trä­ge kann Tina Karols ‘Show me your Love’ gel­ten: melo­di­sches, lau­tes Geschrei in mise­ra­blem Eng­lisch. Was sie nur mit “Show me your Love / Hide it, you Mus­cle Mary” mein­te? Eine dral­le, leicht geschürz­te Blon­di­ne prä­sen­tiert eine cho­reo­gra­fi­sche Mischung aus Bade­mo­den­schau und Kunst­tur­nen: lus­ti­ges Seil­sprin­gen, hüb­sche Hebe­fi­gu­ren – fehl­ten nur noch Reck und Rin­ge! Eben eine Leis­tungs­schau von allem, in dem der Ost­block seit län­ge­rem führt. Und ein erneu­ter Beweis für The­se, dass es viel Geld und Arbeit kos­tet, bil­lig auszusehen.


“Don’t hide your Over­weight”, “Talk to my Hat”, “Use it, my Butt” – ein biss­chen loco ist sie schon, die Gute! (UA)

Gleich mehr­fach lief Finn­lands Bei­trag ‘Hard Rock Hal­le­lu­jah’ Don­ners­tag­nacht nach dem Semi in der ört­li­chen schwu­len Dis­co, und jedes­mal hüpf­te in der bums­vol­len Hüt­te alles fre­ne­tisch mit. Zu dem Zeit­punkt glaub­te aller­dings kaum einer der fei­ern­den Fans, dass Lor­di den Euro­vi­si­on Song Con­test tat­säch­lich gewin­nen könn­ten bezie­hungs­wei­se das Semi bereits gewon­nen hat­ten. Aber Spaß mach­te die Num­mer ohne Ende! Im Gegen­satz zu Treb­le‘Amam­ban­da’. Alles an dem gut gemein­ten hol­län­di­schen Bei­trag kam ein­fach um Jah­re zu spät: auch wenn man afri­ka­ni­sche Djem­bes bis­lang eher sel­ten auf einer Euro­vi­si­ons­büh­ne sah, war das The­ma Trom­meln nach dem letzt­jäh­ri­gen Over­kill irgend­wie durch. Und die ima­gi­nä­re Spra­che hat­ten die benach­bar­ten Bel­gi­er bereits 2003 (‘Sano­mi’) ver­bra­ten. Wobei Treb­le die­se nur im Refrain ein­setz­ten – das klang ein wenig nach einem pro­vi­so­ri­schen Platz­hal­ter à la ‘Dig­gi loo, dig­gy ley’ und damit nach einem krea­ti­ven Offen­ba­rungs­eid. Jeden­falls trat die­se Num­mer den offi­zi­el­len Beweis an, dass die ehe­mals füh­ren­de Grand-Prix-Nati­on Nie­der­lan­de end­gül­tig den musi­ka­li­schen Anschluss ver­lo­ren hatte.


Afri­ka / Tau­send hei­ße Feu­er / bren­nen nachts / suchen Aben­teu­er (NL)

Als unan­nehm­ba­re Zumu­tung muss der dies­jäh­ri­ge por­tu­gie­si­sche Bei­trag bezeich­net wer­den. Vier gesang­lich wie tän­ze­risch glei­cher­ma­ßen unta­len­tier­te Schick­sen in so schlim­men Fum­meln, als habe Ralph Sie­gel sei­ne Vor­stel­lung von hip­per Street­wear umge­setzt: Bade­an­zü­ge, Ach­tiz­ger­jah­re-Fet­zen­tops, Pseu­do-Iro­ke­sen, sehr viel Bein und Federn im Haar. Jes­si­ca Simpson trifft Brit­ney Spears an einem ihrer schlech­ten Tage. Dazu der Band­na­me! Non­stop: geht es noch unkrea­ti­ver? Und das Lied: typisch por­tu­gie­sisch auf die schlimms­te anzu­neh­men­de Art. Besin­nungs­los fröh­lich im Sti­le eines schlech­ten Musi­cals, gleich­zei­tig drö­ge bis zur Hirn­star­re. Müss­te ich etwas Posi­ti­ves über das zumin­dest pas­send beti­tel­te ‘Coisas de nada’ (‘Nich­tig­kei­ten’) sagen, dann, dass der Song einem bewusst macht, dass der Tod eine Erlö­sung sein kann! Kein Wun­der, dass die Por­tu­gie­sen eben­so wie die Hol­län­der seit der Ein­füh­rung der Qua­li­fi­ka­ti­ons­run­den im Jah­re 2004 vom Fina­le aus­ge­schlos­sen blie­ben. Eini­ge Fans befürch­te­ten bei bei­den Län­dern wegen des anhal­ten­den Miss­erfol­ges einen dau­er­haf­ten Aus­stieg aus dem Con­test: im Fal­le Por­tu­gals hät­te ich das nach die­ser Dar­bie­tung, offen gestan­den, auf das Herz­lichs­te begrüßt!


Dage­gen war ‘Rock me’ (YU 1989) ein Meis­ter­werk! (PT)

So, und da der por­tu­gie­si­sche Bei­trag mei­nen Vor­rat an Hass-Ener­gie kom­plett auf­ge­zehrt hat, will ich mir mei­ne Bewer­tung von Caro­las (SE 1983, 1991) ‘Invin­ci­b­le’ fürs Fina­le auf­he­ben. Lie­ber schnell zu etwas Schö­nem: näm­lich eine das Herz berüh­ren­de Bal­kan­bal­la­de mit wun­der­schö­ner Instru­men­tie­rung namens ‘Lej­la’. Kein Wun­der, dass sie ein wenig an ‘Lane moje’ (RS 2004) erin­ner­te: Žel­j­ko Jok­si­mo­vić schrieb das Rühr­stück für den Bos­ni­er Hari Vareša­no­vić ali­as Hari Mata Hari. Der soll­te sein Hei­mat­land eigent­lich schon 1999 mit der eben­falls kitsch­trie­fen­den Ent­jung­fe­rungs­schnul­ze ‘Starac i More’ ver­tre­ten, wel­che aller­dings dis­qua­li­fi­ziert wur­de. Vareša­no­vić selbst kom­po­nier­te 2012 den slo­we­ni­schen Bei­trag ‘Ver­ja­men’ – ver­wun­dert da jemand das angeb­li­che Block­vo­ting auf dem Bal­kan noch ernst­haft? Optisch gab Hari zwar nicht so viel her, dafür trug der bos­ni­sche Block (die sich zunächst im Büh­nen­hin­ter­grund auf­hal­ten­den und aller­lei Instru­men­te “spie­len­den”; zum dra­ma­ti­schen Songfi­na­le nach vor­ne lau­fen­den und eine Abwehr­mau­er bil­den­den Chor­sän­ger) viel zum Gän­se­haut­fak­tor von ‘Lej­la’ bei. Inhalt­lich natür­lich eine tod­un­glück­li­che Lie­bes­ge­schich­te, atme­te der Song eine wun­der­ba­re bit­ter­sü­ße Melan­cho­lie. Blu­ten­des Herz auf höchs­tem Niveau: nie­mand lei­det so schön wie die Bosnier™!


Sah aus, als habe er die Nacht durch­ge­sof­fen: Hari Mata Hari (BA)

Lei­den muss­te auch Sil­via Nótt, näm­lich unter der Humor­lo­sig­keit und Iro­nie­resis­tenz Euro­pas. Dabei kam die islän­di­sche Come­dy-Queen, eine mit vol­ler Absicht unver­schäm­te Kunst­fi­gur, um den Con­test auf­zu­mi­schen und die Spie­ßer mit ihren Spaß­gue­ril­la-Aktio­nen zu ärgern. Bunt, laut und schrill und mit der rich­ti­gen Atti­tü­de (“I’ll fuck­ing say what I fuck­ing want!”) aus­ge­stat­tet, eine Kreu­zung aus Cin­dy Lau­per und Nina Hagen. Sen­sa­tio­nell ihre Büh­nen­show, die unter ande­rem eine Štik­la-Rut­sche, eine gol­de­ne Dusche (eine Anspie­lung auf ihre ange­piss­ten Geg­ner?) und ein Tele­fon für ihr Gespräch mit Gott (“It’s me, your favo­ri­te Per­son in the World”) beinhal­te­te. Sowie natür­lich ein Trick­kleid und sich unten­rum frei machen­de Tän­zer, einer von ihnen der Ehe­mann von Sel­ma Björns­dót­tir (IS 1999 + 2005), die das Gan­ze cho­reo­gra­fiert hatte.


My favo­ri­te Per­son in the World: Sil­via Night (IS)

Die skan­da­lö­sen, nicht zu über­hö­ren­den Buh­ru­fe, die ihren Auf­tritt beglei­te­ten, waren Fol­ge eines in den grie­chi­schen Medi­en breit­ge­tre­te­nen Zwi­schen­falls bei den Pro­ben. Ver­är­gert über die “fuck­ing Ama­teurs”, mit denen sie sich her­um­zu­schla­gen hat­te, belei­dig­te Sil­via angeb­lich einen der Büh­nen­ar­bei­ter mit eben die­sen Wor­ten. Wofür ich per­sön­lich nach mei­nen eige­nen Erfah­run­gen mit der Effi­zi­enz und Ser­vice­ori­en­tie­rung der Athe­ner Gas­tro­no­mie-Mit­ar­bei­ter ein gewis­ses Ver­ständ­nis auf­brin­ge. Lei­der erwie­sen sich die Grie­chen als weder kri­tik- noch ironiefähig.


Ganz gro­ßes Thea­ter! Sil­via, mei­ne Heldin!

Nach ihrem Aus­schei­den im Semi insze­nier­te die groß­ar­ti­ge Islän­de­rin noch in der Nacht direkt vor der Olym­pia­hal­le einen medi­en­wirk­sa­men Amok­lauf, den live zu beob­ach­ten ich das gro­ße Ver­gnü­gen hat­te und in des­sen Ver­lauf sie ihren Freund ohr­feig­te, vor lau­fen­den Kame­ras spuck­te (was das hel­le­ni­sche Fern­se­hen in Dau­er­ro­ta­ti­on zeig­te), ech­te Trä­nen ver­goß, die Zuschau­er beschimpf­te und Caro­la eine “fuck­ing ugly old Bitch from Swe­den” nann­te. Und allei­ne dafür, dass end­lich mal jemand die Wahr­heit aus­sprach, wer­de ich Sil­via bis ans Ende mei­ner Tage verehren!

ESC Semi­fi­na­le 2006

Euro­vi­si­on Song Con­test – Qua­li­fi­ka­ti­ons­run­de. Don­ners­tag, 18. Mai 2006, aus der Olym­pic Indoor Hal­le in Athen, Grie­chen­land. 24 Teil­neh­mer­län­der. Mode­ra­ti­on: Sakis Rou­vas und Maria Menounos.
#LandInter­pretTitelPunk­tePlatzQual.
01AMAndré Hov­nan­yanWit­hout your Love15006ja
02BGMaria­na PopovaLet me cry03617nein
03SIAnžej DežanMr. Nobo­dy04916nein
04ADJen­ny SerranoSen­se tu00823nein
05BYPoli­na SmolovaMum01022nein
06ABLuiz Ejl­liZjarr e ftohtë05814nein
07BEKate RyanJe t’a­do­re06912nein
08IEBryan Ken­ne­dyEvery Song is a Cry for Love07909ja
09CYAnnet Arta­niWhy Angels cry05715nein
10MCSéveri­ne FerrerLa Coco-Dance01421nein
11MKEle­na RisteskaNin­a­na­j­na07610ja
12PLIch Tro­je + Real McCoyFol­low my Heart07011nein
13RUDima BilanNever let you go21703ja
14TRSibel TüzünSüper Star09108ja
15UATina KarolShow me your Love14607ja
16FILor­diHard Rock Hallelujah29201ja
17NLTreb­leAmam­ban­da02220nein
18LTLT UnitedWe are the Winners16305ja
19PTNon­stopCoisas de nada02619nein
20SECaro­la HäggkvistInvin­ci­b­le21404ja
21EESan­dra OxenrydThrough my Window02818nein
22BAHari Mata HariLej­la26702ja
23ISSil­via NightCon­gra­tu­la­ti­ons06213nein

DVE 2006: Nor­disch by Nature

ESC Fina­le 2006: Hard Rock? Hallelujah! →

10 Comments

  • Stan­dard­satz aus der Jour­na­lis­ten­schu­le: Nur zehn Pro­zent der Leu­te ver­ste­hen Iro­nie, alle ande­ren neh­men es ernst. Das war wohl das Schick­sal, das Sil­via Night wider­fah­ren ist (eben­so wie Rodol­fo Chiki­licuat­re 2008). Wenn man beim ESC iro­nisch wer­den will, muss man den Vor­schlag­ham­mer raus­ho­len, so wie Ste­fan Raab 2000 oder Alf Poier 2003. Und bei Raab kann man davon aus­ge­hen, dass eine Men­ge Leu­te in Euro­pa, die ihn nicht kann­ten, das eben­falls ernst genom­men haben und ent­we­der abstraf­ten oder belohn­ten. Also, Iro­ni­ker Euro­pas: ihr habt euer Vor­bild! Es kommt aus – Öster­reich?! (Wie­so erin­nert mich das an die­se Sto­ry aus ‘Nul points’, der zufol­ge Jahn Tei­gen Chan­cen gehabt hät­te, Sän­ger bei Gene­sis zu wer­den? Ähn­li­cher Absurditätsfaktor.)

  • Humor­lo­sig­keit? Wur­de da das schwu­le Bedürf­nis nach Show, Glit­zer und Gla­mour mit den sich gera­de­zu über­schla­gen­den altern­den Diven und bil­li­gen ost­eu­ro­päi­schen Mädels noch immer nicht befrie­digt, als das man Euro­pa Humor­lo­sig­keit unter­stellt, weil sie die ult­ma­ti­ve Diva so schmäh­lich ver­ges­sen haben? Wie aber sind dann die vie­len Punk­ten für Litau­en und Finn­land zu erklä­ren, wenn nicht mit Iro­nie­fä­hig­keit und Humor? 😉

  • Treb­le Ich war damals ein gro­ßer Fan von Treb­le, obwohl ich sie nur über das Inter­net ver­fol­gen konn­te. Habe mich sehr über ihre Teil­nah­me gefreut und gehofft, sie im Fina­le zu sehen. Lei­der haben sich die Mädels dann doch nicht auf Musik und Aus­se­hen ver­las­sen, so daß Djem unnö­ti­ger­wei­se mit ihrem Hin­tern in die Kame­ra gewun­ken hat. Möch­te wis­sen, wel­cher ‘Bera­ter’ ihnen den Quatsch ein­ge­re­det hat. Ach ja, die Night war ein­fach nur doof. Lokal bekann­te Cha­rak­te­re funk­tio­nie­ren im Rest-Euro­pa nun­mal nicht (Aus­nah­me Ukrai­ne 2007).

  • […] Doms soll­ten beim Packen der Kof­fer für Athen die Leder­peit­sche nicht ver­ges­sen: wie der bri­ti­sche Inter­net-Klatsch­dienst Pop­bitch in seinem […]

  • […] Bür­ger­meis­ter und jet­zi­gen Prä­si­den­ten Lech Kac­zynsk unter­sag­ten – Para­de und die aktu­el­len Grand-Prix-Ver­tre­ter des Lan­des, Ich Tro­je, eröff­nen die Show. Im Anschluss gibt es Polen-Disco […]

  • […] nicht. Auch San­dra Oxen­ryd, die wegen offen­sicht­li­cher Chan­cen­lo­sig­keit im Hei­mat­land bereits 2006 nach Est­land aus­wich – und beim Grand Prix selbst­ver­ständ­lich im Semi ausschied – […]

  • […] macht. Trotz­dem wird es für das Fina­le lei­der nicht rei­chen, denn das hier ist Anžej Dežan (SI 2006) in Gold, und den hat es auch geschrägt. ◊ Aufrechtgehn.de-Wertung: 8 von 12 Punkten, […]

  • […] schwu­len Fans dies­mal mit einer lecke­ren Boy­group (Eden), aus wel­cher der israe­li­sche Ver­tre­ter von 2006, Eddie But­ler, und sein Bru­der Gabri­el her­aus­sta­chen. Mit dem Kib­buz-Dis­co-Stück ‘Hap­py […]

  • […] genau­so durch­ge­knallt wie sei­ne Inter­pre­tin, die­se wun­der­ba­re Mélan­ge aus Nina Hagen, Sil­via Night (IS 2006) und Bri­git­te Niel­sen! Anstel­le Schwe­dens ret­te­te die Jury dies­mal das benach­bar­te Finn­land (Platz […]

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