Drit­ter Super­sams­tag 2017: extrem heterosexuell

Es war mal wie­der ein Abend der euro­vi­sio­nä­ren Über­for­de­rung ges­tern: neben den gleich drei fina­len Ent­schei­dun­gen in Ungarn, Mal­ta und Polen lie­fen zeit­gleich noch fünf (!) wei­te­re Vor­run­den und Semis. Und in den meis­ten von ihnen fie­len ähn­lich depri­mie­ren­de Fehl­ent­schei­dun­gen. Das begann bereits im schwe­di­schen Väx­jö, wo das bis­lang schwächs­te Vier­tel­fi­na­le des Melo­di­fes­ti­valen mit durch die Bank völ­lig ega­len Bei­trä­gen über die Büh­ne ging und wo die wun­der­ba­re, quir­li­ge Kris­ta Sieg­fri­ds (→ FI 2013) mit dem wun­der­ba­ren, quir­li­gen Mel­lo-Schla­ger ‘Snur­ra min jord’, frag­los dem ein­zi­gen guten Song des gesam­ten Abends, unfass­ba­rer­wei­se auf dem letz­ten Platz lan­de­te. Und das trotz vor­schrifts­mä­ßi­ger Cho­reo­gra­fie mit Holo­gramm und Haar­schüt­tel­beu­ge, schwe­di­scher Spra­che, des für deut­sche Ohren lus­ti­gen Lied­ti­tels und der kristaty­pi­schen Fabel­haf­tig­keit des gesam­ten Packa­ges. War­um, oh Schwe­den, war­um? Ich kann eigent­lich nur zwei mög­li­che Erklä­run­gen hier­für fin­den, und bei­de sind glei­cher­ma­ßen betrüb­lich: ent­we­der seid ihr gene­rell fin­nin­nen­feind­lich oder ihr lei­det schlicht­weg unter kol­lek­ti­ver Geschmacks­ver­ir­rung. Statt­des­sen schick­tet ihr mit Oweh Thörn­q­vist und sei­nem schreck­li­chen ‘Boo­gie­man Blues’ einen schät­zungs­wei­sen hun­dert­jäh­ri­gen Tat­ter­greis Direkt till Glo­ben (DTG) ins Mel­lo-Fina­le, der ohne den eigens für ihn als Stüt­ze auf die Büh­ne gestell­ten Bar­ho­cker wohl noch wäh­rend sei­nes Auf­trit­tes stumpf umge­klappt wäre. War­um, oh Schwe­den, war­um? Immer­hin ver­moch­te mich Eure zwei­te DTG-Wahl etwas zu besänf­ti­gen: der mensch­ge­wor­de­ne Schleim­prop­fen Robin Beng­ts­son, der sich in der Wer­tungs­pau­se von Mel­lo-Mode­ra­tor David Lind­gren abschle­cken las­sen muss­te, prä­sen­tier­te mit ‘I can’t go on’ einen zwar kom­plett unori­gi­nel­len, aber von Robin und sei­ner Brech­reiz-Yup­pies-Begleit­ban­de zumin­dest her­aus­ra­gend vor­ge­tanz­ten, upt­em­po­rä­ren Schwe­den­schla­ger. Euer Glück, dass wenigs­tens er pas­sie­ren durf­te, sonst hie­ße es heu­te Abend zur Stra­fe ohne Essen ins Bett!

Erfreu­lich: dank flei­ßi­gen Jod-Kon­sums schnurrt Kris­ta wie ein neu­ge­bo­re­nes Kätz­chen (SE)

