Russ­land 2014: das war ja überfällig!

Seit Tagen starrt die Welt gebannt auf Russ­land. Denn das Land ist über­fäl­lig – nein, nicht nur auf der Krim, son­dern, viel schlim­mer, was die Prä­sen­ta­ti­on ihres Bei­trags zum Euro­vi­si­on Song Con­test 2014 angeht! Am Mon­tag war offi­zi­el­ler Abga­be­ter­min bei der EBU, und heu­te erst mach­ten die Tol­ma­che­vy-Zwil­lin­ge ihren Song der Öffent­lich­keit zugäng­lich, womit wir das kom­plet­te Line-up für Kopen­ha­gen end­lich ken­nen. Dabei woll­te Müt­ter­chen Russ­land ihren Bei­trag ursprüng­lich bereits Sil­ves­ter ver­gan­ge­nen Jah­res in einer Vor­ent­schei­dung bestim­men – die ver­schob man dann aber zunächst vage “auf März”, um vor weni­gen Tagen erst die Sie­ge­rin­nen der Kin­der­eu­ro­vi­si­on von 2006 als Ver­tre­te­rin­nen des Lan­des zu prä­sen­tie­ren. Ihr Lied heißt, wie schon so vie­le beim Grand Prix vor ihm, ‘Shi­ne’, und wur­de (wie eben­falls schon so vie­le beim Grand Prix vor ihm) ver­fasst von Phil­lip Kirk­o­row (RU 1995) und Dimit­ris Kon­to­po­lous, der auch schon ‘Hold me’ (AZ 2013) schrieb. Der Text stammt unter ande­rem vom mal­te­si­schen Bernd Mei­nun­ger, Gerard James Borg. Und das hört man auch.


‘Living on the Edge, clo­ser to the Crime’ – fehlt da nicht noch ein “a”?

Musi­ka­lisch plod­dert das gera­de­zu lehr­buch­haf­te Grand-Prix-Stück, dass sich in der aktu­ell prä­sen­tier­ten Ver­si­on aller­dings noch ein wenig nach Demo­fas­sung anhört, mit­tel­mä­ßig schnell vor hin, bringt alle vor­ge­schrie­be­nen Tei­le – inklu­si­ve eines ein­gän­gi­gen, wenn auch schnell wie­der ver­ges­se­nen Refrains – mit und klingt nach einem lau­en Auf­guss sämt­li­cher aser­bai­dschwe­di­schen Bei­tra­ge der letz­ten fünf Jah­re. Der Text bemüht sich ange­sichts der aktu­el­len poli­ti­schen Lage um mög­lichst unver­fäng­li­che, beim Grand Prix seit sech­zig Jah­ren gül­ti­ge Kli­schees von Lie­be, Frie­den und hei­ler Welt, bie­tet aber natür­lich den­noch genü­gend Anknüp­fungs­punk­te, um Par­al­le­len mit der Stra­te­gie Putins in der Aus­ein­an­der­set­zung um die Ukrai­ne zu zie­hen: “Living on the Edge, clo­ser to the Crime, cross the Line a Step at a Time” – da braucht man wirk­lich nur noch ein “a” an das Wort “Crime” anzu­hän­gen (Cri­mea = eng­lisch für Krim), und schon offen­bart sich die scheib­chen­wei­se Inva­si­ons­stra­te­gie, die der Kreml dort gera­de fährt. Mit “May­be there’s Place, may­be there’s a Time, may­be there’s a Day you’ll be mine” legt das Lied Russ­lands Wunsch nach der erneu­ten Annek­tie­rung der Ukrai­ne direkt im Anschluss offen. Und mit “No one’s gon­na bring me down” ver­si­chert man sich der eige­nen Unbe­sieg­bar­keit. “Our Love will last a thousand Miles”: das ist grob gerech­net die Stre­cke von Mos­kau bis Sim­fe­ro­pol. Ja, so leicht las­sen wir uns von zwei unschul­dig wir­ken­den Sieb­zehn­jäh­ri­gen nicht täuschen!


