Euro­vi­si­on you deci­de 2019: Bye bye, I love you

Grö­ßer als wir” sei die Lie­be, die uns ver­bin­de, so röhrt es ein feis­ter Jun­ge mit Hoch­was­ser­ho­sen und unvor­teil­haf­ter Scham­haar­fri­sur her­aus, und man kann es, wenn man denn möch­te, als meta­pho­ri­sche Beschwö­rung der Insu­la­ner ver­ste­hen, trotz des unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Brexits den Blick auf das Gemein­sa­me nicht zu ver­lie­ren, das Ver­bin­den­de. Eben das, was Euro­pa zu etwas Grö­ße­rem macht als nur die Sum­me sei­ner Ein­zel­staa­ten. “Nimm mei­ne Hand und ich füh­re dich nach Hau­se,” singt der opti­sche Zwil­lings­bru­der der ser­bi­schen Euro­vi­si­ons­sie­ge­rin Mari­ja Šerif­o­vić namens Micha­el Rice vol­ler Hin­ga­be und mit wild rudern­den Arm­be­we­gun­gen, “ver­stehst Du, Du wirst nie­mals allei­ne sein”. Es klingt wie der ver­zwei­fel­te Ver­such einer Selbst­sug­ges­ti­on, eines letz­ten Appells im Ange­sicht der nahen­den poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und mensch­li­chen Fins­ter­nis für die Bewoh­ner des Ver­ei­nig­ten König­reichs. Kein Wun­der, dass er den gest­ri­gen bri­ti­schen Vor­ent­scheid Euro­vi­si­on: you deci­de mit der immens kit­schi­gen wie drö­gen Bal­la­de gewann und als Sie­ger aus einer Ver­an­stal­tung her­vor­ging, die in gro­ßen Tei­len signa­li­sier­te, dass das ehe­ma­li­ge Mut­ter­land des Pop den kul­tu­rel­len Anschluss an Euro­pa längst ver­lor und auch zu kei­ner­lei Anstren­gun­gen mehr bereit ist, ihn wiederzufinden.

Sancho Pan­sa, die sin­gen­de Windmühle.

Sechs kom­plett unbe­kann­te Nachwuchskünstler/innen, die sich drei völ­lig nichts­sa­gen­de, bes­ten­falls mit­tel­mä­ßi­ge Alb­um­füll­ti­tel aus der Res­te­schub­la­de inter­na­tio­na­ler Autoren­teams tei­len muss­ten: was schon vom Ver­suchs­auf­bau her stark an die spek­ta­ku­lär miss­ra­te­ne deut­sche Euro­vi­si­ons­vor­ent­schei­dung von 2017 erin­nert, lie­fer­te zumin­dest musi­ka­lisch eine ähn­li­che Malai­se. Über die Kon­kur­renz­ti­tel braucht man daher an die­ser Stel­le erst gar kein Wort mehr zu ver­lie­ren, erwie­sen die­se sich doch uni­so­no als eben­so unge­eig­net wie der nun aus­ge­wähl­te, laut Euro­voix ursprüng­lich für das schwe­di­sche Melo­di­fes­ti­valen kom­po­nier­te Sie­ger­song, in Tel Aviv mehr als den übli­chen 24. Platz zu errei­chen. Dass die andert­stün­di­ge Show den­noch gut unter­hielt, ver­dank­te sie dem bewähr­ten Mode­ra­ti­ons­team mit der bis­si­gen Mel Gie­droyc und dem gran­dio­sen Måns Zel­mer­löw, der vor allem mit einem bar­fü­ßig vor­ge­tanz­ten Med­ley ver­gan­ge­ner bri­ti­scher Euro­vi­si­ons­er­fol­ge und kur­zen, poin­tier­ten Sei­ten­hie­ben auf das Gesche­hen seit 2000 glänz­te. Was im Ver­gleich zum prä­sen­tier­ten Feld für Tel Aviv das nagen­de Gefühl nur noch ver­stärk­te, dass wir hier even­tu­ell der Abschieds­vor­stel­lung der Bri­ten bei­gewohnt haben könnten.

Für die­sen Moment allei­ne lohn­te sich der bri­ti­sche Vor­ent­scheid: Måns Zel­mer­löw in Unterhosen!

Wozu auch eine von Euro­fi­re gefun­de­ne Mel­dung des Maga­zins The New Euro­pean passt, wonach die BBC den zur Show in die Tie­fen der nord­bri­ti­schen Pro­vinz ange­reis­ten Fans vor dem Ein­gang zum Sen­de­stu­dio “aus Sicher­heits­grün­den” (so ein Sen­der­pre­cher) sämt­li­che Flag­gen abnahm, in der Hal­le selbst dann aller­dings Fähn­chen mit dem Uni­on Jack aus­teil­te. Was umge­hend den völ­lig berech­tig­ten Vor­wurf der Zen­sur aus­lös­te, denn eine Grup­pe von Brexit-Geg­ner hat­te vor dem Stu­dio EU-Flag­gen ver­teilt, die unter den poten­ti­el­len Zuschauer/innen auch rei­ßen­den Absatz fan­den, gehö­ren die Hard­core-Grand-Prix-Fans doch in der Regel zu den Freun­den des euro­päi­schen Gedan­kens. “Die Brexit Broad­cas­ting Cor­po­ra­ti­on hat wie­der zuge­schla­gen,” kom­men­tier­te eine Betrof­fe­ne die Weg­nah­me des im Lan­de der­zeit heiß umstrit­te­nen und für Kon­ser­va­ti­ve augen­schein­lich anstö­ßi­gen Sym­bols, das nach den aktu­el­len Regeln der EBU beim Con­test selbst aus­drück­lich zuge­las­sen ist (eben­so wie die Regen­bo­gen­flag­ge). Ich bin wirk­lich gespannt, ob das UK auch in den Zwan­zig­zwan­zi­gern noch beim Euro­vi­si­on Song Con­test ver­tre­ten sein wird.

Sweet Lies’ von Ker­rie-Ann, unter den sechs schwa­chen Per­for­man­ces noch die gefälligste.

Vor­ent­scheid UK 2019

Euro­vi­si­on: you deci­de. Frei­tag, 8. Febru­ar 2019, aus der Media­Ci­ty­Uk in Sal­ford, Groß­bri­tan­ni­en. 6 Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Mel Gie­droyc + Måns Zelmerlöw.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryTele­vo­ting
01Ker­rie-AnneSweet Lies3
02AnisaSweet Lies0
03Jor­dan ClarkeFreaks2
04MaidFreaks1
05Hol­ly TandyBig­ger than us0
06Micha­el RiceBig­ger than us3x

8 Comments

  • Mag sein, das UK 2019 nicht gera­de der Ober­knal­ler ist, aber gegen das, was gera­de Aus­tra­li­en zum ESC geschickt hat, kommt es einem vor, wie eine Ouver­tü­re von Mozart. So ein grau­en­haf­ter Kat­zen­ge­sang beim ESC habe ich schon lan­ge nicht mehr gehört. Aus­tra­li­en wird nicht im Fina­le sein und UK wird höchs­tens Platz 15 bis 26 errei­chen. Mal wie­der nicht mehr.

  • Sancho Pan­sa, die sin­gen­de Wind­müh­le, man soll­te dich für sol­che Bon­mots tee­ren und federn. Die Schmer­zen in der Zwerch­fell­re­gi­on gren­zen an Folter.……jaul.…..

  • Anders­rum wird ein Schuh draus: Kate wird der­ma­ßen stark pola­ri­sie­ren und ’nen Ras­mus­sen pul­len, dass Micha­el Rice im Ver­gleich zu kon­sens­fä­hig-nett sein wird, um aufzufallen.

  • Kann man machen, muss man aber nicht.
    .…um ehr­lich zu sein: Man soll­te es auch nicht. Aber die ESC-Ver­ant­wort­li­chen der BBC leben anschei­nend in ihrer eige­nen Bla­se, die nichts mit der immer noch erfolg­rei­chen bri­ti­schen Musik­sze­ne gemein hat. Ein paar Pünkt­chen gibt’s dafür bestimmt – unter den Juro­ren und Zuschau­ern gibt’s sicher­lich ein paar Lang­wei­ler, die das wirk­lich gut finden.

  • Sancho Pan­sa ? Mich erin­nert Micha­el eher an den Jun­gen auf der Zwiebackpackung.…
    Zum Song: Ganz ein­deu­tig zu viel Pathos und zu sehr X‑Factor etc. Erin­nert von der Melo­die her ein wenig an AT 2018, Cesar hat­te aber wenigs­tens eine tol­le Büh­nen­prä­senz. Wird wohl die­ses Jahr wie­der nix für UK, aber dar­an haben sich die Ver­ant­wort­li­chen von der BBC anschei­nend gewöhnt – die Ver­an­stal­tung ges­tern war erschre­ckend pro­vin­zi­ell (etwa ver­gleich­bar mit der Vali­um­show des NDR von 2017).

    Bewer­tun­gen bisher

    Alba­ni­en 8/10
    Spa­ni­en 7/10
    GB 3/10
    Tsche­chi­en 2/10
    Frank­reich 1/10

    Lei­der kam die nächs­te Ent­täu­schung schon ein paar Stun­den später.…

  • @ dis­ney­fan

    Dies­mal tei­le ich sogar Dei­ne Ein­schät­zung. Die Chan­ce auf ein Fina­le ohne Aus­tra­li­en ist dies­mal groß und damit wür­de die­se kras­se Fehl­ent­schei­dung gerächt werden.

  • Bes­ser, als alles, was UK die letz­ten Jah­re ins Ren­nen geschickt hat, ist es schon mal. Aber der Ober­kra­cher ist es jetzt auch nicht. Klingt doch irgend­wie austauschbar.

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