Szan­sa na Suk­ces 2020: der Sieg der Lautstärke

Wenn ein noch absur­de­res Vor­ent­schei­dungs­sys­tem exis­tiert als das slo­we­ni­sche, dann das pol­ni­sche. Wie­wohl das For­mat Szan­sa na Suk­ces dem Sen­der TVP gleich zwei Sie­ge in Fol­ge beim Juni­or-ESC bescher­te. Unter gro­tesk hohem Blut­zoll: gleich 21 jun­ge, aktu­el­le Künstler:innen stell­ten sich heu­er in drei Vor­run­den zum natio­na­len Vor­ent­scheid zur Wahl. Sie durf­ten dort aller­dings nicht ihre eige­nen Lie­der sin­gen, son­dern muss­ten sich an the­ma­tisch vor­ge­ge­be­nen, stein­al­ten Oldies ver­su­chen, die natür­lich nicht dem musi­ka­li­schen Stil der Teilnehmer:innen ent­spra­chen und damit über kei­ner­lei Aus­sa­ge­kraft ver­füg­ten. Den­noch bil­de­ten sie die Grund­la­ge für die Aus­le­se: nur die drei Anpas­sungs­fä­higs­ten über­leb­ten das völ­lig unnö­ti­ge Blut­bad. Und durf­ten im heu­te Nach­mit­tag aus­ge­strahl­ten Fina­le end­lich ihre Wett­be­werbs­ti­tel vor­stel­len. Natür­lich erst, nach­dem man sie nötig­te, zuvor einen wei­te­ren ESC-Song zu schän­den. Unter zwei ganz okay­en und einem völ­lig ent­setz­li­chen Bei­trag setz­te sich erwar­tungs­ge­mäß Letz­te­rer durch, geschul­det unter ande­rem der Tat­sa­che, dass sei­ne Inter­pre­tin Ali­c­ja Szem­pli­ńs­ka erst vor weni­gen Mona­ten die aktu­el­le Staf­fel der Cas­ting­show The Voice gewann. Und wie eigens für die­ses For­mat kom­po­niert klang denn auch ihre sieg­rei­che Bal­la­de ‘Empires’. Denn die­se setz­te auf die lei­der sehr zeit­ge­mä­ße, popu­lis­ti­sche Losung “wer am lau­tes­ten schreit, gewinnt”.

Stumpfs­te musi­ka­li­sche und text­li­che Kli­schees, über­trumpft von einer lau­ten Stim­me: das ist das pol­ni­sche Imperium.

Die von der Euro­vi­si­ons-Seri­en­tä­te­rin Lau­rell Bar­ker mit­ver­bro­che­ne, zähe Num­mer von der Stan­ge lebt in der Haupt­sa­che von den dezi­bel­star­ken, lang­ge­zo­ge­nen Schluss­tö­nen, bei denen es schein­bar kei­ne Rol­le spiel­te, dass die erst 17jährige Ali­c­ja sie röhr­te statt sang. Sowohl die drei­köp­fi­ge Jury, bestehend aus den ehe­ma­li­gen pol­ni­schen Repräsentant:innen Cleo (mit straf­fem Croy­don-Face­lift-Zopf), Gro­mee (mit alt­be­kann­tem Pre­di­ger­hut) und Michał Szpak (mit hoch­ha­cki­gen wei­ßen Damen­stie­fe­let­ten), als auch die hei­mi­schen SMS-Voter:innen waren sich einig. Das kommt davon, wenn man es zulässt, dass Cas­ting­shows das musi­ka­li­sche Urteils­ver­mö­gen einer gan­zen Gene­ra­ti­on nach­hal­tig demo­lie­ren. Den Kür­ze­ren zog dabei Kasia Dereń, deren Teil­nah­me an The Voice schon sechs Jah­re zurück liegt und deren 15 Minu­ten des Ruhms daher schon längst ver­blass­ten. Auch sie schrie sich mit ohren­be­täu­ben­der Laut­stär­ke und ohne jeg­li­ches stimm­li­ches Fein­ge­fühl durch ihre musi­ka­lisch mäßi­ge Upt­em­po­num­mer ‘Count on me’, ursprüng­lich noch gelis­tet in der pol­ni­schen Fas­sung als ‘Ufaj mi’ und unter Betei­li­gung eines Tex­ters mit dem groß­ar­ti­gen Namen Mate­usz Kraut­wurst ent­stan­den. Mein Pla­zet hät­te sie indes allei­ne schon des­we­gen nicht erhal­ten, weil sie in der Auf­takt­run­de den deut­schen Grand-Prix-Klas­si­ker ‘Satel­li­te’ dahinmetzelte.

Furcht­ba­rer Fum­mel, schril­le Stim­me: Kasia blieb blass.

Den undank­ba­ren zwei­ten Platz ersang sich Albert Černý, letz­tes Jahr mit sei­ner Band Lake Mala­wi beim Song Con­test noch für Tsche­chi­en am Start. Sei­ne flo­ckig-hip­ste­ri­ge Elek­tro­num­mer ‘Lucy’ konn­te mit der Ein­präg­sam­keit von ‘Fri­end of a Fri­end’ natür­lich nicht mit­hal­ten, war aber frag­los das mit Abstand bes­te Ange­bot des Nach­mit­tags. Oder, las­sen Sie es mich anders for­mu­lie­ren: das ein­zi­ge pop­mu­si­ka­lisch rele­van­te, in dem Sin­ne, dass es auch außer­halb des ESC bestehen könn­te. Was Černý über­haupt bei Szan­sa na Suk­ces zu suchen hat­te? Nun, er stammt gebür­tig aus dem direkt an der Gren­ze lie­gen­den Stahl-Städt­chen Třinec, des­sen Einwohner:innen sich mehr­heit­lich zum Nach­bar­staat zuge­hö­rig füh­len, und besuch­te dort als Kind die pol­ni­sche Grund­schu­le. Auch wenn ihn der Sen­der TVP daher zum Ehren­bür­ger ernann­te und am aus­drück­lich nur für Lands­leu­te zuge­las­se­nen Vor­ent­scheid teil­neh­men ließ, nah­men ihm unse­re über­wie­gend natio­na­lis­tisch gestimm­ten Nach­barn die­se Vor­ge­schich­te wohl übel. Dumm gelau­fen, denn im Gegen­satz zur Voice-Quet­sche Ali­c­ja, deren Tages­ruhm außer­halb Polens nichts gilt und die im ESC-Fina­le allen­falls die Jurys über­zeu­gen wird, hät­te Albert für das Land zumin­dest ein Ergeb­nis in der lin­ken Tabel­len­hälf­te ersin­gen können.

Oder gab es Punk­te­ab­zug für Alberts schlim­me Scham­haar­fri­sur? Das könn­te ich zumin­dest nachvollziehen.

Und wir kön­nen uns in Sachen ESC so lang­sam, wie es schon zu befürch­ten stand, wie­der auf ein grau­en­vol­les Bal­la­den­jahr ein­stel­len. Ich möch­te sterben.

Vor­ent­scheid PL 2020

Szan­sa na Suk­ces. Sonn­tag, 23. Febru­ar 2020, aus War­schau, Polen. Drei Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Artur Orzech.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­tingJuryPlatz
01Albert Černý mit Lake MalawiLucy030302
02Ali­c­ja SzemplińskaEmpires050501
03Kasia DereńCount on me010103

2 Comments

  • Din­ge, die man nicht braucht: Raum­spray mit Hüh­ner­sup­pen­duft. Bana­nen­do­sen. Diät­was­ser. Fuß­pilz. Den pol­ni­schen ESC-Bei­trag 2020.

  • Grau­en­haft, also typisch Barker.
    Albert muss schnellst­mög­lich zum Fri­seur, sonst wird das nix mit dem Bel Ami Vertrag.

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