Sonn­tag ist Song­tag: die letz­ten Lie­der für Tel Aviv

Lie­der, Lie­der, die letz­ten Lie­der hier! Der abso­lu­te Haupt­ge­winn ist hier in die­ser Dose drin!” Oh, sor­ry, da ist es ange­sichts der in Kür­ze dro­hen­den Nach-Vor­ent­scheids-Euro­vi­si­ons-Zwi­schen­de­pres­si­ons-Pha­se wohl ein wenig mit mir durch­ge­gan­gen. Bemü­hen wir uns um einen etwas sach­li­che­ren Ton: von den ins­ge­samt 41 Bei­trä­gen für den Euro­vi­si­on Song Con­test 2019 in Tel Aviv kann­ten wir bis ges­tern 38, die rest­li­chen drei kamen am heu­ti­gen Sonn­tag hin­zu. Dar­un­ter auch der Heim­bei­trag des Gast­ge­ber­lan­des Isra­el, dar­ge­bo­ten von dem in einer Cas­ting­show aus­ge­wähl­ten, aus­ge­bil­de­ten Opern­sän­ger Kobi Mari­mi. Des­sen cle­ver ‘Home’ beti­tel­te Bal­la­de soll­te eigent­lich als letz­te des Tages ver­öf­fent­licht wer­den, sicker­te jedoch bereits am Nach­mit­tag als ers­te durch. Und sie lässt die Her­zen aller Freun­de von Spaß­bei­trä­gen höher schla­gen, denn die vor kit­schi­gem Pathos nur so trie­fen­de, mit beben­der Schmacht­stim­me into­nier­te Num­mer kann schlicht­weg nur als in ihrer maß­lo­sen Über­trei­bung brül­lend lus­ti­ge Par­odie auf abgrund­schlech­te Musi­cals gemeint sein. Oder aber als ver­zwei­fel­ter Ver­such des aus­rich­ten­den Sen­ders KAN, ange­sichts klam­mer Kas­sen einen Dop­pel­sieg wie 1978/1979 mit aller Macht zu verhindern.

Thun­der­bolt and Light­ning / Very very fright­ning me.

Und das zumin­dest dürf­te mit gro­ßer Sicher­heit gelin­gen. Ja, es soll­te mich nicht wun­dern, wenn Isra­el den bis­he­ri­gen Rekord Öster­reichs ein­stellt und den Jahr­gang als Vor­jah­res­sie­ger mit Nul Points abschließt. Wobei, dafür ist ‘Home’ ein­fach viel zu unter­halt­sam. Nennt mich einen Zyni­ker, aber wenn der 1,90 Meter gro­ße Fred­die-Mer­cu­ry-Dop­pel­gän­ger dasteht und mit abso­lut über­per­for­ma­ti­ver Ernst­haf­tig­keit und der hart tre­mo­lie­ren­den Stim­me eines The-Voice-Kan­di­da­ten “And I am someone!” rekla­miert, sehe ich immer nur Ran­dy Wat­son & Sexu­al Cho­co­la­te vor mei­nem geis­ti­gen Auge. Und spä­tes­tens, wenn Kobi kurz vor dem (Song-)Finale ein ums ande­re Mal in kal­ku­liert nai­vem Innu­en­do “Now I’m done / I’m coming” schreit, bleibt bei mir kein Auge tro­cken. Vor Lachen. Den glei­chen Vor­ent­schei­dungs­weg wie Kobi ging auch die mal­te­si­sche Ver­tre­te­rin Michae­la Pace, die als Sie­ge­rin aus der erst­mals abge­hal­te­nen und in Sachen Ein­schalt­quo­te sehr erfolg­rei­chen Cas­ting­show X‑Factor Mal­ta her­vor­ging. Ihr heu­te ver­öf­fent­lich­ter Song heißt ‘Cha­me­le­on’: ziem­lich pas­send für ein acht­zehn­jäh­ri­ges, bis­lang künst­le­risch eher unbe­schrie­be­nes Mädel, das einen farb­lo­sen Plas­tik-Pop-Song zu ver­kau­fen hat.

Kobis Vor­bild Ran­dy Wat­son leg­te sein Jodel­di­plom wie Mari­mi auf der Whit­ney-Hous­ton-Schu­le für ange­wand­tes Vibra­to ab.