Im zwei­ten Semi­fi­na­le der slo­we­ni­schen EMA ver­stieß das Dance­kol­lek­tiv United Pan­daz unter­des­sen gegen die gehei­lig­te EBU-Regel “Kei­ne Kin­der und Tie­re”, indem zwei ihrer Mit­glie­der einen auf Cro mach­ten und ihre Gesich­ter unter gigan­ti­schen Pan­da­köp­fen ver­steck­ten. Ob wegen des Grup­pen­na­mens oder aus Scham über ihren unter­ir­disch schlech­ten Song ‘Heart to Heart’, bleibt ihr Geheim­nis. Ähn­lich wie in Schwe­den ver­moch­te auch hier im gesam­ten, acht Star­ter brei­ten Feld kein ein­zi­ges Lied wirk­lich zu über­zeu­gen. Wie bereits in Mal­ta und Polen gab es jedoch einen neu­en Ein­trag in die Kate­go­rie “so schlecht, dass es schon wie­der gut ist” zu ver­zeich­nen, hier in Form der dis­ney­es­ken Breit­wand-Schlon­z­bal­la­de ‘Are you the­re’ (bezog sich die­se Fra­ge auf die Abwe­sen­heit des guten Geschmacks?), mit inbrüns­ti­gem Pathos dar­ge­bo­ten von einem Pär­chen namens Kata­ya & Dun­can Kama­ka­na. Scha­de nur, dass die Bei­den sich nicht immer über die zu into­nie­ren­de Ton­art einig waren. Denn ein Duett lässt sich nun mal nicht allei­ne schul­tern, auch wenn Dun­can dafür gute Vor­aus­set­zun­gen mitbrachte.

Die Macher von Glee haben ange­ru­fen und wol­len ihre Dar­stel­ler zurück (SI)

Die Zwei schie­den, eben­so wie die Pan­das, aus. Ins Fina­le schaff­te es dage­gen der druck­vol­le, wenn auch unglaub­lich bil­li­ge (aber bil­lig, ey, da steh ich nun mal drauf) Modern-Tal­king-Gedächt­nis­track ‘Open Fire’ von Tim Kores, zu wel­chem der wenig cha­ris­ma­ti­sche und stimm­lich min­der­be­gab­te Sän­ger auf der LED-Lein­wand so vor­her­seh­bar wie unver­meid­lich ein flam­men­des Infer­no ent­fa­chen ließ, ein­schließ­lich eines holo­gra­fier­ten Hand­flä­chen­bran­des. Der visu­el­le Ein­druck reich­te fürs Wei­ter­kom­men, und nun hof­fe ich, dass er sei­nen Feu­er­zau­ber auch im Fina­le noch mal zu ent­zün­den ver­mag, denn auch wenn der Song wahr­lich nicht zu den weg­wei­sen­den Euro­vi­si­ons­lie­dern zählt, han­delt es sich noch um das Bes­te (also im Sin­ne von am wenigs­ten Schlech­ten), was die Slo­we­nen die­ses Jahr vor­wei­sen kön­nen. Und wenigs­tens reimt er nicht “Desi­re” auf “Fire”. Man ist ja schon für Klei­nig­kei­ten dank­bar mitt­ler­wei­le. Viel­leicht mag man bis nächs­te Woche den Sän­ger noch schnell aus­tau­schen: Tho­mas Anders (→ Vor­ent­scheid DE 2006) hät­te bestimmt Zeit.

Feu­er brennt nicht nur im Kamin: Tim Kores (SI)

Das zwei­te Semi­fi­na­le ging eben­falls in Est­land über die Büh­ne. Dort ließ sich unter ande­rem eine offen­sicht­li­che Lang­zeit-Dro­gen­ge­brau­che­rin bewun­dern, die zu einer abstru­sen Flö­ten­me­lo­dei irgend­wel­che merk­wür­di­gen Segens­sprü­che (oder waren es kryp­ti­sche Ver­wün­schun­gen?) an aller­lei euro­päi­sche Natio­nen sand­te. Ein nun wirk­lich uraltes, extrem aus­ge­lutsch­tes Punk­te­ab­greif-Kon­zept, das im Song­ti­tel ‘Make Love, not War’ sei­ne Ent­spre­chung fand, von sei­ner musi­ka­li­schen Güte her jedoch als aus­rei­chen­der Grund für einen Angriffs­krieg auf Est­land gel­ten muss. Bevor ein gewis­ser Vla­di­mir dies aber zum Anlass nimmt: die Alvi­star Funk Asso­cia­ti­on schied ges­tern Abend aus. Eben­so übri­gens wie das ver­schro­be­ne Folk-Kol­lek­tiv Aldi Süd Ant­sud, wel­ches bar­fü­ßig und umge­ben von einem vir­tu­el­len Regen­schlei­er mit dem har­mo­nik­aun­ter­stütz­ten, ver­schro­be­nen Folks­tück Vim ‘Vihm’ mal wie­der ein klei­nes biss­chen was von dem ver­schro­be­nen Zau­ber auf­blit­zen ließ, der die Eesti Laul einst­mals so beson­ders machte.

 Die Kel­ly Fami­ly hat ange­ru­fen und will Mai­te Kel­ly zurück (EE)

Davon war bei den ins Fina­le Wei­ter­ge­zo­ge­nen aller­dings nichts fest­zu­stel­len, noch nicht ein­mal bei der lus­tig benams­ten Ker­li (was für ein fabel­haf­ter Drag-Queen-Name!), die zu einem etwas anstren­gen­den Elek­tro­tra­ck ihr ‘Spi­rit Ani­mal’ besang, also ihr eso­te­ri­sches Kraft­tier, das dem spi­ri­tu­ell ange­hauch­ten Men­schen durch sei­ne ihm zuge­schrie­be­nen Eigen­schaf­ten Stär­ke ver­lei­hen soll. Bei die­sem Tier muss es sich in Ker­lis Fall wohl um die bis­lang zoo­lo­gisch noch nicht in Erschei­nung getre­te­ne Glit­ter­gi­raf­fe han­deln, denn nicht nur die blon­dier­te, leicht­ge­schürz­te Sän­ge­rin und ihre vier in Engels­ge­wän­dern ver­klei­de­ten Begleittän­zer bade­ten gera­de­zu im Sil­ber­flit­ter, son­dern auch die Büh­ne. Den lus­tigs­ten Moment des Abends lie­fer­te jedoch die Band Almost Natu­ral, als man näm­lich anfäng­lich für ein paar Sekun­den­bruch­tei­le glaub­te, Con­chi­ta Wurst (→ AT 2014) habe sich nach Est­land ver­irrt, nur um beim genau­en Hin­schau­en fest­zu­stel­len, dass es sich um den voll­bär­ti­gen, lang­haa­ri­gen Lead­sän­ger der Kapel­le handelte.

Hat ein biss­chen was von Kar­ma-Kar­ne­val: Ker­li (EE)

Tra­gi­sche Fehl­ent­schei­dun­gen traf die Jury in der drit­ten Vor­run­de der ukrai­ni­schen Vor­ent­schei­dung, die sich eben­falls ges­tern Abend ent­fal­te­te. Das äußer­te sich unter ande­rem mit der Zurück­wei­sung des Damen­tri­os Payush­chie Tru­sy (Sin­gen­de Hosen) mit dem selbst­re­fe­ren­ti­el­len Titel ‘Sin­ging Pants’. Die über­bo­ten in ihrer Büh­nen­show den laten­ten, sei­ner­zeit aller­dings iro­nisch über­zeich­net gemein­ten Sexis­mus der pol­ni­schen But­ter­mäg­de von 2014 und prä­sen­tier­ten sich visu­ell als drei sexy auf­ge­bre­zel­te Haus­frau­en, die in fleisch­far­be­nen Strap­sen wei­te­re Lin­ge­rie­ar­ti­kel von Hand wuschen und zum Trock­nen auf die Lei­ne hin­gen, wenn sie nicht gera­de damit beschäf­tigt waren, auf­rei­zend über die Büh­ne zu stol­zie­ren und die Haa­re zu schüt­teln. Also der fleisch­ge­wor­de­ne Traum jedes hete­ro­se­xu­el­len männ­li­chen Chau­vi­nis­ten­schweins: wil­li­ge Schlam­pen bei der Haus­ar­beit! Auf­grund der äußerst anstren­gen­den Tätig­kei­ten sang indes tat­säch­lich nur die mitt­le­re, hier­für von ihren Kol­le­gin­nen von der Wäschefron ent­bun­de­nen Hosen (die zudem als Ein­zi­ge eine Hose tra­gen durf­te), ein faschings­haft ver­klei­de­ter Begleit­chor besorg­te den Rest. Die rund­weg lus­ti­ge Num­mer lan­de­te lei­der auf dem letz­ten Platz.

