Arme­ni­en spielt mit dem Schatten

Wel­che Hin­ter­grund­ge­sprä­che wohl die­ser Mel­dung vor­aus­gin­gen? “Um das Kon­zept einer Hym­ne des Frie­dens, der Lie­be und der Einig­keit zu stär­ken,” so das fast schon iro­ni­sche Zitat in der offi­zi­el­len Mit­tei­lung der EBU, ände­re das arme­ni­sche Fern­se­hen “auf eige­nen Wunsch” den Titel sei­nes Bei­trags von ‘Don’t deny’ zu ‘Face the Shadow’. Damit sol­le jeg­li­chem Ver­dacht eines poli­ti­schen Inhalts begeg­net wer­den, wes­we­gen die EBU-Len­kungs­grup­pe das Ansin­nen freu­dig begrü­ße. Der Song beschäf­tigt sich bekann­ter­ma­ßen mit dem Völ­ker­mord von 1915, der eine Mas­sen­aus­wan­de­rung von Arme­ni­ern in alle Welt zufol­ge hat­te, wes­we­gen sich die Genea­lo­gy (Ahnen­for­schung) benann­te Grup­pe auch aus sechs Exil­ha­ja­sta­nern zusam­men­setzt. Der eng­li­sche, im Refrain haupt­säch­lich aus der unmiss­ver­ständ­li­chen For­de­rung ‘Don’t deny’ (‘Leug­ne nicht’) bestehen­de Lied­text bleibt indes unver­än­dert. Nun ist die Auf­for­de­rung, sich dem Schat­ten (der dunk­len Ver­gan­gen­heit) zu stel­len, nicht viel unpo­li­ti­scher als der nach­drück­lich vor­ge­tra­ge­ne Wunsch, (den Geno­zid) nicht wei­ter zu leug­nen. Als rei­ne Spe­ku­la­ti­on muss aber gel­ten, dass es sich beim nun gefun­de­nen Titel um einen Kom­pro­miss zwi­schen den mut­maß­lich beschwer­de­füh­ren­den Aser­bai­dscha­nern, der von poli­ti­schen Ver­stri­ckun­gen unbe­hel­ligt blei­ben wol­len­den EBU und den sen­dungs­be­wuss­ten Arme­ni­ern han­deln könn­te. Ich ver­mu­te, das wird nicht die letz­te Mit­tei­lung zum The­ma gewe­sen sein…


Die Spie­le sind eröffnet!

3 Comments

  • Ich fin­de es pro­ble­ma­tisch, die Geno­zid-The­ma­tik wie eine Mons­tranz vor sich her­zu­tra­gen. Ich habe mich ein­ge­hend mit dem The­ma beschäf­tigt, mir Lite­ra­tur besorgt (u.a von Miche­li­ne Aha­ro­ni­an Mar­com), den Film “Ara­rat” mit dem eben­falls arme­ni­schen Charles Azna­vour gese­hen und war voll auf Armenien’s Sei­te. Dann kamen Mel­dun­gen, Arme­ni­en wol­le Putin’s “Anti-Homo-Pro­pa­gan­da­ge­setz” über­neh­men. Und schließ­lich die unglaub­li­chen Äuße­run­gen des letzt­jäh­ri­gen arme­ni­schen Teil­neh­mers Aram MP3 über Con­chi­ta. Kri­tik dar­an auf sei­ner Face­book­sei­te wur­de mit scheuß­li­chen Invek­ti­ven bis hin zu einem anti­ho­mo­se­xu­el­len Shit­s­torm ent­geg­net. Ich den­ke, wenn man als Volk – aber nun doch auch schon vor 100 Jah­ren – soviel Leid aus­ge­hend durch Dis­kri­mi­nie­rung erlit­ten hat, soll­te man gera­de nicht selbst in dis­kri­mi­nie­ren­de Posen gegen­über Homo­se­xu­el­le ver­fal­len, wobei man als ESC-Teil­neh­mer sich eigent­lich schon ein biss­chen mit der His­to­rie die­ses Fes­ti­vals und der Struk­tur der Fan­ge­mein­de befas­sen soll­te. Tole­ranz ist kei­ne Ein­bahn­stra­fe. Und es kann den Zweck auch ver­feh­len, sich zuviel auf die Ereig­nis­se vor 100 Jah­ren zu beru­fen; sor­ry, aber das führt durch­aus ein biss­chen zu einer Übersättigung.

  • Ein­bahn­stra­fe” gefällt mir! 🙂
    Aber schon klar, was Du meinst, und Du hast natür­lich Recht. Auch wenn man natür­lich auf­pas­sen soll­te, das The­ma (also hier Homo­se­xua­li­tät) nicht von unse­rer Sei­te aus über­zu­be­wer­ten und jedes ein­zel­ne Wort aus dem Mund eines ein­zel­nen Sän­gers auf die Gold­waa­ge zu legen. Gera­de bei Leu­ten mit einem ande­ren kul­tu­rel­len Hin­ter­grund. Sonst rol­len die näm­lich ganz schnell genau so genervt mit den Augen wie wir beim The­ma “arme­ni­scher Genozid”.
    Bei dem es mir – auch wenn ich mich zuge­ge­be­ner­ma­ßen außer über den Wiki­pe­dia-Ein­trag hin­aus nicht ein­ge­hend damit beschäf­tigt habe – ähn­lich geht: grund­sätz­lich ist mei­ne Sym­pa­thie auf Arme­ni­ens Sei­te, aber das pene­tran­te Bestehen auf “uns ist aber schlim­mes Unrecht wider­fah­ren und die Welt muss davon erfah­ren” nervt. Selbst wenn ich ja ver­ste­hen kann, dass es zur Ver­ar­bei­tung die­ses Unrechts bei­trü­ge, wenn die Gegen­sei­te es wenigs­tens als sol­ches anerkennt.

  • Es geht mir kei­nes­wegs dar­um, stän­dig dar­auf her­um­zu­rei­ten, dass der ESC so eine Art Fuß­ball-WM für Schwu­le ist, mit der­lei Asso­zia­tio­nen habe ich mich noch nie anfreun­den kön­nen. Aber jedem Land soll­te auch klar sein, dass in einer Run­de von 40 Teil­neh­mern auch – wor allem der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on ange­hö­ri­ge – fort­schritt­li­che Staa­ten zu fin­den sein wer­den. Von weni­ger ent­wi­ckel­ten Län­dern erwa­re ich des­halb ein Min­dest­maß an Tole­ranz für kon­kur­rie­ren­de Staa­ten, die eben eher dem abend­län­di­schen Kul­tur­kreis ange­hö­ren. Und ich hal­te abso­lut nichts davon, offen geäu­ßer­te Homo­pho­bie – wie eben etwa ver­gan­ge­nes Jahr beim arme­ni­schen Teil­neh­mer – ein­fach so hin­zu­neh­men als pos­sier­li­chen indi­ge­nen Habi­tus, der unwi­der­spro­chen zu blei­ben hat. AramMP3 hät­te ja auch ganz ein­fach sei­ne rück­stän­di­ge Hal­tung für sich behal­ten kön­nen, dann wäre alles gut gewe­sen. So und jetzt lasst uns zum Zen­tral­the­ma zurück­keh­ren, da ist ja in die­sem Jahr gen­aug Tru­bel zu ver­dau­en wie etwa bei unse­rem eige­nen Beitrag.

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