Rank and File 2019: Platz 11 – Kthe­ju Tokës

Soll­te es im Mai 2019 zu einem außer­ge­wöhn­li­chen Anstieg des Mee­res­spie­gels kom­men, trifft dar­an nicht allei­ne die Kli­ma­er­wär­mung die Schuld: Mil­lio­nen von Exil-Alba­ner/in­nen dürf­ten wäh­rend des Euro­vi­si­on Song Con­tests zuhau­se vor den Gerä­ten sturz­bach­ar­ti­ge Trä­nen­strö­me vergießen.

Platz 11: Alba­ni­en – Joni­da Mali­qi: Kthe­ju Tokës (Keh­re zurück)

Denn das Land der Ski­pe­ta­ren setzt erneut auf Bewähr­tes: die tra­di­tio­nell bereits an Weih­nach­ten 2018 beim FiK aus­ge­wähl­te Joni­da prä­sen­tiert sich als beson­ders gold­glän­zen­des Exem­plar der bereits viel­fach erprob­ten Gat­tung der weh­kla­gen­den Wit­we. Nur, dass sie kei­nen toten Gat­ten betrau­ert, son­dern den zum Stu­die­ren und / oder Geld­ver­die­nen ins euro­päi­sche Aus­land abge­wan­der­ten Mann, den sie mit herz­zer­rei­ßen­den Text­zei­len wie­der nach Hau­se locken möch­te. Die majes­tä­tisch anmu­ten­de, hin­rei­ßend anzu­schau­en­de Inter­pre­tin tut dies vor allem mit deut­lich kon­trol­lier­ter Stimm­kraft und ohne jeg­li­che Spur von Dis­so­nanz, wel­che sonst lei­der ach so oft den Genuss bau­glei­cher Bal­la­den aus dem Bal­kan­land ver­lei­det. Bei Joni­da klirrt und schep­pert es jedoch nicht in den Gehör­gän­gen, und so kann sich das Herz weit öff­nen für die sub­ti­le Schön­heit ihrer Trau­er und die Ein­dring­lich­keit ihres Fle­hens. Ein west­li­chen Ansprü­chen genü­gen­des musi­ka­li­sches Arran­ge­ment ver­bin­det sich unter­des­sen mit feinst dosier­ten Eth­no-Tönen zu einem Gesamt­kon­zept, das als ers­ter aus­ge­wähl­ter Bei­trag der Sai­son 2019 hohe (und in der Fol­ge natür­lich stets ent­täusch­te) Stan­dards setzte.

Auf perl­wei­ßen Zähen sieht man Lip­pen­stift­fle­cken beson­ders gut: Gold­ma­rie Joni­da beim FiK.

Zu mei­ner gro­ßen Freu­de und Erleich­te­rung über­stand der Song den obli­ga­to­ri­schen Remix nicht nur unbe­scha­det, was für alba­ni­sche Ver­hält­nis­se bereits als ech­te Sen­sa­ti­on gel­ten muss, son­dern ging sogar gekräf­tigt dar­aus her­vor. Denn anders als sonst hat­te man dies­mal nicht zum kom­po­si­to­ri­schen Vor­schlag­ham­mer gegrif­fen, son­dern das Lied mit sanf­tes­ten Ein­grif­fen äußerst behut­sam auf­po­liert und dabei sei­ne bereits vor­han­de­nen Stär­ken betont: mit einer noch ein­drück­li­che­ren Instru­men­tie­rung und zusätz­li­chen Kla­ge­chö­ren gelang es, die Num­mer noch etwas dra­ma­ti­scher klin­gen zu las­sen, ohne dabei jedoch zu über­trei­ben und ins Lächer­li­che abzu­kip­pen. Zudem beließ Joni­da, wie bereits direkt nach dem FiK ange­kün­digt, den Text voll­stän­dig in der Lan­des­spra­che: augen­schein­lich hat man es in Alba­ni­en end­gül­tig auf­ge­ge­ben, sich an den ver­mu­te­ten Geschmack der Europäer/innen anzu­pas­sen, son­dern setzt nun viel­mehr allei­ne auf die punk­te­brin­gen­de Kraft des Dia­spo­ra­vo­tings. Eine klu­ge Wahl!

