Vid­bir 2017: the Ant is near

Das dies­jäh­ri­ge Gast­ge­ber­land Ukrai­ne läuft wohl kei­ne Gefahr, den Wett­be­werb auch 2018 orga­ni­sie­ren zu müs­sen (höre ich da ein erleich­ter­tes Auf­at­men in der inter­na­tio­na­len Fan­ge­mein­de?), denn es ent­schied sich am heu­ti­gen Abend für zwar aus­ge­spro­chen pro­fes­sio­nell ins Bild gesetz­ten, musi­ka­lisch aber uner­träg­lich lang­wei­li­gen Seicht­rock. O.Torvald (jawohl, ohne Leer­zei­chen, dafür war wohl kein Geld mehr da) nennt sich das optisch ganz anspre­chen­de Sof­tro­ck­quin­tett, und es insze­nier­te sein lah­mes Geplod­der mit dem beim Song Con­test bis­lang noch nie dage­we­se­nen Titel ‘Time’ inhalt­lich pas­send als düs­te­res End­zeit-Set­ting. Deran­giert, mit auf­ge­mal­ten Schram­men und auf­ge­ris­se­nen T‑Shirts ste­hen die Tor­wäl­der auf der Büh­ne, aus ihrer Brust ragen die Dis­plays von Zeit­zün­dern, wel­che die noch ver­blei­ben­den Minu­ten und Sekun­den bis zum unver­meid­li­chen Unter­gang der Erde hin­un­ter­zäh­len. Bezie­hungs­wei­se in ihrem Fall bis zum nicht schnell genug kom­men kön­nen­den Ende des Songs, und hier­bei leis­ten die Digi­tal­an­zei­ger tat­säch­lich wert­vol­le Hil­fe, weiß der Zuschau­er doch so sehr genau, ob er sich beim Gang auf die Toi­let­te und / oder an den Kühl­schrank bzw. das Schnaps­schränk­chen beei­len muss oder sich noch Zeit las­sen kann. Wie auf­merk­sam! Wobei ich zuge­ben muss, dass mir die Insze­nie­rung des Titels im Semi­fi­na­le der ukrai­ni­schen Vor­ent­schei­dung deut­lich bes­ser gefiel: da wur­de der Lead­sän­ger von einem muti­gen und geschmacks­si­che­ren Zuschau­er aus dem Dun­kel des Sen­de­saa­les ange­schos­sen und blu­te­te sein Hemd voll – wenn auch nur mit Ket­chup. Und nein, natür­lich will ich kei­nes­falls Gewalt ver­harm­lo­sen oder recht­fer­ti­gen, aber die­ser Song kann einen da schon bis an die per­sön­li­che Gren­ze führen…

Die Hälf­te ist geschafft: nur noch eine Minu­te und 30 Sekun­den Lan­ge­wei­le sind zu über­ste­hen (UA)

Selbst­ver­ständ­lich – es ist ja schließ­lich die Ukrai­ne – erfolg­te auch die Wahl der Seicht­ro­cker nicht ohne inten­si­ves Wer­tungs­dra­ma. Wie schon im Vor­jahr war sich die drei­köp­fi­ge Jury, die als Ers­tes abzu­stim­men hat­te, unter­ein­an­der mal wie­der kein biss­chen einig und debat­tier­te (in Gegen­wart der pein­lich berühr­ten Künstler/innen) auf das hef­tigs­te und aus­führ­lichs­te mit­ein­an­der. Der Streit ent­zün­de­te sich ins­be­son­de­re am Publi­kums­fa­vo­ri­ten Melo­vin, einem leicht dick­li­chen Büb­chen mit ver­schie­den­far­bi­gen Kon­takt­lin­sen, der in fuß­nä­ge­lauf­rol­lend schlech­tem Eng­lisch etwas von einem ‘Won­der’ daher­jam­mer­te. Dank vor­her­ge­hen­der X‑Factor-Teil­nah­me konn­te sich der Mary­lin-Man­son-Epi­go­ne jedoch des Tele­vo­ting­sie­ges sicher sein, und ent­spre­chend straf­vo­te­ten ihn die Juro­ren vor­sichts­hal­ber her­un­ter, die ihn als Reprä­sen­tan­ten um jeden Preis ver­hin­dern woll­ten. Was sie Gott sei Dank auch schaff­ten. Gegen den erklär­ten Wil­len von Andrij Dany­lko (ali­as Ver­ka Ser­dutsch­ka [→ UA 2007]) übri­gens, der die Vor­lie­be des Publi­kums für uner­träg­li­ches Emo-Gewim­mer zu tei­len schien und Menowin Melo­vin eben­falls ger­ne von Kiew nach Kiew geschickt hät­te, sich aber gegen die bei­den Kol­le­gen nicht durch­set­zen konn­te. Das Cas­ting-Kind erhielt vom Mani­pu­la­ti­ons­gre­mi­um daher ledig­lich zwei mage­re Pünkt­chen und schaff­te es im Gesamt­ergeb­nis nur auf den zwei­ten Rang.

Natür­lich stell­te die fan­tas­ti­sche Jama­la neben ihrer Juro­ren­tä­tig­keit im Rah­men­pro­gramm des Vor­ent­schei­dungs­fi­na­les einen wei­te­ren Titel vor, dies­mal in einen bebom­mel­ten Gebets­tep­pich gewi­ckelt. Kön­nen wir sie nicht ein­fach noch mal haben? (UA)

Im Gegen­zug ver­hin­der­te das ukrai­ni­sche Publi­kum den Gesamt­sieg der Jury­fa­vo­ri­tin Tayan­na, einer in den höchs­ten Tönen schrei­en­den Bal­la­desse, und dafür kann ich ihnen nicht genug dan­ken, denn auch wenn Tayan­nas aus­ge­spro­chen klas­sisch struk­tu­rier­tes ‘I love you’ (mit­samt → Rückung und Trick­kleid) zu den stär­ke­ren Titeln des Abends gehör­te: noch eine wei­te­re Bal­la­de, und ich hät­te mir die Selbst­mord­at­ten­tats-Bom­ben­gür­tel von O.Torvald höchst­per­sön­lich umge­schnallt. Den unter­halt­sams­ten Moment des Abends lie­fer­te jedoch der Auf­tritt des Musik­kom­bi­na­tes Sal­to Nazad: eine schi­cke schwar­ze Frau mit schi­ckem Afro im Hin­ter­grund­chor sowie ein glatz­köp­fi­ger, unter­arm­tä­to­wier­ter, brust­be­haar­ter, voll­bär­ti­ger Kerl von einem Mann, der – wie bereits im Semi – mit ziem­lich abge­fah­re­nen, dabei zufäl­lig wir­ken­den Ver­ren­kun­gen auf das König­lichs­te unter­hielt. Und damit recht erfolg­reich von dem ganz net­ten, durch­aus anhör­ba­ren, aber kei­nes­falls welt­be­we­gen­den Titel ‘O Mamo’ (immer wie­der ger­ne genom­men, ver­glei­che auch Mol­da­wi­en) abzu­len­ken vermochte.

Yum­my yum­my yum­my, he puts Ants in my Tum­my (UA)

Aller­dings dies­mal nur bis zur Song­mit­te, als ihm schein­bar plötz­lich ein im Publi­kum sit­zen­des Müt­ter­chen die Show stahl. Die wipp­te die gan­ze Zeit schon ver­gnügt mit, schien sich per­sön­lich ange­spro­chen zu füh­len – und wur­de auch prompt von unse­rem ker­ni­gen Glat­zen­mann auf die Büh­ne gebe­ten. Wo sie dann, zur all­ge­mei­nen Über­ra­schung und zur beson­de­ren Belus­ti­gung von Juro­rin Jama­la (→ UA 2016) anfing, noch merk­wür­di­ge­re und spek­ta­ku­lä­re­re Moves hin­zu­le­gen, ein­schließ­lich eines tadel­lo­sen Kopf­stan­des! Ein bezau­bern­der Moment, auch wenn sich im Anschluss bei der Befra­gung durch den Mode­ra­tor her­aus­stell­te, dass es sich bei der gelen­ki­gen Alten nicht um die Mut­ter des Front­man­nes Sascha han­del­te, son­dern um eine mit dem Künst­ler­kol­lek­tiv Sal­to Nazad freund­schaft­lich ver­bun­de­ne Schwe­din, die sich dann mit ihrem Nicht-Sohn noch ein amü­san­tes Tier­stim­men­imi­ta­ti­ons­du­ell lie­fer­te. Hoch vergnüglich!

Gera­de mal sechs Wett­be­werbs­bei­trä­ge, end­lo­ses Jury­ge­la­ber, Wer­be­pau­sen bis zum Abwin­ken – macht zwei­ein­halb Stun­den Prime-Time-TV: das ukrai­ni­sche Fina­le 2017 am Stück

3 Comments

  • Oh mann, oh mann, oh mann. Ich bin erst zur Bekannt­ga­be der Publi­kums­ab­stim­mung dazu­ge­kom­men und habe da Bestä­ti­gung dafür erhal­ten, dass ich mir das ukrai­ni­sche Fina­le nicht gege­ben habe. Die letz­ten Minu­ten der Sen­dung (und offen­sicht­lich wohl auch die vier vor­an­ge­gan­ge­nen Stun­den) las­sen sich in vier Wor­ten gut beschrei­ben: Laber, laber, Omar Naber!

    Da ging es ab wie bei der münd­li­chen Abitur­prü­fung. Die Juro­ren waren wohl dazu gezwun­gen, detail­liert zu begrün­den, wie das Ergeb­nis zustan­de­ge­kom­men ist. Und für Tayan­na war es offen­sicht­lich eine Kata­stro­phe, dass sie nicht gewon­nen hat. Sie sah ziem­lich nie­der­ge­schla­gen aus. 

    Es war auch ziem­lich bedenk­lich, wie die Jungs auf ihren Sieg reagiert haben. Als ob es eine Stra­fe wäre, zum ESC im eige­nen Land zu fah­ren. Die Stim­mung war wohl nicht so gut dort. Aber mir gefällt der Bei­trag und ich fin­de es auch sehr nett, dass die Zuschau­er dar­über infor­miert wer­den, wie lan­ge das Lied noch dau­ert. Die­se Art von Musik wird eher rar blei­ben, des­we­gen fin­de ich es gut, dass man hier mal was Ande­res bekommt. Das Mot­to “Cele­bra­te Diver­si­ty” nimmt ja sonst kaum jemand ernst.

  • Ich hät­te gedacht, der Count­down bleibt bei 0:07 ste­hen und Roger Moo­re zieht den Zün­der. Muti­ge Wahl und als Host viel­leicht gar nicht so unbrauch­bar. Es ist was ande­res. Mal schauen.

  • @ Rai­ner
    Wenn schon, dann Dani­el Craig, man will ja auch die jün­ge­ren Ziel­grup­pen erreichen. 😉

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