Inak­zep­ta­bel: Schwe­den macht das Euro­vi­si­ons-Voting kaputt

Als Neben­aspekt ein­ge­bet­tet in die wenig über­ra­schen­de Ver­kün­dung des NDR, dass die fabu­lö­se Bab­si Schö­ne­ber­ger die­ses Jahr erneut die deut­sche Punk­te­fee spielt und die ale­man­ni­schen Dou­ze Points ver­liest, ließ der Ham­bur­ger Sen­der ges­tern eine Bom­be plat­zen: das schwe­di­sche Fern­se­hen will beim Euro­vi­si­on Song Con­test im Mai die Ver­kün­di­gung des Tele­vo­tings – also der ein­zi­gen wirk­lich maß­geb­li­chen Stim­men – auf die ers­ten zehn Plät­ze beschrän­ken. Die Rän­ge 11 bis 26 sol­len hin­ge­gen zum Auf­takt der Zuschau­er­stim­men­aus­zäh­lung heim­lich, still und lei­se in die Ergeb­nis­ta­bel­le ein­ge­le­sen wer­den. Damit schnei­den die Schwe­den in grob fahr­läs­si­ger Wei­se am wich­tigs­ten und – wie die Ein­schalt­quo­ten seit Jah­ren bele­gen – vom Publi­kum am liebs­ten gese­he­nen Teil der Show her­um und ent­mün­di­gen die Zuschau­er noch wei­ter, als sie es mit den bis­lang ver­kün­de­ten Ände­run­gen am Voting­ver­fah­ren schon getan haben. Und das Gan­ze ohne jeden Sinn und Ver­stand, denn wel­chen Zweck SVT mit die­ser Irr­sinns­ent­schei­dung ver­folgt, will mir beim bes­ten Wil­len nicht einleuchten.

Der schöns­te Moment der Sen­dung: das Voting.

Im Febru­ar 2016 schock­ten die Schwe­den bereits mit dem Dekret, dass Jury und Zuschau­er bei der Punk­teer­mitt­lung künf­tig getrenn­te Wege gehen: in der übli­chen Live-Schal­tung in alle 43 teil­neh­men­den Län­der ver­kün­den die Sprecher/innen für­der­hin nur noch die 12 Points der fünf­köp­fi­gen natio­na­len Jury. Das Zuschau­er­pla­zet wird nicht mehr wie bis­her mit ein­ge­rech­net, son­dern in einer zwei­ten Run­de geson­dert ver­kün­det. Dies­mal aller­dings nicht in Form detail­lier­ter Län­der­punk­te wie bei der Jury, son­dern als kumu­lier­tes Gesamt­ergeb­nis. Petra Mede und Måns Zel­mer­löw lesen die­se in auf­stei­gen­der Rei­hen­fol­ge vor, vom schlech­tes­ten bis zum erfolg­reichs­ten Land. So jeden­falls der ursprüng­li­che Plan. Um es am Bei­spiel der Vor­jah­res­er­geb­nis­se zu erläu­tern: hier hät­te Ara­bel­la Kies­bau­er die Zuschau­er­stim­men­ver­kün­dung mit pein­li­chen null Punk­ten aus­ge­rech­net für das Gast­ge­ber­land eröff­nen müs­sen (ist das der Grund, war­um man sich um die unte­ren Rän­ge drü­cken möch­te?), gefolgt von 3 Zäh­lern für Frank­reich, 4 für Elec­t­ro Vel­vet aus Groß­bri­tan­ni­en und 5 Punk­ten für unse­re Ann-Sophie. Und so wei­ter, bis sie schließ­lich an 27. Stel­le die 356 Tele­vo­ting-Punk­te für die Zuschau­er­sie­ger Il Volo annon­ciert hät­te (was aus mei­ner Sicht allei­ne schon für das neue Ver­fah­ren spricht: das Jury-Gate wäre somit auch dem Durch­schnitts­zu­schau­er sofort auf­ge­fal­len, der Ent­rüs­tungs­sturm unausweichlich).

Björk­man erklärt die Grün­de für die Änderungen.

