Fünf­ter Super­sams­tag 2018, Teil 1: schö­nes Haar ist Dir gegeben

Es war ein Abend der end­lo­sen euro­vi­sio­nä­ren Über­for­de­rung, der gest­ri­ge Super­sams­tag, an dem gleich acht Vor­run­den und ein natio­na­les Fina­le gleich­zei­tig um die Auf­merk­sam­keit des Grand-Prix-Fans ran­gen. Dar­un­ter mit den Semis der slo­we­ni­schen EMA und der Eesti Laul die­je­ni­gen aus gleich zwei mei­ner liebs­ten Per­len-vor-die-Säue-Län­dern, in denen jedes Jahr die aller­schöns­ten Lie­der unter die Räder kom­men und statt­des­sen (fast) immer der größ­te Mist zum Song Con­test geschickt wird. Die Esten tru­gen ihre Final­chan­cen ja bereits ver­gan­ge­nen Sams­tag zu Gra­be (und ver­ga­ben ges­tern eine wei­te­re Gele­gen­heit), in Ljublja­na hin­ge­gen ret­te­te man zu mei­nem gro­ßen Erstau­nen gleich meh­re­re viel­ver­spre­chen­de Titel ins EMA-Fina­le. Den­noch muss­te die Hälf­te der 16 im EMA-Semi vor­ge­stell­ten Songs drau­ßen blei­ben, und auch unter ihnen fan­den sich Mus­ter­bei­spie­le dafür, was den Vor­ent­scheid des ehe­mals jugo­sla­wi­schen Bun­des­lands so wert­voll macht: der uner­schüt­ter­li­che Glau­be näm­lich an essen­ti­el­le euro­vi­sio­nä­re Grund­ge­rüs­te wie die Syn­chront­anz-Cho­reo­gra­fie, die Wind­ma­schi­ne und das Büh­nen­re­qui­sit, vor allem aber an musi­ka­li­sche Tugen­den wie zügi­ges Tem­po und eine Melodie.

Nuša Deren­da hat ange­ru­fen und will ihr Büh­nen­out­fit zurück: die kom­ple­men­tär­far­be­ne Ana­bel (SI).

So auf das Bei­spiel­haf­tes­te zu beob­ach­ten bei der her­aus­ge­wähl­ten Ana­bel (aus Grün­den der Hand­hab­bar­keit muss ich mich hier auf die Aus­ge­schie­de­nen beschrän­ken), deren upt­em­po­rä­res ‘Pozi­ti­va’ sicher nicht zu den Mei­len­stei­nen inno­va­ti­ven Song­wri­tin­gs zählt, in Punk­to Ein­gän­gig­keit und Prä­sen­ta­ti­on jedoch locker alles in den Schat­ten stell­te, was bis dato beim so hoch­ge­lob­ten Melo­di­fes­ti­valen zu sehen und zu hören war. Auch Nika Zor­jan demons­trier­te mus­ter­gül­tig, wie man einen Euro­vi­si­ons­ti­tel auf der Büh­ne strin­gent prä­sen­tiert. Ihr Lied hieß ‘Uspa­van­ka (Lul­la­by)’, also räkel­te sie sich fol­ge­rich­tig auf einem dreh­ba­ren Bett, umsprun­gen von zwei anmu­ti­gen, bar­fü­ßi­gen Tän­zern in wei­ßen Unter­hem­den, zwi­schen wel­chen sie sich ver­ständ­li­cher­wei­se nicht ent­schei­den konn­te. Hät­te jede pflicht­be­wuss­te Schwup­pe die­ses Pro­blem durch ein Sand­wich gelöst, so ließ sich die müde getanz­te Nika schließ­lich von ihren Gala­nen zude­cken, die bei­de auf dem har­ten Büh­nen­bo­den über­nach­ten muss­ten. Ver­mut­lich schied sie des­we­gen aus. Kein Wei­ter­kom­men gab es auch für die ehe­ma­li­gen slo­we­ni­schen Ver­tre­te­rin­nen Tan­ja Ribič (1997) und Manu­El­la Breč­ko – iro­ni­scher­wei­se, denn deren Song ‘Glas’ war zwar kein Kra­cher, aber alle­mal bes­ser als das schreck­li­che ‘Blue und red’ von 2016.

Bei zwei sol­chen Ker­len könn­te ich auch nicht ein­schla­fen: Nika Zor­jan (SI).

Vor­ent­scheid SI 2018 (Semi)

EMA. Sams­tag, 17. Febru­ar 2018, aus dem RTV SLO-Fern­seh­stu­dio in Ljublja­na. 16 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Vid Valič.
#Interpret/inTitelTVJuryPlatz
01Ana­belPozi­ti­vax
02Tan­ja RibičLjud­jex
03King FooŽive san­jex
04Ina ShaiV neboQ
05Indi­goVes­naQ
06Manu­El­laGlasx
07MilaSvo­bo­dax
08Lara KadisZdaj sem tuQ
09BQLPti­caQ
10Pro­perUkra­den cvetQ
11Nika Zor­janUspa­van­kax
12Mari­na MartenssonBli­zuQ
13Nuš­ka DraščekNe zapus­ti me zdajQ
14OrterTisoč letx
15Gre­gor RavnikZdaj je časx
16Lea SirkCir­queQ

Jepp, der nied­li­che Blon­de rechts ist als Schach­brett ver­klei­det. Das ist aber noch nicht das Schrills­te am Auf­tritt von Dilem­ma (UA).

Doch auch die Ukrai­ne, wo ges­tern Abend das letz­te Semi der Vid­bir statt­fand, ver­fügt über ein untrüg­li­ches Gespür dafür, poten­ti­el­le Hits weg­zu­wer­fen und statt­des­sen den größ­ten Driss wei­ter­zu­wäh­len. So schied am Sams­tag mit den Fei­er­schwein-Blend­gra­na­ten von Dilem­ma und ihrer unwi­der­steh­lich schubi­gen Atzen­mu­sik-Num­mer ‘Na Par­ty’ eine krib­bel­bun­te Spaß­ma­cher­grup­pe aus, die nicht nur durch lus­ti­ge Kos­tü­me wie z.B. einen rosa Pudel punk­te­te, son­dern auch durch so läs­sig wie per­fekt zele­brier­te Dance-Moves und den­noch sau­ber sit­zen­de Töne. Aber Fun, so schwer mir das fällt, zu akzep­tie­ren, ist ja beim Euro­vi­si­on Song Con­test schon lan­ge ver­bo­ten. Kei­nen Spaß ver­ste­hen auch bekannt­lich vie­le Gläu­bi­ge mit den Sym­bo­len ihrer Reli­gi­on, und so sorg­te die Band Yur­cash ver­mut­lich für die ein oder ande­re erho­be­ne Augen­braue. Ver­klei­de­ten sich die Musi­cal-Rocker doch als so eine Art von Bedui­nen, wobei der Front­mann mit sei­nen lan­gen, offe­nen Wal­le­haa­ren nicht nur ein biss­chen aus­sah wie Jesus, son­dern auch sti­li­sier­te Dor­nen um sei­nen Stän­der gewi­ckelt hat­te. Also, den vom Mikro. ‘Stop kil­ling Love’, ihr Song, war sicher gut gemeint, jedoch ein ein­zi­ges unver­dau­li­ches musi­ka­li­sches Durcheinander.

Ist beim Wald­spa­zier­gang mal wie­der im Geäst hän­gen geblie­ben: Illa­ria (UA).

