Geor­gi­scher Vor­ent­scheid 2017: they still don’t wan­na put in

Vor acht Jah­ren, als der Euro­vi­si­on Song Con­test in Mos­kau statt­fand, da gewann die gest­ri­ge Sie­ge­rin der geor­gi­schen Vor­ent­schei­dung, Tako Gach­echil­ad­se, schon ein­mal die Aus­wahl ihres Lan­des, sei­ner­zeit noch als Teil der For­ma­ti­on 3G. In Mos­kau sin­gen durf­te sie damals aber trotz­dem nicht, denn ihr sei­ner­zei­ti­ges dis­co­tas­ti­sches Lied­chen hieß ‘We don’t wan­na put in’ und erreg­te den Unwil­len des rus­si­schen Macht­ha­bers Vlad­mir Putin, auf den der Text der Num­mer dann doch etwas zu unsub­til ziel­te. Die EBU zog die rote “Kei­ne Poli­tik”-Kar­te, Geor­gi­en sei­nen wohl auch als bewuss­te Pro­vo­ka­ti­on gedach­ten Bei­trag zurück und Tako bleib zu Hau­se. Ges­tern Nach­mit­tag nun (auf­grund der Zeit­ver­schie­bung begann die geor­gi­sche Vor­ent­schei­dung bei uns schon um 17 Uhr) setz­te sie sich als Solo­sän­ge­rin mit der düs­te­ren Frie­dens­bal­la­de ‘Keep the Faith’ gegen sage und schrei­be 24 Mitbewerber/innen durch. Musi­ka­lisch prä­sen­tiert sich das Stück als gera­de­zu klas­sisch auf­ge­bau­te Welt­frie­dens­num­mer mit ver­hal­te­nem Auf­takt, stän­di­gen Stei­ge­run­gen, bom­bas­ti­schem Refrain, → Rückung und dra­ma­ti­schem Schluss­ak­kord; gera­de so, als habe Ralph Sie­gel es geschrie­ben. Dabei stammt es aus Takos Feder selbst, die es in einem haut­eng geschnei­der­ten, illu­mi­nier­ba­ren gol­de­nen Kleid mit gro­ßer Ges­te, wenn­gleich wack­li­ger Stim­me into­nier­te. Inhalt­lich beschwört ‘Keep the Faith’ das Ver­trau­en auf die eige­ne inne­re Stär­ke in einer Zeit der glo­ba­len Kri­sen, wozu pünkt­lich zur zwei­ten Stro­phe zum Zwe­cke der Illus­tra­ti­on auf der Video­lein­wand hin­ter der Künst­le­rin Zei­tungs­aus­schnit­te mit eng­lisch­spra­chi­gen Schlag­zei­len ein­ge­blen­det wer­den, die von Krieg, Hun­ger und Ter­ro­ris­mus auf der gan­zen Welt berich­ten. Soweit könn­te man das alles noch für ange­staub­ten Grand-Prix-Kitsch hal­ten, doch dann gerät eine ver­rä­te­ri­sche, wenn­gleich rea­le Über­schrift dar­un­ter, näm­lich “Rus­sia inva­des Geor­gia”.

Dou­ze Points für die Haa­re: die geor­gi­sche Sie­ge­rin Tako.

Und an die­ser Stel­le ist klar: die Kaukaususbewohner/innen wit­ter­ten wohl im Hin­blick auf den letzt­jäh­ri­gen Sieg der ukrai­ni­schen Lied-Ankla­ge ‘1944’ (und der für die ehe­ma­li­gen Sowjet­re­pu­bli­ken ange­sichts der aktu­el­len poli­ti­schen Groß­wet­ter­la­ge nicht weni­ger bedroh­lich gewor­de­nen Situa­ti­on) Mor­gen­luft für poli­ti­sche Bot­schaf­ten beim euro­päi­schen Lie­der­wett­be­werb und woll­ten einen erneu­ten, dies­mal deut­lich geschick­te­ren Ver­such star­ten. Nun bleibt die span­nen­de Fra­ge, ob es der kom­plet­te Ein­spiel­film mit die­ser Schlag­zei­le bis auf die Euro­vi­si­ons­büh­ne in Kiew schafft – der aus­rich­ten­de ukrai­ni­sche Sen­der dürf­te sicher­lich kein Pro­blem damit haben – oder erneut der EBU-Zen­sur zum Opfer fällt. Jeden­falls erklärt die­ser Hin­ter­grund, war­um aus­ge­rech­net die­ses musi­ka­lisch spinn­we­ben­haft ver­schnarch­te Stück die Vor­auswahl des ansons­ten musi­ka­lisch ja eher als pro­gres­siv bekann­ten Lan­des für sich ent­schei­den konn­te, obgleich sich unter den ins­ge­samt 25 (!) Titeln (lese und stau­ne, NDR) der zuge­ge­be­ner­ma­ßen sehr stark von unnö­tig schrill schrei­en­den Frau­en domi­nier­ten drei­stün­di­gen Show Voice of Geor­gia eini­ge wesent­lich bes­se­re Lie­der befanden.

Kat­zen­ge­sän­ge und schlep­pen­de Cho­reo, trotz­dem toll: das Trio Mandili.

Wie zum Bei­spiel das drol­li­ge Damen­trio Man­di­li mit dem fan­tas­ti­schen Folks­tamp­fer ‘Me da shen’, den die drei bro­kat­be­um­hang­ten Mai­den in Beglei­tung ihrer drei schafs­fell­be­mütz­ten, voll­bär­ti­gen Kampf­tän­zer­bur­schen zwar gesang­lich gran­di­os in den Sand setz­ten, – sel­ten der­ar­tig schie­fe Töne gehört! – der aber den­noch durch süf­fi­ge, ein­gän­gi­ge Melo­dik und mit­singfreund­li­che “Ra-ta-ta”-Ein­la­gen zu gefal­len wuss­te und der neben den ohren­zer­fet­zen­den Kat­zen­ge­sän­gen auch dafür in Erin­ne­rung blieb, dass die lin­ke der drei Man­di­lis die ein­stu­dier­te Arm­we­del­cho­reo­gra­fie mit äußers­ter Nach­läs­sig­keit und Halb­her­zig­keit absol­vier­te. Ganz so, als habe es kurz vor dem Auf­tritt eine erbit­ter­te Aus­ein­an­der­set­zung unter den drei Damen gege­ben und sie wol­le nun die gan­ze Num­mer bewusst sabo­tie­ren. Ganz im Gegen­satz zu den Begleit­schlam­pen (anders kann ich es ange­sichts des nut­ti­gen Out­fits der bei­den Tän­ze­rin­nen lei­der nicht nen­nen) von Mari­ko Leja­va, die gemein­sam mit der Lead­sän­ge­rin zu dem erfri­schend upt­em­po­rä­ren ‘Light it up’ eine fabel­haf­te, völ­lig syn­chron dar­ge­bo­te­ne Ani­ma­ti­ons­show vom Feins­ten hinlegten.

Hi-hüpf! Mari­ko und die Leva­jas wis­sen zu unterhalten.

Eine beson­ders loben­de Erwäh­nung ver­dient zudem noch der auf ange­neh­me Art und Wei­se ver­stö­ren­de Auf­tritt des in schlich­ten schwar­zen Jeans und schwar­zem T‑Shirt geklei­de­ten Tor­ni­ke Kipia­ni, einem ehe­ma­li­gen X‑Factor-Cas­ting­show-Teil­neh­mer, der eine gewis­se Bekannt­heit im Kau­ka­sus­staat durch sei­ne nicht min­der ver­stö­ren­den, mit schlep­pend-düs­te­rem Arran­ge­ment und mas­ku­lin tie­fer Stim­me absol­vier­ten Cover­ver­sio­nen von leicht­f­luf­fi­gen Pop-Hits wie Kylie Mino­gues Meis­ter­stück ‘Can’t get you out of my Head’ oder ‘Wre­cking Ball’ erlang­te. Sein Vor­ent­schei­dungs­bei­trag hieß, eben­falls fälsch­li­cher­wei­se eher fröh­li­ches Lied­gut ver­mu­ten las­send, ‘You are my Suns­hi­ne’ und bestand text­lich aus exakt jenen vier im Titel genann­ten Wor­ten, die er bedroh­lich brül­lend über einen aggres­si­ven Neun­zi­ger­jah­re-Tech­notra­ck leg­te, wie er im ehe­ma­li­gen Ber­li­ner Fetisch-Club Tre­sor oder dem Berg­hain nicht fehl am Platz gewe­sen wäre. Dazu hüpf­te der fast kahl­ge­scho­re­ne Sän­ger über die mit schwar­zer PVC-Folie aus­ge­leg­te Büh­ne im nur zur Hälf­te mit Publi­kum besetz­ten Ver­an­stal­tungs­saal, als habe er eine nicht zu knap­pe Aus­wahl che­mi­scher Sti­mu­lan­zi­en intus. Ins­ge­samt wirk­te der gera­de­zu bru­ta­le Fron­tal­an­griff auf alle Sin­ne glei­cher­ma­ßen beängs­ti­gend wie anre­gend, zumal es sicher­lich kei­ner­lei wei­te­ren Erwäh­nung mehr bedarf, dass ich Tor­ni­ke nur all zu ger­ne in die düs­te­ren Kel­ler­ge­wöl­be der bereits erwähn­ten Ber­li­ner Clubs oder ihrer Äqui­va­len­te in Tif­lis fol­gen würde…

Die Trieb­tä­ter-Sere­na­de: Tor­ni­ke singt uns ein Ständchen.

Und falls Sie gera­de drei Stun­den Zeit tot­schla­gen wol­len: hier ist der kom­plet­te geor­gi­sche Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid am Stück. Viel Vergnügen!

Poli­ti­sche Pro­vo­ka­ti­on oder ergrei­fen­de Frie­dens­bal­la­de? Der geor­gi­sche Bei­trag 2017…

  • …ist ja kein direk­ter Angriff wie ‘We don’t wan­na put in’. Der Ein­spiel­film wird eh weg­fal­len müs­sen. Und dann bleibt die lah­me Num­mer im Fina­le hän­gen. (49%, 19 Votes)
  • …ist eine wun­der­schö­ne, ergrei­fen­de Welt­frie­dens­bal­la­de und kommt sicher ins Fina­le. (44%, 17 Votes)
  • …soll­te nicht zuge­las­sen wer­den. Poli­tik hat beim ESC nichts zu suchen. (8%, 3 Votes)

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2 Comments

  • Zum Glück ist das musi­ka­lisch kei­ne klas­si­sche Welt­frie­dens­bal­la­de (wie Russ­land sie in den letz­ten Jah­ren mehr­mals schick­te), son­dern geht mehr in die dra­ma­ti­sche Rich­tung (“One last breath” lässt grü­ßen). Das bringt dem Bei­trag immer­hin ein paar Gna­den­punk­te von mir. Tor­ni­ke auf der gro­ßen ESC-Büh­ne zu erle­ben, wäre indes wirk­lich cool gewesen.

  • Schon inter­es­sant – wenn der glei­che Schmon­zes aus Russ­land käme, wäre eine Final­teil­nah­me mit anschlie­ßen­der top 5 Plat­zie­rung gar kei­ne Fra­ge. (Ich zei­ge auf Euch Poli­na und Dana!). Und das trotz oder gar wegen eines beglei­ten­den Pfeifkonzertes.…

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