Fes­ti­vali in Kën­gës 56: Sce­nes from a Mall

Recht früh in der Nacht zum Hei­li­gen Abend fiel in Alba­ni­en die Ent­schei­dung, und sie fiel pas­send: wie als Nach­we­he zum bis nur weni­ge Stun­den zuvor noch euro­pa­weit vor­herr­schen­den weih­nacht­li­chen Geschen­ke­be­schaf­fungs­stress han­delt der von einer Jury aus­ge­wähl­te Sie­ger­song des 56. Fes­ti­vali i Kën­gës (FiK) von einer der typi­schen Ein­kaufs­stät­ten für die Gaben an die Lie­ben, der ‘Mall’ näm­lich. Ein dro­gen­dür­res Männ­chen mit dunk­len Knopf­au­gen und dem fan­tas­ti­schen Namen Eugent Bush­pe­pa singt das schon spek­ta­ku­lär unspek­ta­ku­lä­re Mid­tem­po-Soft­rock-Stück, das in Wahr­heit natür­lich kein schnö­des Shop­ping­cen­ter, son­dern die ‘Sehn­sucht’ the­ma­ti­siert und wel­ches auch bei den Zuschauer:innen im Kon­gress­pa­last zu Tira­na den lang­an­hal­tends­ten Saal­applaus ern­ten konn­te. Nicht völ­lig unver­dient, denn obschon kei­ner der nach den bei­den vor­an­ge­gan­ge­nen Semis ver­blie­be­nen 14 FiK-Titel tat­säch­lich in irgend­ei­ner Form die Wurst von Tel­ler zu zie­hen ver­moch­te, ver­fügt ‘Mall’ wenigs­tens über eine nach­voll­zieh­ba­re Song­struk­tur und einen homöo­pa­thi­schen Schub. Sowie, als sein wuchernds­tes Pfund, einen cha­ris­ma­ti­schen Interpreten.

Der Herr Busch­pfef­fer mit sei­nem Vier­ein­halb-Minu­ten-Song, den er auch in Lis­sa­bon auf Alba­nisch sin­gen möch­te. Mal sehen, was nach der Ein­kür­zung und dem Remix davon übrig bleibt.

Fast schon erstaun­lich, dass die wäh­rend einer der zahl­lo­sen, stun­den­lan­gen Inter­mez­zi aus­führ­lichst inter­view­te und ver­bal popo­ge­pu­der­te Jury, deren Durch­schnitts­al­ter sich am ehes­ten mit “zwei­mal Johan­nes Heesters” quan­ti­fi­zie­ren ließ, den im Umfeld des dies­jäh­ri­gen FiK-Auf­ge­bo­tes fast schon grün­schna­beli­gen, unter­arm­tä­to­wier­ten Jung­spund bevor­zug­te und nicht einen der zahl­rei­chen schein­to­ten Rock­zom­bies bzw. der im Dut­zend dis­so­nant krei­schen­den Diven. Deren füh­ren­de Ver­tre­te­rin Inis Nezi­ri, die in ihrer apar­ten Zer­brech­lich­keit ein wenig an die Zypres­se Lisa Andre­as (2004) erin­ner­te und die eben­falls im Applaus baden durf­te, muss­te sich mit der Bron­ze­me­dail­le zufrie­den­ge­ben. Chan­cen­los blieb hin­ge­gen mei­ne per­sön­li­che Favo­ri­tin, die pla­tin­blon­de Man­jo­la Nall­ba­ni, die mit ‘I njej­ti qiell’ auf den Spu­ren Male­na Ern­manns (SE 2009) wan­del­te und einen tra­shi­gen Pope­ra-Dis­co-Schla­ger ablie­fer­te, der jedoch allen­falls in den Stro­phen über­zeug­te, spä­tes­tens im Refrain aber durch drö­ge Rau­heit ent­täusch­te. Und die damit den­noch das erträg­lichs­te Stück des Abends bei­steu­er­te. Bemer­kens­wert, dass sie über­haupt antrat, denn vor exakt zehn Jah­ren bezeich­ne­te die­sel­be Man­jo­la nach einer für sie ver­hee­ren­den Tech­nik-Pan­ne die FiK-Orga­ni­sa­to­ren als “Mafio­si” und schwor öffent­lich, dort nie wie­der mitmachen.

Knap­pe vier Stun­de Zeit tot­zu­schla­gen? Hier ist das kom­plet­te 56. FiK-Finale.

Nach diver­sen Trans­pa­renz-Offen­si­ven und sogar einem halb­her­zi­gen Ver­such mit Tele­vo­ting kehr­te RTSH heu­er wie­der zur Geheim­nis­krä­me­rei zurück und gab nur die ers­ten drei Plät­ze bekannt, aber kei­ne Punk­te­ver­tei­lung. Kei­nen Stich lan­de­te der knuf­fi­ge Wie­der­keh­rer Luiz Ejl­li, der sich gemein­sam mit der eben­falls bei Wei­tem nicht zum ers­ten Mal beim FiK antre­ten­den Rezar­ta Sma­ja an einer bom­bas­ti­schen Schmacht­bal­la­de mit viel Pathos und “Dashu­ri” (Lie­be) ver­such­te, dank einer bes­ten­falls mäßi­gen Che­mie zwi­schen den Bei­den jedoch so vage wie ungu­te Erin­ne­run­gen an den slo­wa­ki­schen Euro­vi­si­ons­bei­trag von 2009, ‘Leť tmou’, her­auf­be­schwör­te. Wenn schon nicht für die wirk­lich durch­gän­gig grau­en­haf­te Musik, dann aus ande­ren Grün­den Erwäh­nung ver­dient zudem ein offen­bar schlecht gelaun­ter Hel­ge-Schnei­der-Dop­pel­gän­ger in der Mid­life­cri­sis namens Redon Maka­shi, der als ers­ter Star­ter gleich mal einen Tho­mas Anders pull­te und nach 30 Sekun­den sei­ne Dar­bie­tung abbrach, weil das Orches­ter angeb­lich falsch gespielt haben soll. Den exakt glei­chen Stunt leg­te er übri­gens bereits am Don­ners­tag im ers­ten Semi­fi­na­le hin. Die in eini­gen Fan-Polls im Vor­feld füh­ren­de Orgesa Zai­mi brach­te sich mit ihrer Nadi­ne-Bei­ler-Perü­cke, der Lady-Gaga-Son­nen­bril­le und der Prin­ce-Rüschen­blu­se vor allem optisch ins Gedächtnis.

Ein biss­chen weni­ger Wet­gel hät­te es sein dür­fen, Rezarta.

Im Gedächt­nis blieb das FiK für den erneu­ten Beweis der über­gro­ßen Lie­be der Albaner:innen zum Adria-Gegen­über Ita­li­en, die uns zum Auf­takt des ers­ten Semi­fi­na­les des 56. Fes­ti­val­jahr­gangs eine ein­stün­di­ge (!) Auf­füh­rung eines schät­zungs­wei­se 120jährigen Sin­ge­zwer­ges aus dem Land der Zitro­nen mit einer selbst durch den Bild­schirm nach Mot­ten­ku­geln rie­chen­den Perü­cke bescher­te. Sowie im Fina­le eine Pau­sen­ein­la­ge in Form eines Musi­cals, in dem stän­dig “Be Ita­li­an!” gefor­dert wur­de. Und die sich eben­so in end­lo­sen Mono­lo­gen und nicht enden wol­len­den Inter­val Acts nie­der­schlug, ganz wie beim San-Remo-Fes­ti­val. Ach, wür­de RTSH bloß auch in Sachen Orga­ni­sa­ti­on von der RAI ler­nen, zum Bei­spiel bei der flüs­si­gen Prä­sen­ta­ti­on der Wett­be­werbs­bei­trä­ge! Hier folg­te in Tira­na näm­lich auf das erschöp­fen­de Dekla­mie­ren aller nur erdenk­li­chen Details zum Lied (wie bei­spiels­wei­se Komponist:in, Textdichter:in, Diri­gent, Arrangeur:in, Interpret:in, Visagist:in, persönliche:r Assistent:in des zwei­ten Gei­gers etc.) und dem auf­merk­sam­keits­hei­schen­den Abspie­len einer ner­vi­gen Ankün­di­gungs­fan­fa­re erst ein­mal… nichts.

Der kinn­bär­ti­ge Kif­fer Tiri schmiss sich fürs Fina­le schick in den Frack.

Wäh­rend die durch die Anmo­de­ra­ti­on erzeug­te Span­nung, eben­so wie der wohl­wol­len­de Publi­kums­ap­plaus in einem fah­len Anti­kli­max aus­blu­te­ten, klet­ter­ten die ange­kün­dig­ten Künstler:innen näm­lich jetzt erst die über­aus stei­le Show­trep­pe her­un­ter, was bei High-Heels-bewehr­ten Damen in engen Abend­klei­dern auch schon mal Minu­ten in Anspruch nahm bzw. das Ein­grei­fen des Mode­ra­tors not­wen­dig mach­te. Auch das anschlie­ßen­de Schlen­dern zur Büh­nen­mit­te und das gedul­di­ge, meist eben­falls minu­ten­lan­ge War­ten auf das Ein­set­zen des Orches­ters, wel­ches dies­mal ver­schämt im nied­ri­gen, dunk­len Sou­ter­rain direkt unter­halb der FiK-Büh­ne Platz neh­men muss­te, not­dürf­tig mit Sau­er­stoff ver­sorgt durch einen engen Belüf­tungs­schlitz, tru­gen nicht gera­de zu einem flüs­si­gen, run­den Show­ab­lauf bei. Doch wenn man in Tira­na über eines im Über­maß ver­fügt, dann ist es Zeit…

Ein Zeit­kon­ti­nu­ums-Wun­der, die­se Orgesa: das Gesicht sagt Anfang Drei­ßig, der Kra­gen sagt Anfang der Drei­ßi­ger. Des sieb­zehn­ten Jahrhunderts.

Das bestä­tig­te sich erneut bei einem wei­te­ren Inter­mez­zo, mit dem das alba­ni­sche Fern­se­hen irgend­ei­nes in die­sem Jah­re ver­stor­be­nen hei­mi­schen Film­re­gis­seurs gedach­te und das im Saal dem­entspre­chend für ste­hen­de Ova­tio­nen sorg­te. Sehr zur Ver­wir­rung der nicht-alba­ni­schen Zuschauer:innen übri­gens, die zu die­sem Zeit­punkt ver­dutzt rät­sel­ten, war­um in aller Welt sie gera­de eine gefühl­te wei­te­re Stun­de lang einer Frau zuse­hen muss­ten, die im Abend­kleid mit dem Fahr­rad unsi­cher auf der Büh­ne umher­gon­del­te, kon­ter­ka­riert von einem schein­bar sinn­los in der Gegend her­um­ste­hen­den Zieh­har­mo­ni­ka­spie­ler. Doch nicht nur für abs­trak­tes Thea­ter bewies der Sen­der RTSH ein Händ­chen, son­dern auch für die Deko­ra­ti­on: frap­pie­rend der bei­ßen­de Kon­trast zwi­schen den moder­nen LED-Wän­den im Büh­nen­hin­ter­grund und den an den Song Con­test von 1978 in Paris gemah­nen­den, halb­kreis­för­mi­gen, tal­mi­gol­de­nen Trod­del­wäl­len im Büh­nen­vor­der­grund. Ver­steht man das in Alba­ni­en unter “Tra­di­ti­on trifft Moder­ne”?

2017 erwies sich als ein wei­te­res ent­täu­schen­des Jahr für die alba­ni­sche Ekonomi.

Wo wir schon beim The­ma “Tra­di­ti­on” sind: natür­lich durf­te auch heu­er der jähr­li­che Skan­dal rund um das Fes­ti­vali i Kën­gës nicht feh­len. Dies­mal ent­spann sich eine Kon­tro­ver­se rund um den unter dem bür­ger­li­chen Namen Kle­vis Bega gebo­re­nen Sin­ger-Song­wri­ter Kas­tro Zizo. Der hat­te einen Wett­be­werbs­bei­trag namens ‘I Huaj’ (‘Der Frem­de’) ein­ge­reicht, in wel­chem er nach eige­ner Aus­sa­ge die Geschich­te eines “Künst­lers oder ein­fa­chen Men­schen erzählt, der die­ses Land ver­lässt, weil er sich nicht wert­ge­schätzt und respek­tiert fühlt. Ein all­täg­li­ches Dra­ma in der alba­ni­schen Rea­li­tät in den letz­ten 27 Jah­re, aber er kehrt nach 20 Jah­ren zurück”. Die Zurück­wei­sung die­ses Titels sowie eines wei­te­ren, sich eben­falls mit dem The­ma Migra­ti­on beschäf­ti­gen­den Songs des Sän­gers und Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­kers Klaj­di Musa­bel­liu durch die Fes­ti­val­lei­tung rief den frü­he­ren alba­ni­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Sali Beri­sha auf den Plan, der die­sen Vor­gang mit der poli­ti­schen Zen­sur des Fes­ti­vals durch den sozia­lis­ti­schen Dik­ta­tor Enver Hox­ha in den Sieb­zi­gern auf eine Stu­fe stell­te. Der sich selbst als “Mensch mit lin­ken Über­zeu­gun­gen” ein­ord­nen­de Zizo distan­zier­te sich zwar von der Ein­mi­schung durch den kon­ser­va­ti­ven Poli­ti­ker, sprach aber auch von “nach Aas rie­chen­den, ver­schlos­se­nen Umschlä­gen” in den Taschen der Entscheider.

Eher ein Hör­spiel als ein wett­be­werbs­fä­hi­ger Titel: Zizos abge­lehn­ter Song. Aber: “Ich inter­es­sie­re mich nicht für die­ses blö­de Fes­ti­val, das sie Euro­vi­si­on nen­nen,” wie der Künst­ler selbst sagte.

Vor­ent­scheid AL 2018 (Fina­le)

Fes­ti­vali i Kën­gës 56. Sams­tag, 23. Dezem­ber 2017, aus dem Kon­gress­pa­last in Tira­na, Alba­ni­en. 14 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Adi Krasta.
#Inter­pretTitelPlatz
01Redon Maka­shiEkzis­toj02
02NA + Festi­na MeziniTje­tër jetë
03Vol­tan ProdaniE pamun­dur
04Denisa Gje­zoZemër ku je
05Tiri Gjo­ciOrë e ndalur
06Orgesa Zai­miNgri­je zërin
07Rezar­ta Sma­ja + Luiz EjlliRa nje yll
08Arte­mi­sa MithiE dua botën
09Man­jo­la NallbaniI njej­ti qiell
10Inis Nezi­riPie­des­tal03
11Bojken LakoSytë e Shpirit
12Mari­za EkonomiUnë
13Eugent Bush­pe­paMall01
14Elton DedaFjalët

Eugen Busch­pfef­fer für Albanien!

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6 Comments

  • Boah, Respekt Oli­ver so einen Vor­ent­scheid durch­zu­ste­hen, das ist wah­re Leidenschaft!
    Für mich zie­hen sich allein die 4 1/2 Minu­ten des mono­to­nen Sie­ger­songs gefühlt 4 1/2 Stun­den hin!

    Fro­he Weihnachten!

  • End­lich “Mall” kei­ne schwer­mü­ti­ge Bal­la­de aus Alba­ni­en. Also mir gefällt’s! – Hof­fent­lich bleibt er wie ver­spro­chen bei der Landessprache.

  • Das FiK woll­te ich mir die­ses Jahr nicht antun… so eine öde VE 😀
    Bei allem Respekt, ich glau­be vie­le die das Lied so toll fin­den ste­hen noch unterm Ein­druck der schlech­ten Kon­kur­renz beim FiK. Beim ESC hat Mall in jetz­ti­ger Form kei­ne Chance.
    Ich ver­ste­he über­haupt nicht, wie eini­ge jetzt „mas­ter­pie­ce“ oder „Alba­nia 2019“ rufen.

  • Beim ers­ten hören dach­te ich noch *ups – wasn das ?* Aber schon beim zwei­ten gabs Gän­se­haut und ich begann den song zu lie­ben. Jetzt bit­te noch eine klu­ge 3‑Mi­nu­ten-Ver­si­on gezau­bert und bitt­e­bit­te kein eng­lisch, dann wird das was wer­den. Ganz sicher 😉

  • Ein sehr erfreu­li­cher Beginn der Lis­sa­bon-Sai­son. “Mall” war von Anfang an mein Favo­rit: Hym­nisch-folk­ro­ckig ange­hauch­tes Stück, vor­ge­tra­gen und ver­faßt von einem wirk­li­chem Typen und Musi­ker. Er klingt auch ange­nehm in den hohen Tönen. Eugent hat bereits erwähnt, daß defi­ni­tiv auf Alba­nisch gesun­gen wird, denn nur so ist es authen­tisch. Recht hat der Mann !

    Auf der spa­ni­schen Ver­si­on von Wiki­pe­dia wird tat­säch­lich der Song­ti­tel mit “Ein­kaufs­zen­trum” über­setzt, die Gesangs­spra­che aber mit “Alba­nes” ange­ge­ben. DER Lacher schlechthin !!!!!

    Ich bewer­te Alba­ni­en mit 8 von 10 Punk­ten. Mal sehen, wie sich die ESC-Ver­si­on anhö­ren wird.…

  • @ Alex

    Man weiß nie, was Erfolg haben wird und was nicht. Inso­fern eine sehr küh­ne Behaup­tung – bei Sal­va­dor hat es anfangs auch kei­ner geglaubt. Auf alle Fäl­le bringt der Song sehr viel ESC-Flair jen­seits der übli­chen Strick­mus­ter rüber (Lan­des­spra­che, ange­neh­mer “Back­ground” und authen­ti­scher Künst­ler und kein Pop­s­tern­chen mit 08/15-Ware). Alba­ni­en muß­te mal einen Kon­tra­punkt zu den über­dra­ma­ti­schen Schrei­or­gi­en eini­ger Damen set­zen und das ist schon mal gelungen.

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