Mit dem in 2016 erst­mals zu prak­ti­zie­ren­den Ver­fah­ren der getrenn­ten Ver­le­sung ver­schiebt sich der Fokus für die Durch­schnitts­zu­schau­er, die nicht – wie die Hard­core-Fans – die im Anschluss von der EBU ins Netz gestell­ten detail­lier­ten Ergeb­nis­se auf­merk­sam durch­le­sen und zu Tode ana­ly­sie­ren, ohne­hin auf die Wer­tun­gen der Jury. Inter­es­siert sie doch vor allem, wie viel Lie­be das eige­ne Land von den ande­ren 42 Natio­nen jeweils im Ein­zel­nen erhielt. Das aber erfah­ren sie nur in der ers­ten Abstim­mungs­run­de, wenn alle 43 Län­der­ju­rys ihre Punk­te ver­tei­len (aller­dings brau­chen sie auch hier­für ein geüb­tes Auge und eine gute Kon­zen­tra­ti­on, denn alle Zäh­ler von 1 bis 10 wer­den nur kurz in der Tabel­le ein­ge­blen­det, zele­briert wird nur noch die Spit­zen­wer­tung). Im zwei­ten Durch­gang müs­sen sie sich damit begnü­gen, gesagt zu bekom­men, wie vie­le Gesamt­punk­te bei­spiels­wei­se Maze­do­ni­en von den Zuschau­ern aller ande­ren Län­dern zusam­men bekam. Was auf ganz geschick­te Wei­se das Dia­spo­ra-Voting ver­schlei­ert: ob Kali­o­pi Zustim­mung für ihr Donut-Wer­be­lied auch in West­eu­ro­pa ern­ten kann oder nur von den Mit­bal­ka­ne­sen bedacht wird, erfah­ren die Fern­seh­zu­schau­er nicht (mehr). Jeden­falls nicht wäh­rend der Sen­dung. So kön­nen sie sich auch nicht mehr über Nach­bar­schafts­schie­be­rei­en aufregen.

Mmmhh… Donuts!

Der eigent­lich ent­schei­den­de Haupt­vor­teil ist aber, dass auf die­se Wei­se erst mit der aller­letz­ten Ver­kün­dung der Sie­ger tat­säch­lich fest­steht und so die Span­nung bis zum Schluss gehal­ten wer­den kann. Ein dra­ma­tur­gi­scher Effekt mit­hin, der die vor­ge­nom­me­nen Ände­run­gen grund­sätz­lich voll und ganz recht­fer­tigt. Denn der Euro­vi­si­on Song Con­test ist nun mal zual­ler­erst eine TV-Show und folgt not­wen­di­ger­wei­se den Geset­zen der Unter­hal­tung. Und die ver­lan­gen, dass der Höhe­punkt am Schluss kommt, wie bei gutem Sex. Soweit okay. Die Kür­zung des Zuschau­er­vo­tings auf ledig­lich zehn Spit­zen­po­si­tio­nen aber ist und bleibt unnö­tig, unbe­grün­det und inak­zep­ta­bel. Unter demo­kra­ti­schen Gesichts­punk­ten sind die­se Stim­men die wich­ti­ge­ren, die eigent­lich ent­schei­den­den. Was auch die EBU aner­kennt, denn bei einem mög­li­chen Gleich­stand gäben sie den Aus­schlag. Die Men­schen geben euro­pa­weit Geld dafür aus, per Tele­fon, SMS oder App abstim­men zu dür­fen. Dann haben sie aber auch das Recht, wenigs­tens das Ergeb­nis ihrer Bemü­hun­gen zu erfah­ren. Und das beinhal­tet den letz­ten Platz selbst­re­dend eben­so wie den ersten!

Die Ruh­mes­hal­le: alle 38 Nil­poin­ter von heu­te bis 1956!

Dass das, wie oben geschil­dert, 2015 zu einem hoch­not­pein­li­chen Auf­takt geführt hät­te, kann aber nicht als Gegen­ar­gu­ment gel­ten. Bei einem Wett­be­werb gibt es nun mal not­wen­di­ger­wei­se nicht nur Sie­ger, son­dern auch Ver­lie­rer. Und zwar im Ver­hält­nis 42:1. Wer sich die­ser mög­li­chen Schmach nicht stel­len möch­te, darf erst gar nicht antre­ten. Zumal sich ja auch im Schei­tern Wür­de bewei­sen lässt, wie die coo­le Reak­ti­on von Ann-Sophie und der Mak­e­makes auf die Dop­pel­null beleg­te. Auch zeit­li­che Grün­de kön­nen kei­ne ernst­haf­te Rol­le spie­len: die Zuschau­er­stim­men­ver­kün­dung umfasst auch in vol­ler Län­ge ledig­lich 26 Posi­tio­nen anstel­le von 43 bei der Jury, ist also ohne­hin schon deut­lich kür­zer. Eben­so wie durch den Umstand, dass man hier nicht noch mal alle Natio­nen ein­zeln auf­ruft, son­dern die Mode­ra­to­ren die Punk­te en bloc able­sen. Durch die Mög­lich­keit, die (schon am Frei­tag abge­ge­be­nen) Jury­stim­men bereits ver­le­sen zu kön­nen, wäh­rend die Diga­me-Rech­ner noch die Zuschau­er­an­ru­fe in Punk­te umru­beln, spart der Sen­der nach Berech­nun­gen von escin­sight zudem bis zu 40 Minu­ten ein und kann bei den in den letz­ten Jah­ren auf nerv­tö­ten­de Wei­se aus­ufern­den Ope­ning- und Inter­val-Acts ent­spre­chend kür­zen, was der Show ohne­hin gut täte. Nicht aber beim Herz­stück der Sen­dung, dem Publi­kums­vo­ting! Das beraubt die kom­plet­te Ver­an­stal­tung ihrer See­le. Ich kann daher nur an die EBU appel­lie­ren, Herrn Björk­man Ein­halt zu gebie­ten und uns nicht des wich­tigs­ten Parts des gan­zen Abends zu berau­ben. Hier wird die Gren­ze überschritten!

Die span­nends­te Wer­tung aller Zei­ten: 1988 gewinnt Céli­ne in letz­ter Sekun­de mit einem Punkt Vorsprung

Ob es so kommt, wie vom NDR behaup­tet, ist zwar offi­zi­ell noch offen. Eine ent­spre­chen­de Face­book-Anfra­ge von Andre­as Schacht beant­wor­te­te Siet­se Bak­ker von der EBU wie folgt: “Die Posi­tio­nen 26 bis 11 wer­den höchst­wahr­schein­lich schnel­ler annon­ciert als die Top Ten, um Span­nung auf­zu­bau­en und das Tem­po zu hal­ten. An der exak­ten Prä­sen­ta­ti­on wird noch gear­bei­tet, das gilt auch für die Gra­fik. Jedem Sen­der wird es außer­dem mög­lich sein, das Tele­vo­ting des eige­nen Lan­des am Ende der Ver­kün­dung des Zuschau­er­ergeb­nis­ses ein­zu­blen­den. So wis­sen die Zuschau­er zuhau­se, wie sie selbst abge­stimmt haben.” Nett, aber kein adäqua­ter Ersatz, zumal die­se Ein­blen­dung im Tau­mel der Sie­ger­ver­kün­dung unter­ge­hen dürf­te. Und ein kla­rer Hin­weis, dass eben nicht alle Tele­vo­ting-Ergeb­nis­se ver­le­sen wer­den, wie es im Sin­ne einer umfas­sen­den Infor­ma­ti­on und aus einem Min­dest­maß an Respekt gegen­über den Anru­fen­den aber unab­ding­bar wäre. Zwar bit­tet Bak­ker wei­ter, das neue Ver­fah­ren erst mal auf sich wir­ken zu las­sen und “erst danach zu urtei­len”. Das aber kommt für ech­te Euro­vi­si­ons­fans natür­lich über­haupt nicht in Fra­ge. Wo kämen wir hin, wenn wir uns nicht schon im Vor­feld auf­re­gen würden?

Nur die ers­ten Zehn im Publi­kums­vo­ting sol­len ver­le­sen wer­den. Das ist…

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7 Comments

  • Unver­schämt! Es reicht, Herr Björk­man! Wie­so kriegt die­ser Mensch eine der­ar­ti­ge Macht­be­fug­nis? Die Schwe­den-Domi­nanz nervt, aber es stün­de jedem Land (Deutsch­land!) frei, dage­gen anzu­ge­hen, man müss­te nur die Chan­ce nut­zen, die Mög­lich­kei­ten, die der ESC inter­na­tio­nal und natio­nal bie­tet, auch aus­zu­spie­len. Ein Image-Problem?
    Zur beschnit­te­nen Punk­te­ver­kün­dung: Wo kämen wir denn hin, wenn wir kon­se­quent wären!

  • Du sprichst mir aus der See­le. Der Charme der Show ist dahin. Wild wer­den Punk­te auf Tableau geschmis­sen. Am Schluss wer­den vie­le Län­der gar­nicht genannt. Wie­so , wes­halb, war­um. Und es gewinnt, für das nor­ma­le Fern­seh­volk, irgend­ein Song mit vie­len Hun­dert Punk­ten, und kei­ner weiß wo Sie und war­um Sie wo herkommen.

  • Sor­ry, Leu­te, aber eure Empö­rung kann ich nur bedingt tei­len. Das bis­he­ri­ge Pro­ze­de­re bei dem der Sie­ger schon vor Ende der Ver­le­sung der Wer­tun­gen aus­ge­ru­fen wur­de und man sich nach 3 Stun­den ESC-Dröh­nung noch den Voting-Geschmack der geor­gi­schen Haus­frau und des san­ma­ri­ne­si­schen Piz­za­bä­ckers über sich erge­hen las­sen muss­te, ist auch nicht außer­or­dent­lich prickelnd.
    Die Fokus­sie­rung auf den Sie­ger und ein Ende der Sen­dung mit Voting-Höhe­punkt hat daher für mich gesamt­be­trach­tet mehr “Flow”.
    Punk­te- und Rang­lis­ten­fe­ti­schis­ten kön­nen sich zu einem spä­te­ren Zeit­punkt auf den ein­schlä­gi­gen Inter­net-Sei­ten befriedigen. 😉

  • Ich bin eigent­lich auch gegen die­se Neue­rung und die Domi­nanz (um nicht zu sagen Arro­ganz) die­ses Herrn Björk­man. Grund­sätz­lich ist es schon okay, Jury- und Tele­vo­tin­g­er­geb­nis­se getrennt zu ver­le­sen. Nur hät­te man es umge­kehrt machen sol­len: Tele­vo­tin­g­er­geb­nis­se wie gehabt ver­kün­den, man könn­te da auch schon Zeit spa­ren, indem die­se gan­zen Lob­hu­de­lei­en der “Spo­ke­per­sons” ein­ge­dämmt wer­den. Und die Jury­er­geb­nis­se zusam­men­ge­fasst verkünden.
    Was für mich nur ein klei­nes biss­chen nach­voll­zieh­bar ist, dass man die unte­ren Plät­ze ein­blen­det, damit man den ein­zel­nen Teil­neh­mern die Pein­lich­keit erspart, auch noch genannt zu wer­den. Das macht es wie­der­um sehr unüber­sicht­lich für den Zuschau­er. Das hät­te man alles wesent­lich ele­gan­ter lösen kön­nen. Die Jury­er­geb­nis­se ste­hen schliess­lich schon lan­ge vor dem Fina­le fest. Also könn­te man die­se zusam­men­ge­fasst ver­kün­den (und hier nur die TOP 10, ist für vie­le eh nicht so rele­vant). In der Zwi­schen­zeit könn­te man doch die Tele­vo­ting­stim­men aus­zäh­len. So kann man auch die teil­wei­se unnö­ti­gen bis lang­wei­li­gen Inter­val-Acts abkür­zen. Und anschlies­send in gestraff­ter Form das Tele­vo­ting. Nur so ein Vorschlag.

  • Ich weiß nicht ob die Behaup­tung dass die Span­nung bis zur letz­ten Minu­te gehal­ten wer­den muss, wirk­lich das aus­macht, für was die Punk­te­ver­ga­be bis­her stand. Wo ist denn das Pro­blem, wenn ein Lied schon etwas frü­her als Sie­ger fest­stand? Und war das Reiz­vol­le bis­her nicht das, dass man im Kopf immer nach­rech­ne­te, ob der ers­te noch ein­ge­holt wer­den kann, und wel­che Län­der noch kom­men, und wie die wahr­schein­lich abstim­men wer­den, Anke Engel­ke hat das mal so erklärt, als sie gefragt wur­de, was sie am ESC fas­zi­niert. Ok, wie müs­sen abwar­ten, aber bei den Jury-Län­der­punk­ten wird wohl nicht die Span­nung auf­kom­men wie bis­her, weil jeder weiß, dass das nur die hal­be Mie­te ist. Also schau­en wir mal, ob wrk­lich span­nen­der wird, oder ob man zwei Stun­den rat­los vor dem TV auf die letz­ten Minu­ten war­tet um end­lich den Sie­ger zu wissen.

  • Der Sinn der gan­zen Ange­le­gen­heit war ja, die ergeb­nis­ver­kün­dung span­nen­der zu gestal­ten. Aber es führt auch dazu, dass die Ver­kün­dung mit jedem Ergeb­nis irgend­wie weni­ger span­nend wird, weil man sich ja aus­rech­nen kann, wer übrig bleibt. Und wenn nur die obers­ten 10 ver­kün­det wer­den, wird alles gleich noch viel weni­ger spannend.

    Dann ladet doch lie­ber Mar­co Schreyl ein, der nur den Gewin­ner ver­kün­det, aber das gan­ze dann auf 30 Minu­ten aufbläst.

  • Man soll­te Chris­ter Björk­man end­lich ver­ja­gen. Die­ser von “Sveri­ges Tele­vi­si­on” gepfleg­te Chau­vi­nis­mus ist nicht mehr zu über­bie­ten. Hof­fent­lich wird das nächs­tes Jahr wie­der ver­wor­fen. Unfass­bar, wie man nur so der­ma­ßen den ESC zer­stö­ren kann!

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