Per­len der Vor­ent­schei­dung: Ave Hel­ve­tia, Mori­tu­ri te salutant

Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag um Mit­ter­nacht schlos­sen sich die Pfor­ten zum Schwei­zer Hades: Fris­ten­de für den Inter­net-Vor-Vor­ent­scheid. Erwart­bar erweck­te die dadurch ent­stan­de­ne Tor­schluss­pa­nik all die Musik­zom­bies zum Leben, wel­che die­sen Fried­hof der Pop­mu­sik so ger­ne bevöl­kern: die Chan­cen­lo­sen, die Tra­gi­schen und die Geschei­ter­ten. Zu den bis Mit­te Okto­ber bereits gesich­te­ten fünf­zig Titeln kamen noch mal über hun­dert neue hin­zu, wes­we­gen ich um Nach­sicht bit­te, dass ich zwei Tage zur ergän­zen­den Werk­schau brauch­te: so vie­le Abgrün­de erträgt kein Mensch auf ein­mal! Begin­nen wir mit den (hüs­tel) gro­ßen Namen: Annet Arta­ni! Die US-Diseu­se, die 2006 im üppi­gen bibo­gel­ben Abend­kleid eine zyni­sche zypri­sche Welt­hun­ger­bal­la­de (‘When Angels cry’) krächz­te, scheint mitt­ler­wei­le so ver­zwei­felt zu sein, dass sie es sogar in der Schweiz ver­sucht, dem Ele­fan­ten­fried­hof abge­half­ter­ter Euro­vi­si­ons-Has-Beens. Ihre dies­jäh­ri­ge Upt­em­po­num­mer ‘You got what I need’ döp­pelt so vor sich hin. Stört nicht und beschwingt beim Staub­saugen. Mehr aller­dings nicht.


Trotz der Nase: zu einer neu­en Céli­ne reicht es lei­der nicht, Daria!

Auch die Aschaf­fen­bur­ge­rin Daria Kin­zer (‘Cele­bra­te’HR 2011) ver­sucht es noch mal. Ihr Song ‘Some­bo­dy like you’ kann sich nicht zwi­schen Upt­em­po und pom­pö­ser Bal­la­de ent­schei­den und ver­sagt in bei­den Kate­go­rien. Die aus­ge­bil­de­te Musi­cal­sän­ge­rin Daria, bei uns gera­de mit einem Dis­co­fox-Schla­ger­al­bum am Start, über­per­formt so unglaub­wür­dig wie immer. Über­ra­schend schlich sich sogar der ser­bi­sche Seri­en­tä­ter Žel­j­ko Jok­si­mo­vić (RS 2004 und 2012) ein, wenn auch unter dem Tarn­na­men Nan­do und mit einem halb­ga­ren, ange­rock­ten Mid­tem­po­song ohne Hook und Stim­me namens ‘Ota­ge’. Außer­halb diver­ser CSDs unbe­kannt, bei ESC-Fan-Con­ven­ti­ons und offe­nen Talent­wett­be­wer­ben wie der Schwei­zer Vor­ent­schei­dung jedoch gefürch­tet ist der Deut­sche Flum­mi­tech­no­künst­ler Mave O’Rick. Sein aktu­el­ler Bei­trag ‘Dancin” lässt beson­ders erschau­dern: trotz eng­li­schen Titels singt er (eine Art von) Deutsch und berich­tet uns von sei­nem dro­gen­in­du­zier­ten Hirn­haut­brand. Das erklärt so einiges![ref]Wobei das Bürsch­lein tat­säch­lich sogar was auf dem Kas­ten zu haben scheint, wie sein extrem reflek­tier­tes Inter­view mit dem öster­rei­chi­schen Song-Con­test-Con­sul­tant Mario Lack­ner beweist.[/ref] Auch ohne Lys Assia scheint es Ralph Sie­gel nicht las­sen zu kön­nen: der Kitsch­song ‘Tog­e­ther fore­ver’ fängt mit einem Beat und Akkor­de­on viel­ver­spre­chend an, dann aber fol­gen aus­ge­lutsch­tes­te Welt­frie­dens­ly­rics und ein etwas abge­lei­er­ter Refrain. Und spä­tes­tens beim Grup­pen­na­me 3 for all ist son­nen­klar: das kann nur vom Mün­che­ner Meis­ter stammen!


Die­ser Augen­auf­schlag! Seufz! Lie­be Schwei­zer, bit­te wählt den in den Vorentscheid!

Wobei, an alber­nen Grup­pen­na­men ist der Vor­ent­scheid nicht arm: da wäre das tra­gisch schlech­te, que­e­re bri­ti­sche Dance-Pro­jekt Diva Fever mit dem ultra­cam­pen Guil­ty Plea­su­re ‘Dance Flo­or Lover’, das Folk-Trio Frei, Würms & Mela­nie mit einem hüb­schen hand­ge­mach­ten Video am Tüm­pel und einer hüb­schen lyri­schen Anspie­lung auf das Gast­ge­ber­land (“Drank too much Gam­mel­dansk”) sowie der nach Ber­lin aus­ge­wan­der­te Schwei­zer Chan­son­nier Micha­el Hasen­fratz: ein pos­sier­li­ches Kerl­chen mit einem pos­sier­li­chen Namen und einem pos­sier­li­chen Pop­schla­ger namens ‘Dini Wält’. Im zuge­hö­ri­gen Video ver­liebt er sich einen eben­so pos­sier­li­chen Grob­mo­to­ri­ker und möch­te des­sen Welt erkun­den – soweit ich das rich­tig inter­pre­tie­re. Da ich vom fremd­spra­chi­gen (schwei­zer­deut­schen) Text kein ein­zi­ges Wort ver­ste­he, bin ich hier auf (mög­li­cher­wei­se von Wunsch­den­ken bestimm­te) Mut­ma­ßun­gen ange­wie­sen. Der süße Hasen­fratz eröff­net zugleich den Rei­gen der Typisch-Schweiz-Bei­trä­ge. Dazu zählt auch der älte­re Bru­der des deut­schen Polit-Tal­kers Frank Plas­berg (Hart aber fair), der im Nach­bar­land eine Wäsche­rei betreibt und gemein­sam mit sei­nem Wash-Team und einem relax­ten Wer­be­jing­le namens ‘Wash wash wash’ antritt: Volks­mu­sik meets Steel­drums! Aisha (LV 2010) her­ge­schaut: so sehen fröh­li­che Wasch­wei­ber aus!


Don’t call her Schnit­zel: jeder kennt Maria Chris­ti­na! Du jetzt auch!

Arx­ple­ndi­da sind drei gestan­de­ne Schwei­zer Herren[ref]Tatsächlich: Mit­glie­der einer Studentenverbindung[/ref] in Zir­kus­domp­teur-Uni­for­men, einer davon vom Typ „Lang­haa­ri­ger Bom­ben­le­ger“, die in ‘Mer­cu­rii diei’ zu amt­li­chem Hard­rock auf Latein (!!!) von einem ver­gnüg­li­chen Mitt­woch­abend in der Wald­schän­ke sin­gen. Rund­weg groß­ar­tig! Wehe Dir, Du nennst sie Eva oder Tere­sa: die schät­zungs­wei­se 65jährige, gehör­ge­schä­dig­te (hat die es gut!) Far­mers­les­be Maria Chris­ti­na lässt sich in ihrem aus­ge­spro­chen ein­gän­gi­gen, hübsch medi­ter­ra­ni­sier­ten Dis­co­schla­ger (mit lei­der etwas hol­pe­ri­gem Refrain) im Kuh­stall von ihren schwu­len Knech­ten als ‘Super­di­va’ umtan­zen. Der que­e­re Bau­ern­hof – wie fabel­haft! Auf die Spit­ze trei­ben es aller­dings Lisa Stoll und ihre Sän­ger­freun­de: eine alp­horn­spie­len­de (!) Sen­ne­rin mit asym­me­tri­schem Koch­topf­haar­schnitt, vier jodeln­de (!) Kell­ner in Lan­des­tracht, mit Ohr­rin­gen in Form von Schöpf­kel­len (für das Käse­fon­due?), die Dis­co-Zither (!), ein simp­ler, leicht merk­ba­rer Text (die kom­plet­ten Lyrics: “Moun­ta­ins / We love the Moun­ta­ins / The beau­tiful Moun­ta­ins”) und eine vor­schrifts­mä­ßi­ge Grand-Prix-Rückung! Und das alles vor der atem­be­rau­ben­den Kulis­se der Schwei­zer ‘Moun­ta­ins’. Sie wer­den mir frag­los zustim­men: pit­to­res­ker geht es beim bes­ten Wil­len nicht mehr!


