Dora 2019: Ottom Bottom

Wie das mit der Rück­be­sin­nung auf eige­ne Stär­ken funk­tio­niert, mach­te uns ges­tern Abend der kroa­ti­sche Sen­der HRT vor, der nach meh­re­ren Jah­ren schmäh­li­cher, der Finanz­knapp­heit geschul­de­ter Pau­se wie­der zum tra­di­tio­nel­len Vor­ent­schei­dungs­for­mat zurück­kehr­te, näm­lich der im mon­dä­nen Küs­ten­städt­chen Opa­ti­ja ver­an­stal­te­ten Dora. Zwar zog man vom frü­he­ren Hotel Kvar­ner wei­ter in die grö­ße­re Mari­no-Cvet­ko­vić-Sport­hal­le. Doch auch dort schaff­te es der Sen­der, eine nost­al­gie­ge­sät­tig­te, fest­li­che Sen­dung hin­zu­le­gen, die alles beinhal­te­te, was des Grand-Prix-Fans Herz höher schla­gen lässt. Dem Dora-Fina­le mit 16 (!) Acts gin­gen zwei Auf­takt­ta­ge vor­an, an denen die Teilnehmer/innen zur Ein­stim­mung klas­si­sche Melo­dien und soge­nann­te “Opa­ti­ja-Sere­na­den” dar­bo­ten, bevor sie ges­tern Abend ihre Wett­be­werbs­ti­tel prä­sen­tie­ren durf­ten. Und wie es sich für Kroa­ti­en gehört, gewann am Ende ein Kom­po­nist, der es ver­stand, die Euro­vi­si­ons­kli­schees am scham­lo­ses­ten zu bedie­nen: Jac­ques Hou­dek, der per­sön­lich­keits­ge­spal­te­ne Tenor von 2017, hat­te für sei­nen per­sön­li­chen Schütz­ling, den gera­de erst voll­jäh­ri­gen Roko Blaže­vić, sei­nes Zei­chens Sie­ger einer hei­mi­schen Kin­der-Cas­ting­show, eine kitsch­trie­fen­de, klas­sisch auf­ge­bau­te Grand-Prix-Hym­ne namens ‘The Dream’ verfasst.

Der Traum jedes Pädo­phi­len: der engels­glei­che Roko schmach­tet in die Kame­ra und ins Mikrofon.

Das kom­plett in unschulds­weiß geklei­de­te Milch­büb­chen stat­te­te Hou­dek zudem noch mit rie­si­gen Engels­flü­geln aus, die er dem ver­gess­li­chen Inter­pre­ten zur Sie­ger­re­pri­se eigen­hän­dig gedul­dig hin­ter­her trug. Um sämt­li­che even­tu­el­len Sepa­ra­ti­ons­be­stre­bun­gen Rokos umge­hend im Keim zu ersti­cken, beeil­te Hou­dek, des­sen Grab­be­lei­en an sei­nem Schütz­ling wäh­rend der Green-Room-Inter­views unschö­ne Bil­der über die Tie­fe der pro­fes­sio­nel­len Bezie­hung der Bei­den in den Köp­fen der Zuschauer/innen her­vor­rie­fen, sich nach dem Dora-Sieg außer­dem umge­hend zu beto­nen, dass “das Büh­nen­kon­zept” für Tel Aviv das Glei­che blei­be, Blaže­vić also auch dort der alber­nen Kos­tü­mie­rung nicht ent­kom­men wer­de. Man stre­be mit dem zwei­spra­chig auf eng­lisch und kroa­tisch gesun­ge­nen Schmalz­rie­men eine Top-Drei-Plat­zie­rung an, so Hou­dek laut Euro­voix. Und wie schon bei sei­nem dama­li­gen eige­nen, eben­falls zwei­spra­chi­gen Bei­trag ‘My Fri­end’ (sei­ner­zeit #13) lässt sich auch der Song-Mons­tro­si­tät ‘The Dream’ eine gewis­se schrä­ge Fas­zi­na­ti­on des Grau­ens nicht völ­lig absprechen.

Immer wie­der schön: ein Aus­flug in die Grand-Prix-Geschichtsdisco.

Neben Hou­dek steur­te mit Tonči Hul­jić auch der kroa­ti­sche Ralph Sie­gel zwei erwäh­nens­wer­te Trash-Titel zum Dora-Gesche­hen bei, mit sehr unter­schied­li­chen Ergeb­nis­sen. Das hoch­gra­dig cam­pe ‘Tower of Baby­lon’, mit dem die fabu­lö­se Lore­na Bućan auf den Spu­ren von Pen­ny McLean und ihrem legen­dä­ren 1979er Luxem­bur­ger Vor­ent­schei­dungs­ti­tel ‘Tut Ench Amun’ wan­del­te, schaff­te völ­lig zu Recht den zwei­ten Platz, auch wenn man sich wünsch­te, Hul­jić hät­te sich beim Tex­ten etwas mehr Mühe gege­ben. So kämpf­te die ado­rable Lore­na in den Stro­phen schon arg erkenn­bar damit, die vie­len Sil­ben in die hier­für deut­lich zu knapp kal­ku­lier­te Melo­die zu quet­schen. Auch fehl­ten für das opti­sche Gesamt­pa­ket noch ein paar but­che Tän­zer aus aller Her­ren Län­der. Dafür jedoch ent­schä­dig­te das auf­trump­fen­de Ende mit der kämp­fe­risch nach oben gereck­ten ‘I love Bela­rus’-Faust – ein Stil­mit­tel, des­sen sich übri­gens auch Roko Blaže­vić bedien­te. Punk­te­los auf dem geteil­ten letz­ten Platz lan­de­te hin­ge­gen Hul­jićs zwei­tes Eisen im Feu­er, das auf den Spu­ren von MeKa­Do wan­deln­de, erschre­ckend dünn­stim­mi­ge Damen­trio Dome­ni­ca, das sich beson­de­re Ver­diens­te auf dem Fel­de des Syn­chront­an­zes und des cho­reo­gra­fier­ten, ener­gi­schen Ein­her­schrei­tens erwarb, einer beim Euro­vi­si­on Song Con­test bedau­er­li­cher­wei­se lang­sam aus­ster­ben­den Kunstform.

Blie­ben etwas farb­los: Indi­go und ihr Tra­la­la-Lied­chen über einen für sei­ne Pas­si­vi­tät bekann­ten tür­ki­schen Homo­se­xu­el­len, den soge­nann­ten “Ottom Bottom”.

Auch in Kroa­ti­en kam man am aktu­el­len Mega­trend nicht vor­bei: mit dem ver­gan­gen­heits­ver­klä­ren­den ‘Back to that Swing’ ver­such­ten die Gela­to Sis­ters (ernst­haft?) das Andenken der gran­dio­sen Andrews Sis­ters in den Schmutz zu zie­hen und die augen­schein­lich in die­sem Jahr ver­bind­lich vor­ge­schrie­be­ne Swing-Quo­te für natio­na­le Vor­ent­schei­dun­gen zu erfül­len. Waren wir mit Roger Cice­ro 2007 ein­fach nur der Zeit zu weit vor­aus? Die Spei­se­eis­schwes­tern jedoch san­gen der­ge­stalt ohren­zer­mür­bend schief, dass ihr Schick­sal bereits nach weni­gen Sekun­den besie­gelt war. Einen, ähm, inter­es­san­ten Farb­tup­fer steu­er­te der von Kopf bis Fuß in schrei­en­des Kana­ri­en­vo­gel­gelb geklei­de­te, im Vor­feld durch­aus favo­ri­sier­te Luka Niže­tić bei, der mit dem auf spa­nisch dar­ge­bo­te­nen Reg­gae­ton-Som­mer­hit-Stamp­fer ‘Bru­ta­le­ro’ den für ihre beson­de­re Rück­sichts­lo­sig­keit berüch­tig­ten kroa­ti­schen Fuß­ball­spie­lern ein frag­wür­di­ges musi­ka­li­sches Denk­mal setz­te. Der, wie ent­spre­chen­de Insta­gram-Fotos bele­gen, aus­ge­spro­chen sport­lich durch­trai­nier­te Luka bot mit sei­ner bis auf die letz­te Sekun­de durch­ge­tak­te­ten, hoch­en­er­ge­ti­schen Show dazu durch­aus Kurz­weil fürs Auge. Lei­der ging das Meis­te davon jedoch unter, weil die Seh­ner­ven bereits mit dem Ansturm den grell­bun­ten Farb­pig­men­te sei­ner Büh­nen­kla­mot­ten und des comic­ar­ti­gen Back­drops aus­ge­las­tet waren.

Gipsy.cz haben ange­ru­fen und wol­len ihre Büh­nen­show zurück: Luka Nižetić.

Einen für die Dora unge­wohn­ten musi­ka­li­schen Farb­tup­fer lie­fer­te die das Teil­neh­mer­feld abschlie­ßen­de Hard­rock­band Mann­tra (ernst­haft?) mit dem melo­diö­sen ‘In the Shadows’. Die vier Man­nen (plus, pro­gres­siv genug, eine Frau) bestä­tig­ten erneut eine uralte Wahr­heit, näm­lich dass in sol­chen Tes­to­ste­ron-Kapel­len fast immer der Drum­mer die geils­te Sau ist. Das völ­lig gegen­sätz­li­che Kon­zept ver­tra­ten hin­ge­gen die ers­ten Teil­neh­mer des Abends: Bojan Jam­brošić und Dani­je­la Pin­ta­rić boten mit ‘Vri­je­me pre­da­je’ (‘Zeit, sich zu erge­ben’) eine rund­her­aus klas­si­sche Pär­chen­bal­la­de feil, dar­ge­bo­ten in fest­li­cher Abend­ro­be und gesun­gen mit mas­si­vem Schmacht in der Stim­me und der not­wen­di­gen Thea­tra­lik in den Ges­ten. Ein Bei­trag also, wie er alt­mo­di­scher und rück­wärts­ge­wand­ter nicht sein könn­te und wie er jedem geschmacks­si­che­ren Euro­vi­sio­nis­ta umge­hend das Wür­gen in den Hals trei­ben müss­te. Doch manch­mal funk­tio­niert die natür­li­che Immun­ab­wehr nicht, wie sie soll­te. Und so muss ich geste­hen, dass die­ses hem­mungs­lo­se Hete­ro­sülz­lied zu mei­nen per­sön­li­chen Guil­ty Plea­su­res gehört. Und wenn auch nur aus dem Grun­de, weil ich den kroa­ti­schen Text nicht ver­ste­he und es des­halb unbe­las­tet genie­ßen kann.

Wehr­los im Sturm der Gefüh­le: mit die­sem klas­si­schen Über­wäl­ti­gungs­schmacht­fet­zen eröff­ne­ten die Kroa­ten den Abend.

Der mit Abstand schöns­te Dora-Moment aber fand frag­los wäh­rend der Stimm­aus­zäh­lung statt. Zur Über­brü­ckung bot HRT näm­lich ein fan­tas­ti­sches Med­ley der zahl­lo­sen kroa­ti­schen Euro­vi­si­ons­klas­si­ker auf (muss man mal sagen: die haben gera­de in den Anfangs­jah­ren schon wirk­lich sehr fei­ne Sachen zum Euro­vi­si­on Song Con­test geschickt!), aus dem – das Bes­te zum Schluss – das in einer wirk­lich fas­zi­nie­ren­den und Lust auf mehr machen­den Rock-Ver­si­on inter­pre­tier­te ‘Mari­ja Mag­da­le­na’ beson­ders her­aus­stach. Noch viel schö­ner und bewe­gen­der als die­ser nost­al­gi­sche Ritt durch die musi­ka­li­sche Grand-Prix-Geschich­te des Lan­des aber war, dass die gera­de eben noch auf­ge­tre­te­nen und im Green Room aktu­ell mit der Mobi­li­sie­rung ihrer Freun­des­lis­te fürs Tele­vo­ting beschäf­tig­ten Finalteilnehmer/innen mit erkenn­ba­rer ech­ter Freu­de aus vol­lem Her­zen zu den Lie­dern mit­san­gen. Da hat­te ich an man­cher Stel­le vor Rüh­rung rich­tig Pip­pi in den Augen. Also: wun­der­bar gemacht, HRT, ab sofort bit­te wie­der jedes Jahr eine Dora!

Wie auf einem Fan­club­tref­fen, der gan­ze Saal singt vol­ler Selig­keit mit!

Vor­ent­scheid HR 2019

Dora. Sams­tag, 16. Febru­ar 2019, aus dem Mari­no-Cvet­ko­vić-Sport­kom­plex in Opa­ti­ja. 16 Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Jele­na Glišić, Iva Šulen­tić und Mir­ko Fodor.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­tingJuryPlatz
01Bojan Jam­brošić + Dani­je­la PintarićVri­je­me predaje2.1850409
02Jele­na BosančićTell me9470213
03Kim Ver­sonNisam to što žele3431014
04Jure BrkljačaNe pos­to­jim kad nisi tu2.1692908
05Beta SudarDon’t give up1.8154110
06Lea Mija­to­vićTebi pri­pa­dam8361215
07Gela­to SistersBack to that Swing1.1652312
08Luka Niže­tićBru­ta­le­ro6.8383803
09Elis LovrićAll I real­ly want1.1946807
10Dome­ni­caIndi­go1.3941916
11Roko Blaže­vićThe Dream11.5247701
12Ema GagroRedemp­ti­on1.9706205
13Lidi­ja BačićTek je počelo1.5091011
14Lore­na BućanTower of Babylon5.5857202
15Ber­na­da BrunoI belie­ve in true Love1.8555806
16Mann­traIn the Shadows3.9215504

4 Comments

  • Moment – im Bei­trag über die Eesti Laul hieß es doch noch, dass bei allen drei Vor­ent­schei­den vom Sams­tag furcht­ba­re Fehl­ent­schei­dun­gen getrof­fen wor­den wären. Das passt mit dem eher begeis­ter­ten Ton­fall die­ses Bei­trags nun gar nicht zusam­men. Ist das hier Num­mer 4, und Num­mer 3 kriegt sei­nen Arti­kel noch nachgereicht?

  • Nach dem sin­gen­den Spie­gel­bild nun frisch aus dem Kurio­si­tä­ten­ka­bi­nett des Dr. Hou­dek ein Engels­jüng­ling mit einer aus­pro­bier­ten Masche. Jedem CSD-Besu­cher wird bewusst sein, dass das von Hou­dek eigent­lich gewünsch­te Engelsthe­ma-Kos­tüm wahr­schein­lich beim Ver­leih ver­grif­fen war: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/ca/Male_Angel_in_Clothes_Show_Live_2009.jpg

    Dora gesellt sich zu den (zu) vie­len Vor­ent­schei­den, in denen man die ver­meint­lich belieb­ten Frag­men­te und Insze­nie­run­gen wie­der und wie­der durch­nu­delt. Nett, wenn da auch Rock wie Mann­tra bei ist, aber auch in dem Gen­re muss man nicht zur Recy­cling­me­tho­de greifen.

  • Gegen die­ses Geschlei­me ist Est­lands Bei­trag fast schon Welt­klas­se. Was war nur Kroa­ti­en loß ? “Tower of Baby­lon” wäre ein akzep­ta­bler Bei­trag gewe­sen, auch die Rock­num­mer hat mir gefal­len. Der­zeit ist ein Trend zu reak­tio­nä­ren Titel erkenn­bar, ich neh­me es mit Schre­cken zur Kenntnis.

  • Roko ist tat­säch­lich erst 2001 gebo­ren ? Er sieht aus wie Ende 30, hil­fe… Dann noch die­ser Hou­dek, der zuletzt pein­lich als Net­tas Hilfs­she­riff und homo­pho­ber Moral­apos­tel auf­fiel. DAS soll in die Top 3 ? Ich wel­cher Welt lebt er denn ?
    Bit­te den Abflug nach dem zwei­ten Semifinale !

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