Evro­vi­z­ijs­ka Melo­di­ja 2020: Teu­fels Werk und Got­tes Beitrag

Gäbe es einen Wett­be­werb um das absur­des­te Vor­ent­schei­dungs­for­mat zum Euro­vi­si­on Song Con­test, dann spiel­te die Evro­vi­z­ijs­ka Melo­di­ja (EMA) wohl um den Sieg mit. 12 Acts ver­sam­mel­te das slo­we­ni­sche Fern­se­hen RTV SLO ges­tern Abend in Ljublja­na, von denen sich zehn die Mühen streng­ge­nom­men von vor­ne her­ein hät­ten spa­ren kön­nen. Denn nach­dem alle 12 gesun­gen hat­ten, tag­te eine reiz­voll um eine rie­si­ge Schüs­sel Mini-Dick­manns dra­pier­te Jury, bestehend aus drei Gene­ra­tio­nen slo­we­ni­scher Euro­vi­si­ons­di­ven, nament­lich Dar­ja Šva­j­ger, Nuša Deren­da und Maja Keuc. Und die schick­ten zehn von ihnen gleich wie­der nach Hau­se, dar­un­ter alles auch nur annä­hernd Aus­sichts­rei­che sowie die zwei in einem wochen­lang zele­brier­ten Nach­wuchs­wett­be­werb namens EMA Freš Aus­ge­wähl­ten. Ledig­lich zwei Songs ließ man dem Publi­kum gnä­dig zur Abstim­mung übrig: eine blas­se Bal­la­de sowie… eine noch blas­se­re Bal­la­de. Mit einem dia­bo­li­schen Abstand von 666 Anru­fen ent­schie­den sich die Slowen:innen dann immer­hin für das etwas weni­ger drö­ge der bei­den inhalts­glei­chen Ange­bo­te, näm­lich das von der anämi­schen Inter­pre­tin Ana Soklič mit­kom­po­nier­te ‘Voda’ (‘Was­ser’). Das kann näm­lich zumin­dest mit einem ansatz­wei­se dra­ma­ti­schen Refrain punk­ten, der die Zuschauer:innen nach einer lei­der andert­halb Minu­ten andau­ern­den, koma­in­du­zie­ren­den Weg­fin­dung wie­der aus dem Tief­schlaf reißt.

Rief panisch den Erlö­ser an, als sie erfuhr, dass sie mit den Stim­men des Teu­fels gewann: Ana Soklič.

Mit einem um 50% erhöh­ten Tem­po und einer um zwei Drit­tel gekürz­ten Ein­gangs­stro­phe könn­te dar­aus even­tu­ell sogar etwas leid­lich Anhör­ba­res wer­den. Aller­dings ließ Ana bereits durch­bli­cken, dass sie statt­des­sen über­le­ge, ihr Lied in Rot­ter­dam auf eng­lisch zu sin­gen und somit jeg­li­chen Rei­zes zu berau­ben. Bit­te, wenn man mit Gewalt im Semi­fi­na­le raus­flie­gen möch­te… Immer­hin kann man es als gött­li­che Fügung betrach­ten, dass Ana wenigs­tens den Sieg der frü­he­ren slo­we­ni­schen Juni­or-ESC-Ver­tre­te­rin und ehe­ma­li­gen The Voice Kids Ger­ma­ny-Teil­neh­me­rin Lina Kudu­zo­vić ver­hin­der­te, deren Mid­tem­po­bal­la­de ‘Man like U’ ledig­lich aus einer kunst­voll zusam­men­ge­näh­ten Ansamm­lung voll­kom­men see­len­lo­ser, cas­ting­show-opti­mier­ter Prüf­mus­ter bestand, mit denen die Inter­pre­tin ihr stimm­li­ches Talent unter Beweis stel­len konn­te. Für ewig in der Höl­le schmo­ren mögen die drei Juror:innen – die nach mei­ner ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Ver­mu­tung dabei ledig­lich die strik­ten Vor­ga­ben des Sen­ders befolg­ten – für das Abwäh­len der Boy­band Imset. Die sorg­te für eine wun­der­ba­re Bild-Ton-Sche­re, gerier­ten sich die ker­ni­gen Jungs auf der Büh­ne optisch näm­lich als ultra­har­te Rocker, wäh­rend es sich bei ihrem Bei­trag ‘Femme fata­le’ unter­des­sen um einen lupen­rei­nen, upt­em­po­rä­ren Dis­co-Pop-Schla­ger han­del­te, wie er das Herz und die Gehör­gän­ge des Rezen­sen­ten erqui­cket und labet.

Teu­fels­hör­ner und Täto­wie­run­gen: die Jungs von Imset bei­ßen aber nicht, die wol­len nur spielen.

Inso­fern ein klei­nes Wun­der (und irgend­wie schon fast bedau­er­lich), dass ihnen die kon­kur­rie­ren­den, wasch­ech­ten Metal­ler von Inma­te für so viel dreis­tes Poser­tum nicht noch wäh­rend der Sen­dung den Aller­wer­tes­ten ver­sohl­ten. Wobei ich zuge­ben muss, dass es sich dabei noch um die harm­lo­se­re all jener Phan­ta­sien han­delt, zu denen mich der Grup­pen­na­me der Band anreg­te. Wel­che Rol­le dabei ‘The Salt’, so der Titel ihres musi­ka­lisch lei­der ziem­lich ziel­los umher irr­lich­tern­den Bei­trags, spiel­te, möch­ten Sie gar nicht wis­sen. Doch die Sträf­lin­ge schei­ter­ten eben­so am Schaum­kuss-Tri­um­vi­rat der drei slo­we­ni­schen Ex-Ver­tre­te­rin­nen wie deren Kol­le­gin Tin­ka­ra Kovač (‘Spet’). Gegen die nahe lie­gen­de Ver­mu­tung der Stu­ten­bis­sig­keit sind die Hexen von Ljublja­na jedoch in Schutz zu neh­men: ‘Fore­ver’, Tin­ka­ras aktu­el­ler und kom­plett flö­ten­frei­er Song, erwies sich als kata­stro­phal schief zusam­men­ge­zim­mer­ter Rohr­kre­pie­rer, von sei­ner Inter­pre­tin stimm­lich kom­plett gegen die Wand gefahren.

Inma­te: sehr gei­ler Sound und gei­le Ker­le. Fehlt nur noch ein Song, der nicht bloß aus einer wahl­lo­sen Ansamm­lung von Ideen besteht, die jeweils nur ein paar Sekun­den lang tragen.

2002, die Älte­ren erin­nern sich, sorg­te die Wahl des Drag-Queen-Tri­os Sest­re bei der EMA noch für wüten­de, homo­pho­be Pro­tes­te in Slo­we­ni­en. Um so erfreu­li­cher, dass dies­mal gleich zwei Les­ben am Vor­ent­scheid teil­nah­men. Wobei es sich bei dem Alt­star, ehe­ma­li­gen Jugo­vi­zi­ja-Teil­neh­mer (1983 als Teil der Grup­pe Ren­dez-Vous) und (laut Wiki­pe­dia) Schnee­ball­sys­tem-Anla­ge­be­trü­ger Boži­dar “Wolf” Wol­fand tat­säch­lich um einen Mann han­delt, der jedoch mit einer Fri­sur für opti­sches Auf­se­hen sorg­te, wie sie sonst aus­schließ­lich an gleich­ge­schlecht­lich (oder aber, so unein­deu­tig geht es zu in die­sen Zei­ten, extrem natio­na­lis­tisch) ori­en­tier­ten Frau­en zu fin­den ist: bil­lig blon­diert, rechts aus­ra­siert, links bis über das Kinn über­hän­gend. Ergän­zend zum hal­ben Haar­schnitt trug der Wolf zudem einen hal­ben Schot­ten­rock zur Schau. Und all das pass­te natür­lich her­vor­ra­gend zu sei­nem halb­her­zig-unent­schlos­se­nen, tod­lang­wei­li­gen Folk­lied­chen ‘May­be Some­day’. May­be not.

Er ist wie­der da: der Füh­rer trägt jetzt Extensions.

Nach soviel audio­vi­su­el­lem Schau­der nun aber flugs die drin­gend benö­tig­te Lin­de­rung: bei der herz­al­ler­liebst-hoch­sym­pa­thi­schen Man­ca Ber­lec, die im pink­far­be­nen Hosen­an­zug mit Regen­bo­gen-Herz am Revers auf einem Bar­ho­cker sit­zend ihre wun­der­bar ent­spann­te Easy-Lis­tening-Num­mer ‘Več­nost’ (‘Ewig­keit’) zu Gehör brach­te, han­del­te es sich nun tat­säch­lich um eine beken­nen­de Les­be. Die dem Ver­neh­men nach (mei­ne Slo­we­nisch­kennt­nis­se sind lei­der nicht exis­tent) denn auch ihre ewi­ge Lie­be zu ihrer Liebs­ten besang und dafür spon­ta­nen Sze­nen­ap­plaus aus dem Publi­kum erhielt. Und das war alles sehr intim und herz­er­wär­mend und Lab­sal auf die See­le, lei­der jedoch etwas unspek­ta­ku­lär. Wenn auch schön.

Ihr bos­sa-beschwing­tes Kaf­fee­haus­lied­chen möch­te ich bit­te ab sofort ganz oft auf ESC Radio hören: Man­ca Ber­lec, eine Les­be ohne Gitarre.

Für die spek­ta­ku­lä­ren Momen­te des Abends sorg­te der Mode­ra­tor der EMA, Kle­men Sla­kon­ja. Den ken­nen Fans noch von sei­nen stets hoch­gra­dig lus­ti­gen Momen­ten als slo­we­ni­scher Punk­te­an­sa­ger beim ESC. Der viel­fach begab­te Stand-up-Come­di­an eröff­ne­te den Abend mit einer Inter­pre­ta­ti­on von Dun­can Lau­rences 2019er Sie­ger­lied ‘Arca­de’, mit ori­gi­nal­ge­treu­er Insze­nie­rung am Flü­gel. Wobei hier, auf einen ent­spre­chen­den Vor­fall in Tel Aviv anspie­lend, plötz­lich die über dem Pia­no hän­gen­de gro­ße Leucht­ku­gel hin­un­ter­krach­te, sel­bi­ges zusam­men­brach und Kle­men sich schein­bar am Kopf ver­letz­te. Was natür­lich gespielt war: im Lau­fe der Sen­dung erschien der slo­we­ni­sche Måns Zel­mer­löw dann mit ste­tig ihren Stand­ort in sei­nem hüb­schen Ant­litz wech­seln­den Ver­bän­den, Pflas­tern, Wun­den und immer grö­ßer wer­den­den blau­en Fle­cken. Ver­stö­rend und bra­chi­al, aber höchst unterhaltsam!

Wesent­lich unter­halt­sa­mer als das Ori­gi­nal: Kle­men als Duncan.

Den Pau­sen­act bestritt er mit einem (vor­auf­ge­zeich­ne­ten) Med­ley slo­we­ni­scher Euro­vi­si­ons­bei­trä­ge, dar­ge­bo­ten im jewei­li­gen, ori­gi­nal­ge­treu­en Kos­tüm und mit sorg­sam beach­te­ter Ges­tik. Um so ärger­li­cher, dass RTV SLO mit sei­ner bevor­mun­den­den Vor­auswahl­po­li­tik sicher dafür sorgt, dass das Land nie­mals den Grand Prix gewin­nen wird, denn nach die­sem Auf­tritt wünsch­te man sich das allei­ne schon aus dem Grun­de, damit Herr Sla­kon­ja end­lich ein­mal den gro­ßen Wett­be­werb mode­rie­ren möge.

25 glo­riö­se Jah­re slo­we­ni­scher ESC-Geschich­te: ich will Rebe­ka Dre­melj zurück!

Vor­ent­scheid SI 2020

Evro­vi­z­ijs­ka Melo­di­ja (EMA). Sams­tag, 21. Febru­ar 2020, aus dem RTV SLO-Fern­seh­stu­dio in Ljublja­na. Zehn Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Kle­men Slakonja.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryAnru­fePlatz
01Simon VadnjalNisi samx
02Saš­kaŠe kar lovim tvoj nasmehx
03Gajar Pres­torVer­ja­mem vasex
04Ana SokličVodaQ5.03501
05Inma­teThe Saltx
06Man­ca BerlecVeč­nostx
07Tin­ka­ra KovačFore­verx
08Boži­dar “Wolf” WolfandMay­be somedayx
09Par­va­ni VioletCupidx
10Kla­ra JazbecStop the Worldx
11ImsetFemme fata­lex
12Lina Kudu­zo­vićMan like UQ4.36902

4 Comments

  • Voda” geht nur im bul­ga­ri­schen Ori­gi­nal, wie kann man nur den Namen für die­se Schnarch­num­mer missbrauchen!
    Aller­dings wird im Bal­la­den­du­ell in Semi 1 hof­fent­lich Nor­we­gen die Atten­ti­on bekom­men und das hier untergehen…blub

  • Kle­men Sla­kon­ja war lei­der das ein­zi­ge High­light im eigent­lich für mich hoch­ge­schätz­ten Slowenien.

  • Ich bin ent­täuscht. Slo­we­ni­en bringt eigent­lich tol­le Lie­der. Sebi ist mei­ne Lieb­lings-ESC Lied über­haupt (auch wenn ich mir hier damit wenig Freun­de mache :). Voda ist zwar nicht furcht­bar. Aber es wirkt wie Paper von Sca­la ohne Puls.
    Klei­ne Anek­do­te zu Hr Sla­kon­je. Wir waren letz­te Woche beim Kon­zert von Zala und Gaš­per in Ljublja­na (top) und der Gute Sla­kon­je ist Über­ra­schungs­gast mit den bei­den auf der Büh­ne gewe­sen und hat Sebi mit ihnen gesun­gen. Sehr cool

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