Es kann als eine kleine Kulturrevolution bezeichnet werden: mit Alessandro Mahmoud gewann heute Nacht ein Einwandererkind das traditionsreiche italienische Liederfestival. Und dazu noch einer, der diese Wurzeln in seinem Künstlernamen Mahmood bewusst unterstreicht und dessen in der Gesamtwertung siegreicher, von ihm selbst getexteter und mitkomponierter Song ‘Soldi’ (‘Geld’) eine bittere persönliche Abrechnung mit eben jenem ägyptischen Vater darstellt, der ihn und seine italienische Mutter sitzenließ, um zurück in die arabische Heimat zu gehen und der ihn nun, so jedenfalls die Erzählung des 26jährigen, bei einem zur Spurensuche unternommenen Besuch im Land der Pharaonen auch noch dreist um Geld anhaut. Beim Finalauftritt am Samstag musste der charismatische ehemalige X‑Factor-Teilnehmer mit einem kurzen ‘Bandido’-Moment kämpfen, als zunächst weder sein Ohrmonitor noch das Mikro funktionierten. Den meisterte er jedoch souverän. Im Superfinale der besten Drei erzielte Alessandro zwar mit 14,5% die geringste Zustimmung im Televoting, gewann aber im Gesamtklassement der über alle fünf San-Remo-Abende laufenden Jury‑, Presse- und Zuschauerabstimmung. Noch in der Nacht erklärte er, das angebotene Ticket für Tel Aviv annehmen und Italien beim Eurovision Song Contest vertreten zu wollen.
Der Siegersong, hier als offizieller Videoclip. Den Sanremo-Auftritt hat die komplett verblödete Rai aus unerfindlichen Gründen sperren lassen. Sterbt!
Das Publikum im Ariston-Theater zeigte sich über die Krönung Mahmoods zum San-Remo-Sieger nicht entzückt. Wütende Buh-Rufe und fortdauernde “Loredana”-Sprechchöre waren zu vernehmen, als das 68jährige italienische Nationalheiligtum Loredana Bertè bei ihrer mittlerweile zehnten San-Remo-Teilnahme knapp am Einzug ins Superfinale scheiterte. Die Schwester der verstorbenen zweifachen Eurovisionsvertreterin Mia Martini präsentierte ihren Song ‘Cosa ti aspetti da me’ mit einer unter die Haut gehenden Reibeisenstimme und sorgte auch optisch für unvergessliche Momente: die Kombination aus blaugescheitelten Haaren, ihrer in vielen plastischen Operationen mumifizierten Gesichtsruine und einem gewagten Röckchen ließen einen als Zuschauer in einer Mischung aus leichtem Grusel und Ehrfurcht vor dem Bildschirm erstarren. Ins Superfinale kamen neben Mahmood die wahren Sieger des Grand Prix 2015, die jungen und dankenswerterweise mittlerweile alle drei mit einem ordentlichen Bart ausgestatteten Tenöre Il Volo, deren aktueller Popera-Riemen ‘Musica che resta’ allerdings mit dem unbezwingbaren Schlagerschmacht ihres damaligen Gewinnerliedes ‘Grande Amore’ bei Weitem nicht mithalten konnte.
Auch bei Loredana Bertè betrügt uns die Rai um den Live-Auftritt. Fickt Euch!
Wäre es ausschließlich nach den anrufenden Zuschauer/innen gegangen, hätte der 22jährige Niccolò Moriconi alias Ultimo das Ticket nach Tel Aviv erhalten: der letztjährige Sieger des San-Remo-Nachwuchsfestivals konnte im Superfinale fast die Hälfte aller Stimmen auf sich und seine dezent angerockte Klavierballade ‘I tuoi particolari’ vereinen, die er im Laufe der Festivalwoche auch im Duett mit Fabrizio Moro darbot und die mir dennoch nicht mehr als ein müdes Schulterzucken zu entlocken vermochte. Und so muss ich gegen meine sonstige innere Überzeugung gestehen, dass ich froh bin, dass die diversen Juror/innen in diesem Fall das Publikum überstimmten, denn zum einen setzt das Entsenden von Mahmood gerade nach Israel positive Zeichen, und zum anderen bin ich nach den ganzen himmelschreienden Fehlentscheidungen der letzten Tage heilfroh, dass es endlich mal wieder ein Beitrag und ein Interpret geschafft hat, der mein Herz höher schlagen und mich auf den diesjährigen Wettbewerb freuen lässt. Grazie, Italia!
Medusa rief an und will ihre Haare zurück: die ebenfalls legendäre, allerdings etwas unsynchrone Petty Pravo landete auf den hinteren Plätzen. Nicht ganz zu Unrecht.
Vorentscheid IT 2019
Festival della Canzone italiana di Sanremo. Samstag, 9. Februar 2019, aus dem Teatro Ariston in San Remo. 24 Teilnehmer/innen. Moderation: Claudio Baglioni, Virginia Raffaele und Claudio Bisio.# | Interpret/in | Titel | Presse | Jury | TV % | Platz |
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01 | Daniele Silvestri | Argento vivo | 03 | 02 | 03,19 | 06 |
02 | Anna Tatangelo | Le nostre Anime di Notte | 18 | 18 | 01,24 | 22 |
03 | Ghemon | Rose viola | 09 | 05 | 01,42 | 12 |
04 | Negrita | I Ragazzi stanno bene | 18 | 10 | 01,12 | 20 |
05 | Ultimo | I tuoi particolari | 06 | 02 | 06 | 02 | 19,25 | 48,80 | 02 |
06 | Nek | Mi farò trovare pronto | 20 | 17 | 01,98 | 19 |
07 | Loredana Bertè | Cosa ti aspetti da me | 01 | 06 | 09,49 | 04 |
08 | Francesco Renga | Aspetto che torni | 17 | 18 | 02,19 | 15 |
09 | Mahmood | Soldi | 13 | 01 | 21 | 01 | 03,49 | 20,95 | 01 |
10 | Ex Ogato | Sono una Canzone | 11 | 08 | 01,54 | 13 |
11 | Il Volo | Musica che resta | 13 | 03 | 21 | 02 | 17,65 | 30,25 | 03 |
12 | Paola Turci | L’ultimo Ostacolo | 16 | 09 | 01,72 | 16 |
13 | Zen Circus | L’Amore è una Dittatura | 12 | 12 | 01,24 | 17 |
14 | Patty Pravo + Briga | Un po’ come la vita | 21 | 18 | 01,11 | 21 |
15 | Arisa | Mi sento bene | 04 | 03 | 02,51 | 08 |
16 | Irama | La Ragazza col cuore di Latta | 10 | 12 | 08,36 | 07 |
17 | Achille Lauro | Rolls Royce | 07 | 12 | 03,45 | 09 |
18 | Nino d’Angelo + Livio Cori | Un’altra luce | 23 | 21 | 01,18 | 24 |
19 | Federica Carta + Shade | Senza farlo apposta | 21 | 21 | 02,65 | 18 |
20 | Simone Cristicchi | Abbi cura di me | 04 | 12 | 06,70 | 05 |
21 | Enrico Nigiotti | Nonno Hollywood | 08 | 12 | 03,70 | 10 |
22 | Boomdabash | Per un Millione | 15 | 11 | 02,94 | 11 |
23 | Einar | Centomila volte | 23 | 21 | 01,10 | 23 |
24 | Motta | Dov’è l’Italia | 14 | 04 | 00,79 | 14 |
Absolut fantastisches Ergebnis. Ein starker, eigenständiger Song, inhaltlich wie musikalisch. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch er vom ESC-Publikum mit einer hohen Punktzahl gewürdigt und von den Juries sträflich unterbewertet wird. Wie schön, dass Italien am ESC teilnimmt.
Ich bin über das San Remo Festival jedes Jahr sehr erfreut, gibt es doch immer wieder interessantes zu entdecken. Für Italien ist dieses Festival sozusagen der Nabel der Musikwelt und somit sind auch die Besten Künstler am Start. Und das ist doch somit auch eine Wertschätzung für den ESC. Ich bin ganz ehrlich , mir gefällt der Siegertitel auch nach mehrfachem hören nicht so gut. Ich höre aber auch schon die ganze Woche die Songs von Ultimo und Irama , für mich wären beide Songs für den ESC wie gemacht gewesen. Beide Künstler fand ich zudem sehr charismatisch und sympathisch. Somit war ich natürlich entäuscht und bin derzeit nicht so objektiv.…Was ich aber tatsächlich übel finde ist das der Sieger nur 14% Televoter begeistern konnte und trotzdem gewinnt…eigenartig.…zumal doch die Zuschauerstimmen am stärksten gewertet wurden.…
Bin ebenfalls mit dem Ergebnis hochzufrieden. Und es war ja klar, dass Signore Salvini auch gleich was zu meckern hatte. Eher peinlich fand ich das Saalpublikum mit seinen Loredana-Sprechchören. Man stelle sich vor,die geschiedene Frau Borg hätte gewonnen. Stimme und Optik ähnelten eher einem gegrillten Frosch denn einer gestandenen Endsechzigerin. Da blieb einem nochmal das Fremdschämen erspart.
Mich hat dieses Ergebnis auch mit diesem katastrophalen Wochenende versöhnt. Auf Italien ist eben Verlass! *clap* *clap*
Kann mich den allgemeinen Jubelarien nur anschließen, das erste Highlight dieses Jahrgangs! Lässiger Song und eine super Stimme!
Loredana fand ich aber auch klasse, ich hätte mich im Saal den Sprechchören angeschlossen. Hätte m.M. auch unbedingt ins Finale gehört, tolle Frau!
Gar nicht schlecht. Das Händeklatsch-Element ist durchaus catchy.
Jetzt wird es für Italien darauf ankommen, das Thema des Songs irgendwie zu visualisieren. Ist halt das Problem bei nicht englischsprachigen Texten, wenn es nicht gerade um Amore oder Party, Party, Party geht. Wäre aber m.E. wichtig, weil sonst die meisten der TV-Zuschauer nicht wissen, warum der Bursche so böse guckt. Sonst wirkt er ungewollt unsympathisch.