Deut­scher Vor­ent­scheid 2009: Kiss, Fist, Gang-Bang

Alex Christensen, Oscar Loya, DE 2009
Der Por­no­graf: Alex Christensen.

Von einer “Krea­tiv­pau­se” war sei­tens des NDR die Rede. Und von der Chan­ce, nach der Bla­ma­ge von Bel­grad und nach­dem der Pro­Sie­ben-Come­di­an Tho­mas Her­manns, an wel­chen der Sen­der den deut­schen Vor­ent­scheid in den letz­ten drei Jah­ren out­ges­our­cet hat­te, den Bet­tel hin­warf, mit dem Ver­zicht auf einen öffent­li­chen Vor­ent­scheid end­lich ech­te Mega­stars zum Con­test zu locken. Eta­blier­te Künstler:innen also, die sich nicht mit einer Nie­der­la­ge in der Publi­kums­ab­stim­mung die Kar­rie­re kaputt machen woll­ten und daher sonst immer knif­fen. Und so tag­te statt­des­sen eine funk­haus­in­ter­ne Jury unter Vor­sitz des NDR-Unter­hal­tungs­chefs Tho­mas Qui­bel­dey und ent­scheid sich unter den Ton­nen von Ein­sen­dun­gen für einen ganz, ganz gro­ßen Namen. Atem­lo­se Span­nung, ima­gi­nä­rer Trom­mel­wir­bel, Tusch: Oscar Loya. Jawohl, mei­ne Damen und Her­ren, der Oscar Loya! Wie jetzt, den kann­ten Sie nicht? Noch nie vor­her gehört? Macht nichts, der sang auch nur. Ent­schei­den­der war der Kom­po­nist: Alex Chris­ten­sen. Den ken­nen Sie jetzt aber! Der deut­sche Kom­merz­tech­no­pio­nier, der schon Mil­lio­nen von Plat­ten ver­kauf­te und Hits schrieb wie ‘Das Boot’ (oh, das war eine Cover­ver­si­on) oder das text­lich anspruchs­vol­le ‘Du hast den schöns­ten Arsch der Welt’: okay, auch nur ein Rip­off des Neun­zi­ger­jah­re-Hits ‘Runa­way’ von den Sound­l­overs, aber bewei­sen Sie das mal!

Das Vor­bild für den deut­schen Euro­vi­si­ons­bei­trag 2009: ein James-Bond-Song von 1965.

Exakt jener Alex C. also, der letz­tes Jahr nach der Bla­ma­ge von Bel­grad den NDR noch harsch öffent­lich kri­ti­sier­te und den der ARD-Unter­hal­tungs­chef und neue deut­sche ESC-Beauf­trag­te Tho­mas Schrei­ber dar­auf­hin nach dem Mot­to “dann mach’s doch bes­ser” zur Teil­nah­me auf­for­der­te, der sieg­te nun beim “anony­men” Aus­wahl­ver­fah­ren. Zufäl­le gibt’s! Er stand also nun beim Grand Prix mit Oscar Loya zusam­men im Ram­pen­licht. Oder viel­mehr: er saß am Kla­vier. Und reih­te sich damit naht­los ein in die Gale­rie der deut­schen Grand-Prix-Kom­po­nis­ten mit Pro­fil­neu­ro­se: ob Ralph Sie­gel (1980 und 1982 eben­falls am Kla­vier) oder Ste­fan Raab (1998 am Takt­stock, 2004 an der Gitar­re) – der Anzie­hungs­kraft der Euro­vi­si­ons­büh­ne ent­zieht sich so schnell kei­ner. Im Inter­view mit dem Ham­bur­ger Abend­blatt zeig­te sich Herr C. im Vor­feld sehr über­zeugt von sei­nem Grand-Prix-Bei­trag: “ ‘Miss Kiss Kiss Bang’ ist der bes­te Song, den ich seit Ewig­kei­ten geschrie­ben habe,” sag­te er der Zei­tung. Nun ist “Schrei­ben” eine etwas eigen­wil­li­ge Bezeich­nung für den krea­ti­ven Pro­zess des Zusam­men­fü­gens drei­er bereits vor­han­de­ner Pop­stü­cke. Näm­lich Shir­ley Bas­seys abge­lehn­tem Titel­song ‘Mis­ter Kiss Kiss Bang Bang’ für den 1965er James-Bond-Strei­fen ‘Feu­er­ball’ sowie den 1999er Hits ‘Livin’ la Vida loca’ und ‘Mam­bo No. Five’ in der Neu­be­ar­bei­tung von Lou Bega. Damit auch der Dümms­te die Rol­len­ver­tei­lung zwi­schen den Bei­den kapie­re, nann­te sich das Duo Alex swings! Oscar sings!

Live beim Echo: Alex schwingt, Oscar singt (naja, mimt)

Die offi­zi­el­le Song­prä­sen­ta­ti­on im Rah­men der im Ers­ten über­tra­ge­nen Echo-Ver­lei­hung ging dann schon mal gran­di­os in die Hose: “Ger­ma­ny: two Points” fass­te Mode­ra­tor Oli­ver Pocher (was hat­te der eigent­lich gegen die ARD in der Hand, dass man ihn immer wie­der vor die Kame­ra ließ?) den Voll­play­back-Auf­tritt und die mehr als ver­hal­te­ne Reak­ti­on des im Saal sit­zen­den Fach­pu­bli­kums, ange­sichts derer Alex C. wun­der­schön die Gesichts­zü­ge ent­glit­ten, tref­fend zusam­men. Zwar fuh­ren ASOS eine durch­aus stim­mi­ge Cho­reo­gra­fie auf, mit deut­lich mehr als den in Mos­kau erlaub­ten sechs Per­so­nen auf der Büh­ne. Dafür aber per­form­te Oscar Loya steif und ver­krampft. Und hin­ter­ließ einen “arro­gan­ten” Ein­druck, wie sich in ers­ten Fan­re­ak­tio­nen mehr­fach lesen ließ. Zudem leis­te­te die beauf­trag­te Pro­duk­ti­ons­fir­ma MME eine kata­stro­pha­le Kame­ra­ar­beit und war fast immer am fal­schen Platz. Sowie viel zu oft auf Alex C., des­sen Anwe­sen­heit auf der Büh­ne schlicht­weg über­flüs­sig war. Ein spä­te­rer Auf­tritt bei der NDR-Talk­show bestä­tig­te dann zwei­er­lei: näm­lich einer­seits, dass Herr Chris­ten­sen tat­säch­lich unter einer mas­si­ven Pro­fil­neu­ro­se lei­det und sich als den eigent­li­chen Star betrach­te­te. Oder, wie die Abend­schau es takt­voll aus­drück­te: “Loya über­nimmt den Rest. Sprich: sin­gen, tan­zen, step­pen und einen wei­ßen Anzug tra­gen. Das sind Din­ge, die der aus Kali­for­ni­en stam­men­de Wahl-Münch­ner gelernt hat”. Und, zwei­tens, dass Loya live sehr schnell an sei­ne stimm­li­chen Gren­zen gelangt.

Der Video­clip: Und immer schön blank zie­hen, Oscar!

Anschlie­ßend dreh­te man auf Kuba sogar ein Musik­vi­deo, in dem ASOS so taten, als unter­näh­men sie exakt jene – für eine gute Grand-Prix-Plat­zie­rung mehr als hilf­rei­che – Pro­mo­ti­on­tour durch Euro­pa, die zu orga­ni­sie­ren der NDR im ech­ten Leben mal wie­der zu dumm, zu faul oder zu gei­zig war. Aber in Ham­burg woll­te man den Euro­vi­si­on Song Con­test ohne­hin um kei­nen Preis der Welt aus­rich­ten müs­sen. Abschlie­ßend lüf­tet aufrechtgehn.de noch das Geheim­nis, wie es über­haupt zur Zusam­men­ar­beit des deut­schen Tech­noma­ckers und des ame­ri­ka­ni­schen Musi­cal­sän­gers kam. Dar­über gab näm­lich die Home­page des in einer süd­ka­li­for­ni­schen Klein­stadt auf­ge­wach­se­nen Lati­nos in sehr offen­her­zi­ger Wei­se Aus­kunft. Nach einer zu Trä­nen rüh­ren­den Dar­stel­lung der ent­beh­rungs­rei­chen Jugend Loyas schil­der­te die­se sei­nen durch einen Umzug nach New York ins Rol­len gebrach­ten Kar­rie­re­start: “Nach nur vier Wochen (…) wur­de er auf den Stra­ßen des Broad­way ent­deckt. Ein bekann­ter Pro­du­zent sprach den smar­ten Neu­ling an.” Por­no-Alex, der ihn nach dem Preis frag­te? Für “Kiss, Fist, Gang Bang”? Das sind doch Geschich­ten, die das Leben schreibt! Kom­mer­zi­ell konn­te Alex übri­gens nicht ganz an den ‘Schöns­ten Arsch der Welt’ anknüp­fen: Platz 27 in den deut­schen Ver­kaufs­charts für ASOS’ Grand-Prix-Bei­trag (nur zum Ver­gleich: die erfolg­reichs­te deut­sche Pro­duk­ti­on in den Jah­res­charts hieß ‘Haus am See’ von Peter Fox).

Künst­le­risch gereift: Oscar Loya 2011 beim Frank­fur­ter CSD

Deut­sche Vor­ent­schei­dung 2009

Echo. Sams­tag, 21. Febru­ar 2009, aus der O2-Are­na in Ber­lin. Ein Teil­neh­mer, Mode­ra­ti­on: Bar­ba­ra Schö­ne­ber­ger und Oli­ver Pocher (Song­prä­sen­ta­ti­on im Rah­men der Show).

Zuletzt aktua­li­siert: 13.11.2022

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1 Comment

  • […] Dass der Däne Jakob Sveis­trup mit sei­nem drö­gen Diät­r­eg­gae über­haupt ins Fina­le kam, erbos­te mich. Auch wenn er per­sön­lich ja sym­pa­thisch und sein ‘Tal­king to you’ wäh­rend der ers­ten Stro­phe noch erträg­lich wirk­te: spä­tes­tens, wenn der Refrain ein­setzt, ist es mit mei­ner Tole­ranz vor­bei. Dass er es auch noch hier unter die Top Ten schaff­te, damit bin ich nicht ein­ver­stan­den. Um so mehr freu­te mich das ver­dien­te schlech­te Abschnei­den des schwe­di­schen Bei­trags. Die eigent­li­che Sie­ge­rin des Melo­di­fes­ti­valen in die­sem Jahr hieß Nan­ne Grön­vall (SE 1996): ihr fan­tas­ti­sches ‘Håll om mig’ erhielt fast dop­pelt so vie­le Stim­men wie der Zweit­plat­zier­te Mar­tin Sten­marck, den die SVT-Jury in bela­rus­si­scher Manier den­noch gegen die brei­te Publi­kums­mehr­heit nach Kiew mani­pu­lier­te, wo er mit einer swin­g­ori­en­tier­ten Caba­ret­num­mer über das bekann­te skan­di­na­vi­sche Spie­ler­pa­ra­dies ‘Las Vegas’ die Men­schen befrem­de­te. Ob sein Her­um­ge­fuch­tel mit einem neon­be­leuch­te­ten Mikro­fon­stän­der eine Remi­nis­zenz an sei­ne stan­gen­tan­zen­de Lands­frau Lena Phil­lip­son (2004) dar­stel­len soll­te? Oder hoff­te er, vom gras­sie­ren­den Star-Wars-Fie­ber (Die Rache der Sith) zu pro­fi­tie­ren? Nutz­te jeden­falls nix, denn auf Swing regiert Euro­pa nun mal all­er­gisch – ob der NDR das nun glaubt oder nicht! […]

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