Joy Fle­ming ist tot

Die Inter­pre­tin des bes­ten deut­schen Grand-Prix-Lie­des aller Zei­ten weilt nicht mehr unter uns: wie unter ande­rem der Spie­gel heu­te unter Bezug­nah­me auf eine Mel­dung des SWR berich­tet, ver­starb die als Erna Raad in der Pfalz gebo­re­ne Jazz- und Soul­sän­ge­rin Joy Fle­ming am gest­ri­gen Mitt­woch im Alter von 72 Jah­ren. Dies bestä­tig­te ihr Manage­ment. Fle­ming ver­trat Deutsch­land beim Euro­vi­si­on Song Con­test von 1975 in Stock­holm mit dem sen­sa­tio­nel­len ‘Ein Lied kann eine Brü­cke sein’, das wegen sei­nes grand­pri­x­es­ken (aber nicht kit­schi­gen) Tex­tes und vor allem auf­grund der her­aus­ra­gen­den stimm­li­chen Fähig­kei­ten der fan­tas­ti­schen Joy in Erin­ne­rung bleibt. Lei­der beleg­te sie in Schwe­den ledig­lich den dritt­letz­ten Platz, was mit den kata­stro­pha­len Leis­tun­gen des dor­ti­gen Orches­ters zusam­men­hing, wel­ches ihren schwung­vol­len Soul-Knal­ler zu brä­si­gem Sound­brei zer­matsch­te, aber auch mit dem schlim­men, kotz­grü­nen Wurst­pel­lenk­leid, in wel­ches der sei­ner­zeit feder­füh­ren­de Hes­si­sche Rund­funk die ger­ma­ni­sche Reprä­sen­tan­tin gegen ihren Wil­len gezwängt hat­te. Und mit der Tat­sa­che, dass Joy in der letz­ten Stro­phe vom Deut­schen ins Eng­li­sche wech­sel­te, was inter­na­tio­nal klin­gen soll­te, aber tat­säch­lich ein wenig gewollt wirk­te und dem Lied sei­ne See­le raubte.

Joy bei ihrem Euro­vi­si­ons­auf­tritt als “stamp­fen­de Brun­hil­de” (so eine schwe­di­sche Tages­zei­tung) in Stockholm.

Die in der hei­mi­schen Vor­ent­schei­dung im Halb­play­back­ver­fah­ren vor­ge­tra­ge­ne Ori­gi­nal­ver­si­on gilt unter Enthu­si­as­ten jedoch bis heu­te als vor­zeig­bars­ter Bei­trag unse­res Lan­des zur Grand-Prix-Geschich­te. Die NDR-Euro­vi­si­ons-Edel­fe­der Jan Fed­der­sen benann­te des­we­gen sein 2001 erschie­ne­nes Stan­dard­werk zum Euro­vi­si­on Song Con­test nach die­sem Titel. Joy gelang mit dem Song ein mode­ra­ter Ver­kaufs­er­folg (#32), der gleich­zei­tig ihr größ­ter Sin­gle-Hit blei­ben soll­te. Fle­ming ver­such­te es noch drei wei­te­re Male beim deut­schen Vor­ent­scheid, aller­dings nie mehr solo. Unver­ges­sen bleibt ihr Auf­tritt von 1986 mit Marc Ber­ry (‘Mit­ein­an­der’), den sie selbst mit Bra­vour meis­ter­te, den ihr aller­dings eine Chor­sän­ge­rin ver­sau­te, die bei einem hohen Ton plötz­lich der­art dis­so­nant krisch, als sei ihr der hei­li­ge Geist ein­ge­fah­ren. 2001 star­te­te sie gemein­sam mit Les­ley Bogaert und Bri­git­te Oel­ke auf schwei­ze­ri­schem Ticket: die Hel­ve­ten muss­ten in die­sem Jahr auf­grund schlech­ter Vor­jah­res­er­geb­nis­se aus­set­zen, die ARD räum­te dem SRF zum Trost Asyl beim ger­ma­ni­schen Vor­ent­scheid ein. Hier­für such­te der SRF per Inter­net einen Bei­trag – Joy und ihre Hit­kids setz­ten sich spie­lend durch.

Eine etwas unglück­li­che Kör­per-zu-Kopf-Ratio: Joy Fle­ming beim Vor­ent­scheid 2001.

Beim TV-Publi­kum jedoch unter­lag die figür­lich seit jeher ins Baro­cke nei­gen­de Joy, die in ihrem blu­men­gir­lan­den­be­han­ge­nen, sam­te­nen Zelt­kleid ein wenig wie ein sin­gen­der Kom­post­hau­fen aus­sah, mit dem hym­nen­haf­ten (und her­vor­ra­gend dahin­ge­schmet­ter­ten) ‘Power of Trust’ in der ers­ten Abstim­mungs­run­de mit nur weni­gen hun­dert Stim­men hauch­dünn der heli­um­stim­mi­gen Schla­ger­kol­le­gin Michel­le, obwohl sie die­se locker an die Wand sang. Im anschlie­ßen­den Super­fi­na­le konn­te ‘Wer Lie­be lebt’ den Vor­sprung aller­dings ver­fes­ti­gen. Den­noch umarm­te Joy ihre Kon­kur­ren­tin nach deren Sie­ges­ak­kla­ma­ti­on auf der Büh­ne aufs Herz­lichs­te – und sorg­te für Momen­te gro­ßer Hei­ter­keit, als sich ihr üppi­ger Hals­schmuck in den aber­tau­sen­den gol­de­ner Pail­let­ten des Desi­gner­klei­des der Schla­ger-Min­nie-Maus ver­fing und die Bei­den nicht mehr getrennt wer­den konn­ten. Atem­los jap­send war­te­te man als Zuschau­er auf das Ein­tref­fen der Ret­tungs­kräf­te mit dem gro­ßen Schnei­de­be­steck. Spä­ter mokier­te sich Joy in einer Talk­show über ihre Kon­kur­ren­tin, deren Schla­ger sie lie­be­voll bös­ar­tig in ‘Wer Lie­der quält’ umtex­te­te, wie Fed­der­sen in sei­nem Nach­ruf kolportiert.

Halb­blut’, die kon­ge­nia­le Ein­deut­schung des Cher-Hits ‘Half Breed’, war der ein­zi­ge ande­re Chart-Hit für Joy, aller­dings auch nur mit einem mage­ren Rang 38. Was stimmt nur nicht mit dem Musik­ge­schmack der Deutschen?

Auch im fol­gen­den Jahr reich­te es gemein­sam mit dem Gos­pel­chor Jam­ba­la­ya und dem (lei­der schwa­chen) ‘Joy to the World’ erneut nur zur Sil­ber­me­dail­le. Hät­te man der Frau mit der gran­dio­sen Röh­re doch bloß noch ein­mal einen eben­bür­ti­gen Song gege­ben! Ihren letz­ten Auf­tritt bei einem deut­schen Vor­ent­scheid genoss sie 2004 als Juro­rin bei Ste­fan Raabs Cas­ting­show SSDSGPS (Ste­fan sucht den Super-Grand-Prix-Star), bei der Max Mutz­ke sieg­te. Neben zahl­rei­chen her­aus­ra­gen­den inter­na­tio­na­len und mund­art­li­chen Plat­ten­auf­nah­men (Anspiel­tipps: ‘Neckar­brü­cken­blues’, ‘Halb­blut’), die größ­ten­teils Anklang bei der Kri­tik fan­den, aber nur mäßi­gen Zuspruch beim Publi­kum, wirk­te sie noch auf Film-Sound­tracks mit, so bei­spiels­wei­se als Stim­me der ‘Yodel Queen’ in Wal­ter Bock­mey­ers herr­lich tra­shi­ger Hei­mat­film­par­odie Gei­er­wal­ly. Auch die Titel­me­lo­die der SAT.1‑Gameshow Glück­rad sang sie 1991 ein. Das Coming-out ihres schwu­len Sohns unter­stütz­te sie offen­siv, der deut­schen Aids-Hil­fe wid­me­te sie 1994 das Lied ‘Berüh­re mich’. Legen­där lus­tig ihr Gast­auf­tritt in der kul­ti­gen RTL-plus-Show Alles nichts oder mit Hugo Egon Bal­der und Hel­la von Sin­nen, wo sie an dem Kon­zept des Spie­les “Schwampf” gran­di­os schei­ter­te (Stich­wort: “Grang­ge­haus”). Joy Fle­ming, die auf einem Bau­ern­hof leb­te, dort ein eige­nes Ton­stu­dio betrieb und bis zuletzt durch Clubs und Rock­knei­pen tour­te, hin­ter­lässt vier Kin­der – und eine nicht nur für Grand-Prix-Fans nie­mals wie­der zu fül­len­de Lücke.

Ach­tung, Zwerch­fell-Bruch-Gefahr: Joy Fle­ming bringt Hugo Egon Bal­der ins Kran­ken­haus. Joy blieb der Tod in einem sol­chen tröst­li­cher­wei­se erspart: wie berich­tet wur­de, starb sie – ohne schwe­re Vor­er­kran­kung – fried­lich zu Hau­se im Schlaf.

5 Comments

  • Joy, rest in peace! Du hast mich mit dem ESC-Virus infi­ziert, dein Song für Stock­holm hat mich als Teen­ager ange­fixt, dass ich bis heu­te dem For­mat die Treue hal­te, obwohl es schlim­me Jah­re gab. Eine Stim­me mit Power, so viel Ener­gie, kei­ne ande­re hät­te den Titel der­art über­zeu­gend inter­pre­tie­ren kön­nen. Aber die cir­cum­s­tances vor Ort halt … Du bist und bleibst die Grand-Prix-Köni­gin aller, die Ohren haben zu hören. Miss you.

  • Joy, dein song war mei­ne brü­cke zum grand prix euro­vi­si­on de la chan­son. Ich war acht und alle haben mich aus­ge­lacht, weil ich dich soooooo toll fand. Ich wünsch dir eine sta­bi­le wol­ke, ein schön far­bi­ges blu­men­kleid und einen tol­len song, den du im him­mel sin­gen kannst. Bye joy, rip

  • Habs gera­de mit­be­kom­men und bin scho­ckiert und trau­rig. Was für eine gran­dio­se Sän­ge­rin, die da von uns gegan­gen ist (unne ech­des Klas­se­weib noch dazu!) und was für eine gro­ße Lücke sie reißt. Dan­ke für alles, lie­be Joy!

  • Ein gro­ßer Ver­lust, der trau­rig macht. Lie­be Joy, alles Gute für Dich wo immer Du auch sein magst.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert