Melo­di Grand Prix 2017: Stim­men im Wind

Ein offen­sicht­lich sehr beschei­de­nes und intro­ver­tier­tes Völk­chen, die­se Norweger/innen. So ver­steck­ten sie ihren dies­jäh­ri­gen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid, den tra­di­tio­nel­len Melo­di Grand Prix 2017, am letz­ten Super­sams­tag der lau­fen­den Grand-Prix-Sai­son hin­ter dem größ­ten­teils zeit­gleich lau­fen­den, bei Fans jedoch deut­lich belieb­te­ren schwe­di­schen Melo­di­fes­ti­valen, um mög­lichst unter sich zu blei­ben. Und schlos­sen die weni­gen den­noch zuschau­en wol­len­de Europäer/innen per Geo-Blo­cking vom Live­stream ihrer Show aus, um ihnen das im Ver­gleich zu den skan­di­na­vi­schen Nach­barn um Län­gen bes­se­re und viel­fäl­ti­ge­re musi­ka­li­sche Ange­bot vor­zu­ent­hal­ten nicht zumu­ten zu müs­sen. Die Hälf­te der ins­ge­samt zehn teil­neh­men­den Titel wäre des Sie­ges wür­dig gewe­sen, und mit dem nun aus­ge­wähl­ten Dance-Pro­jekt Jowst und dem erhe­ben­den ‘Grab the Moment’ tra­fen die Norweger/innen nicht die schlech­tes­te Wahl für Kiew. Der Name steht übri­gens für das Gehirn hin­ter dem Pro­jekt, den Pro­du­zen­ten Joa­kim With Steen, der sich auf der Büh­ne jedoch hin­ter einer LED-beleuch­te­ten Mas­ke ver­steck­te und die Lead­vo­cals dem Gast­sän­ger Alek­san­der Walm­ann überließ.

Dürf­te mich auch län­ger als einen Moment grab­ben: Alex Walm­ann, Front­sän­ger von Jowst (NO)

Der mit breit­krem­pi­gem Hut und kra­gen­lo­sem wei­ßen Hemd ein wenig wie der Hohe­pries­ter einer dem Ein­satz von bewusst­seins­er­wei­tern­den Sub­stan­zen gegen­über offe­nen Unter­grund-Sek­te aus­se­hen­de Front­mann erhär­te­te die­sen Ver­dacht, in dem er davon berich­te­te, die stän­dig nör­geln­den Stim­men in sei­nem Kopf töten und sich lie­ber voll und ganz dem Augen­blick hin­ge­ben zu wol­len, so wie es in Momen­ten der Eksta­se üblich ist. Guter Plan! Jowst setz­ten sich im Super­fi­na­le des MGP im rei­nen Tele­vo­ting gegen drei wei­te­re Kon­kur­ren­ten durch, dar­un­ter die Hard­rock­band Ammun­ti­on mit Front­mann Åge Sten Nil­sen, der 2005 beim letz­ten Euro­vi­si­on Song Con­test in Kiew als Teil der Glam­rock-For­ma­ti­on Wig Wam auf der Büh­ne stand. Als deut­lich inter­es­san­ter als die mit­tel­mä­ßig unter­halt­sa­me ‘Wre­cking Crew’ (so ihr Song­ti­tel) erwies sich jedoch der Eesti-Laul-wür­di­ge Elek­tro­pop­song ‘Places’ von Ulrik­ke, eben­falls Teil des Super­fi­na­les und durch­aus berech­tig­ter Lieb­lings­song der geschmacks­si­che­ren deut­schen Jury im ers­ten Wer­tungs­durch­gang, in dem neben dem Publi­kum auch (nach schwe­di­schem Vor­bild) Pro­fes­sio­nel­le aus etli­chen euro­päi­schen Län­dern abstimm­ten, die ein­zeln abge­fragt wur­den, dabei aber jeweils nur ihre Dou­ze Points nen­nen durf­ten. Schon hier ver­ein­ten Jowst die meis­ten Nen­nun­gen auf sich, gefolgt von Ammu­ni­ti­on und Ulrikke.

