Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: Hol­le­ri du dödel di

Respekt, ihr Rumä­nen! Dass die unter­hal­tungs­ge­werb­lich nicht all­zu gut bestück­te Schweiz für die Prä­sen­ta­ti­on ihres Euro­vi­si­ons­bei­tra­ges bei Euch wil­dern ging und ver­gan­ge­nen Sonn­tag Eure Lands­män­nin Miru­na Manes­cu und ihr Trio Time­bel­le zur Reprä­sen­tan­tin wähl­te, ließt Ihr nicht all zu lan­ge auf Euch sit­zen: ‘Yodel it!’ heißt Eure promp­te Ant­wort, lus­ti­ger­wei­se vom sel­ben Kom­po­nis­ten geschrie­ben, der auch das Schwei­zer Trio pro­du­ziert. Und die ist so cle­ver wie groß­ar­tig: eine ein­gän­gi­ge Pop­num­mer mit ordent­li­chem Schub und, wie es der Titel bereits ver­spricht, aus­führ­li­chem, tech­nisch ein­wand­frei­em Jodeln. Also dem eigent­lich tra­di­tio­nel­len alpen­län­di­schen Mar­ken­zei­chen in Sachen Gesang! Dass dies aber eben nicht nur die Eid­ge­nos­sen (und die Öster­rei­cher) beherr­schen, bewie­sen die rumä­ni­sche Sän­ge­rin Ilin­ca und ihr Beglei­ter Alex Flo­rea sehr ein­drück­lich – beim erst­ma­lig (noch bis Sonn­tag scheib­chen­wei­se im Fern­se­hen) über­tra­ge­nen Vor­sin­gen aller 72 Bewerber/innen für die hei­mi­sche Euro­vi­si­ons­vor­ent­schei­dung. Und zwar pas­send zur moder­nen Anmu­tung des Songs nicht in Dirndl und Leder­ho­sen, son­dern auch optisch sehr sexy. Jetzt kann ich nur hof­fen, dass ‘Yodel it!’ nicht nur in die Sel­ecţia Naţio­nală ein­zieht (am 12. Febru­ar 2017 gibt TVR die 15 Glück­li­chen bekannt), son­dern dort auch gewinnt. Es wäre eine gute Wahl: an die­se Num­mer erin­nern sich die Zuschauer/innen im Mai 2017 auch nach 26 Titeln noch. Und obschon sie rich­tig viel Spaß macht, ist es kein tra­shi­ger Come­dy-Bei­trag, soll­te also auch bei den Juro­ren gut ankom­men. Bit­te schickt das!

Haben ihr Jodel­di­plom mit Aus­zeich­nung bestan­den: Ilin­ca & Alex (RO)

Trash gibt es beim Vor­sin­gen im Kar­pa­ten­land aber dan­kens­wer­ter­wei­se auch zu bestau­nen, bei­spiels­wei­se in Form von Dan­nyi, der die Show wohl irgend­wie mit einer Kar­ne­vals­sit­zung zu ver­wech­seln schien. Denn nicht nur, dass er sich ein pla­s­ti­fi­zier­tes, glit­zern­des Dep­pen­hüt­chen auf­ge­setzt hat­te, nein, er trug auch einen Braut­strauß bei sich, den er aller­dings pünkt­lich zum ers­ten Refrain (wenn man das so nen­nen will) in der eben­falls mit­ge­brach­ten Bett­de­cke ver­steck­te und statt­des­sen einen Voll­plas­tik-Toten­kopf her­vor­zau­ber­te. Zu wel­chem Behu­fe, bleibt im Dun­keln, denn Den­nyi singt in Lan­des­spra­che und ich habe somit nicht den blas­ses­ten Schim­mer, um was es in sei­nem Song geht. Der im Übri­gen klingt wie die ers­te Demo­ver­si­on eines Acht­zi­ger­jah­re-Italo­dis­co-Lied­chens, das nie­mals die Welt hät­te erbli­cken dür­fen. Zitier­te er Shake­speare? Oder woll­te er einen Gru­sel­ef­fekt erzeu­gen? Dazu sah das Requi­sit aller­dings viel zu lächer­lich aus, und außer­dem hat­te er das bereits durch sein bis zum Bauch­na­bel auf­ge­knöpf­tes Hemd viel effek­ti­ver erle­digt. Ganz zum Schluss küss­te er den Plas­teschä­del gar auf den Mund, und es beschlich mich an die­ser Stel­le der böse Ver­dacht, dass es sich bei dem Gim­mick auch im ech­ten Leben um sei­nen ein­zi­gen Sexu­al­part­ner han­deln könnte…

Alter­na­ti­ve Theo­rie: Dan­ny­is Vater starb schon vor Jah­ren an Fremd­scham über sei­nen Sohn. Der hat ihn nun immer bei sich (RO)

Eine Erwäh­nung ehren­hal­ber ver­dient außer­dem der Sopra­nist Pitt Lef­fer, der offen­bar vor­hat­te, auf Cezars (→ RO 2013) Spu­ren zu wan­deln. Er kam ganz in schwarz mit Kapu­zen­ja­cke und erin­ner­te so optisch ein wenig an Gevat­ter Tod. Was sich als ziem­lich pas­send gewählt her­aus­stell­te, denn stimm­lich ver­en­de­te er bereits in den ers­ten 30 Sekun­den. Und zwar sehr, sehr jäm­mer­lich. Auf bizar­re Wei­se lus­tig auch der Moment, als Pitt zum schlag­ar­tig ein­set­zen­den Tech­n­obeat sei­nes Titels für kur­ze Zeit tanzt wie ein jun­ger Gott, dann aber erschro­cken inne­hält, so als habe er sich nur ver­se­hent­lich hin­rei­ßen las­sen, sich nun wie­der sei­ner Ernst­haf­tig­keit besinnt und ab da nur noch sehr ver­hal­te­ne Bewe­gun­gen macht. Viel­leicht fiel ihm aber auch nur ein, dass er schwer atmend vor so viel Anstren­gung noch stär­ker dane­ben klin­gen könnte.

Was haben die Kar­pa­ten­an­woh­ner immer nur mit die­sen Kas­tra­ten­ge­sän­gen? (RO)

Zwei eth­no­las­ti­ge Stü­cke fin­den sich eben­falls im Auf­ge­bot, und sie könn­ten unter­schied­li­cher nicht daher­kom­men. Flo­rin Chi­li­an meint es offen­sicht­lich sehr, sehr ernst: der völ­lig ung­la­mou­rö­se, extrem gries­grä­mig drein­bli­cken­de, bebrill­te Mitt­vier­zi­ger sitzt in einer bestick­ten Trach­ten­wes­te völ­lig bewe­gungs­los auf einem bereit­ge­stell­ten Bar­ho­cker, vor sich einen Noten­stän­der mit dem ver­mut­lich selbst ver­fass­ten Text sei­nes Bei­trags ‘Colț de Lup’ (‘Die Fän­ge des Wolfs’), den er zu baro­cken Gei­gen­klän­gen zunächst mehr pre­digt als singt. Und er wirkt dabei, offen gesagt, so sym­pa­thisch wie einer der reli­gi­ös ver­wirr­ten Homo-Het­zer von der AfD oder der CSU. Dann aber scheint ihm ein­zu­fal­len, dass er sich in einem Gesangs­wett­be­werb befin­det, und er gibt lau­te, lan­ge, höhe Töne von sich. Mit einer der­ma­ßen metal­lisch-sau­ren und schie­fen Stim­me, dass sich dem Zuhö­rer augen­blick­lich die Zehen­nä­gel hoch­rol­len. Ein quiet­schen­des Stück Krei­de auf einer Schul­ta­fel könn­te nicht unan­ge­neh­mer sein. Man wünscht sich augen­blick­lich in die the­ma­ti­sier­ten Zäh­ne des räu­be­ri­schen Wald­tie­res, auf dass das Lei­den ein Ende neh­me. Schauderhaft!

Aua, aua: Flo­rin guckt nicht nur ver­bies­tert, er bringt Dir auch Schmer­zen (RO)

Ganz anders hin­ge­gen die rumä­ni­sche Schau­spie­le­rin Tania Popa. Barock sind an ihr nur die Figur und die mas­si­ven Gold­sti­cke­rei­en ihres schwar­zen Abend­klei­des. ‘Fata tutu­r­or’, so ihr Titel, über­setzt sich in etwa als ‘Jeder­mann­mäd­chen’ (oder, etwas weni­ger blu­mig aus­ge­drückt: ‘Wan­der­po­kal’). Und die­ses lebens­fro­he Mäd­chen wohnt offen­bar in “Wien”, jeden­falls singt Tania das immer und immer wie­der. Bezie­hungs­wei­se ist es neben “High Five” und “Fuck” das ein­zi­ge Wort, das ich im lan­des­sprach­li­chen Text zu ver­ste­hen glau­be. Der Song ent­puppt sich als alt­mo­di­scher, aus diver­sen musi­ka­li­schen Ver­satz­stü­cken zusam­men­ge­den­gel­ter, aber kraft­vol­ler Tur­bo­schla­ger, der sogar einen kur­zen gespro­che­nen Part ent­hält. Bei dem die auch ansons­ten wun­der­bar über­per­for­ma­ti­ve Tania alle Regis­ter ihres mimi­schen Kön­nens zieht und Gri­mas­sen schnei­det, als hin­ge ihr Leben davon ab. Lei­der bremst die­ser Teil das Stück vom Tem­po her ziem­lich aus, aber zum Songfi­na­le haut Frau Popa dann noch­mal rich­tig auf die Zwölf. Das möch­te ich zwar nicht zwin­gend in Kiew, aber den­noch ger­ne noch­mal in der Sel­ecţia Naţio­nală sehen, bitte!

Die­se Zitro­ne hat noch viel Saft: Tania Popa (RO)

Skur­ri­li­tä­ten gab es am ver­gan­ge­nen Sonn­tag aber auch im ers­ten Vier­tel­fi­na­le der let­ti­schen Super­no­va zu bewun­dern (natür­lich nur als Neben­kriegs­schau­platz neben dem eigent­lich Star der Show, dem Riga-Biber, der erneut für bes­te Pau­sen­un­ter­hal­tung sorg­te). Hier erschreck­te ein glatz­köp­fi­ger, bewoll­mütz­ter, rot­haa­ri­ger, lei­chen­blas­ser Hip-Hop­per namens Pika­so die Zuschauer/innen, der in sei­nem Hafen­ar­bei­ter-Out­fit irgend­wie zu authen­tisch für eine Show der leich­ten Muse aus­sah. Dass er sei­nen ziem­lich bedeu­tungs­schwan­ge­ren (und in erstaun­li­cher­wei­se exzel­len­tem Eng­lisch vor sich hin gebell­ten) Text gen­re­ty­pisch mit aggres­si­ven Hand­be­we­gun­gen unter­stütz­te, mach­te es nur noch unan­ge­neh­mer. Auch der wirr vor sich hin stol­pern­de Elek­tro­beat und der Pries­ter­chor im Hin­ter­grund tru­gen nicht dazu bei, dass man als Rezi­pi­ent sei­nes Bei­trags irgend­wo einen roten Faden gefun­den hät­te. ‘U can keep your Cools’ hieß der übri­gens. Sind das nicht Ziga­ret­ten? Er durf­te jeden­falls ste­cken las­sen und schied in der Vor­run­de aus.

In der Regel hat­ten die Wikin­ger rote Bär­te: Pika­so (LV)

Lei­der auch drau­ßen: ein über­aus amü­san­ter Act namens First Ques­ti­on. Der behaup­te­te wahr­heits­wid­rig, ‘Naked’ vor uns zu ste­hen, was aller­dings nur für sei­ne Füße galt. Bei der Ein­rei­se nach Deutsch­land wür­de er indes sofort wegen eines Ver­sto­ßes gegen das Ver­mum­mungs­ver­bot fest­ge­nom­men, hat­te er doch einen wei­ßen Baum­woll­sack über sein Gesicht gestülpt. Dazu han­tier­te er hek­tisch mit einem Akten­kof­fer, in dem sich unbe­druck­te Papier­schnip­sel befan­den, die ver­mut­lich Dro­gen­gel­der, Par­tei­spen­den oder etwas ähn­lich Anrü­chi­ges sym­bo­li­sie­ren soll­ten. Oder die unbe­schrie­be­nen Sei­ten im Buch sei­nes Lebens, was weiß denn ich? Zwi­schen­drin tanz­te er immer mal wie­der sei­ne bei­den weib­li­chen (unver­hüll­ten) Back­ground­sän­ge­rin­nen an – das geht heut­zu­ta­ge natür­lich gar nicht mehr, Jun­ge: eine Arm­län­ge Abstand! Wobei: die­se Regel gilt bekannt­lich aus­schließ­lich für Män­ner mit ara­bi­schem Aus­se­hen, und unser Prot­ago­nist ist weiß, wie er schließ­lich durch das Zer­rei­ßen sei­ner Schä­del­tü­te unter Beweis stell­te. Damit mach­te er den Gag lei­der kom­plett kaputt und lie­fer­te zwan­zig Sekun­den vor Son­gen­de einen höl­li­schen Anti­kli­max. Scha­de, denn musi­ka­lisch war das zwar ziem­lich repe­ti­ti­ve, damit aber auch sehr ein­gän­gi­ge, elek­tro­las­ti­ge ‘Naked’ ein­deu­tig der bes­te Bei­trag des Abends.

Die­se Hack­fres­se wür­de ich auch lie­ber ver­hül­len: First Ques­ti­on (LV)

Nicht wei­ter ging es eben­falls für die immer noch blau­haa­ri­ge Rück­keh­re­rin Mntha (→ Vor­ent­scheid LV 2015), die es mit ihrem aktu­el­len Pro­jekt Crime Sea dies­mal ver­geb­lich ver­such­te, aller­dings dabei auch drein­blick­te, als habe sie das Ket­amin über­do­siert. Ihr Song war tat­säch­lich nicht wei­ter der Rede wert, was jedoch glei­cher­ma­ßen für die vier Titel gilt, die schließ­lich eine Run­de wei­ter zie­hen durf­te. Zwei davon such­ten die Juro­ren her­aus, zwei durf­ten die Zuschauer/innen direkt bestim­men. War­um die sich aus­ge­rech­net für Lin­da Leen ent­schie­den, erklärt sich mög­li­cher­wei­se nur mit dem typisch let­ti­schen Hang zur Selbst­sa­bo­ta­ge. Oder damit, dass sie auch im Vor­ent­schei­dungs-Fina­le noch­mal einen ech­ten Lacher haben wol­len. Denn die gute Lin­da trug nicht nur die spit­zes­ten Schul­ter­pols­ter seit dem Dino­sau­ri­er­kos­tüm von Maya Sar (→ BA 2012), son­dern schien auch bei der kos­me­ti­schen Vor­be­rei­tung auf ihren Super­no­va-Auf­tritt unter der Höhen­son­ne ein­ge­schla­fen zu sein. ‘Who is in Char­ge’ hieß ihr Bei­trag, und wie der Titel schon ver­mu­ten lässt, han­del­te es sich um eine flam­men­de Ankla­ge. Alle Unge­rech­tig­kei­ten die­ser schlech­ten, schlech­ten Welt zähl­te Frau Blair Leen auf, und zwar mit über­ak­zen­tu­ier­ter Beto­nung und einer Gri­mas­se, als gin­gen ihr gera­de ein paar Nie­ren­stei­ne ab. Das lös­te unver­meid­lich Erin­ne­run­gen an “Only Mr. God knows why”-Aisha (→ LV 2010) und ihre ukrai­ni­sche Kol­le­gin Aly­o­sha aus dem glei­chen Jahr­gang (“The Ant is near”) aus, die mit eben­sol­cher über­dra­ma­ti­schen Ernst­haf­tig­keit eben­so für unfrei­wil­li­ge Lach­sal­ven sorg­ten, aller­dings deut­lich bes­se­re Songs am Start hatten.

Grund­gü­ti­ger, ist Esther Hart (NL 2003) aber alt gewor­den! (LV)

6 Comments

  • Sor­ry – auch wenn ich hier den Spiel­ver­der­ber gebe. Aber die­se Über­schrift geht gar nicht. Und ich hof­fe, ich muss dir nicht erklä­ren warum.

  • Wer­ter Blog­ger Oli­ver, wie immer läufst Du bei den VEs zur Höchst­form auf – dan­ke wie­der ein­mal für eine eben­so lau­ni­ge wie tref­fen­de Beschrei­bung der Songs aus Rumä­ni­en, als auch Lett­land. Und hei­de­witz­ka, das Yodel-Diplom möch­te ich auch unbe­dingt in Kiew dabei haben und dann dafür anru­fen. Toll, das!

  • Ist ja fast schon blas­phe­mie. Haben die über­haupt ein jodel­di­plom? Wenn ja. Woher?
    @Meikel.…..spassbremse

  • Hat eigent­lich Ami­na­ta die­ses Jahr wie­der in Lett­land irgend­ein Eisen im Feu­er? Andern­falls wür­de mich die­ser Vor­ent­scheid nicht im Gerings­ten interessieren. 😉

  • @onlime
    In Lett­land nicht, aber im litaui­schen Vor­ent­scheid ist Ami­na­ta als Kom­po­nis­tin dabei.
    “i’m Like A Wolf” von Ais­tè Pil­ve­ly­tè ist von ihr geschrie­ben … und das hört man auch deutlich 🙂

  • @Meikel
    ich bin da ganz bei Dir. Hat mit Sass­brem­se nichts zu tun. Man kann auch mal kri­tisch ber­mer­ken. Das ist mir auch sau­er aufgestossen.

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