Das Posi­ti­ve zuerst: es han­delt sich um kei­ne wei­te­re Bal­la­de (yay!), son­dern einen laut bol­lern­den Upt­em­po­song (yay!) mit mehr­fa­chen elek­tro­ni­schen Drops und abrup­tem Ende. Wie man das heu­te so macht, habe ich mir von jun­gen Men­schen sagen las­sen. Paces Song fügt sich ein wie ein Cha­mä­le­on in die brei­te Mas­se dies­jäh­ri­ger Euro­vi­si­ons­bei­trä­ge, deren Refrain, wenn man das so nen­nen mag, aus der schlich­ten, end­lo­sen Wie­der­ho­lung des titel­ge­ben­den Wor­tes besteht (seufz). Der bun­te Vor­schau­clip dient als erneu­ter Beleg für mei­ne The­se, dass man auf Lyrik-Vide­os bes­ser ver­zich­ten soll­te, wenn der Text ledig­lich aus wahl­los zusam­men­ge­wür­fel­ten Satz­bau­stei­nen ohne tie­fe­ren Sinn und Zusam­men­hang besteht: “We are Tech­ni­co­lour, watch us go, we never walk away na na”? Man kann sich ja durch­aus sein Grand-Prix-Lied von einem ver­se­hent­lich in der U‑Bahn ein­ge­schal­te­ten Han­dy-Sprach­er­ken­nungs­pro­gramm der ers­ten Gene­ra­ti­on schrei­ben las­sen. Aber auf die lyri­sche Mala­desse auch noch so expli­zit hin­zu­wei­sen? Nun ja: der Song depri­miert wenigs­tens nicht und füllt das bereits bis zum Bers­ten besetz­te Mit­tel­feld der irgend­wie okay­en Titel noch wei­ter auf. So weit, so verzichtbar.

Oh, ein Kos­tüm­fest! Für Michae­la Pace hat die Krea­tiv­ab­tei­lung des mal­te­si­schen Fern­se­hens wie­der Über­stun­den geschoben.

Bleibt noch der mit hei­ßer Span­nung erwar­te­te Bei­trag aus Arme­ni­en. Hier bestimm­te der Sen­der ArmTV bereits an Neu­jahr 2019 intern die ehe­ma­li­ge X‑Factor-Zwei­te Srbuhi Sarg­si­an, bes­ser bekannt unter ihrem Künst­le­rin­nen­na­men Srbuk, zur Euro­vi­si­ons­re­prä­sen­tan­tin. Heu­te folg­te nun end­lich der Song mit dem Titel ‘Wal­king out’. Lasst es mich so for­mu­lie­ren: die nicht weni­gen pas­sio­nier­ten und vom bis­he­ri­gen Line-up schwer ent­täusch­ten Euro­vi­si­ons­fans, die bis zuletzt hoff­ten, der poten­ti­el­le Sie­ger­song für Tel Aviv wer­de in buch­stäb­lich letz­ter Sekun­de ent­hüllt, sehen sich nun bit­ter ent­täuscht und müs­sen sich jetzt wohl doch einen der 40 ande­ren Bei­trä­ge schön­hö­ren. Der arme­ni­sche Song näm­lich ent­puppt sich als zusätz­li­cher Trop­fen in den Oze­an mit Lie­dern, die weder so schlecht sind, dass man sie mit Ver­gnü­gen hasst, noch so gut, dass man sie mit Ver­gnü­gen hört. ‘Wal­king out’ besteht aus drei Minu­ten vol­ler unnö­tig lau­ter, anstren­gen­der, aggres­si­ver Sounds, bei denen ich schlicht froh bin, wenn es vor­bei ist. Selbst die klo­bi­ge Rückung an der kor­rek­ten Stel­le, bei 2:30 Minu­ten, ver­mag es nicht, mich mit dem Titel versöhnen.

Die hem­den­lo­sen Her­ren bit­te nach Tel Aviv mit­brin­gen, Srbuk. Aber das Sche­ren der Brust­be­haa­rung unter­las­sen wir bit­te, ja? Das ist näm­lich ein Ver­bre­chen gegen die Menschlichkeit!

12 Comments

  • Haha!
    Mit Ran­dy Wat­son & Sexu­al Cho­co­la­te hät­te Isra­el 100x bes­se­re Chancen.
    Die wol­len aber sowas von sicher nicht noch­mal hos­ten müs­sen im nächs­ten Jahr

  • uffff. Ich bin geschockt. Ich dach­te eigent­lich, schlim­mer als die Opern-Trul­la aus Aus­tra­li­en (mit viiii­ie­len Trä­nen im Gedan­ken an Elec­tric Fields) kann es nicht wer­den. Aber: schlim­mer geht immer. Was auch immer dem guten Kobi da gera­de kom­men mag. Bei mir ist es ledig­lich geeig­net für eine Spuck­tü­te. Und zwar eine sehr große.
    Mei­nen größ­ten Respekt vor Dir, Oli­ver, dass du das Grau­en in einen Lach­an­fall umlei­ten kannst. Das gelingt mir lei­der nicht. Pure Fol­ter, die­ser kleb­ri­ge Mist.

  • Naja, so furcht­bar ähn­lich sieht Kobi dem guten Fred nun auch wie­der nicht (ok, aller­dings mehr als Rami Malek).
    Und dan­ke für Ran­dy! XD

  • Stimmt. MIT die­sen letz­ten 3 Ver­öf­fent­li­chun­gen platz­te die letz­te Hoff­nung dass noch ein ori­gi­nel­ler ‚mit­rei­ßen­der Song die vor­wie­gend aus Imi­ta­tio­nen bestehen­den übri­gen Bei­trä­ge über­strah­len würde.
    Ich füh­le mich die­ses Jahr nur bei “Hat­red mun sig­ra“ ‚und dei­nen Rezen­sio­nen at “home“’.…

  • Joar, der Bei­trag aus Mal­ta ist schon ordent­lich und der Text rich­tig schön Gaga.
    Den­noch unterm Strich mag ich die­ses Jahr Zypern und Ita­li­en am liebsten.
    Sooo schlecht ist der Jahr­gang auch nicht, grob drü­ber gehört schaf­fen es ca. 20 Songs in mein Auto­ra­dio. Letz­tes Jahr waren es nur 14 😉

  • Arme­ni­en find ich ganz cool – irgend­wie mag ich den trei­ben­den beat und fin­de, dass es durch­aus aus den rest­li­chen Songs hervorsticht.
    Mal­ta find ich über­ra­schend! Kein Favo­rit, aber das Fina­le hät­ten sie sich verdient…
    Israel…wollen die­ses Jahr ein­fach nicht gewin­nen, des­halb haben sie halt eine übrig geblie­be­ne Bal­la­de ausm Müll gekramt und einen schö­nen Mann sin­gen lassen.

  • Isra­el: Gedie­ge­ne Lan­ge­wei­le, mit dem Ver­such es durch viel Gewe­se aufzuplustern.

    Mal­ta: Das Lied hat pha­sen­wei­se was von einer quä­ken­den Ente – wenn’s schön macht.

    Arme­ni­en: Den Ver­such Rag ’n’ Bone Man irgend­wie ins Weib­li­che zu über­tra­gen darf man wohl als geschei­tert betrachten.

  • Sehr schön beschrie­ben, vor allem den israe­li­schen Bei­trag. Vie­len Dank dafür. Für den Humor lie­be ich die­sen Blog! Mal­ta hat even­tu­ell sogar noch Schön­hör­po­ten­ti­al bei mir. Alles in allem fin­de ich den Jahr­gang mitt­ler­wei­le gar nicht mal sooo schlecht. Habe mit Alba­ni­en, Spa­ni­en, Ungarn, San Mari­no und Däne­mark schon ein paar Lieb­lings­ti­tel gefunden.

  • Auweia, auf ähn­lich uner­träg­li­chem Niveau wie Kroa­ti­en.…. Ist die­ses Mach­werk tat­säch­lich ernst gemeint ? Wer um Him­mels Wil­len ruft dafür an ? 

    Ist wohl eigent­lich ein Fred­die-Gedächt­nis­song gedacht und das kann nur in die Hose gehen. Nun gut, ver­schont dem Lied­chen aus Ger­ma­ny wenigs­tens die Schmach der roten Laterne.

  • Isra­el ist lei­der ent­setz­lich; ist eigent­lich sowohl von Musik als auch von Män­ner­typ ganz oben auf mei­ner Lis­te; lei­der schmie­ri­ger Typ mit Jam­mer­bal­la­de. Mal­ta und Arme­ni­en wer­de ich sicher erst im Semi hören; bei­de Län­der brin­gen sel­ten was, das mir gefällt und ioch möch­te mir jetzt die tol­len Sai­son-ret­ten­den Ein­drü­cke der letz­ten Woche mit u.a. Luca, Dun­can und Chen­giz nicht kaputt machen.

  • @ quer­ido 4porcelli

    Dein Kom­men­tar zu Isra­el amü­siert mich sehr, ich krie­ge gera­de einen Lach­an­fall. Danke !

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