Desti­na­ti­on Euro­vi­si­on: Frank­reich hat sei­ne Lena gefunden!

Du hast Star-Appeal. Men­schen wer­den Dich lie­ben”! Die­sen denk­wür­di­gen Satz sag­te Mari­us Mül­ler-Wes­tern­ha­gen, einer der Juro­ren von Unser Star für Oslo (USFO), dem deut­schen Vor­ent­scheid von 2010, nach dem aller­ers­ten Auf­tritt der spä­te­ren Euro­vi­si­ons­sie­ge­rin in der Sen­dung zu Lena Mey­er-Land­rut. Der Rest ist, wie wir wis­sen, Geschich­te… Einen ähn­li­chen Gän­se­haut­mo­ment konn­te man am gest­ri­gen Abend im fran­zö­si­schen Vor­auswahl­for­mat Desti­na­ti­on Euro­vi­si­on erle­ben, aus­ge­löst durch den erst acht­zehn­jäh­ri­gen Lisan­dro Cuxi, Sie­ger der aktu­el­len gal­li­schen Aus­ga­be der Cas­ting­show The Voice. Wie schon bei USFO stimm­ten auch bei der Desti­na­ti­on alle neun Semi­fi­nal-Teil­neh­mer/in­nen zunächst eine selbst gewähl­te Cover­ver­si­on an, und Cuxi ent­schied sich für ‘Bil­lie Jean’ von Micha­el Jack­son. Um sich an einen der­ar­tig iko­ni­schen Song der Pop-Geschich­te her­an­zu­trau­en, braucht es ohne­hin Eier aus Stahl; dies gilt umso mehr, wenn man den druck­vol­len Funk-Song statt­des­sen als lang­sa­me, fra­gi­le Bal­la­de inter­pre­tiert. Lisan­dro nutz­te zudem die Gele­gen­heit, den vol­len Umfang sei­ner stimm­li­chen Ran­ge zu prä­sen­tie­ren: was sehr leicht als prä­ten­tiö­ses Gejo­del in einem blas­phe­mi­schen Mas­sa­ker hät­te enden kön­nen, gelang dem jun­gen Sän­ger in beein­dru­cken­der Weise.

So ein Jäck­chen könn­te weiß Gott nicht jeder tra­gen. An Lisan­dro Cuxi sah es gut aus.

Bereits an die­ser Stel­le des Abends war für mich die Ent­schei­dung gefal­len, wer 2018 die Gran­de Nati­on beim euro­päi­schen Wett­sin­gen ver­tre­ten soll, nein: muss – und zwar völ­lig unab­hän­gig von der Güte sei­nes Wett­be­werbs­ti­tels. Der da könn­te das Tele­fon­buch vor­sin­gen und es wäre gran­di­os, so mei­ne Über­zeu­gung. Die sich voll­ends mani­fes­tier­te, als er im Anschluss sei­nen eige­nen Bei­trag ‘Eva’ vor­stell­te, einen gna­den­los guten Pop­song mit all den Qua­li­tä­ten, die ein Sie­ger­lied aus­zeich­nen: ordent­li­cher Schub, ein wahr­nehm­ba­rer Refrain, eine musi­ka­li­sche Ver­or­tung in der Jetzt­zeit und eine packen­de Prä­sen­ta­ti­on. Denn nicht nur ver­fügt der jun­ge Mann über ein deut­li­ches Selbst­ver­trau­en und Wagen­la­dun­gen vol­ler Cha­ris­ma; er kann auch noch tan­zen wie ein jun­ger Gott. Die Desti­na­ti­on-Juro­rin Isa­bel­le Bou­lay über­zeug­te das so sehr, dass sie sich zu einem ganz ähn­li­chen Lob hin­rei­ßen ließ wie der ein­gangs zitier­te Mül­ler-Wes­ter­ha­gen: “Wenn Du so sehr mit dem Her­zen singst, kön­nen die Men­schen dich nicht nicht mögen”! Das sahen ihre Kol­le­gen Chris­to­phe Wil­lem und Amir Had­dad (→ FR 2016) sowie die inter­na­tio­na­le Jury wohl genau so, denn Lisan­dro gewann das Semi­fi­na­le mit Abstand.

Das wohl cools­te Mama-Lied aller Zei­ten: Lisan­dros ‘Eva’.

Das zwei­spra­chig into­nier­te ‘Eva’ (fran­zö­si­sche Stro­phen, eng­li­scher Refrain) ist – und als alte Kit­schel­se muss ich zuge­ben, dass sich bei mir nach Kennt­nis die­ser Back­ground­sto­ry end­gül­tig alle Schleu­sen öff­ne­ten – eine Hom­mage an Lisan­dros Mut­ter, eine Mam­mage also. Soll­te Cuxi, wovon ich aus­ge­he, auch das Fina­le der Desti­na­ti­on Euro­vi­si­on am 27. Janu­ar gewin­nen, so kehrt er auf Sen­der­kos­ten an sei­nen Geburts­ort zurück: er kam in Lis­sa­bon zur Welt, die besun­ge­ne Erzie­hungs­be­rech­tig­te nahm in spä­ter mit nach Frank­reich, wo sie ihn allei­ne groß­zog. Lisan­dros Star-Qua­li­tä­ten über­strahl­ten die Auf­trit­te sämt­li­cher Konkurrent/innen, obgleich das musi­ka­li­sche Niveau des gal­li­schen Vor­ent­scheids als wirk­lich erfreu­lich bezeich­net wer­den muss: gera­de nach den quä­len­den Aus­wahl­run­den in Weiss­russ­land oder, noch nicht so lan­ge zurück­lie­gend, in Alba­ni­en, eine ech­te Wohl­tat! Eben­so wie die Kame­ra­füh­rung des fran­zö­si­schen Fern­se­hens, die immer mal wie­der die Juro­ren ins Bild rück­te, und damit auch die Augen­wei­de Amir. Könn­ten wir den 2019 noch mal haben? S’il vous plaît?

Für ihn wür­de ich mei­nen Lie­bes­e­tat bis zum Anschlag über­zie­hen: Juror ♥ Amir stell­te in der Pau­se sei­ne aktu­el­le Sin­gle vor.

Um nicht unfair zu erschei­nen: auch die Zweit­plat­zier­te im Jury­vo­ting, Emmy Liya­na, über­zeug­te mit ihrem Titel OK ou KO. Emmy, eine The-Voice-Kol­le­gin von Lisan­dro, die in der glei­chen Staf­fel der Cas­ting­show zwar früh­zei­tig aus­schied, im Anschluss aber den­noch einen Plat­ten­ver­trag erhielt, ver­eint in sich alles, was der deut­sche Dele­ga­ti­ons­lei­ter Tho­mas Schrei­ber bei der Vor­stel­lung des neu­en NDR-Vor­ent­schei­dungs­kon­zep­tes mit der ger­ne gebrauch­ten Voka­bel “kan­tig” gemeint haben muss: die schwar­ze Bril­len­trä­ge­rin sticht mit einem lila gefärb­ten, ras­pel­kur­zen Haar­schnitt und Tun­nels (den rie­si­gen Löchern in den Ohr­läpp­chen, durch wel­che eine U‑Bahn durch­pas­sen wür­de) schon optisch her­aus; doch um so mehr gilt das für ihre fabel­haft raue Stim­me. Nun bleibt abzu­war­ten, ob sich im zwei­ten Semi­fi­na­le am kom­men­den Sams­tag noch wei­te­re ernst­haf­te Kon­kur­renz ergibt. Und was die erst dort zu 50% stimm­be­rech­tig­ten fran­zö­si­schen Zuschauer/innen im Fina­le der Desti­na­ti­on Euro­vi­si­on ent­schei­den. Ich kann nur hof­fen, sie schie­ßen sich nicht ins Knie und schi­cken ihre Lena Lisan­dro nach Lis­sa­bon. Je vous en prie!

Ein­deu­tig OK: die sen­sa­tio­nel­le Emmy Liyana.

Vor­ent­scheid FR 2018 (1. Semifinale)

Desti­na­ti­on Euro­vi­si­on. Sams­tag, 13. Janu­ar 2018, aus den Stu­di­os de France – Bât 217, Paris (Auf­zeich­nung). 9 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Garou.
#Inter­pretTitelJuryPlatz
01Mas­oePara­dis0607
02NoéeL’un prés de l’autre2606
03Lisan­dro CuxiEva6601
04Malo’Ciao4603
05Emmy Liya­naOK ou KO5002
06EnéaI’ll be there0008
07Phe­no MenJamais sans toi0008
08Lou­kaMam­ma mia3004
09EhlaJ’ai cru2805

14 Comments

  • Ich bin begeis­tert. . Für mich fast schon zu sehr auf euro­vi­si­on getrimmt. Könn­te ein biss­chen dre­cki­ger sein.
    Aber, oli­ver, du hast ja auch letz­tes jahr sehr früh auf sal­va­dor sobral hin­ge­wie­sen. Ein gutes omen für EVA

  • Lisan­dro hat mit dem Micha­el-Jack­son-Cover tat­säch­lich das gezeigt, was auch Lena mit Satel­li­te aus­ge­zeich­net hat. Bei­de haben aus einem frem­den Song einen eige­nen gemacht.

    Mir ist ‘Eva’ zwar ein biss­chen zu eurovisionär/mainstreamig (leich­te Kris­ti­an-Kos­tov-Vibes), aber der Auf­tritt war ges­tern defi­ni­tiv der bes­te des Abends. Bin schon sehr gespannt auf das zwei­te Semi.

  • Lisan­dro hat übri­gens gro­ße Ähn­lich­keit mit Hakeem aus der Serie Empire, inkl. Sexy- und Cuten­ess-Fak­tor. Das Lied ist mir aller­dings lei­der etwas zu wenig über­ra­schend, scha­de, denn gro­ßes Poten­ti­al hat er ohne Zweifel

  • Mal abwar­ten, was das zwei­te Semi bringt, aber jetzt weiß man schon mal, wenn die Fran­zo­sen nicht gera­de einen Bock schie­ßen, es kann was äußerst Brauch­ba­res am Ende rauskommen.

  • Ich wür­de Emmy schi­cken, tol­le Frau und guter Song.
    Lisan­dro bes­ser nächs­tes Jahr mit einem bes­se­ren Song oder er singt Mam­ma Mia von Lou­ka im Finale.. 😉

  • Kor­rek­tur: Wes­tern­ha­gen hat jenen besag­ten Satz nicht nach Lenas aller­ers­tem Auf­tritt gesagt. Er saß erst bei einer spä­te­ren Sen­dung in der Jury.

  • @onlime: Sicher? Ich hab das aus mei­nem zuge­ge­be­ner­ma­ßen manch­mal löch­ri­gen Gedächt­nis her­aus geschrie­ben, aber ich wür­de auf einen Sta­pel Bibeln schwö­ren, dass das direkt nach ihrem ers­ten für den Wett­be­werb zäh­len­den USFO-Auf­tritt war.

  • Vor­weg: Dan­ke für die (wie immer wun­der­voll geschrie­be­ne) Zusam­men­fas­sung! Ja, Lisan­dro kann was. Aber die grö­ße­re Stim­me hat und der grö­ße­re Typ ist, fin­de ich, Emmy Liya­na. Viel­leicht bin ich befan­gen, denn ich mag es, wenn Men­schen auf­fal­len. Ich mag ihre Tat­toos, ihren fet­ten Schmuck, ihren Style. Aber ich mag vor allem auch ihre Stim­me, ihr Wesen und ihren Song, der kickt mich. Sie pola­ri­siert und wenn man hin­schaut, sieht man eine sym­pa­thi­sche, authen­ti­sche jun­ge Frau. DAS macht Gewin­ner aus.

    Ich hof­fe auf vie­le wei­te­re Berich­te, Du machst das super.

  • Beim zwei­ten Gucken sehe ich: Die hat gar kei­ne Tat­toos :-/ Buht mich aus, lacht über mich. Aber in mei­ner schmut­zi­gen Fan­ta­sie ist sie ham­mer­mä­ßig tätowiert 😉

  • …und ich hät­te auf den sel­ben Sta­pel Bibeln geschwo­ren, dass er das erst im Vier­tel- oder Halb­fi­na­le gesagt hat. Aber der offi­zi­el­len USFO-Samm­lung auf eurovision.de zufol­ge saß Wes­tern­ha­gen in der ers­ten Sen­dung in der Jury und danach wohl nicht mehr. Also wird er es wohl auch da gesagt haben und das löch­ri­ge Gedächt­nis des Haus­herrn lag richtig.

    (Offen­sicht­lich ist da was in mei­nem Hirn falsch ver­drah­tet, weil die­ser Aus­schnitt ja qua­si spä­ter zu jeder Gele­gen­heit wie­der­holt wurde.)

  • Ich bin ein­deu­tig im Malo-Tret­boot, auch wenn EVA beim zwei­ten Hören viel bes­ser ist als mein Ein­druck ges­tern abend 

    Auf jeden Fall aber alles sehr erfreu­lich … und wenn Zazie schon Lie­der für den ESC schriebt, stren­gen sich die Fran­zo­sen wirk­lich an. Wird Zeit , dass sie sowohl dem lah­men ESC als auch der lah­men EU neu­es Leben einhauchen.

  • @Gordon: täto­wiert oder nicht, ich kann abso­lut nach­emp­fin­den, was Du meinst. Ich fin­de die auch groß­ar­tig, authen­tisch, kan­tig und extrem sym­pa­thisch, zumal sie anschei­nend im ech­ten Leben eine ganz Schüch­ter­ne ist – um so bewun­derns­wer­ter, was sie aus sich macht. Die wäre eben­falls eine abso­lut exzel­len­te Wahl.

    @onlime: Ent­schei­dend ist ja auch eher, *dass* er es gesagt hat, egal wann. 🙂

    @Alkibernd: Auch die Begeis­te­rung für Malo kann ich nach­voll­zie­hen. Gibt mir per­sön­lich zwar über­haupt nichts, weil ich die­ses Cold­play-haf­te in sei­ner Musik auf den Tod nicht aus­ste­hen kann, aber das Herz­blut und die Per­sön­lich­keit waren unüber­seh­bar. Auch vor ihm zie­he ich den Hut.

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