UK 2018: Sweet Dreams are made of Cheese

Eine blon­de, jugend­li­che Annie-Lenn­ox-Dop­pel­gän­ge­rin, die bereits zwei Mal als Chor­sän­ge­rin auf der Euro­vi­si­ons­büh­ne stand und die beim Sin­gen als Zei­chen größ­ter Gefühls­auf­wal­lung den Hit­ler­gruß ent­bie­tet: dies ist das vor weni­gen Minu­ten in his­to­ri­schen Dome zu Brigh­ton her­aus­ge­such­te musi­ka­li­sche Abschieds­ge­schenk der Bri­ten als Noch-EU-Nati­on an das euro­päi­sche Fest­land. SuRie (Susan­na Marie) heißt die jun­ge Dame, deren Stim­me schon bei ‘Rhythm insi­de’ (→ BE 2015) und ‘City Lights’ (→ BE 2017) im Hin­ter­grund zu hören war; zwei Bei­trä­gen, mit deren Klas­se ihr eige­ner Wett­be­werbs­ti­tel ‘Storm’ nicht ganz mit­hal­ten kann. “Die Bri­ten lie­ben es, über das Wet­ter zu reden”, scherz­te der als Komo­de­ra­tor enga­gier­te Måns Zel­mer­löw (→ SE 2015) direkt nach SuRies Auf­tritt, die den Vor­ent­scheid Euro­vi­si­on: you deci­de ver­mut­lich vor allem des­halb gewann, weil sie unter allen sechs Teilnehmer/innen noch die meis­ten Töne traf. Ihr Lied beginnt als Pia­no­bal­la­de und ver­wan­delt sich rasch in einen beat­ge­trie­be­nen, hym­ni­schen Pop­song, der sich abso­lut ange­nehm weg­hö­ren lässt und nach 20 Minu­ten wie­der ver­ges­sen ist.

Kei­nes­falls hilf­los im Sturm der Gefüh­le: die etwas bri­tisch unter­kühlt wir­ken­de SuRie.

Die ein­zi­ge eini­ger­ma­ßen memo­rable Stel­le in SuRies Auf­tritt kommt etwa um die Eine-Minu­te-Mar­ke her­um, als sie im Song­text nach­ein­an­der ihre Eltern adres­siert und bei der Erwäh­nung des “Father” kurz schlu­cken muss. Ver­birgt sich hier eine dra­ma­ti­sche Fami­li­en­ge­schich­te? Ihr Sieg kenn­zeich­ne­te womög­lich den klas­si­schen Aus­weg aus dem bei E:yd vor­ab auf­ge­bau­ten Dilem­ma: unter den sechs alle irgend­wie ganz okay­en Bei­trä­gen befand sich genau ein sofort ein­gän­gi­ger und in der Stu­dio­fas­sung durch­aus über­zeu­gen­der Song, der RnB-Smas­her ‘Legends’, der jedoch eine Per­for­me­rin vom For­mat einer Bey­on­cé gebraucht hät­te. Und das war die 16jährige Asan­da lei­der nicht: trotz beque­mer Büh­nen­kla­mot­ten zeig­te sie sich von der Dop­pel­be­las­tung des gleich­zei­ti­gen Sin­gens und Tan­zens deut­lich über­for­dert. Über eine her­vor­ra­gen­de, viel­sei­ti­ge und vor allem berüh­ren­de Stim­me ver­füg­te hin­ge­gen ihr Mit­be­wer­ber Jaz Elling­ton, ein auf den ers­ten Blick sofort sym­pa­thi­scher Künst­ler, des­sen mit Hin­ga­be into­nier­te Bal­la­de ‘You’ jedoch irgend­wie unfer­tig wirk­te, wie die Demo­ver­si­on eines Titels, der es mit dem rich­ti­gen Fein­schliff zu etwas Gro­ßem brin­gen könnte.

Gut behü­tet: der knuf­fi­ge Jaz.

Die rest­li­chen Konkurrent/innen im Schnell­durch­lauf: Raya ent­bot mit ‘Cra­zy’ einen net­ten Anhei­zer, von dem vor allem die fünf hin­ter ihr her tan­zen­den ker­ni­gen “Auto­me­cha­ni­ker” (so einer der Juro­ren tref­fend) in Erin­ne­rung blei­ben; Liam Tam­ne sah in sei­ner Jacke, die so tat, als wär’ sie aus Leder, ganz nied­lich aus und fis­tel­te sich durch ein nichts­sa­gen­des Stück Hin­ter­grund­ge­du­del fürs Ein­kaufs­ra­dio. Die drei­köp­fi­ge Girl­group Gold­stone schließ­lich beschloss die Bewer­ber­lis­te als, woll­te man freund­lich sein, eine Art Bug­det-Ver­si­on von EnVogue oder, fie­ser gesagt, als die bri­ti­sche Wie­der­kehr der spä­ten No Angels (→ DE 2008) – in bei­den Fäl­len ohne deren Talent. In man­chen Kom­men­ta­ren tauch­ten auch Ver­glei­che zu O’ge­ne (→ NL 2017) auf, aber das wäre eine Belei­di­gung der Niederländer/innen. Den his­to­ri­schen Bezug der Auf­tritts­stät­te, in dem 1974 der ESC statt­fand, der eine jun­ge schwe­di­sche Pop­band namens Abba zu Welt­ruhm beför­der­te, ließ sich die BBC im Rah­men­pro­gramm natür­lich nicht ent­ge­hen, wobei das zum Auf­takt von Måns Zel­mer­löw und Lucie Jones (→ UK 2017) ent­bo­tene Med­ley doch ein wenig ein­falls­los wirkte.

Nichts ist sexier als simp­le wei­ße Unter­hem­den (an den rich­ti­gen Män­nern): Raya und ihre Tänzer.

Unter­halt­sa­mer gestal­te­te sich da schon Måns’ Stadt­spa­zier­gang durch das See­bad mit­samt selbst­ver­lieb­ter Sel­fie-Orgie am Pier, aus­führ­li­cher Erwäh­nung des dor­ti­gen Euro­pri­de und einem zur Ent­täu­schung des Saal­pu­bli­kums ledig­lich ange­teaser­ten Aus­flug des Schwe­den an den Nackt­ba­de­strand des Ortes. Bemer­kens­wert noch ein Brexit-Witz­chen des in Lon­don leben­den Euro­vi­si­ons­sie­gers und die zahl­rei­chen EU-Flag­gen im Saal, mit denen die bri­ti­schen Fans ihre Ver­bun­den­heit zur Euro­pa demons­trier­ten. Ganz im Gegen­satz übri­gens zum Sen­der BBC, der das Geo­blo­cking sei­nes Inter­net-Live­streams noch nicht ein­mal für den Vor­ent­scheid auf­hob, wie es mitt­ler­wei­le sogar das deut­sche und – man höre und stau­ne – das ita­lie­ni­sche Fern­se­hen schafft. Ein für das Jahr 2018 extrem unpro­fes­sio­nel­les Vor­ge­hen, mit dem man in Fan-Krei­sen ganz sicher kei­nen posi­ti­ven Buzz für den eige­nen Wett­be­werbs­bei­trag erzeugt. Viel­leicht soll­te man sich in Lon­don die For­de­rung eines schot­ti­schen EU-Poli­ti­kers, den ESC nach bel­gi­schem Vor­bild künf­tig zwi­schen den vier Lan­des­sen­dern rotie­ren zu las­sen, noch mal durch den Kopf gehen lassen.

Bes­ter Song, schwächs­te voka­le Leis­tung: Asanda.

Vor­ent­scheid UK 2018

Euro­vi­si­on: you deci­de. Mitt­woch, 7. Febru­ar 2018, aus dem Dome in Brigh­ton, Groß­bri­tan­ni­en. 6 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Mel Gie­droyc + Måns Zelmerlöw.
#Inter­pretTitelPlatz
01RayaCra­zy
02Liam Tam­neAstro­naut
03Asan­daLegends
04Jaz Eling­tonYou
05SuRieStorm01
06Gold­stoneI feel the Love

Hat ‘Storm’ das Zeug, Groß­bri­tan­ni­en aus dem ESC-Tal der Trä­nen herauszuführen?

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4 Comments

  • was mir sofort auf­fiel – der hit­ler­gruß. sor­ry, aber das ist wirk­lich geschmack­los. und musi­ka­lisch ein fader abdruck von “hey brot­her” – avicii, you remem­ber.…? ich drück ganz fest die dau­men für den letz­ten platz

  • Oh, fast drei­mi­nü­ti­ger Klatsch­marsch. Hübsch. Viel­leicht tritt SuRie in Lis­sa­bon ja in Camou­fla­ge auf.

  • Vie­len Dank an den Haus­her­ren für sei­nen Wort­sitz, daß mit dem “cheese” erhei­tert mich gera­de extrem.
    Die­ser Sturm ist ein lau­es Lüft­chen, ein abso­lut belang­lo­ses Lied­chen aus der eins­ti­gen ESC-Großmacht.
    “Legends” fand ich gar nicht mal übel, ich mag aber nun­mal kei­ne Min­der­jäh­ri­gen auf der Showbühne.
    Dies­mal könn­te die Rote Later­ne wie­der mal in Reich­wei­te sein, selbst für Juries ist die­se Annie Lenn­ox für Arme wohl eher uninteressant.

    Alba­ni­en 9/10
    Frank­reich 8/10
    Schweiz 6/10
    Tsche­chi­en 5/10
    Mal­ta 3/10
    Spa­ni­en 2/10
    GB 1/10

    Lie­be Grü­ße aus Offenbach

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