Die Swiss Lady (CH 1977) rel­oa­ded: mein aktu­el­ler Lieb­lings­bei­trag 2014!

Eben­falls kul­tig, wenn auch alles ande­re als typisch schwei­ze­risch ist der ‘Ding Dong Euro­song’ des mitt­ler­wei­le in Ber­lin leben­den Frank­fur­ter Musik­ka­ba­ret­tis­ten Horst Blue, bekannt unter ande­rem von “Kein Lied für Ger­ma­ny”. Sei­ne wun­der­voll beschwing­te Grand-Prix-Hom­mage zitiert die schöns­ten dada­is­ti­schen Sinn­los-Tex­te von ‘La la la’ bis ‘Ding A Dong’ und ver­webt sie zu einem brand­neu­en, fun­keln­den Euro­vi­si­ons­ju­wel. Gran­di­os! Eine Erwäh­nung ehren­hal­ber ver­die­nen außer­dem Unort, die mit der leicht ver­stö­ren­den Elek­tro­num­mer ‘Care’ bes­ser beim Eesti Laul auf­ge­ho­ben wären, der knuf­fi­ge Nord­ire Micha­el James mit der fut­ti­gen Jonas-Glad­ni­koff-Euro­dance-Pro­duk­ti­on ‘It’s not impos­si­ble’ sowie zu guter Letzt Nata­lia Woh­ler: ihr Bei­trag ‘Hearts igni­te’ gehört zwar ganz sicher nicht zu den Per­len der Vor­ent­schei­dung – für das dazu­ge­hö­ri­ge Video, in dem wir drei Minu­ten lang Nata­li­as Vogel in den Baum­wip­feln sit­zen sehen kön­nen, ver­lei­he ich ihr aber den Monty-Arnold-Preis[ref]Der begna­de­te Come­di­an schreibt und spricht die Begleit­tex­te für die RTL-Sen­dung Ups! Die Super­pan­nen­show und macht mit sei­nen gran­dio­sen, stel­len­wei­se schon poe­tisch zu nen­nen­den Off-Kom­men­ta­ren, die mit den gezeig­ten ewig glei­chen Miss­ge­schi­cken nicht das Gerings­te zu tun haben, die drö­ge Clip-Para­de über­haupt erst ansehbar.[/ref] für die schöns­te Text-Bild-Schere!


Stop / Don’t say that it’s impossible…

14 Comments

  • Jeder hier im Club is dancin’ – mach dir nich in die Hos’ ” .… ein­fach unglaublich…
    Aber die Suche hat sich gelohnt – der Blog­ger hat mal wie­der eine hand­voll Steck­na­deln raus gesucht – der Ding­dong-Euro­song… groß­ar­tig. Aber mir fehlt die gute Lys schon arg 😉

  • Wenn Ihr die unter­halt­sa­me Vor­ge­schich­te hin­ter Arx­ple­ndi­da und ihrem Song Mer­cu­rii Diei, die Bewandt­nis mit ihren “Zir­kus­domp­teur-Uni­for­men” und den Stand­ort ihrer “Wald­schän­ke” erfah­ren wollt, soll­tet Ihr einen Blick auf die Home­page und Face­book Page der AB Glan­zen­bur­ger werfen:

    - Home­page: http://www.glanzenburger.ch/

    - Face­book Page: https://www.facebook.com/Glanzenburger?fref=ts

    Die wich­tigs­ten Links zu Arxplendida:

    - Offi­zi­el­le SRF Page zum Song: http://www.eurovisionplattform.sf.tv/videos/mercurii_diei

    - Home­page von Arx­ple­ndi­da: http://arxplendida.ch/

    - Face­book Page von Arx­ple­ndi­da: https://www.facebook.com/Arxplendida?fref=ts

    - You­tube Link zum Song: http://www.youtube.com/watch?v=zYrbCs67c84

    - Link zur .mp3-Datei des Songs Mer­cu­rii Diei: https://dl.dropboxusercontent.com/u/7585083/Cantus%20Glanzenburgorum.mp3

  • Ich bin dafür, Super­di­va zum ESC zu schi­cken. Die pro­fes­sio­nal­le Tanz­ein­la­ge rui­niert von hek­ti­scher Kame­ra­füh­rung, ich fühl­te mich gleich zuhause. 😀
    Die Kol­le­gen vom Prinz-Blog waren übri­gens bes­ser im “Spot the Siegel”-Spiel. Ich wür­de mir noch mal Edo­na anhören. 😉

  • Das Hasen­fratz-Lied ist echt gar nicht mal so ver­kehrt. Eine Bal­la­de auf schwy­zer­dütsch wäre doch mal was ganz neu­es beim ESC.
    Gut gefällt mir (ohne Scheiß jetzt) auch der Bei­trag der Band mit dem genia­len Namen “My Body has Legs”, eben­so wie “Whe­re are we” von Runa & the Bear, das schon in die Kate­go­rie “Viel zu gut für den ESC” fällt.

    Ich bin echt über­rascht, dass es dies­mal ein paar Bei­trä­ge dabei sind, die mir wirk­lich gefallen.

  • Übli­cher­wei­se gehen so Num­mern wie das Hasen­fratz-Lied ja nicht so an mich. Aber aus irgend­ei­nem Grund gefällt mir “Dini Wält” mit jedem Anschau­en bes­ser. Wor­an das nur lie­gen mag?

  • Ich bin echt über­rascht über den Bei­trag von “Runa & the bear”. Frei von Blen­de­rei und Schwach­sinn. Dem Song “Whe­re are we” gelingt es, die Welt zu erfas­sen ohne den ver­zwei­fel­ten Ver­such den Stem­pel Hel­ve­tia dabei zwin­gend an den ESC tra­gen zu müs­sen. Der Song ver­mit­telt Bil­der und Gefüh­le, die weit über das Nor­ma­le hin­weg gehen. Und sind es nicht die Gefüh­le, die uns schluss­end­lich mit­ein­an­der ver­bin­den? Es ist Zeit für die Schweiz mal wirk­lich anders an dem Anlass ver­tre­ten zu sein.

  • Lei­der ist er noch etwas mau pro­du­ziert. Das wird wohl die Chan­cen, die Inter­net­vor­run­de zu über­ste­hen lei­der gewal­tig schmälern.

  • hab gehört es sei nur eine vor­pro­duk­ti­on. die etwas alt und low-bud­get schei­nen­de pro­duk­ti­on passt aber irgend­wie zum mood des songs. viel­leicht ist das ja so gewollt?

  • Der Bei­trag mit dem Alp­horn klingt über wei­te Stre­cken sehr nach etwas, das die Pet Shop Boys in den frü­hen Neun­zi­gern hät­ten pro­du­ziert haben kön­nen, ich den­ke vor allem an “Very”; die domi­nan­te Bass­li­nie, der extrem dich­te Klang, der hym­ni­sche Gesang… eigent­lich ganz cool nach den ers­ten bei­den Durchgängen…

    (Ich habe übri­gens “Wir lau­fen alp­wärts” ver­stan­den… hät­te auch Sinn ergeben…)

  • also runa und der bär ist eine low­bud­jet vor­pro­duk­ti­on das weiss ich;)

  • Yay. Und in einem voll­kom­men undurch­sich­ti­gen Aus­wahl­ver­fah­ren, bei dem die Online-Abstim­mungs­er­geb­nis­se angeb­lich auch irgend­wie ein­ge­flos­sen sein sol­len, hat eine Schwei­zer “Jury” ziel­stre­big alle halb­wegs guten Bei­trä­ge raus­ge­siebt und dafür seich­tes­te Mit­tel­mä­ßig­keit wei­ter kom­men lassen.So wird das wie­der nix, Freunde…

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