Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: beim Bar­te des Cäsaren!

So lang­sam beginnt in der lau­fen­den Vor­ent­schei­dungs­sai­son wie­der der Auf­merk­sam­keits­stress, wenn auch noch in ver­gleichs­wei­se mode­ra­ter Dosie­rung: am gest­ri­gen Sams­tag­abend gin­gen zeit­gleich zwei Vor­run­den über die Büh­ne. Begin­nen wir mit Ungarn, wo das ers­te Vier­tel­fi­na­le von Á Dal 2017 statt­fand. Dort hat, wie soll­te es in der lupen­rei­nen Demo­kra­tie Vik­tor Orb­ans anders sein, die Jury das Zep­ter fest in der Hand. Um so erstaun­li­cher also vor dem Hin­ter­grund der gesell­schaft­li­chen Anfein­dun­gen, die sich die­se Min­der­heit im Land der Magya­ren auch aus der Poli­tik aus­ge­setzt sieht, dass sel­bi­ge Jury eine Band mit dem selbst­er­klä­ren­den Namen Roma Soul wei­ter­wähl­te. Deren Song ‘Nyit­va a Ház’ (in etwa ‘Öff­ne Dein Haus’) ent­wi­ckelt aller­dings erst im letz­ten Drit­tel ein biss­chen Tem­po und Feu­er, wobei der Rhyth­mus hier von einem Beat­bo­xer und auf einer Zink­va­se erzeugt wird. Also so ein biss­chen Wit­loof Bay (→ BE 2011) trifft Pfu­ri, Gorps und Kni­ri (→ CH 1979). Im Gedächt­nis bleibt der Auf­tritt haupt­säch­lich durch die neon­bun­ten T‑Shirts, mit denen sich die Musi­ker uni­so­no klei­de­ten und die mich ver­mu­ten las­sen, dass die Num­mer eine völ­lig ande­re Dyna­mik ent­fal­tet, wenn man vor dem Anschau­en etwas LSD ein­wirft. Zumal die farb­star­ken, trip­pi­gen gra­fi­schen Mus­ter auch ihren Weg auf die LED-Wand fan­den. Hin­sicht­lich der schrä­gen Schnit­te sel­bi­ger Her­ren­ober­be­klei­dungs­stü­cke feh­len mir als Mode­muf­fel die Kennt­nis­se, ob dies irgend­ei­nem aktu­el­len Trend ent­spricht – ich weiß nur, dass es total schei­ße aus­sieht. Unge­ach­tet des modi­schen Faux Pas han­del­te es sich bei der Roma-See­le um den ein­zi­gen nen­nens­wer­ten Bei­trag der gest­ri­gen Run­de. Viel­leicht noch bis auf einen gewis­sen Ben­ji, der bei sei­nem Auf­tritt schwitz­te wie bei einem Besuch in der Dampf­sauna und den die Zuschauer/innen, die im Anschluss an die Jury aus den Res­ten noch einen Act aus­su­chen durf­ten, ob sei­ner erkenn­ba­ren Qua­len wohl in einer Art Mit­leids­vo­tum retteten.

Far­ben sind die Augen uns’­rer Erde (HU)

A pro­pos Qua­len: wer immer dem litaui­schen Jün­gel­chen Dei­vi­das Žygas erzähl­te, es sei eine gute Idee, die Karao­ke­bars zu ver­las­sen und sein Glück beim Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid zu ver­su­chen, der mein­te es nicht gut mit ihm. Denn all die schein­ba­ren “Qua­li­tä­ten”, die vor einer Run­de ange­trun­ke­ner, amü­sier­wil­li­ger Knei­pen­gäs­te zum Zwe­cke derer Belus­ti­gung gut funk­tio­nie­ren – wie höl­zer­nes Auf­tre­ten, kata­stro­pha­le Aus­spra­che und eine kaum ver­nehm­ba­re, brü­chi­ge Stim­me – erwei­sen sich dann doch eher als hin­der­lich, wenn es um einen ernst gemein­ten Wett­be­werb geht. Žygas schied denn auch bei der gest­ri­gen zwei­ten Vor­run­den der Nacio­nal­ine Atran­ka mit jeweils null Punk­ten von Jury und Zuschauer/innen sang- und klang­los aus. Immer­hin einen Mit­leids­zäh­ler von der Jury erhielt hin­ge­gen eine rot­haa­ri­ge Maid namens Lawreig­na, die uns mit ‘Free­dom’ einen ast­rei­nen DJ-Bobo-Gedächt­nisact hin­leg­te (→ CH 2007, einen wei­te­ren, nicht min­der ast­rei­nen fin­den Sie zu Ver­gleichs­zwe­cken übri­gens hier), ange­fan­gen vom Song­ti­tel über den ori­gi­nal­ge­treu­en Neun­zi­ger­jah­re-Euro­dance-Sound, dem stimm­star­ken Back­ground­chor zur semi­ge­lun­ge­nen Über­tüchung von Lawreig­nas eige­nen voka­len Makeln bis hin zu den bei­den männ­li­chen Begleittän­zern, die bar­brüs­tig und ‑füßig agier­ten und allei­ne hier­für schon Dou­ze Points hät­ten erhal­ten müs­sen. Fan­tas­tisch! Litau­en, das lässt sich mit Fug und Recht sagen, ent­täuscht in Sachen Euro­vi­si­on­s­trash nie­mals! Dan­ke dafür!

Only you: Roy Orbin­son rotiert gera­de im Gra­be (LT)

Free­dom: Geor­ge Micha­el rotiert gera­de im Gra­be (LT)

Die Kro­ne trug indes Rugilė Dau­jo­tai­tė davon, die sich in wei­ßer Toga mit rotem Cäsa­rin­nen-Umhang, gol­de­nem Stirn­band, Kriegs­be­ma­lung, Horn und Plas­tik­schwert als bal­ti­sche Nach­fah­rin des durch die Aste­rix-Comics unsterb­lich gewor­de­nen römi­schen Impe­ra­to­ren ver­klei­de­te und uns mit einer Sing­stim­me, die in ihrer Lieb­lich­keit und Fül­le den Ver­gleich mit Ange­li­ca Agur­bash (→ BY 2005) nicht zu scheu­en braucht, etwas von der erzürn­ten Mut­ter Natur erzähl­te, die uns mit Blitz und Don­ner heim­su­chen wird, wenn die Litauer/innen nicht für Fru­gi­la anru­fen. Ver­mu­te ich zumin­dest mal, denn ihr Misch­masch aus etwas dem Eng­li­schen ent­fernt Ähn­li­chem und ihrem Hei­ma­t­idi­om blieb wei­test­ge­hend unver­ständ­lich. Ganz hübsch hin­ge­gen die Instru­men­tie­rung, die ein wenig an die gol­de­nen Zei­ten von Elit­sa Todo­vo­ra und Stoyan Yan­ku­l­ov (→ BG 2007, 2013) erin­ner­te. Lei­der schei­ter­te auch sie, so dass ich nun das Schlimms­te für die Men­schen auf dem Bal­ti­kum befürch­te. Was scha­de wäre, denn denn schlös­se sich ein wei­te­res Füll­horn der Vorentscheidungsperlen.

Ave Rigulé, Mori­tu­ri te salu­tant! (LT)

Nach­zu­tra­gen bleibt noch ein Detail aus dem spa­ni­schen Vor­ent­schei­dungs­ver­fah­ren, wo man sich in die­sem Jahr zu einem Mix aus allen mög­li­chen Ele­men­ten ent­schied. RTVE sam­mel­te bekannt­lich zunächst in einem offe­nen Ver­fah­ren (ähn­lich dem berühmt-berüch­tig­ten, mitt­ler­wei­le lei­der geschlos­se­nen schwei­ze­ri­schen Inter­net-Hades) knapp 400 Bewer­bun­gen, aus denen es 30 Titel aus­wähl­te und online stell­te. Hier­über durf­ten die Nutzer/innen im Dezem­ber 2016 abstim­men und ihre zehn Lieb­lings­lie­der aus­wäh­len, aus denen eine sen­der­ei­ge­ne Jury wie­der­um die drei ziem­lich ega­len Num­mern her­aus­pick­te, die sich ver­gan­ge­nen Don­ners­tag in der live aus­ge­strahl­ten End­run­de des Euro­casting einem erneu­ten Publi­kums­vo­ting stel­len durf­ten und von denen die Sie­ge­rin, LeKlein, im Febru­ar beim “gro­ßen” Vor­ent­scheid auf fünf wei­te­re vom Sen­der gestell­te Kandidat/innen trifft. Ges­tern nun ver­öf­fent­lich­te RTVE die detail­lier­ten Abstim­mungs­er­geb­nis­se des Euro­casting, und die offen­bar­ten mal wie­der den unheil­vol­len Ein­fluss der bösen → Jury. Denn die neun Besserwisser/innen ver­hin­der­ten mit einer kon­zer­tier­ten, kon­se­quen­ten Null-Bepunk­tung den Ein­zug des ein­deu­ti­gen Publi­kums­lieb­lings Nito in die Drei­er­run­de. Des­sen fett boun­cen­der Bei­trag ‘Luna’ ist zwar nach knapp einer Minu­te aus­er­zählt und nervt danach ein biss­chen, über­zeugt ande­rer­seits mit Hand­klat­schern, dem ulti­ma­ti­ven Qua­li­täts­sie­gel für Euro­vi­si­ons­lie­der. Und ist damit schon mal bes­ser als alles, was sich jetzt in der End­run­de fin­det. Ärgern dürf­te sich unter­des­sen Bre­quet­te Cas­sie. Die unter­lag bekannt­lich beim spa­ni­schen Vor­ent­scheid von 2014 in der fina­len Kampf­ab­stim­mung einer gewis­sen Ruth Loren­zo mit knapp 4% weni­ger Stim­men. Dies­mal fehl­te ihr (für einen kom­plett ver­ges­sens­wür­di­gen Song) sogar nur eine ein­zi­ge – im Juro­ren­vo­ting ver­ei­nig­te das von Locken­köpf­chen (Rang 3 in der Inter­net­ab­stim­mung) sechs Zäh­ler auf sich und lan­de­te damit auf dem unglück­li­chen vier­ten Platz. Kon­kur­rent Javi­an (Rang 2) erhielt 7 Punk­te und zog ins “klei­ne” Fina­le ein. Die Euro­casting-Sie­ge­rin LeKlein lan­de­te in der Inter­net­ab­stim­mung übri­gens auf Rang 4.

Schnell, sag mir was Schmut­zi­ges: “Jury”. (ES)

Dabei lie­ßen die Spanier/innen dort die (äußerst weni­gen) eini­ger­ma­ßen anspre­chen­den Songs mal wie­der links lie­gen. So lan­de­te der nied­li­che Man­bun-Trä­ger Iran­zo Iranz­inix, der wenn schon kein inter­es­san­tes Lied, dann wenigs­tens ein inter­es­san­tes Video bei­steu­er­te, auf dem letz­ten Platz in der Gunst der Abstim­men­den. Eben­falls hin­ten blie­ben Deter­gen­te Líqui­do mit der Geschwin­dig­keits­an­ga­be ‘131 BPM, wobei auch hier zuge­ge­be­ner­ma­ßen der Band­na­me – Flüs­sig­wasch­mit­tel – noch das bes­te an der Num­mer ist. Beson­ders scha­de: mit nur rund 30 Stim­men Unter­schied ver­pass­te super­se­xy Javi Sol­eil, vor zehn Jah­ren beim Wett­be­werb in Hel­sin­ki noch Teil der lus­ti­gen ibe­rischwe­di­schen Boy­band D’Nash (“Cum gim­me your Load”) knapp den Ein­zug unter die letz­ten Zehn. Dabei klingt sein wun­der­bar melo­dra­ma­ti­scher Bin­den­wer­be­song ‘Alas moja­das’ (‘Feuch­te Flü­gel’), für den es lei­der nur ein lang­wei­li­ges Lyric-Video gibt (ver­dammt sei­en die gei­zi­gen Plat­ten­fir­men!), noch am ehes­ten nach dem, was ich mir unter einem typi­schen spa­ni­schen Euro­vi­si­ons­bei­trag so vor­stel­le. Doch augen­schein­lich wol­len die Iberer/innen genau das nicht mehr hören. Nun bleibt nur noch die vage Hoff­nung, dass sie sich wenigs­tens im Vor­ent­schei­dungs­fi­na­le eines Bes­se­ren besin­nen und den ziem­lich ein­deu­ti­gen inter­na­tio­na­len Fan-Favo­ri­ten-Song ‘Lo que nun­ca fue’ (‘Was nie­mals ver­geht’) von Pau­la Rojo nach Kiew dele­gie­ren – die zar­te Coun­try­wei­se erweist sich unter den ver­blie­be­nen sechs Titeln als der ein­zi­ge, der mei­ne Auf­merk­sam­keit zumin­dest für mehr als drei Sekun­den zu fes­seln ver­mag und es im Mai bei der euro­pa­wei­ten Abstim­mung gera­de so über Rang 20 hin­aus schaf­fen könn­te. Was ist nur aus einem mei­ner eins­ti­gen Euro­vi­si­ons-Lieb­lings­län­der geworden?

Mir schwant Übles: der spa­ni­sche Ira­ner lan­de­te in der Publi­kums­gunst ganz hinten.

Die Pau­la. (ES)

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