Wie von der Natur vor­ge­se­hen: fröh­lich sin­gen­de, leicht­be­klei­de­te Frau­en bei der Haus­ar­beit (UA)

Mit Punk­te­gleich­stand zum zweit­plat­zier­ten Cas­ting­show-Büb­chen Melo­vin, der aber das Publi­kums­vo­ting topp­te und damit wei­ter durf­te, schei­ter­te tra­gi­scher­wei­se das Rock-Elek­tro-Pop-Fusi­on-Duo Kad­nay ganz knapp am Final­ein­zug. Dabei wäre der bei sei­nem Auf­tritt offen­sicht­lich extrem unter Strom ste­hen­de, extrem gut­aus­se­hen­de Lead­sän­ger und sein Kum­pel mit ihrem irgend­wie ver­spiel­ten, aber druck­vol­len Stück ‘Free­dom in my Mind’ auch in der Eesti Laul nicht fehl am Plat­ze gewe­sen. Jeden­falls hät­te ich sie ger­ne in Kiew wie­der­ge­se­hen, allei­ne schon aus opti­schen Grün­den. Der besag­te Lead­sän­ger erreg­te nicht nur mein Wohl­ge­fal­len: direkt nach sei­nem Auf­tritt muss­te er sich von dem Mode­ra­tor der Sen­dung ein mehr als merk­wür­di­ges Lob über sein “extrem hete­ro­se­xu­el­les” Aus­se­hen gefal­len las­sen, was in der ziem­lich homof­eind­li­chen Ukrai­ne wohl als posi­ti­ve Bestä­ti­gung gel­ten muss, sich aber natür­lich auch der Kate­go­rie der not­dürf­tig kaschier­ten Brom­ance zuord­nen lässt. Auch die Jury ent­flamm­te für so viel Straight­ness und bestimm­te Kad­nay zu ihren Sie­gern, was jedoch dank des man­geln­den Publi­kums­zu­spruchs nicht reichte.

Hete­ro­se­xu­ell wie die Höl­le: der Lead­sän­ger von Kad­nay (UA)

Statt­des­sen führ­te im addier­ten Gesamt­ran­king mal wie­der die Num­mer Zwei bei Jury und Publi­kum: die Lang­wei­ler­ka­pel­le O. Tor­vald konn­te zwar Bonus­punk­te für ihren ganz und gar nicht hete­ro­se­xu­el­len, son­dern eher extra­va­gan­ten Klei­dungs­stil sam­meln, nerv­te akus­tisch mit ihrem anstren­gen­den, irgend­wie sau­er­töp­fisch klin­gen­den Krach aber unge­mein. So dass mein Herz einen klei­nen Freu­den­sprung mach­te, als der Lead­sän­ger mit­ten im Vor­trag nach einem ver­hält­nis­mä­ßig lei­se peit­schen­den Knall plötz­lich zurück­zuck­te und eine rote Flüs­sig­keit sein Gewand besu­del­te. Hat­te etwa ein Mensch mit Geschmack aus dem Publi­kum gewis­ser­ma­ßen in musi­ka­li­scher Not­wehr auf ihn geschos­sen? Lei­der nein: Thea­ter­blut sicker­te da aus einer eigens unter dem Shirt ver­steck­ten Appa­ra­tur, um für einen kur­zen, unter­halt­sa­men Moment in der drei­mi­nü­ti­gen Ödnis zu sor­gen. Damit setzt sich ein Trend zu düs­te­ren The­men fort, wie er nach Jama­las Sieg schon zu erwar­ten stand und sich bei den dies­jäh­ri­gen Vor­ent­schei­dun­gen unter ande­rem bereits in Polen und Lett­land mani­fes­tier­te. Oh, und wo wir gera­de auf dem Bal­ti­kum sind: Litau­en ver­ab­schie­de­te sich ges­tern mit der Abwahl der fabel­haf­ten Dis­co­tran­se Loli­ta Zero end­gül­tig aus dem Kreis der Final-Aspi­ran­ten. Nun steht die Wolfs­frau Ais­té als ein­zi­ge ernst­haf­te Opti­on zur Wahl, aber auch das wer­den die Bal­ten noch verbocken…

O. Tor­vald geben ihr Leben für uns (UA)

3 Comments

  • So, wie sich das anhört, ist der all­ge­mei­ne Pop­mu­sik­trend zu Düs­ter­nis, Depres­si­on und schlecht als Anspruch kaschier­ter Lan­ge­wei­le also auch beim ESC ange­kom­men. Na fan­tas­tisch. Wir kön­nen ja fast schon dank­bar sein, dass Lukas Gra­ham wohl Bes­se­res zu tun hat­ten, als sich beim Dansk Melo­di Grand Prix die Ehre zu geben…

  • Scha­de, dass die bestraps­ten Wasch­wei­ber es nicht geschafft haben. Sie hät­ten sicher zur Erhei­te­rung unse­res tra­di­tio­nel­len ESC-Abends beigetragen.

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