THE RAIN! THE RAIN! DANCING! Im Video­clip chan­nelt Joni­da ihre inne­re Ruth Lorenzo.

Semi: 2. Final­chan­cen: die bereits skiz­zier­te Stra­te­gie soll­te auf­ge­hen. Gera­de den außer­halb des Lan­des zuschau­en­den Albaner/innen dürf­te Joni­das Song ein der­ma­ßen schlech­tes Gewis­sen berei­ten, dass sie allei­ne schon als men­ta­ler Ablass in Mas­sen dafür anru­fen. Und die Jurys kom­men an der kom­pe­tent per­form­ten Bal­la­de ohne­hin nicht vor­bei, wenn sie sich nicht als vor­ein­ge­nom­men outen wol­len. Sicher im Finale.

Bes­te Text­zei­le: “Sa Mall, pak Shpresë” im Pre-Cho­rus (“So viel Sehn­sucht, so wenig Hoff­nung”: im Grun­de genom­men so etwas wie die Bal­kan­bal­la­den­va­ri­an­te von ‘So many Men, so litt­le Time’).

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6 Comments

  • Ein wun­der­ba­res Lied. Aber war­um muss jedes Jahr aus­ge­rech­net Alba­ni­en bewei­sen, dass man Pop­mu­sik sehr wohl live repro­du­zie­ren kann?? Ich weiß, ich stel­le mich hier gegen die Mei­nung des Sei­ten­in­ha­bers 😉 Aber ich tei­le sei­ne Mei­nung, dass hier eine Angli­fi­zie­rung abso­lut fehl am Plat­ze gewe­sen wäre.

  • Das Lied erin­nert mich an De La Capat aus Rumä­ni­en 2015, eines der trau­rigs­ten Lie­der des ESC für mich.
    Und es ist eine Geschich­te, die aber­mil­lio­nen Men­schen, gera­de aus Ost­eu­ro­pa, sehr gut nach­emp­fin­den können.
    Ich den­ke und hof­fe, dass es ins Fina­le kommt.

  • Joni­da soll­te wis­sen, wenn sie es schafft, den Liebs­ten heim zu holen mit ihrem Sire­nen­ge­sang, dass es dann aus ist mit Gold­kleid­chen. Dann ist eher sozia­lis­ti­sches Ein­heits­grau à la Enver Hox­ha angesagt.
    Ich bin ja nun wirk­lich kein aus­ge­wie­se­ner Fan des bal­ka­ne­si­schen Lied­guts, doch das kann ich mir durch­aus gut anhö­ren. Nicht in mei­nen Top 10, aber zwei­stel­lig mit einer 1 als ers­ter Zahl – damit könn­te ich mich anfreunden.

  • Vom ers­ten Hören ab einer mei­ner per­sön­li­chen Lieb­lin­ge in die­sem Jahr. Irgend­wie über­ka­men mich Ofra Haza-Vibes, kei­ne Ahnung wieso.
    Dürf­te im Semi eigent­lich recht span­nend wer­den, beson­ders da es nach den schrei­en­den und eben­falls am Ende trom­meln­dem Rus­sen kommt – aber dabei irgend­wie eine inter­es­san­te­re Stim­mung aufbaut… 

    Der Final­ein­zug ist in mei­nen Augen gesichert.

  • Na also Alba­ni­en, mann muss nicht immer jemand schi­cken der sich die Lun­ge wund­schreit. Nach­dem mir schon “Mall” letz­tes Jahr sehr gut gefal­len hat schi­cken sie dies­mal eine Sän­ge­rin mit einer wun­der­bar atmo­sphä­ri­schen Bal­kan­num­mer nach Tel Aviv. Hof­fe auf einen guten Platz in der ers­ten Tabellenhälfte.

  • Puh, nach dem genia­len “Mall” letz­tes Jahr schon ein sehr har­ter Absturz. Da hab ich echt Schwie­rig­kei­ten, die drei Minu­ten durchzuhalten.

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