Hei­li­ge Mut­ter! (NO)

High­light die­ser Wer­tungs­run­de: das bri­ti­sche Jury-Ergeb­nis ver­las der drol­li­ge, wie immer über­en­thu­si­as­mier­te Wiwi­b­log­ger Wil­liam Lee Adams, des­sen Stim­me natür­lich an die Sän­ge­rin Ella ging, ein blon­des Voll­weib mit glit­ter­be­kleb­ten Brüs­ten, die sich in ihrem den Zuhö­rer mit gleich zwei Refrains ver­wöh­nen­den Klop­per ‘Mama’s Boy’ augen­zwin­kernd über Mut­ter­söhn­chen lus­tig mach­te – eine in der klas­si­schen Grand-Prix-Ziel­grup­pe, zu der auch Adams zählt, recht häu­fig anzu­tref­fen­de Spe­zi­es. Wie der Blog­ger selbst bemerk­te: “Of cour­se we love our Mamas”! Da kann ich mich nur anschlie­ßen. Den­noch schaff­te es Ella lei­der nicht ins Super­fi­na­le, im Gegen­satz zum fol­kig-mys­ti­schen Oad­je­bas­vuh­tii’ oder, so der eng­li­sche Unter­ti­tel, ‘First Step in Faith’ von Elin & The Woods, einem im sami­schen Dia­lekt dar­ge­bo­te­nen, spi­ri­tu­ell auf­ge­la­de­nen Joik mit star­ker elek­tro­ni­scher Unter­ma­lung. Sän­ge­rin Elin Kåven, die den Pro­jekt­na­men “The Woods” angeb­lich erfand, weil sie kei­ne Ent­schei­dung trifft, ohne vor­her inten­si­ve Zwie­spra­che mit den Bäu­men im Wald gehal­ten zu haben, visua­li­sier­te ihre inni­ge Lie­be zur Natur, in dem sie sich das Geweih eines eigen­hän­dig erleg­ten Elches ins Haar flocht. War­um auch nicht?

Hei­len­de Mut­ter Natur: Elin (NO)

Weni­ger natur­ver­bun­den prä­sen­tier­te sich die Rune Rud­berg Band, eine sechs­köp­fi­ge Coun­try­ka­pel­le aus mit­tel­al­ten Män­nern, die optisch wie musi­ka­lisch ein wenig an Truck Stop (→ Vor­ent­scheid DE 1979) erin­ner­ten und den in irri­tie­rend gro­ßer Anzahl als leben­de Büh­nen­de­ko­ra­ti­on um sie her­um­wu­seln­den weib­li­chen Pro­sti­tu­ier­ten den guten Rat ‘Run, run away’ mit auf den Weg gaben. Für ein wenig Ver­wir­rung sorg­te der ehe­ma­li­ge a‑ha-Front­mann und Komo­de­ra­tor des Grand Prix von 1996, Mor­ten Har­ket, der unter dem Tarn­na­men Kris­ti­an Valen antrat und augen­schein­lich nicht nur sein gutes Aus­se­hen ein­büß­te, son­dern auch sei­ne Stimm­kraft. So schief habe ich schon lan­ge nie­man­den mehr sin­gen hören! Trotz eini­ger Wack­ler deut­lich über­zeu­gen­der fiel da die Leis­tung des Mädel-Tri­os In Fusi­on aus, des­sen Pop-Stamp­fer ‘Not­hing ever kno­cked us over’ eben­falls zu den bes­se­ren Songs des MGP 2017 gehör­te, auch wenn ihnen für den schlim­men Band­na­men und die unmög­li­che Bi-Color-Fri­sur der figur­stärks­ten der drei Damen Punk­te abge­zo­gen gehör­ten. Wie Rune und sei­ne Man­nen (sowie etli­che ande­re Acts des Abends) boten auch sie eine schier unüber­blick­ba­re Anzahl von Tän­ze­rin­nen auf – die beim inter­na­tio­na­len Con­test rele­van­te → Sechs-Per­so­nen-Regel galt hier nicht. Doch, wie ihr Bei­spiel beleg­te: viel hilft nicht immer viel.

Dan­ke für die Trod­deln: In Fusi­on (NO)

Kommt Nor­we­gen mit Jowst ins Finale?