Nein, Russ­land lässt Euch nie­mals gehen! Dima im Jahr des Tomal­che­vy-Siegs beim JESC

Wobei man den zwei Mädels immer­hin einen gewis­sen Sinn für Iro­nie nicht abspre­chen kann. Oder war­um soll­te im – wie zu lesen war – von den Bei­den selbst zusam­men­ge­schnip­sel­ten Video­clip zu ‘Shi­ne’ ihr gemein­sa­mes Erin­ne­rungs­fo­to mit dem rus­si­schen Euro­vi­si­ons­sie­ger von 2008, Dima Bilan, aus­ge­rech­net zur Text­zei­le ‘Dri­ve away the Mad­ness’ erschei­nen? Alles in allem zieht sich Russ­land mit dem Bei­trag ganz geschickt aus der Affä­re: natür­lich weiß Putin, dass er selbst mit den geni­als­ten Grand-Prix-Song aller Zei­ten der­zeit nicht gewin­nen könn­te, also schickt man etwas – jedoch nicht zu offen­sicht­lich – Hin­ge­schlu­der­tes, des­sen Haupt­funk­ti­on dar­in besteht, nicht anzu­ecken, inter­pre­tiert von zwei mög­lichst inno­zent wir­ken­den jun­gen Mädels. Und wir haben end­lich alle 37 Songs zusam­men und kön­nen uns der Ana­ly­se der Final­chan­cen in bei­den Semis wid­men (hier­zu bit­te ein wenig Geduld). Oder der ent­schei­den­den Fra­ge, ob die Tele­fon­an­ru­fe von der Krim im Mai dann dem Tele­vo­ting Russ­lands zug­schla­gen wer­den oder dem der Ukraine…

7 Comments

  • Lah­mer Bei­trag. Aber die oben gege­be­ne Erklä­rung triffts viel­leicht. Eigent­lich soll­te man Russ­land von Con­test aus­schlie­ßen, ist das nicht mög­lich wegen Über­zie­hen des Abgabetermins?

  • Soweit ich weiß, lag die Audio-Demo-Fas­sung von ‘Shi­ne’ sogar am Mon­tag der EBU vor, es gab nur noch kein Video. Davon mal ab, durf­ten Län­der wie Frank­reich oder *hüs­tel* die Ukrai­ne *hüs­tel* in der Ver­gan­gen­heit den Abga­be­ter­min eben­falls über­zie­hen, ohne dass das Fol­gen gehabt hät­te. Glei­ches Recht für alle!

  • Die bei­den erin­nern mich stark an das kli­schee­haf­te Han­ni & Nan­ni-Paar. Schreck­li­che Kind­heits­er­in­ne­run­gen.… Und dazu noch der lah­me Song aber das mit “Crime(a)” fin­de ich pas­send. ;D

  • Sehr gut ana­ly­siert. Vie­len Dank. Wo habe ich gele­sen, ob es nicht bes­ser gewe­sen wäre, Russ­land hät­te die­ses Jahr sei­ne Betei­li­gung ganz zurück­ge­zo­gen, statt mit die­sem nichts­sa­gen­den Bei­trag anzu­tre­ten. Ich den­ke, Du hast Recht, so bleibt der Sta­tus quo gewahrt und nach den Olym­pi­schen Spie­len kann man dort gut damit leben, beim ESC-Bei­trag unter sei­nen Mög­lich­kei­ten geblie­ben zu sein. Getreu dem Mot­to: Was juckt es die Eiche … So bleibt die Tür zu Euro­pa einen Spalt weit offen und man zeigt sich sou­ve­rän … Ersatz­wei­se möge hof­fent­lich der nie­der­län­di­sche Bei­trag ins Fina­le gewählt werden …

  • ich wür­de mir ja nichts sehn­li­cher wün­schen, als dass die­se gequirl­te sül­ze im semi hängenbleibt…
    ich weiß – wird nicht pas­sie­ren – aber man darf ja noch träumen

  • Ich fin­de es spit­ze. Sehr ein­gän­gig und schön! Hat mir auf’s erst Hören wahn­sin­nig gut gefal­len und ich las­se es täg­lich mehr­mals laufen.

    Poli­tik ist Poli­tik, Musik ist Musik. … auch wenn ich zuge­ben, dass ich sel­ber etwas vor­ein­ge­nom­men war … umso ehr­li­cher sind mei­ne Komplimente.

    Deut­lich bes­ser als unser Müll, den wir nach Däne­mark schi­cken ;P.

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