Einen erbit­ter­ten Zwei­kampf um den auf­fäl­ligs­ten Haar­schmuck lie­fer­ten sich die fami­li­en­na­men­frei­en Kon­tra­hen­tin­nen Illa­ria und Juli­no­za. Ers­te flocht sich, pas­send zu ihrem eso­te­ri­schen Eth­no-Klop­fer ‘Syla’, ein natur­nah anmu­ten­des Geflecht aus dün­nem Rei­sig, ver­gol­de­ten Vogel­fe­dern und recy­cel­tem Christ­baum­schmuck in die hen­na­ro­te Mäh­ne, so eine Art Wald­feen­kro­ne. Pit­to­res­ke Instru­men­te, dre­ad­lo­cki­ge Backings und mys­ti­sche gra­fi­sche Ele­men­te run­de­ten das Gan­ze ab, und hät­te Illa­ria es unter­las­sen, zwei­spra­chig auch in holp­ri­gem Eng­lisch zu sin­gen und ope­ret­ten­haft zu jodeln, wäre dar­aus etwas Anspre­chen­des gewor­den. Mit sehr viel weni­ger Mate­ri­al­ein­satz, aber einer visu­ell ein­drück­li­che­ren Idee über­trumpf­te jedoch Juli­no­za ihre Kon­kur­ren­tin: sie hat­te sich aus Bau­schaum einen sti­li­sier­ten Zip­fel­hut gebas­telt, der in sei­ner schrä­gen Fas­zi­na­ti­on sämt­li­che Auf­merk­sam­keit fes­sel­te. Denn man über­leg­te unent­wegt, ob sie nun die ver­schol­le­ne Mut­ter der Tele­tub­bies sei oder bei ihr schlicht eine Sprung­fe­der locker. Dar­über ver­gaß man völ­lig den schreck­li­chen Song, ein unfass­bar ziel­lo­ses, free­jaz­zi­ges Geklim­per und Gejau­le, das beim Zuhö­rer ohne die erfolg­rei­che visu­el­le Ablen­kung sicher für aggres­si­ve Aus­brü­che gesorgt hätte.

Die Hohe­pries­te­rin der Alu­hut-Frak­ti­on: Juli Noza (UA).

Vor­ent­scheid UA 2018 (2. Semi)

Vid­bir. Sams­tag, 17. Febru­ar 2018, aus dem Kul­tur­pa­last der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät in Kiew, Ukrai­ne. 9 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Ser­hiy Prytula.
#Inter­pretTitelTVJuryGesamtPlatz
01Ing­ret KostenkoSave my Planet03020507
02Mélo­vinUnder the Ladder09081701
03Juli­no­zaHto ya?04010508
04Tayan­naLey­la07091602
05Kad­nayBeat of the Universe08071503
06The Yur­cashStop kil­ling Love03050806
07Moun­tain BreezeI see you06061204
08Illa­riaSyla04050905
09Dilem­maNa Par­ty02010309

Kryst­le Car­ri­ng­ton hat ange­ru­fen und will ihre Fri­sur zurück: Mar­ju Länik (EE).

Nach der mas­si­ven Publi­kums­be­schimp­fung letz­te Woche möch­te ich den Est/innen heu­te ver­söhn­lich zuru­fen, was sie dies­mal gut gemacht haben im zwei­ten und letz­ten Semi der Eesti Laul: die 60jährige Schla­ger­sän­ge­rin Mar­ju Länik zurück­zu­wei­sen, das war rich­tig. Obwohl jemand, der sich mit einer sol­chen Auf­op­fe­rungs­be­reit­schaft Ver­diens­te um die klas­si­sche Acht­zi­ger­jah­re-Haar­helm-Fri­sur erwirbt, eigent­lich einen gol­de­nen Elnett-Orden ver­dient. Wo wir gera­de in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten mei­ner Jugend­zeit her­um­schwär­men: was für ein sen­sa­tio­nel­les Stück Dance-to-Dis­co-Nost­al­gi­ka lie­fer­te der legen­där tra­gi­sche Eesti-Laul-Dau­er­par­ti­zi­pant Rolf Roos­a­lu denn da bit­te mit ‘Show a litt­le Love’ ab? Ob die Pet Shop Boys, Geor­ge Micha­el, Bad Boys Blue, Jim­my Somer­ville, Era­su­re, Ani­ta Ward oder Fan­cy: von allem, was die drei letz­ten Jahr­zehn­te des alten Jahr­hun­derts so geil mach­te, ste­cken win­zi­ge Spu­ren­ele­men­te in Rolfs Euro­club-Kra­cher. Der es viel­leicht auch geschafft hät­te, wenn man das Stück dem kom­pe­ten­ten, sil­ber­jäck­chen­be­han­ge­nen Fröh­li­che-Haus­frau­en-Chor über­las­sen und die­sen unsym­pa­thi­schen Typen mit dem wütend machen­den Rüschen­kra­gen­hemd von der Büh­ne ent­fernt hätte.

Der Mann lie­fert ein Guil­ty Plea­su­re nach dem ande­ren ab. Und den­noch ist ihn sehen und “Bäh, geh weg”-denken eins: Rolf Roos­a­lu (EE).

Doch lei­der muss­te ich auch ges­tern wie­der die Hass­kap­pe auf­set­zen und mei­ne For­de­rung nach kol­lek­ti­ver Ent­mün­di­gung der Baltenbewohner/innen erneu­ern. Wie­so zur Höl­le ist das fabel­haf­te Gesamt­kunst­werk ‘Tem­pel’ von Indrek Vent­mann nicht im Fina­le? Ein knuf­fi­ger Blon­der, der zu gechillt-ver­spiel­ten Steel­drums und einem trei­ben­den Beat sto­isch und mit bewun­derns­wer­ter Gelas­sen­heit ein die Ner­ven beru­hi­gen­des Man­tra vor sich hin singt, wäh­rend ein Hau­fen auf­ge­scheuch­ter Men­schen nichts unver­sucht lässt, ihn aus der Fas­sung zu brin­gen, sei es durch Schub­sen, Anschrei­en, das Zer­schnei­den des T‑Shirts, unge­frag­te Sel­fies oder – und dies wür­de ver­mut­lich die meis­ten Grand-Prix-Fans in Null­kom­ma­nichts zu Hyä­nen machen – dem Ver­wu­scheln der Haar­tol­le? Wie nur kann man sich schon wie­der die Chan­ce ent­ge­hen las­sen, durch eine spek­ta­ku­lär und stim­mig erzähl­te Geschich­te im Kol­lek­tiv­ge­dächt­nis zu blei­ben und sich so den Final­platz beim Con­test zu sichern? Ich zweif­le mitt­ler­wei­le nicht nur am Geschmack der Esten, son­dern auch an ihrem Verstand.

Mein Kör­per ist ein Tem­pel” – “Ja, stein­alt und Tag und Nacht für jeder­mann offen” (Gol­den Girls): Indrek Vent­mann (EE).

Vor­ent­scheid EE 2018 (2. Semifinale)

Eesti Laul. Sams­tag, 17. Febru­ar 2018, aus den ERR Stu­di­os, Tal­lin. 10 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Kris­tel Aas­laid und Mar­tin Veisman.
#Inter­pretTitelTVJuryGesamtPlatz
08Mets­a­kutsuKopli­for­nia03 | 073402 | 0300509
01Mar­ju LanikTäna otsus­eid ei tee01 | 056604 | 0390510
05Indrek Vent­mannTem­pel06 | 095703 | 0380908
02Rolf Roos­a­luShow a litt­le Love04 | 086206 | 0561007
04Eli­is Pär­na + Ger­li PadarSky10 | 130301 | 0221106
09Girls in PearlsSpell­bound02 | 070510 | 0911205
06Eves­tusWel­co­me to my World05 | 087308 | 0751304
10NikaKnock Knock08 | 101907 | 0581503
07Karl Krist­jan Kin­gi, Karl Kil­ling, WatevaYoung12 | 179105 | 0501702
03Fran­kie Animal(Can’t keep cal­ling) Misty07 | 097212 | 1121901

Oh, und was ist mit den gest­ri­gen Semis in Schwe­den, Lett­land und Island? Bit­te → hier ent­lang!

3 Comments

  • Beson­ders bemer­kens­wert an Indrek Vent­mann: Sei­ne Per­for­mance war eine Hom­mage an Yoko Onos “Cut Pie­ce”. Ich wer­de ihn neben den fan­tas­ti­schen Girls in Pearls, die (lei­der?) ihren lang­sams­ten 80er-Club­track ins Ren­nen gebracht haben, schmerz­lich im Fina­le ver­mis­sen. Ich wet­te, ihre ande­ren bei­den Sin­gles hät­ten dei­ne Auf­merk­sam­keit an sich gezogen.

  • Oh ja, es gab zwar mit Eves­tus, Fran­kie Ani­mal und Nika aus­ge­spro­chen erfreu­li­che Num­mern für das Fina­le, wovon hof­fent­lich eine die­ses elen­de Opern-Geknö­del schla­gen kann , aber war­um der Tem­pel die sich vor Angst auf der Büh­ne ein­näs­sen­den Wel­pen oder die Kitsch­num­mer von dem Padar sei­ner Schwes­ter nicht hin­ter sich las­sen konn­te, erschließt sich wohl niemandem.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert