Der Tin­gler sang für uns alle: Jür­gen Mar­cus ist tot

Eine Schla­ger­le­gen­de hat uns ver­las­sen: wie ver­schie­de­ne Medi­en ges­tern berich­te­ten, ver­starb der Sän­ger Jür­gen Mar­cus bereits Mit­te Mai 2018 im Alter von 69 Jah­ren an den Fol­gen sei­ner lang­jäh­ri­gen chro­ni­schen Lun­gen­er­kran­kung (COPD). Der als Jür­gen Beu­mer in Her­ne gebo­re­ne, gelern­te Maschi­nen­schlos­ser zähl­te zu sei­nen Glanz­zei­ten in den Sieb­zi­gern zu den umsatz­stärks­ten deut­schen Schla­ger­sän­gern mit nicht weni­ger als 36 Auf­trit­ten in der ZDF-Hit­pa­ra­de. Ers­te grö­ße­re Bekannt­heit errang der Blond­ge­lock­te im Jah­re 1969 mit einer Haupt­rol­le im Musi­cal Hair, wor­auf­hin ihn der Erfolgs­pro­du­zent Jack White (bür­ger­lich: Horst Nuß­baum) unter Ver­trag nahm und in den nächs­ten sie­ben Jah­ren mit ihm einen Top-Hit nach dem ande­ren lan­de­te. Sei­ne Teil­nah­me am Euro­vi­si­on Song Con­test, für den (erst spä­ter) beken­nen­den Schwu­len eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit, soll­te aller­dings unter kei­nem all zu glück­li­chen Stern ste­hen: 1974 zog er in der haus­in­ter­nen Aus­wahl­run­de des Hes­si­schen Rund­funks den Kür­ze­ren gegen das Schla­ger­duo Cin­dy & Bert, und das, obwohl er mit ‘Der Grand Prix d’A­mour’ sogar einen the­ma­tisch pas­sen­den Bei­trag vor­be­rei­tet hat­te. Mit wel­chem ihm im Gegen­satz zur drö­gen ‘Som­mer­me­lo­die’ der Saar­län­der anschlie­ßend ein Top-20-Hit gelang.

Wenn das Deo ver­sagt, hel­fen viel­leicht fri­sche Blu­men unter den Ach­seln: Jür­gen Mar­cus mit sei­nem Vor­ent­schei­dungs­bei­trag beim Auf­tritt in der ZDF-Hitparade.

Ähn­li­ches wie­der­hol­te sich ein Jahr dar­auf: zwar fand 1975 ein star­ge­spick­ter deut­scher Grand-Prix-Vor­ent­scheid statt, im Zuge des­sen Mar­cus mit sei­nem aber­mals auf die euro­päi­schen Fest­spie­le inhalt­lich maß­ge­schnei­der­ten Bei­trag ‘Ein Lied zieht hin­aus in die Welt’ erneut den größ­ten kom­mer­zi­el­len Erfolg aller Teilnehmer/innen erzie­len soll­te, näm­lich Platz 3 in den Ver­kaufs­charts. Bei Ein Lied für Stock­holm nutz­te das aller­dings nichts: dies­mal ver­sperr­te ihm Joy Fle­ming mit­hil­fe der Jury den Weg auf die inter­na­tio­na­le Büh­ne. Den­noch soll den Über­lie­fe­rung Jan Fed­der­sens zufol­ge der Her­ner zu den weni­gen Konkurrent/innen der Pfäl­ze­rin gehört haben, die nicht gegen den Sieg der figur­star­ken Mann­hei­mer Soul­stim­me und ihres legen­dä­ren Titels ‘Ein Lied kann eine Brü­cke sein’ nat­ter­ten. Ver­mut­lich, weil der selbst mit einem beacht­li­chen Organ geseg­ne­te Mar­cus die her­aus­ra­gen­den stimm­li­chen Fähig­kei­ten Joys als Ein­zi­ger wirk­lich neid­los aner­ken­nen konn­te? Jeden­falls ret­te­te sich der Sän­ger im Fol­ge­jahr vor einer mög­li­chen erneu­ten Zurück­wei­sung ins Schla­ger­asyl nach Luxem­burg, wo er sich in der Vor­auswahl gegen die mit­ge­flo­he­ne Schwu­len­iko­ne Mari­an­ne Rosen­berg durch­set­zen konnte.

Wer immer es hört, der ver­steht / um was es geht” *zwin­ker*: der zur gro­ßen Ges­te nei­gen­de Mar­cus im hand­ge­klöp­pel­ten Spitzenjäckchen.

Nun hat­te er es also end­lich zum Grand Prix geschafft, wenn auch unter “fal­scher” Flag­ge. Und dann das: unmit­tel­bar vor sei­nem Auf­tritt in Den Haag habe ihn ein hol­län­di­scher Büh­nen­ar­bei­ter als “Nazi” beschimpft, erzähl­te der geschock­te Sän­ger hin­ter­her der Pres­se. Zudem regel­te man ihm das Mikro­fon her­un­ter, so dass das Orches­ter ihn begrub. Von der deut­schen Jury gab es bei der Punk­te­ver­ga­be über­haupt nichts, und auch ins­ge­samt soll­te es nur zum vier­zehn­ten Platz unter 18 Teil­neh­mer­län­dern rei­chen. Was womög­lich am Song gele­gen haben mag: das regel­kon­form auf fran­zö­sisch vor­ge­tra­ge­ne ‘Chan­sons pour c’eux qui s’ai­ment’ erwies sich als glanz­lo­ser Neu­auf­guss sei­nes Vor­jah­res­vor­ent­schei­dungs­bei­trags. In der deut­schen Fas­sung, als ‘Der Tin­gler singt für Euch alle’, reich­te es immer­hin noch zu Rang 46 in den Charts. Aber da muss­te Mar­cus die Nase ohne­hin schon voll davon gehabt haben, immer wie­der das Glei­che sin­gen zu müs­sen: Jack White zog mit sei­nem Schütz­ling die Masche des pom­pös orches­trier­ten, musi­ka­lisch kaum vari­iertn Pathos­schla­gers mit auf­dring­li­chem, mit­klatsch­fä­hi­gen Marsch-Rhyth­mus ein knap­pes Jahr­zehnt lang stur durch.

Für den Grand Prix noch mal extra schön auf­ge­lockt: Jür­gen Mar­cus in Den Haag.

Wobei ihm der kom­mer­zi­el­le Erfolg Recht gab. Doch der Inter­pret fühl­te sich künst­le­risch gekne­belt: Ende der Sieb­zi­ger kauf­te er sich – dar­in gewis­ser­ma­ßen der deut­sche Geor­ge Micha­el – für sehr viel Geld (die Rede ist von einer Mil­li­on DM) aus sei­nem Ver­trag frei, um sich anspruchs­vol­le­ren Tex­ten und einer grö­ße­ren musi­ka­li­schen Band­brei­te wid­men zu kön­nen. Die ihm auch durch­aus loben­de Aner­ken­nung in Kri­ti­ker­krei­sen ein­trug, beim plat­ten­kau­fen­den Publi­kum aber, das bei sei­nen neu­en Lie­dern nicht mehr mit­klat­schen konn­te, stein­hart durch­fiel. Ledig­lich mit einer Cover­ver­si­on, der Ein­deut­schung von Frank Duvals ‘Angels of mine’ als Pro­sti­tu­ti­ons­schla­ger ‘Engel der Nacht’, gelang ihm 1981 ein letz­ter Hit, sein ein­zi­ger ohne Jack-White-Betei­li­gung. 1982 ver­such­te er es noch­mal beim deut­schen Vor­ent­scheid, da mit einem ent­setz­lich faden Schla­ger­lein aus der Feder von Bla­cky Fuchs­ber­ger und Sohn. Mar­cus trat an vor­letz­ter Stel­le im Bewer­ber­feld an, direkt vor einer gewis­sen Nico­le Hoh­loch… Zahl­lo­se anschlie­ßen­de Come­back­ver­su­che mit ste­tig wech­seln­den Kon­zep­ten und Pro­du­zen­ten gin­gen so lan­ge kon­se­quent schief, bis ihm – wie so vie­len Kolleg/innen – nichts mehr ande­res übrig blieb, als mit den ver­hass­ten alten Hits übers Land zu tingeln.

Mar­cus win­selt ver­geb­lich bei Ein Lied für Harrogate.

Obwohl sein exal­tier­ter Prä­sen­ta­ti­ons­stil mit raum­grei­fen­den Arm­be­we­gun­gen für das ein­schlä­gig geschul­te Auge in die­ser Hin­sicht eigent­lich nie­mals eine Fra­ge offen ließ und der Schla­ger­sän­ger mit Titeln wie ‘Irgend­wann kommt jeder mal nach San Fran­cis­co’, ‘Lass mich doch raus aus mei­ner Jacke’ oder ‘Das weiß die gan­ze Nach­bar­schaft’ auch genü­gend ver­steck­te Hin­wei­se streu­te, blieb Mar­cus’ sexu­el­le Ori­en­tie­rung lan­ge Zeit Geheim­sa­che: erst 1991 erfolg­te ein aus­ge­spro­chen gru­se­li­ges Zwangs­ou­ting durch die Bild unter der Schlag­zei­le “Alko­hol. Män­ner­lie­be. AIDS-Angst”. Kein Wun­der, dass dies nicht zum per­sön­li­chen Befrei­ungs­schlag geriet wie im Fal­le von Hape Ker­ke­ling und sei­nem ver­gleichs­wei­se huma­nen Outing durch Rosa von Praun­heim. Der gläu­bi­ge Katho­lik, der ger­ne auf CDU-Ver­an­stal­tun­gen auf­trat, woll­te selbst nie ein schwu­les Vor­bild sein und bezeich­ne­te, wie queer.de aus dem Sprin­ger-Schund­blatt zitiert, bei­spiels­wei­se die Homo-Ehe als “lächer­lich”. Wei­te­re Schick­sals­schlä­ge folg­ten: 2002 erkrank­te er an der töd­li­chen Lun­gen­krank­heit, 2013 muss­te der ehe­ma­li­ge Schla­ger­mil­lio­när Pri­vat­in­sol­venz anmel­den. Um so tröst­li­cher, dass die zwan­zig­jäh­ri­ge Bezie­hung mit sei­nem Mana­ger Niko­laus Fischer bis an sein Ende hielt.

Eine neue Lun­ge ist wie ein neu­es Leben: für Jür­gen Mar­cus lei­der nicht mehr.

Sei­ne Gas­sen­hau­er aber wer­den eben­so im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis ver­blei­ben wie sei­ne rund­her­aus legen­dä­ren Auf­trit­te, die nicht nur Die­ter Tho­mas Heck zu par­odis­ti­schen Höchst­leis­tun­gen ansta­chel­ten, son­dern einer gan­zen Nati­on Ver­gnü­gen berei­te­ten. Und so rufen wir dem durch sei­ne Hits ja doch irgend­wie unsterb­li­chen Schla­ger­kö­nig weh­mü­tig hin­ter­her: ‘Die Uhr geht vor, Du kannst noch blei­ben’

2 Comments

  • Ich wür­de ger­ne bei dir sein ! fand ich den erträg­lichs­ten ESC-Bei­trag von Jürgen.
    Was du unter das Video” Eine neue Lie­be …” geschrie­ben hast, war mei­ner Mei­nung nach geschmacklos.

  • Ich als Wahl-Münch­ner ver­bin­de Jür­gen Mar­cus vor allem mit sei­nem zeit­lo­sen Wiesn-Hit “Eine neue Lie­be ist wie ein neu­es Leben”
    Wenn das im Zelt läuft sin­gen alle seit Jahr­zehn­ten mit, egal ob sie was mit Schla­ger am Hut haben oder nicht. Was kann man schon als Sän­ger mehr erhoffen?
    Dan­ke für den wun­der­ba­ren Nach­ruf, sei­ne ESC-Geschich­te kann­te ich gar nicht.
    Und alles Gute für dein neu­es Leben, wenn es eines gibt, Marcus!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert