Eurofest 2018: Cha­sing Russians

Sie haben schon einen beson­de­ren Sinn für Humor, die Bela­rus­sen. Einen gro­ßen natio­na­len Vor­ent­scheid auf­zu­zie­hen mit zehn Teilnehmer/innen und noch ein­mal zehn Inter­val Acts, und das alles, obwohl der Bei­trag für Lis­sa­bon bereits lan­ge vor­her fest­stand: sicher­heits­hal­ber mit zwei Mal 12 Punk­ten im Tele- und Jury­vo­ting sieg­te heu­te Abend erwar­tungs­ge­mäß der in Mos­kau leben­de Ukrai­ner Niki­ta Alek­seev mit dem umstrit­te­nen Titel ‘Fore­ver’. Mit dem bewarb er sich zunächst erfolg­los beim Vor­sin­gen in sei­nem Her­kunfts­land und wech­sel­te, als er dort abblitz­te, nach Minsk. Das sorg­te für erheb­li­chen Unmut bei den weiß­rus­si­schen Konkurrent/innen; sechs von ihnen droh­ten mit Boy­kott (und eine zog es tat­säch­lich durch), falls er nicht aus­ge­schlos­sen wür­de, da er den Song in einer rus­si­schen Sprach­fas­sung bereits vor dem 1. Sep­tem­ber 2017 live auf Kon­zer­ten gesun­gen habe. Alek­seevs Pro­du­zen­ten schraub­ten dar­auf­hin so lan­ge an dem Bei­trag her­um, bis er sich genü­gend von der bean­stan­de­ten Live-Ver­si­on unter­schied. Und trie­ben ihm dabei auch noch das letz­te biss­chen an melo­di­scher Har­mo­nie aus.

Wenn es in Lis­sa­bon schon kei­ne LED-Wand gibt, dann bringt Alek­seev halt eine LED-Jacke mit.

Und so jaul­te sich der Ukrai­ner mit ret­tungs­lo­ser Ato­na­li­tät durch die (angeb­lich) eng­lisch­spra­chi­ge Fas­sung sei­nes musi­ka­lisch ent­stell­ten Mach­werks und nöl­te stän­dig etwas von “Fore-waaaaah”, was in etwa so klang, als ob irgend­ein Fies­ling gera­de einen Kater stran­gu­liert. Doch das spiel­te kei­ne Rol­le: etwas über 5.000 Anru­fe – fragt sich, wie vie­le davon aus einem Call­cen­ter? – reich­ten für die Dou­ze Points in der Publi­kums­ab­stim­mung, und die Jury gab nach anschlie­ßen­der, sehr aus­führ­li­cher Bera­tung zu nie­man­des Über­ra­schung eben­falls ihr Pla­zet. Wobei die extrem lan­ge Über­brü­ckungs­pau­se zwi­schen der Ver­kün­dung des Tele­vo­ting-Ergeb­nis­ses und der Sie­ger­eh­rung ver­mut­lich nötig wur­de, weil die um ihre Bak­schisch-Ein­for­de­rungs­mög­lich­kei­ten bei den Teilnehmer/innen gebrach­ten Juro­ren ver­geb­lich ver­such­ten, mit dem Sen­der eine finan­zi­el­le Kom­pen­sa­ti­on aus­zu­han­deln. Den zwei­ten Platz hin­ter Alek­seev beleg­te die Unver­dros­se­ne Gunesh Aba­so­va, die es neben ihrer Türk­vi­zyons-Teil­nah­me seit gefühl­ten Jahr­zehn­ten beim weiß­rus­si­schen Vor­ent­scheid ver­sucht und trotz der über­zeu­gends­ten stimm­li­chen Leis­tung des Abends auch heu­er wie­der das Nach­se­hen hatte.

Durf­te zum Trost den Whit­ney-Hous­ton-Gedächt­nis­preis für das lang­ge­zo­gens­te “Eeeeeiiiiiii” seit dem ‘Bodyguard’-Titelsong mit nach Hau­se neh­men: Gunesh.

Beim Publi­kum lan­de­te sie mit dem Geständ­nis ihrer ewi­gen Feuch­te (“I won’t dry”) – was zumin­dest ein biss­chen den pot­ten­häss­li­chen Umstands­mo­den-Win­ter­man­tel erklär­te, in den sie sich hüll­te  – aller­dings noch hin­ter dem Elek­tro-Expe­ri­men­tal-Duo Shu­ma, das an sei­nem Wett­be­werbs­bei­trag ‘Hmar­ki’ eben­falls Ände­run­gen vor­neh­men muss­te, da es im Ori­gi­nal Pas­sa­gen eines alten bela­rus­si­schen Volks­lie­des ent­hielt. Die berei­nig­te Ver­si­on klang dann noch­mals expe­ri­men­tel­ler als die bei den Audi­tions vor­ge­stell­te Fas­sung und wäre wohl selbst für die Eesti Laul zu sper­rig gewe­sen. Kei­ne Unbe­kann­te auch die Polin Olga Schi­mans­ka­ja ali­as Napo­li, die eben­falls über Türk­vi­zyons-Erfah­rung ver­fügt. Ihr Sieg hät­te eine diplo­ma­ti­sche Kri­se aus­lö­sen kön­nen, klang ihr Titel ‘Cha­sing Rus­hes’ dank ost­eu­ro­pa-typi­scher Aus­spra­che ziem­lich unmiss­ver­ständ­lich nach “Cha­sing Rus­si­ans”, was selbst im TV-Stu­dio zu Minsk für pikier­te Gesich­ter im Publi­kum sorg­te. Kein Wun­der, dass sie und ihre bei­den Chor­sän­ge­rin­nen sich anfäng­lich hin­ter schwar­zen Augen­mas­ken ver­steck­ten und mit einem Trick­kleid wei­te­re Ver­wir­rung zu stif­ten versuchten.

Nur so als Tipp: da stimmt was mit Euren Zahn­span­gen nicht. Sucht Euch mal einen ande­ren Kieferorthopäden.

Dass die Weiß­rus­sen über einen bes­se­ren Musik­ge­schmack ver­fü­gen als die bereits erwähn­ten Esten, beleg­te schließ­lich der letz­te Platz für das furch­ba­re Pope­ra-Trio Ada­gio. Die drei jun­gen Tumo­re schaff­ten es aller­dings noch nicht ein­mal, auch nur ansatz­wei­se syn­chron zu sin­gen. Von der Abwe­sen­heit eines als “Lied” zu qua­li­fi­zie­ren­den Bei­trags erst gar nicht anzu­fan­gen. Der Far­ce die Kro­ne auf setz­te schließ­lich das Enga­ge­ment von Ange­li­ca Push­no­va (→ Vor­ent­scheid 2017) für das Pau­sen­pro­gramm. Und zwar mit ihrem aktu­el­len Song ‘Fight­ing for Love’, einem erfreu­lich upt­em­po­rä­ren Qua­li­täts­ti­tel aus der euro­vi­sio­nä­ren Hit-Schmie­de von Vla­di­mir Graić (‚Molit­va‘, RS 2007) und Char­lie Mason (‚Rise like a Phoe­nix‘, AT 2014). Mit dem sie eigent­lich auch zum Wett­be­werb antre­ten woll­te, von der Vor­auswahl-Jury aber schnö­de zurück­ge­wie­sen wur­de. Kein Wun­der: das text­lich fili­gra­ne und musi­ka­lisch ein­gän­gi­ge Lied hät­te Alek­seev am Ende noch gefähr­lich wer­den kön­nen. Also räum­te man sie lie­ber gleich ganz aus dem Weg – da über­lässt man in Euro­pas lus­tigs­ter Dik­ta­tur nichts dem Zufall.

Der indi­gnier­te Blick aus dem Zuschau­er­raum bei Minu­te 2:37 – gro­ßes Kino!

Und so darf sich nun eben, wie gewünscht, der ehe­ma­li­ge Juni­or-ESC-Teil­neh­mer Alek­seev in Lis­sa­bon für Weiß­russ­land das siche­re Final-Aus erjo­deln. Die Kon­kur­ren­ten wird’s freuen!

Vor­ent­scheid BY 2018

Sams­tag, 16. Febru­ar 2018, aus den BTRC-Stu­di­os in Minsk, Weiss­russ­land. 10 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Teo und Olga Ryzhikova.
#Inter­pretTitelTVJuryGesamtPlatz
01Ada­gioYou and I01010210
02Alek­seevFore­ver12122401
03Shu­maHmar­ki10041403
04Napo­liCha­sing Rushes07061304
05Ana­sta­sia MalashkevichWorld on Fire05071207
06Gunesh Aba­so­vaI will not cry08061402
07Radio WavesSub­way Lines02101206
08Alen HitI do not care04020609
09LexyAin’t you03040708
10Kirill HoodDéjà vu08051305

Hat Alek­seev Chan­cen aufs Finale?

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7 Comments

  • Das nost­al­gi­sche Ost­pop-Lied mag ich sogar, die gesang­li­che Leis­tung war aller­dings ein Stich ins Herz. 🙁

  • @porsteinn
    geht mir genau­so, scha­de dass es in Lis­sa­bon so ziem­lich sicher gegen die Wand fährt wenn nicht ein Wun­der geschieht…
    Dach­te ja der Alek­seev wir unter­schätzt, aber ich hab ihn wohl eher über­schätzt nach dem Auftritt

  • Puuuuh, da zie­hen sich die 3 Minu­ten aber wie ein stun­den­lang gekau­ter Bubble-Gum. In einem sol­chen Fall suche ich immer ver­zwei­felt die Skip-Taste…

  • Irgend­wie klingt es fast wie eine Par­odie. Musi­ka­lisch könn­te es glatt aus dem Müll­ei­mer von Die­ter Boh­len stam­men und die Weiß­rus­sen haben sich erbarmt. Der Gesang ist quä­kig und die Aus­spra­che ätzend. Wegen des Unter­hal­tungs­wer­tes wer­te ich noch mit 1/10, nur Mal­ta noch schlechter.

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