Deut­scher Vor­ent­scheid 2007: Du machst Dich lächerlich

Roger Cicero, DE 2007
Der Macho­zwerg: Roger Cicero.

Kapi­tu­la­ti­on: anders ließ sich der hilf­lo­se Umgang des für den deut­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid zustän­di­gen NDR unter sei­nem neu­en Unter­hal­tungs­chef Jan Schul­te-Kel­ling­haus beim bes­ten Wil­len nicht beschrei­ben. Nach dem dreis­ten Dieb­stahl des erfolg­rei­chen, charts­ori­en­tier­ten Kon­zep­tes von 2004 durch Ste­fan Raabs Bun­des­vi­si­on Song Con­test und der Schan­de von Kiew war man in Ham­burg heil­froh, die Ver­ant­wor­tung für die Sen­dung ab 2006 in die Hän­de des beken­nen­den Grand-Prix-Enthu­si­as­ten Tho­mas Her­manns legen zu kön­nen, wel­cher die cam­pe Show aus dem plü­schi­gen Deut­schen Schau­spiel­haus zu Ham­burg nicht nur mode­rier­te, son­dern von vor­ne bis hin­ten ent­wor­fen hat­te. Mit einer durch und durch retro­se­li­gen, gla­mou­rö­sen Gala ver­moch­te die­ser bei sei­ner letzt­jäh­ri­gen Pre­miè­re die wei­test­ge­hen­de Abkop­pe­lung des Teil­neh­men­den­fel­des vom aktu­el­len Musik­ge­sche­hen noch geschickt zu kaschie­ren. Wobei ihm dabei die loka­le Band Texas Light­ning half, mit deren herz­er­wär­men­dem Coun­try­schla­ger ‘No no never’ sich die Nati­on voll und ganz iden­ti­fi­zie­ren konn­te. Der heu­ri­ge zwei­te Auf­guss geriet jedoch erwart­bar schal, was sich bereits an der mit Pao­la sowie den TV-Mode­ra­to­rin­nen Susan­ne Fröh­lich und Kiwi ent­täu­schend besetz­ten Plau­der­couch bemerk­bar mach­te, die noch nicht mal der von der Erst­sen­dung übrig geblie­be­ne Georg Uecker merk­lich auf­quee­ren konnte.

Am Welt­frau­en­tag gewinnt ein Chau­vi­nist: der deut­sche Vor­ent­scheid 2007 (gan­ze Show).

Auch beim rest­li­chen Rah­men­pro­gramm zeig­te sich, dass Her­manns sein gan­zes glän­zen­des Retro-Pul­ver bereits 2006 voll­stän­dig ver­schos­sen hat­te: das Grand-Prix-Med­ley der pas­send zum Welt­frau­en­tag in tief­ge­schnit­te­nen Mie­dern auf­tre­ten­den skan­di­na­vi­schen Schla­ger­schach­teln Git­te, Siw und Wen­cke geriet irgend­wie hake­lig, die als ehe­ma­li­ge ESC-Sie­ger gebuch­ten (und annon­cier­ten) Bucks Fizz lie­ßen sich offen­sicht­lich von ihren Stunt-Dou­bles ver­tre­ten, und die als Umschlag­über­brin­ge­rin­nen ein­ge­setz­ten Kess­ler-Zwil­lin­ge durf­ten kaum etwas Essen­ti­el­les zur Sen­dung bei­tra­gen. Dass die drei Bewerber:innen für das Ticket nach Hel­sin­ki erneut zunächst jeweils einen Euro­vi­si­ons­klas­si­ker mas­sa­krie­ren muss­ten, bevor sie ihre eigent­li­chen Bei­trä­ge sin­gen durf­ten, erwies sich als unent­schuld­ba­re Schi­ka­ne gegen­über den Zuschauer:innen. Denn alle drei lie­fer­ten, sagen wir ein­mal, sehr freie Inter­pre­ta­tio­nen eigent­lich sakro­sank­ter Grand-Prix-Per­len ab, die mir als in der Wol­le gefärb­ter Fan in der See­le schmerz­ten. So wie bei der als Fei­gen­blatt für die Jugend von Her­manns Hei­mat­sen­der Pro­Sie­ben zuge­lie­fer­ten Girl­group Mon­ro­se, die sich in kri­mi­nel­ler Wei­se an ‘Wun­der gibt es immer wie­der’ verging.

Kat­zen­ge­sän­ge auf Blu­men­schau­keln: der blü­mer­an­te Auf­tritt von Monrose.

Die aus der Cas­ting­show Pop­stars her­vor­ge­gan­ge­ne Retor­ten­for­ma­ti­on spe­ku­lier­te nur weni­ge Mona­te nach ihrer dor­ti­gen Sie­ge­rin­nen­kür mit Hil­fe der Vor­ent­schei­dungs­teil­nah­me vor dem für sol­che Acts übli­cher­wei­se sehr zeit­na­hen Ende der öffent­li­chen Auf­merk­sam­keits­span­ne wohl auf einen schnel­len zwei­ten Hit. Lei­der ent­schie­den sich die drei Mädels um die aus der Frank­fur­ter Hoch­haus­sied­lung Nord­west­stadt stam­men­de Sen­na Gamm­our, die wie so vie­le Ex-Stars mitt­ler­wei­le lei­der zu den Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­rin­nen zählt, aus schie­rer Mate­ri­al­not aus­ge­rech­net für das blut­leer-plin­ke­ri­ge ‘Even Hea­ven cries’. Ein kapi­ta­ler Feh­ler: weiß man doch im Pop­busi­ness, dass man die Bal­la­de immer erst als drit­te Sin­gle aus­kop­peln darf! Zudem wirk­ten sie beim Live-Auf­tritt so ver­ängs­tigt, als stün­de ihr Mana­ger mit dem Rohr­stock hin­ter der Büh­ne, für den Fall, dass sie es ver­gei­gen. Letz­ten Endes bra­chen jedoch ihre Schöp­fer ihnen das Genick: Pro­Sie­ben zeig­te par­al­lel zum deut­schen Vor­ent­scheid das Fina­le der quo­ten­star­ken Buli­mie-Dau­er­wer­be­sen­dung Germany’s next Top­mo­del. So dass ihre dort zuschau­en­de Haupt­ziel­grup­pe, näm­lich prä- und post­pu­ber­tä­re Mäd­chen, erst gar kei­ne Notiz von die­sem Auf­tritt nahm. Und ent­spre­chend auch nicht anrief. Tröst­lich für Mon­ro­se: trotz des “nur” zwei­ten Plat­zes beim Vor­ent­scheid ging so die Kar­rie­re wei­ter, die meis­ten ihrer Fans dürf­ten vom ihrem Grand-Prix-Flirt bis heu­te nichts wissen.

HRK, hier im bekann­ten Intel­lek­tu­el­len­treff­punkt “Fern­seh­gar­ten”.

Wel­che Ziel­grup­pe Heinz-Rudolf Kun­ze (sein leuk­ämi­sches ESC-Cover: ‘Mer­ci Che­rie’) anspre­chen woll­te, bleibt schlei­er­haft. Alle, die womög­lich in einem Anfall von Geschmacks­ver­ir­rung irgend­wann mal sei­nen ein­zi­gen bekann­ten Hit ‘Dein ist mein gan­zes Herz’ kauf­ten, einen nur sehr faden­schei­nig als augen­zwin­kernd gemeint getarn­ten Roman­tik­kitsch­schla­ger, dürf­ten mitt­ler­wei­le schon lan­ge tot sein. ‘Die Welt ist Pop’ hieß sein Euro­vi­si­ons­vor­schlag: Ha ha. Ha. Denn was er da ablie­fer­te, war natür­lich gera­de eben kein Pop, son­dern ver­quas­ter, muf­fi­ger Stu­di­en­rats­rock, wie immer bei HRK. Musi­ka­lisch, wenn man hier über­haupt von Musik reden kann, bei den Rol­ling Stones (‘Start me up’) abge­kup­fert und mit einem Text ver­se­hen, der so ein biss­chen auf das aktu­el­le Zeit­ge­sche­hen rund um das “deut­sche Som­mer­mär­chen” 2006 anspiel­te, ohne sich zu ent­schei­den, ob er das kri­ti­sie­ren oder beju­beln woll­te. Ist halt auch zu ärger­lich für einen ver­bit­ter­ten alten Pop-Intel­lek­tu­el­len der Spex-Schu­le, dass er an der sei­ner­zeit vor­herr­schen­den, ver­spiel­ten Leich­tig­keit des Seins rund um eine Gene­ra­ti­on von Neo-NDW-Bands wie Mia. oder Ich & Ich, die mit ‘Vom sel­ben Stern’ 2007 einen der meist­ver­kauf­ten Hits des Jah­res hat­ten, nicht par­ti­zi­pie­ren durf­te und sei­nen dies­be­züg­li­chen Neid not­dürf­tig hin­ter vor­geb­li­cher Iro­nie ver­ste­cken muss­te. Mitt­ler­wei­le tin­gelt HRK als einer der zahl­lo­sen wei­ßen alten Hete­ro­män­ner durch die Talk­shows und gif­tet mit Sät­zen wie “eine Form von Toll­wut” gegen gesell­schaft­li­chen Fort­schritt in Form von inklu­si­ver Sprache.

Zieht einem die Schu­he aus: Roger Cicero.

An die­ser Stel­le nun muss ich es offen zuge­ben: ich bin ein sexis­ti­sches, hete­ro­pho­bes Schwein. Män­ner, die sich wie der Jaz­zer Roger Cice­ro in sei­nem Bei­trag ‘Frau­en regier’n die Welt’ vor den Damen klein machen und sie zu heim­li­chen Herr­sche­rin­nen erklä­ren, und sei es auch nur, um sie in die Kis­te zu krie­gen, rufen in mir Abscheu und Ver­ach­tung her­vor. Vor allem, wenn die­se – so wie Herr Cice­ro – gut genug aus­se­hen, so dass sie eigent­lich die Wahl hät­ten. Attrak­ti­ve Ker­le gehö­ren ange­be­tet, auf Hän­den getra­gen, hofiert. Oder, wie die wei­se Mar­git Spon­hei­mer es einst so tref­fend for­mu­lier­te: ‘Nen Mann muss mer ver­wöh­ne’! Damit ich nicht miss­ver­stan­den wer­de: von mir aus kön­nen Frau­en die Welt ger­ne regie­ren, in der Poli­tik, in der Wirt­schaft, beim Euro­vi­si­on Song Con­test. Aber nicht in der Lie­be. Dass Hete­ro­ker­le vor Frau­en so kuschen, vor allem, wo sie doch mich haben könn­ten, macht mich porös. Musi­ka­lisch war Rogers von den Damen auf dem Hermann’schen Plau­der­so­fa uni­so­no als frisch, anders und mutig gelob­ter Sound eigent­lich schon längst wie­der durch: das Retro­al­bum ‘Swing when you’­re win­ning’ von Rob­bie Wil­liams, der damit ein zir­ka drei­mo­na­ti­ges inter­na­tio­na­les Revi­val aus­lös­te, erschien bereits 2001!

Natür­lich ist das Ori­gi­nal von Frank und Nan­cy Sina­tra unschlag­bar, aber Rob­bie Wil­liams über­zeugt mit einem der herr­lichs­ten Musik­vi­de­os aller Zei­ten (Reper­toire­bei­spiel).

Cice­ro, des­sen Grand-Prix-Cover von ‘Zwei klei­ne Ita­lie­ner’ auch mit viel gutem Wil­len bes­ten­falls als expe­ri­men­tel­le Free-Jazz-Ver­stüm­me­lung bezeich­net wer­den kann und der im Green-Room-Inter­view wäh­rend der Abstim­mungs­pha­se dafür warb, die (hof­fent­lich für ihn abstim­men­den) Müt­ter mögen doch bit­te ihren Töch­tern die Han­dys weg­neh­men, rech­ne­te vor­ab wohl eben­so sehr mit einem Erd­rutsch­sieg von Mon­ro­se wie die Cas­ting-Mädels selbst. Dass am Ende er mit über zwei Drit­teln der Stim­men gewann, wäh­rend die aus allen Wol­ken gefal­le­nen Damen bedep­pert drein­blick­ten, ver­wun­dert aller­dings im Rück­blick nicht: der Haupt­ziel­grup­pe des Rent­ner­sen­ders Das Ers­te bescher­te das von Herrn Zit­zen­froh prä­sen­tier­te musi­ka­li­sche wie inhalt­li­che (Frauen-)Bild der Drei­ßi­ger­jah­re (“Und dann kaufst Du ’n Ring und ’nen Nerz”), für wel­ches ihm die Emma berech­tig­ter­wei­se den “Pascha des Monats” ver­lieh, ver­mut­lich der­ma­ßen woh­li­ge Erin­ne­run­gen an die eige­ne Hit­ler­ju­gend, dass sie in Scha­ren anrie­fen. Aber Haupt­sa­che, die Zuschauer:innen ver­hin­der­ten das optisch-musi­ka­li­sche Gesamt­grau­en HRK (was kommt als nächs­tes: Pur?). Und natür­lich hät­ten Mon­ro­se mit ihrer schnar­chi­gen Bal­la­de in Hel­sin­ki die Wurst eben­so wenig vom Tel­ler gezo­gen wie Roger, der erschüt­tern­der Wei­se im Jah­re 2016 im Alter von nur 46 an einem Hirn­schlag verstarb.

Ein­zi­ger Höhe­punkt des ESC-Auf­tritts: bei Minu­te 1:22 fällt dem Tromm­ler vor Lan­ge­wei­le der Schle­gel aus der Hand.

Deut­sche Vor­ent­schei­dung 2007

Der deut­sche Vor­ent­scheid. Frei­tag, 8. März 2007, aus dem Deut­schen Schau­spiel­haus in Ham­burg. Drei Teilnehmer:innen, Mode­ra­ti­on: Tho­mas Her­manns. Televoting.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­tePlatzCharts
01Heinz Rudolf KunzeDie Welt ist Pop10 %03-
02Mon­ro­seEven Hea­ven cries20 %0206
03Roger Cice­roFrau­en regi­ern die Welt70 %0107

Hin­weis zur Tabel­le: die Pro­zent­an­ga­ben sind inof­fi­zi­el­le Nähe­rungs­wer­te nach Anga­ben des Spie­gel. Der NDR selbst gab nur den Sie­ger bekannt, aber kei­ne Einzelergebnisse.

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 12.11.2022

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7 Comments

  • hi Mon­ro­se wur­den nicht letz­ter!!! Ich als­Fan sag das!!!! Nei­un das darf nichtr wahr sein die dür­fen nicht letz­ter gewe­sen sein!!!! Nicht hin­ter dem pop scheiß da von häss­lich­keits kun­ze!!! bahar sag­te in einem Interv wie das sie hin­ter Cice­ro 2 wur­den!!! mfg pasi ps wären Mon­ro­se doch eher mit ‘do that dance’ oder schon da Hot sum­mer angetret­ten;) das mit der Bal­la­de war doch eh shcon hin die hat­ten als ers­te Sin­gle schon eine Bal­la­de damit hät­ten sie auch antret­ten kön­nen aber sie trat­ten mit eveavn haven cries an wo Man­dy am schluss extrem geil abging da gab es gän­ze­haut:) jetzt wol­len sie aber nicht mehr zum esc sag­te Bahar zu mir im Chat sie mein­te man sieht ja was mit denn Ver­lie­ren pas­siert;) (damit mein sie die no angels) und Mon­ro­se die wur­den danach so tot­ge­schrie­ben alles vor­bei und bla bla Mon­ro­se hat­ten ihren Hit:) bei denn o angels weiß ich es net^^ die kön­nen Ruhig untergehen;)

  • […] Euro­vi­si­ons­ver­tre­ter Roger Cice­ro und Grand-Prix-Legen­de Ralph Sie­gel wur­den beim Echo 2007 aus­ge­zeich­net. Nun erhält […]

  • […] mit 52% klar für sich ent­schei­den, was aber gar nichts heißt. Nach dem Mon­ro­se-Desas­ter von 2007 hege ich zudem Zwei­fel, ob die eher jugend­li­che, eher weib­li­che Cine­ma-Bizar­re-Ziel­grup­pe am 6. […]

  • […] von Wild Girls – auf Stö­ckeln durch Afri­ka gehö­ren unter ande­rem Sen­na Guemm­our, die 2007 als Teil der Girl­group Mon­ro­se mit ‘Even Hea­ven cries’ in der deutschen […]

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