  • Natür­lich. Ein Licht­blick im düs­te­ren Bal­la­densee! (47%, 37 Votes)
  • Natür­lich nicht. So mit­tel­präch­ti­ges Dance-Zeug braucht nie­mand. (29%, 23 Votes)
  • Ich mag das, aber es con­nec­ted zu wenig mit dem Zuschau­er. Ich fürch­te, das wird nichts. (23%, 18 Votes)

Total Voters: 78

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8 Comments

  • Ganz akzep­ta­bler Gewin­ner, ich kann nur nichts mit irrele­van­ten DJs auf der Büh­ne anfan­gen (sie­he GR2014). Albern natür­lich auch die 500 Tän­zer auf der Büh­ne bei man­chen Acts, kön­nen die Nord­lich­ter nicht bis 6 zählen?!

  • Der Ein­äu­gi­ge unter den Blin­den hat gewon­nen. Ella hat­te zwar einen mei­ner Lieb­lings­songs die­ser Sai­son, aber ich fürch­te, sie wirk­te für die­sen Act dann doch etwas zu reif und eine ande­re Sän­ge­rin (und Büh­nen­show) hät­te dem Bei­trag bes­ser zu Gesicht gestan­den. Zum Glück ist uns Wig­wam rel­oa­ded ein zwei­tes Mal in Kiew erspart geblie­ben. Das wäre nur eine drö­ge Wie­der­ho­lung geworden.

  • Ach ja, was ich noch sagen woll­te: Genau wie bei Däne­mark war das Geo-Blo­cking zum Vor­ent­scheid deak­ti­viert. Ich hät­te nach Schwe­den sonst wohl kaum zuschal­ten können. 😉

  • also bei mir war ALLES blo­ckiert – da half auch kein wüs­tes Umherklicken 🙁
    Wür­de mich mal inter­es­sie­ren, was ich falsch gemacht habe (aus­ser halt eben Schwe­den zu schau­en und mich zu langweilen)

  • Nää nää nää, isch bin saua! Ich woll­te die Abriss­bir­ne (was denn sonst), aber hat ja nicht sol­len sein. Die Dame mit dem Geweih hät­te auch pläsiert.

  • Ich kann aus eige­ner Erfah­rung nur berich­ten, dass der Stream auf der NRK-Sei­te bei mir zu Beginn der Show noch geo­ge­blockt war. Ich hab dann über Zen­Ma­te eine nor­we­gi­sche IP-Adres­se vor­ge­täuscht, die Sei­te geschlos­sen und noch mal neu auf­ge­ru­fen und dann ging’s. Von ande­ren Leu­ten habe ich gehört, dass wohl der NRK-Prak­ti­kant den Stream erst mit eins, zwei Minu­ten Ver­spä­tung frei­ge­schal­tet habe, ande­re berich­ten aber auch, dass bei ihnen den gan­zen Abend nichts ging.

    Ich fin­de die gan­ze Situa­ti­on jeden­falls extrem ärger­lich und unbe­frie­di­gend und kann nicht ver­ste­hen, wie­so es der EBU nicht mög­lich sein soll, in die Teil­nah­me­be­din­gun­gen des ESC hin­ein­zu­schrei­ben, dass alle teil­neh­men­den Sen­der, die einen Vor­ent­scheid ver­an­stal­ten, die­sen per inter­na­tio­nal frei emp­fang­ba­ren Stream frei­zu­schal­ten haben. Wer damit ein Pro­blem hat, soll halt zu Hau­se blei­ben, es machen ja mehr als genug Län­der mit. Mich kotzt das echt an.

  • Hm, dann hat­te ich wohl ein­fach Glück. Aber ist wirk­lich blöd, dass nichts mehr über Eurovision.tv gestreamt wird.

  • Der Link bei esc­to­day lief tat­säch­lich auf eine geblock­te Sei­te, aber bei eurovision.tv gab es einen, der tadel­los funk­tio­niert hat. Habe mit Genuss die gan­ze Show gese­hen, da ja in Schwe­den eh nichts mehr zu erwar­ten war und ich alle Titel schon mal gese­hen hatte.

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