Uuden Musii­kin Kil­pai­lu 2017: Ihr habt wohl einen Vogel!

Man muss die Fin­nen schon bewun­dern, ganz ehr­lich. Und zwar für ihre Hin­ga­be an den kos­mi­schen Strom der Gege­ben­hei­ten. Führt man sich die aktu­el­le poli­ti­sche Welt­la­ge mal kurz vor Augen, mit einem dünn­häu­ti­gen, men­tal retar­dier­ten Psy­cho­pa­then im Wei­ßen Haus, allen Anzei­chen eines mög­li­chen Aus­ein­an­der­bre­chens der EU und den anhal­ten­den Wahl­er­fol­gen der Neo­fa­schis­ten in Euro­pa, so muss man unwei­ger­lich Schmerz und Ver­zweif­lung emp­fin­den. Und sehr schlech­te Lau­ne bekom­men. Wie stark ist da die Ver­su­chung, sich wenigs­tens beim Euro­vi­si­on Song Con­test mit fröh­li­chem Lied­gut, lus­ti­gen Kos­tü­men und bun­ten Shows für ein paar Stun­den abzu­len­ken und die Rea­li­tät zu ver­drän­gen. Stoff genug hier­für stand beim heu­ti­gen Vor­entsch­eid UMK zur Aus­wahl: gleich drei schmis­si­ge Upt­em­po­num­mern mit ein­gän­gi­ger Melo­dik und amü­san­tem Drum­her­um buhl­ten (neben sie­ben wei­te­ren Kon­kur­ren­ten) um die Gunst der Zuschauer/innen. Doch ver­geb­lich: sehr ein­deu­tig sieg­te statt­des­sen eine düs­te­re, tief­schwar­ze Depres­si­ons­bal­la­de namens ‘Black­bird’, in wel­cher eine blon­de, lei­chen­blas­se Frau in einem hoch­ge­schlos­se­nen, buschi­gen schwar­zen Wit­wen­kleid die titel­ge­ben­de Amsel fle­hent­lich ersucht, doch bit­te nicht vor ihrem Fens­ter zu sin­gen, um sie nicht aus ihrer tie­fen, tie­fen Trau­rig­keit zu rei­ßen. Die, wie bei Bal­la­den üblich, zwar von einer been­de­ten Bezie­hung her­rührt, was sich aber natür­lich auch als Abge­sang auf die augen­schein­lich abge­kühl­te Roman­ze der Mensch­heit mit den Tugen­den der Auf­klä­rung und des gesell­schaft­li­chen Fort­schritts inter­pre­tie­ren lässt. Ein blei­cher Rot­schopf beglei­tet die Sän­ge­rin ganz klas­sisch am Kla­vier, das Büh­nen­bild ertrinkt im Tro­cken­eis­ne­bel und einer sanft wogen­den Tief­see-Pro­jek­ti­on im Hin­ter­grund, zwei­fel­los eine sub­ti­le Anspie­lung auf das von Donald Trump gut gehei­ße­ne und ver­mut­lich bald auch im Inland breit zum Ein­satz kom­men­de Water­boar­ding. Nor­ma John, so der Name des wie eine Kreu­zung aus Anouk (→ NL 2013) und den Com­mon Lin­nets (→ NL 2014) daher­kom­men­den Duos, geben sich dem Welt­schmerz, der ihrer Bal­la­de inne­wohnt, voll und ganz hin. Und wenn wir es ihnen gleich­tun und uns für drei Minu­ten fal­len las­sen in das Meer der Schwer­mut, hin­ab­tau­chen auf den Grund der Trau­rig­keit, dann ist es ein wirk­lich atem­be­rau­ben­des Erleb­nis. Auch wenn wir dort viel­leicht in der Depres­si­on ertrinken.

Amsel, Dros­sel, Fink und Star: alle Vög­lein schweigen

Um aber der Wahr­heit die Ehre zu geben: per­sön­lich wäre mir etwas wohl­fei­ler Eska­pis­mus deut­lich lie­ber gewe­sen. So, wie ihn bei­spiels­wei­se der legen­dä­re Schmier­lap­pen-Imper­so­na­tor Gün­ther im Ange­bot hat­te, Con­nais­seu­ren des geho­be­nen Trashs noch in bes­ter Erin­ne­rung durch sei­nen 2004er Hit ‘Touch my Tra­la­la (Ding Dong Song)’. Der Mann mit dem schma­len Por­no­bal­ken und den stets vor­ge­stülp­ten Schmoll­lip­pen gab beim UMK in Beglei­tung des spa­ni­schen Pop-Inter­pre­ten Dani Sanz (und eines äußerst erfor­der­li­chen Rudels von Chorsänger/innen und ‑tänzer/innen) die Losung ‘Love yours­elf’ aus – und ja, das war ganz ein­deu­tig dop­pel­deu­tig auch als Ode an die Mas­tur­ba­ti­on gedacht! Über­le­bens­gro­ße Lein­wand­pro­jek­tio­nen der Bei­den sowie eine als Büh­nen­re­qui­sit auf­ge­bau­te Podest-Rut­sche und eine gera­de­zu vor­bild­li­che → Rückung ver­süß­ten die flot­te Num­mer zusätz­lich. Der kna­cki­ge D’Sanz, der gesang­lich den Löwen­an­teil des Titels stem­men muss­te, wäh­rend Gün­ther nur gele­gent­lich las­ziv ins Mikro grunz­te, ver­an­schau­lich­te wäh­rend einer Green­room-Schal­te übri­gens in Zusam­men­ar­beit mit der dor­ti­gen Mode­ra­to­rin des fin­ni­schen Fern­se­hens noch das Trump-Bon­mot “Grab her by the Pus­sy”, dan­kens­wer­ter­wei­se nur pantomimisch.

Darf ger­ne mein Tra­la­la anfas­sen: der Gün­ther, lie­ber aber noch der D’Nash D’Sanz. (Das Video vom Live-Auf­tritt ist lei­der auf­grund der umtrie­bi­gen Arbeit des fin­ni­schen Fern­se­hens nicht ver­füg­bar. Sterbt!)

Bes­te Unter­hal­tung bot auch das im Nacht­le­ben von Hel­sin­ki behei­ma­te­te Künst­ler­kol­le­tiv Club la Per­sé, eine bun­te Trup­pe in aber­wit­zi­gen, selbst geschnei­der­ten Out­fits und Kos­tü­mie­run­gen, mit ihrem sehr bil­li­gen, sehr ein­gän­gi­gen Elek­tro-New-Wave-Kon­glo­me­rat ‘My litt­le World’ – nein, kei­ne Anspie­lung auf Water­loo & Robin­son (→ AT 1976). Ganz im Gegen­teil: ihre klei­ne Welt, so beklag­ten sie, sei “in klei­ne Tei­le zer­quetscht” wor­den – liegt es an mir oder lese ich auch hier wie­der ein wenig Welt­schmerz her­aus? Mei­ne per­sön­li­chen Dou­ze Points gin­gen indes an Lau­ri Yrjö­la, der nicht nur bewies, dass die klas­si­sche Kom­bi­na­ti­on aus wei­ßem T‑Shirt und Blue Jeans noch immer nichts von ihrem Sex-Appeal ein­ge­büßt hat (sei­ne leder­be­jack­ten Begleittän­zer und sei­ne Unter­arm­tat­toos run­de­ten das opti­sche Ver­gnü­gen zusätz­lich ab), son­dern auch den ein­zi­gen lan­des­sprach­li­chen Bei­trag des Abends vor­wei­sen konn­te. Und einen fabel­haf­ten dazu: musi­ka­lisch in sei­ner wum­mern­den, ver­spiel­ten Elek­tro­las­tig­keit bei einem Eesti-Laul-Semi­fi­na­le nicht fehl­plat­ziert, über­zeug­te das tro­cken-kna­cki­ge ‘Help­po elä­mä’ eben auch durch das so wun­der­bar skur­ril klin­gen­de Fin­nisch. Zu mei­ner Bestür­zung erhielt der blon­de Sän­ger aller­dings von den inter­na­tio­na­len Jurys mehr Punk­te als vom hei­mi­schen Publi­kum – ein Fall von kol­lek­ti­vem Selbsthass?

Gut, über die Tol­le müss­ten wir noch­mal spre­chen, Lauri.

Wo wir gera­de bei den → Jurys (sind Wich­ser™) sind, mit deren Sprecher/innen die Gast­ge­be­rin des Abends, die fabel­haf­te Kris­ta Sieg­fri­ds (→ FI 2013) in allen mög­li­chen Spra­chen herr­lich scham­los flir­te­te: wenn man die Idee schon vom Melo­di­fes­ti­valen abkup­fert und zur Ver­bes­se­rung der eige­nen Chan­cen beim inter­na­tio­na­len Publi­kum Men­schen aus aller­lei euro­päi­schen Natio­nen mit­stim­men lässt, dann wäre es viel­leicht kei­ne schlech­te Idee, hier eine eini­ger­ma­ßen reprä­sen­ta­ti­ve Län­der­aus­wahl zu tref­fen. Wenn jedoch die Ukrai­ne als Gast­ge­ber des dies­jäh­ri­gen Wett­be­werbs und das direkt benach­bar­te Est­land die bei­den ein­zi­gen eher öst­li­chen Staa­ten dar­stel­len und sich kein ein­zi­ges Bal­kan­land unter den abstim­mungs­be­rech­tig­ten Mani­pu­la­to­ren fin­det, will mir die Aus­sa­ge­kraft die­ses Votings zwei­fel­haft erschei­nen. Auch wenn die­se, was die ers­ten drei Posi­tio­nen anging, Einig­keit mit den Fin­nen zeig­ten und neben Nor­ma John zu mei­nem völ­li­gen Unver­ständ­nis auch noch Emma und Zühl­ke nach vor­ne punk­te­ten – ers­te­re eine Art Emme­lie-de-Forest-Gedächt­nis-Act, die zwei­te eine zu Tode lang­wei­len­de mal­te­si­sche Euro­vi­si­ons­krie­ge­rin, gefan­gen im Kör­per von Hera Björk (→ IS 2009). Zudem Emma (nicht ver­wandt mit der deut­schen Bild der Frau) fürch­ter­lich schief krächz­te, wäh­rend sie aus uner­find­li­chen Grün­den eine Wind­müh­le pan­to­mi­misch dar­zu­stel­len ver­such­te wie sei­ner­zeit schon die­se ent­setz­lich hoch sin­gen­de pol­ni­sche ‘Sama’-Sän­ge­rin mit dem unaus­sprech­li­chen Namen. Immer­hin erhielt sie Son­der­punk­te für Scha­den­freu­de: setz­te ihre Dar­bie­tung optisch doch auf eine bren­nen­de Fackel als Gim­mick, die jedoch ange­sichts ihres per­ma­nen­ten Arm­ge­we­dels gleich wie­der aus­ging. Ha ha.

Ganz ehr­lich, ich habe drei Minu­ten nur drauf gewar­tet, dass das Kleid end­lich Feu­er fängt. Lei­der wur­de ich enttäuscht.

Dei­ne Ein­schät­zung; kann die fin­ni­sche Amsel ins Fina­le flattern?

  • End­lich wie­der was fürs Herz! Klar kommt das ins Fina­le, und mit Recht. (38%, 36 Votes)
  • Nicht nur das – der Song ist ein ernst­haf­ter Sieg­an­wär­ter. (27%, 26 Votes)
  • Nicht schon wie­der so eine Bal­la­den­flut! Ich hof­fe nicht, aber ich fürch­te schon. (16%, 15 Votes)
  • Den schau­felt die Jury schon ins Fina­le. Wo er dann abkackt. (10%, 10 Votes)
  • Nein. Die­ses depri­mie­ren­de Gewim­mer soll und wird schei­tern. (9%, 9 Votes)

Total Voters: 96

Wird geladen ... Wird geladen …

4 Comments

  • Da muss­te ich mir doch gleich mal zum Trost die dies­jäh­ri­gen Teil­neh­mer des Eesti Laul durch­hö­ren. Immer­hin gibts da Chan­cen, dass dort der ers­te (und ein­zi­ge?) gute Bei­trag 2017 gewählt wird.

  • Das ist ja mal ein resul­tat. Ich habe fast rich­tig getippt. Lei­der genau umge­kehrt. Mein wunsch war lau­ri vor oscar und club la per­se. Gnmpfff
    Alle 5 bekann­ten songs kann man getrost in die glei­che ton­ne schmeissen.
    Mei­ne hoff­nung? Eesti lauul

  • Mein Favo­rit wäre auch Lau­ri gewe­sen. Von den bis­her aus­ge­wähl­ten Bal­la­den gefällt mir aber in der Tat Black­bird am Besten.

  • Für ein biss­chen Gän­se­haut sorgt “Black­bird” schon, kein Ver­gleich mit den ande­ren Titeln, die bis­her gewählt wur­den – das ist alles schnö­des Mit­tel­maß. Mir wäre Lau­ri lie­ber gewe­sen aber Finn­land hat­te in die­sem Jahr ein Luxusproblem.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert