Türk­vi­zyon-Fina­le 2020: Und täg­lich grüßt der Schnelldurchlauf

Man hät­te es ja ahnen kön­nen. Nicht umsonst heißt der tür­ki­sche Prä­si­dent Recep Tayyip Erdoğan. Und von Recep bis Recap, dem eng­li­schen Wort für den Schnell­durch­lauf, ist es nur ein Buch­sta­be. Den­noch erwies sich die ges­tern am frü­hen Abend nach über fünf­jäh­ri­ger Zwangs­pau­se und fünf­stün­di­ger Sen­de­dau­er zu Ende gegan­ge­ne vier­te Aus­ga­be der Türk­vi­zyon selbst für den gedul­digs­ten Euro­vi­si­ons­fan, der schon durch die Stahl­bä­der des Fes­ti­vali i Kën­ges, der Melo­di pen­tru Euro­pa und von San Remo gegan­gen ist, als extre­me Gedulds­pro­be. Da das Ein­sam­meln, Aus­zäh­len und wohl vor allem die gra­fi­sche Dar­stel­lung der Jury­stim­men beim Songcon­test der Turk­völ­ker sich um eini­ge Stun­den län­ger hin­zog als geplant und man kein adäqua­tes Über­brü­ckungs­pro­gramm vor­be­rei­tet hat­te, quäl­ten die Ver­ant­wort­li­chen des aus­tra­gen­den Musik­sen­ders TMB die Zuschauer:innen mit einer ewi­gen End­los­schlei­fe des Zusam­men­schnitts der 26 Bei­trä­ge. Ili­re Isma­j­li, die für Alba­ni­en ange­tre­te­ne, bedau­erns­wer­te Ers­te im Line-up, kann sich nun nir­gends in Euro­pa mehr bli­cken las­sen, muss sie doch befürch­ten, dass tief trau­ma­ti­sier­te Türkvizyonszuschauer:innen, für wel­che der erneu­te Anblick ihres apart ange­mal­ten Ant­lit­zes die Erin­ne­rung dar­an trig­gert, in einem Und täg­lich grüßt das Mur­mel­tier-haf­ten, nie­mals enden­den Nacht­mahr gefan­gen zu sein, schrei­end die Flucht ergrei­fen, sobald sie ihrer gewahr werden.

Als Über­sicht prak­tisch, zehn Mal hin­ter­ein­an­der aber schon hart an die chi­ne­si­sche Was­ser­fol­ter gren­zend: der Türkvizyons-Schnelldurchlauf.

Min­des­tens acht Mal am Stück (es kön­nen auch neun oder zehn Wie­der­ho­lun­gen gewe­sen sein, irgend­wann habe ich auf­ge­hört, zu zäh­len) lief das bei jeder erneu­ten Aus­strah­lung schein­bar immer brü­chi­ger wer­den­de End­los­band. Als nach dem fünf­ten oder sechs­ten Mal, als bereits die ers­ten Befürch­tun­gen die Run­de mach­ten, das Sen­de­zen­trum kön­ne von Ter­ro­ris­ten oder die Zoom-Kon­fe­renz der Juror:innen von Hackern geka­pert wor­den sein, plötz­lich das Mode­ra­to­ren­trio auf­tauch­te, froh­lock­ten die Fans in ganz Euro­pa erleich­tert, nur um nach weni­gen Minu­ten beschwich­ti­gen­den Gela­bers ihre Hoff­nun­gen bit­ter ent­täuscht zu sehen und auf eine wei­te­re Rei­se ins Loop-Loop-Land geschickt zu wer­den. Beson­ders per­fi­de: die Jury-Ergeb­nis­se prä­sen­tier­te man anschlie­ßend über einem wei­te­ren Schnell­durch­lauf! Das, lie­bes TMB, war Trol­len auf höchs­tem Niveau! Tröst­lich, dass man wenigs­tens die kor­rek­te Sie­ge­rin kür­te: Nata­lya Papa­zoğ­lu aus der Ukrai­ne, die 2016 im hei­mi­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid noch einer gewis­sen Jama­la unter­lag und die als Ver­tre­te­rin der rund 30.000 Köp­fe umfas­sen­den, haupt­säch­lich in der Gegend um Odes­sa sie­deln­den Volks­grup­pe der dor­ti­gen Gag­au­sen im Vor­feld gar Spen­den­gel­der zur Finan­zie­rung ihrer von kei­nem Sen­der unter­stütz­ten Türk­vi­zyons-Teil­nah­me ein­sam­meln muss­te, über­zeug­te erfreu­li­cher­wei­se nicht nur die zuschau­en­den Fans, son­dern auch die allei­ne abstim­mungs­be­rech­tig­te Jury.

Lag es am busen­be­to­nen­den Brust­pan­zer? Nata­lya riss alle mit (UA).

Und das völ­lig zu Recht: ihr selbst geschrie­be­ner, groß­ar­ti­ger Eth­no-Dis­co-Stamp­fer ‘Tiken­li yol’ (‘Dor­ni­ger Weg’), vor allem aber ihr vor Ener­gie strot­zen­der Auf­tritt und ihre ans Mani­sche gren­zen­de Aus­strah­lung (die­ses gera­de­zu glü­hen­de Star­ren!) hoben sie deut­lich aus der Mas­se der Türk­vi­zyons-Dar­bie­tun­gen her­vor und unter­stri­chen ein­mal mehr die unan­fecht­ba­re Pole-Posi­ti­on der Ukrai­ne als ost­eu­ro­päi­sches Per­fo­mance-Power­house. Erkenn­bar lit­ten vie­le ihrer Konkurrent:innen an den coro­nabe­ding­ten Umstän­den die­ses Wett­be­werbs: alle Teilnehmer:innen muss­ten ihre Songs solo im Green­box-Ver­fah­ren als Voll­play­back auf­neh­men, zusätz­li­che Backgroundsänger:innen, Tänzer:innen oder sons­ti­ge Show­ele­men­te waren nicht zuge­las­sen. Alle 26 Bei­trä­ge erhiel­ten schließ­lich von TMB den glei­chen com­pu­ter­ge­nier­ten Hin­ter­grund. Da muss­te man sich schon Mühe geben, um her­aus­zu­ste­chen. Dem deut­schen Ver­tre­ter Sey­ran gelang dies eben­falls sehr, sehr gut: im Gegen­satz zu allen ande­ren Män­nern, die ste­cken­steif hin­ter dem Mikro stan­den, vogue­te der Wahl­köl­ner zu sei­ner eigen­kom­po­nier­ten Modern-Tal­king-meets-Tar­kan-Pas­ti­che ‘Odun’ (‘Holz’), als ob es kein Mor­gen gäbe, und wieg­te sei­ne geschmei­di­gen Hüf­ten sinn­lich im Takt. Dazu hat­te er sich ganz dezent an Dana Inter­na­tio­nal gemah­nen­de Pfau­en­fe­dern an sei­ne Nuss­kna­cker­uni­form­ja­cke geta­ckert, um den Hal­dor-Læg­reid-Fak­tor sei­nes Auf­trit­tes auf Zwölf zu schrau­ben. Ein respek­ta­bler ach­ter Rang war der Lohn: ein Ergeb­nis, das wir uns beim Euro­vi­si­on Song Con­test auch mal wie­der wünsch­ten! NDR, bit­te zugreifen!

Ein wür­di­ger deut­scher Ver­tre­ter: dan­ke, Seyran!

Dabei ent­war­fen die Tür­ken die erst­mals im Jah­re 2013 ver­an­stal­te­te Türk­vi­zyon sei­ner­zeit auch als Gegen­ent­wurf zum deka­dent-schwu­len Euro­vi­si­on Song Con­test. Wor­an uns heu­er bereits an Start­po­si­ti­on 2 die dort antre­ten­de Volks­grup­pe der Nogai­er erin­ner­te – auf eng­lisch: Nogay. Für die einen jah­res­zeit­lich pas­sen­den Weih­nachts­frau-Umhang tra­gen­de Jan­na Mus­ae­va reich­te es jedoch nur zum dritt­letz­ten Platz: ein ange­mes­se­nes Ergeb­nis für ihre zähe Depres­si­ons­bal­la­de. Rund­her­aus unge­recht hin­ge­gen die schma­le Punk­te­aus­beu­te für Zili­ya Bah­tie­va aus der erd­öl­rei­chen rus­si­schen Teil­re­pu­blik Basch­kor­to­stan: ihr Song ‘Hal­ky­ma’ ver­schmolz syn­the­ti­sche Vogel­stim­men, tief­get­un­ten Her­ren-Kehl­ge­sang und Maul­trom­meln mit schlep­pen­den Elek­tro­beats und gehör­te musi­ka­lisch zum abso­lut Bes­ten des gesam­ten Nach­mit­tags. Ledig­lich das fleisch­far­be­ne, eng­an­lie­gen­de Kleid mit Pelz­be­satz min­der­te etwas das audio­vi­su­el­le Gesamtvergnügen.

Ob sie das Tier auf ihren Schul­tern selbst erleg­te? Zuzu­trau­en wäre es Zili­ya (Basch­kor­to­stan).

Welch eine klaf­fen­de, schmer­zen­de Lücke das dort absen­te Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na beim Euro­vi­si­on Song Con­test hin­ter­lässt, stell­te der im sla­wi­schen Hei­ma­t­idi­om dar­ge­bo­te­ne Türk­vi­zi­yons­bei­trag ‘Džeh­va’ (‘Kaf­fee­tas­se’) von Armin Muza­feri­ya unter Beweis. Bei dem bereits seit drei Jah­ren ver­öf­fent­lich­ten Lied, das eine Lie­bes­ge­schich­te aus den Zei­ten des otto­ma­ni­schen Rei­ches im 17. Jahr­hun­dert erzählt, han­del­te es sich näm­lich um eine gera­de­zu klas­si­sche, ster­bens­schö­ne Bal­kan­bal­la­de, die ledig­lich unter der etwas höl­zer­nen Per­for­mance und dem leich­ten Cha­ris­ma­de­fizit Armins litt. Es reich­te den­noch für einen hoch­ver­dien­ten Bron­ze­platz. Es folg­ten zwei Län­der mit “Nord-” im Vor­na­men: für den tür­kisch besetz­ten Teil Zyperns lie­fer­te Çağıl İşg­üz­ar eine so schwel­ge­ri­sche wie schwach­brüs­ti­ge Bal­la­de, für die ehe­ma­li­ge jugo­sla­wi­sche Repu­blik Maze­do­ni­en ging mit Cen­giz Sipahi ein mit­tel­at­trak­ti­ver Dad­dy mitt­le­ren Alters ins Ren­nen, der in schlich­ten Jeans und Bla­zer jedoch höchs­tens mit­tel­pro­fes­sio­nell wirk­te. Bei sei­nem Song ‘Kal yanım­da’ bil­de­ten Gesang und Elek­tro­beat indes kei­ne anspre­chen­de Einheit.

Jetzt stel­len Sie sich das mal mit einer anspre­chen­den Cho­reo­gra­fie vor, mit nach und nach ein­zeln hin­zu­tre­ten­den Fake-Instru­men­ta­lis­ten und Chor­sän­gern, die sich zum Songfi­na­le am vor­de­ren Büh­nen­rand zu einer Pha­lanx zusam­men­fin­den: 12 Points, anyo­ne? (BA)

Die für ihre Kul­tur­tech­nik des Tuvan Throath Sin­ging welt­be­rühm­te sibi­ri­sche Repu­blik Tuwa sag­te nach eini­gem Hin und Her im Vor­feld des Wett­be­werbs erst rela­tiv spät zu, wie­der bei der Türk­vi­zyon mit­zu­ma­chen, was die Hoff­nun­gen auf etwas herr­lich Biz­za­res ins Uner­mess­li­che stei­ger­te. Und auf sei­ne ganz per­sön­li­che Wei­se lie­fer­te ihr Reprä­sen­tant Oorz­hak Omak Çopa­no­viç: mit tiefs­tem Keh­len­ge­sang; einem Song­bas­tard, der sich völ­lig uner­war­tet von einer drö­ge-gehemm­ten Bal­la­de zu einem irgend­wie patrio­tisch klin­gen­den, fut­tig-stamp­fen­den Dis­co­schla­ger ver­wan­del­te wie eine Rau­pe zum Schmet­ter­ling; völ­lig inad­äquat vor­ge­tra­gen von einem fast schon zur Salz­säu­le erstarr­ten Inter­pre­ten in einer Raum­schiff-Enter­pri­se-Uni­form der unte­ren Mann­schafts­rän­ge, ent­bot OOÇ den ver­wir­rends­ten Auf­tritt des Abends. Die Aser­bai­dscha­ne­rin Aydan Ilxas­za­de gab uns dann eine Art von wohl­ge­nähr­ter ori­en­ta­li­scher Eis­prin­zes­sin. Ihr Song ‘Can Can Qar­daş Can’ konn­te außer stumpf-flot­ten Rhyth­men nichts Anspre­chen­des vor­wei­sen – und rui­nier­te das Weni­ge am Ende gar mit einer Sprechgesangseinlage.

So schlecht, dass es schon wie­der gut ist: wer Oorz­hak heißt und aus Tuwa stammt, muss Bizar­res bie­ten. Und das tat er.

Für Polen trat die Sän­ge­rin Mis­hel­le an. Wer Lie­be lebt? Nein, ‘Doğ­ma Yer­lər’ (‘Hei­mat­or­te’) hieß ihre fade Mid­tem­po­bal­la­de. Für wel­che die blon­de Inter­pre­tin, die auch schon auf chi­ne­sisch sang, eigens aser­bai­dscha­nisch lern­te. Außer ihrem blau­en Eyes­ha­dow bleibt den­noch nichts von ihr in Erin­ne­rung. Anders als bei Dili­ya Ahme­tşı­na aus Tatar­stan. Sie ver­klei­de­te sich als Squaw und prä­sen­tier­te mit ‘Ğafu it, awılım’ (‘Es tut mir leid, mein Dorf’) eine fili­gra­ne Eth­nobal­la­de über das The­ma Land­flucht. Zudem wuss­te sie, sich zu bewe­gen und gera­de­zu scham­los mit der Kame­ra zu flir­ten. Ganz im Gegen­teil zum Ver­tre­ter der ira­ki­schen Türk­me­nen, Sar­mad Mah­mood, der vor allem wäh­rend des aus­ge­dehn­ten Instru­men­tal­parts sei­nes eigent­lich ganz hüb­schen Kla­ge­lieds ‘Kele­bek’ (‘Schmet­ter­ling’) so über­haupt gar nichts mit sich anzu­fan­gen wuss­te und vor lau­ter beklem­men­der Ver­le­gen­heit gar halb­her­zig das Luft­ban­jo spiel­te. Der so erzeug­te har­te Crin­ge­fak­tor schlug sich im unver­dien­ten letz­ten Platz für den Voll­bart­trä­ger nieder.

Wer sich beim Out­fit von Jahn Tei­gen inspi­rie­ren lässt, muss mit der Roten Later­ne rech­nen: der ira­ki­sche Mah­mood, nicht ganz so cha­ris­ma­tisch wie sein ita­lie­ni­scher Euro­vi­si­ons­na­mens­vet­ter, aber min­des­tens genau so maskulin.

Für die mol­da­wi­schen Gag­au­sen sang Yulia Arnaut eine etwas wir­re, aber pas­send ‘Kemen­çä’ (‘Gei­gen’) beti­tel­te, strei­cher­sat­te Bal­la­de. Sie trug dazu ein Caro­li­ne-Rei­ber-Gedächt­nis­out­fit. Die apar­te Darya Taçee­va aus der der rus­si­schen Repu­blik Cha­kas­si­en ent­täusch­te alle Hoff­nun­gen auf trip­pi­gen Eth­no-Dance: ‘Ot-çalın­da’ (‘In den Flam­men’) ent­pupp­te sich als ton­nen­schwe­re, dra­ma­ti­sche Bal­la­de. ‘Doži­vot­no osuđen’ (‘Lebens­lang ver­ur­teilt’) lau­te­te das Straf­maß für den Reprä­sen­tan­ten des San­džak (Ser­bi­en), Haris Ska­rep. Sein Ver­bre­chen: die wie bei prak­tisch allen Her­ren etwas unter­en­thu­si­as­ti­sche Per­for­mance sei­nes eigent­lich sehr schö­nen elek­tro­beat­ge­trie­be­nen Eth­nop­op­ti­tels. Und die modi­sche Todes­kom­bi­na­ti­on eines Roll­kra­gen­pul­lis mit einer umge­häng­ten Sie­ger­me­dail­le von den Bun­des­ju­gend­spie­len. Um so über­zeu­gen­der die drei fol­gen­den Ban­ger aus Frau­en­hand: für die auf­stre­ben­de Türk­vi­zyons-Nati­on Kir­gi­si­stan ser­vier­te Ayga­nysh Abdie­va mit dem Titel ‘Jüpi­ter’ aller­feins­ten, leicht­be­kömm­li­chen Euro­dance-Trash. Und sah dabei aus, als käme sie direkt vom Dreh zu Evel Knie­vel. Camp­tas­tisch!

Wenn Du um 16 Uhr dei­nen Türk­vi­zyons-Auf­tritt hast, aber um 17 Uhr an einem Motor­rad­ren­nen teil­nimmst: Ayga­nish aus Kirgisistan.

Die Bela­rus­sin Svet­la­na Agar­val ist selbst­er­klär­ter Bol­ly­wood-Fan. Das merk­te man deut­lich: sowohl ihr pracht­vol­les, per­len­be­stick­tes Gewand als auch ihr Bei­trag ‘Məni anla’ hät­ten indi­scher nicht sein kön­nen. Da sie den Con­test­re­geln fol­gend in einer der Turk­spra­chen sin­gen muss­te und aser­bai­dscha­nisch wähl­te, irri­tier­te die Dis­kre­panz von Musik und Lyrics die Juror:innen, zumal man im Refrain haupt­säch­lich “Allah, Allah” ver­stand: ihr Rang 23 ist als abso­lut skan­da­lö­ses Fehl­ur­teil zu brand­mar­ken. Zumal ihre Lands­frau Olga Shi­mans­ka­ya (auch bekannt vom Eurofest unter dem Namen Napo­li) bewies, dass Natio­nen­misch­masch nicht hin­der­lich sein muss: die auf Nord­zy­pern leben­de Weiß­rus­sin trat mit dem auf tür­kisch gesun­ge­nen, aus der sel­ben Feder wie Napo­lis ‘Məni anla’ stam­men­den, fan­tas­tisch boun­cen­den Dis­co­schla­ger ‘Hadi gel’ offi­zi­ell für Russ­land an. Bezie­hungs­wei­se für den Stadt­kreis Mos­kau, TMB war da bei der Län­der­zu­ord­nung nicht ganz strin­gent. Steht bei der Türk­vi­zyon aber letzt­lich bei­des als Syn­onym für “staa­ten­los” und stör­te nie­man­den: Rang 9.

Ob das Wun­der­haar auch aus Indi­en stamm­te? Svet­la­na Arga­val (BY)

Nach soviel Frau­en­power ent­täusch­ten die Män­ner erneut auf gan­zer Linie: zwar hat­te der Reprä­sen­tant Rumä­ni­ens, der fol­li­kal her­aus­ge­for­der­te Bewe­gungs­leg­asthe­ni­ker und ältes­te Teil­neh­mer des Jahr­gangs Sunai Gio­la­kai, für die Auf­zeich­nung sein bes­tes Fest­tags­hemd her­aus­ge­sucht und sein Drei­ecks­kinn­bärt­chen frisch ange­spitzt. Das mach­te sei­nen sehr zähen Kla­ge­ge­sang ‘Niye?’ aber auch nicht bes­ser. Gleich zwei­fach ver­tre­ten war Kasach­stan. Der New­co­mer Almaz Kopzha­sar klang, als habe er sei­ne Mid­tem­po­bal­la­de ‘Kim ol’ (‘Wer ist sie?’) mit einem Klapp­han­dy im Koh­len­kel­ler auf­ge­nom­men. Dass er nur auf dem vor­letz­ten Platz lan­de­te, ver­dankt er dem Nach­bar­schafts­vo­ting: zehn Punk­te – die Höchst­zahl – gab es für ihn näm­lich von der eben­falls in dem eura­si­schen Land leben­den und bei der Türk­vi­zyon debü­tie­ren­den Volks­grup­pe der Uigu­ren, für wel­che sich das Sada Ensem­ble im Syn­chront­anz, ‑gesang und ‑kleid­tra­gen übte. Die uigu­ri­schen Kess­ler-Zwil­lin­ge tön­ten zwar etwas schrill in den Ohren, erhiel­ten aber den­noch eine Höchst­wer­tung aus dem Mut­ter­land zurück. Ein wei­te­res Debüt ging auf das Kon­to der rus­si­schen Oblast Tju­men, deren Ver­tre­te­rin Adi­lya Tuşa­ko­va, mit 18 Jah­ren die jüngs­te Teil­neh­me­rin, mit ihrer sehr ange­streng­ten Bal­la­de ‘Havalar­da’ immer­hin die Juror:innen über­zeu­gen konn­te: Rang 4, unge­fähr 20 Plät­ze überbewertet.

Auch das im nega­ti­ven Sin­ne bil­li­ge Out­fit und die raus­ge­wach­se­ne Fär­bung konn­ten Napo­lis Erfolg nicht brem­sen (RU).

Beim Euro­vi­si­on Song Con­test erfährt Mol­da­wi­en berech­tig­te Fan-Ver­eh­rung als stets ver­läss­li­cher Lie­fe­rant von her­aus­ra­gen­dem, tanz­ba­rem Eth­no­pop-Trash, und auch bei der Türk­vi­zyon kann man auf den klei­nen Bru­der Rumä­ni­ens bau­en: mit dem rund­her­aus dis­co­tas­ti­schen ‘Ateş gibi’ (‘Wie Feu­er’) aus der Feder von Gunesh lie­fer­te Pela­geya Ste­fo­g­lu, auch sie aus­ge­spro­chen kess beim Flirt mit der Kame­ra, ein gera­de­zu mus­ter­gül­ti­ges Exem­plar die­ser gar nicht hoch genug zu loben­den Musik­gat­tung ab. Und das in einem fan­tas­ti­schen roten Kleid! Eine ver­dien­te Sil­ber­me­dail­le ersang sich die flä­chen­größ­te rus­si­sche Teil­re­pu­blik Jaku­ti­en (offi­zi­el­ler Name: Sasha). Deren Bei­trag ‘Mokhsoğol­lor’ (‘Fal­ken’) soll dem Ver­neh­men nach ursprüng­lich mal als rei­ner Dis­cos­tamp­fer das Licht der Welt erblickt haben. Bei der Türk­vi­zyon prä­sen­tier­te ihn sei­ne Inter­pre­tin Umsu­ura aller­dings in einer hart rocken­den Vari­an­te, zu wel­cher sie sich sehr apart einen abzap­pel­te. Und allei­ne für ihren Ener­gie­le­vel ver­dien­te sie schon Hochachtung.

Eines der ärms­ten Län­der Euro­pas und doch musi­ka­lisch so reich: Mol­da­wi­ens ESC- und Türk­vi­zyons-Bei­trä­ge erwe­cken in mir immer wie­der den Wunsch, dort hinzuziehen.

Über­haupt zeig­te der gan­ze Nach­mit­tag mal wie­der, wel­che für euro­päi­sche Ohren unge­ho­be­ne Musik­schät­ze in den ‑stans lagern, den gan­zen ehe­ma­li­gen Sowjet­re­pu­bli­ken. Und wie sehr uns (und sich selbst) die Mos­kau­er Föde­ra­ti­on beim Euro­vi­si­on Song Con­test jedes Jahr um ihre hoch­gra­dig span­nen­de kul­tu­rel­le Viel­falt betrügt. Und so erweist sich die­ser ursprüng­lich zur Unter­strei­chung der osma­ni­schen Groß­machts­träu­me des tür­ki­schen Qua­si­dik­ta­tors Recap Erdoğan aus der Tau­fe geho­be­ne Wett­be­werb mitt­ler­wei­le iro­ni­scher­wei­se vor allem als euro­päi­sches Schau­fens­ter des rus­si­schen Viel­völ­ker­reichs. Dazu passt, dass TMB sei­nem gemischt­ge­schlecht­li­chen Mode­ra­ti­ons­pär­chen bei die­ser Aus­ga­be erst­ma­lig eine rus­sisch­spra­chi­ge Kol­le­gin zur Sei­te stell­te. Und dazu passt auch, wie gera­de­zu arm­se­lig im Ver­gleich zu den meist her­vor­ra­gen­den ‑stan-Songs der Heim­bei­trag herüberkam.

Slay, Queen: Umsu­ura zeigt, dass man auch im gedeck­ten Hosen­rock abro­cken kann wie Sau (Jaku­ti­en). Russ­land, wenn ihr schlau seid, schickt ihr das zum ESC!

Ertan & İsr­af­il, vom Alter und vom musi­ka­li­schen Level her so grob die männ­li­che Ent­spre­chung zum berüch­tig­ten deut­schen Euro­vi­si­ons-Mut­ter-und-Toch­ter-Duo Maxi & Chris Gar­den, began­nen ihre Kar­rie­re nach eige­ner Dar­stel­lung einst als Stra­ßen­mu­si­kan­ten auf Tou­ris­ten­fäh­ren in Istan­bul. Und auch, wenn sie sich für ihren Türk­vi­zyons-Auf­tritt in schi­cke schwar­ze Anzü­ge schmis­sen und Isra­fil die Glat­ze auf Hoch­glanz polier­te: ihre gefäl­li­ge Taver­nen­mu­sik und ihr halb­her­zig-hilf­lo­ses Steh­schun­keln wie­sen sie als bes­ten­falls Semi­pro­fes­sio­nel­le aus. Das aus­ge­rech­net das aus­rich­ten­de Land nichts Bes­se­res fin­den konn­te oder woll­te, erstaun­te doch ein wenig. Wie bei jedem Wett­be­werb mit Jury­be­tei­li­gung nach­ge­ra­de unver­meid­lich, gab es natür­lich auch bei der Türk­vi­zyon eine Wer­tungs­pan­ne. Nach den Con­test­re­geln soll­te pro Teil­neh­mer­land jeweils ein:e Juror:in – oft­mals ein:e ehe­ma­li­ge Türkvizyons-Teilnehmer:in – an jede ande­re Nati­on nach per­sön­li­chem Belie­ben jeweils min­des­tens einen bis maxi­mal zehn Punk­te ver­tei­len. Was zur Fol­ge hat­te, dass Eini­ge die Höchst­wer­tun­gen nur so mit der Gieß­kan­ne ver­teil­ten, wäh­rend Ande­re – immer­hin noch im Ein­klang mit den Sta­tu­ten – mit den Punk­ten knau­ser­ten und kaum über die 4 hin­aus gingen.

In den kusch­li­gen Bart möch­te ich ger­ne ein­zie­hen und dar­in über­win­tern: Ertan & Isra­fil (TR).

Der ser­bi­sche Juror aller­dings wer­te­te fälsch­lich nach den Euro­vi­si­ons­re­geln und ver­gab zehn Punk­te an – na, raten Sie mal? Rich­tig: – Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na, neun an Nord­ma­ze­do­ni­en, acht an die Tür­kei, sie­ben an Alba­ni­en, sechs an Aser­bai­dschan, immer­hin fünf an Deutsch­land, und so wei­ter bis zu einem Punkt an Bela­rus. Die rest­li­chen fünf­zehn Natio­nen gin­gen bei ihm vor­schrifts­wid­rig kom­plett leer aus. Was am berech­ti­gen Sieg der Ukrai­ne (die von ihm vier Punk­te erhielt) nichts ändert, bei den unte­ren Rän­gen jedoch durch­aus einen Unter­schied hät­te machen kön­nen, denn auf­grund des Wer­tungs­ver­fah­ren lagen hier die Teilnehmer:innen oft dicht an dicht oder beleg­ten punkt­gleich unter­schied­li­che Rän­ge. Ob die­ser Faux-pas für die stun­den­lan­ge Ver­zö­ge­rung bei der Ergeb­nis­prä­sen­ta­ti­on sorg­te und war­um man ihn den­noch nicht kor­ri­gier­te, ist nicht bekannt.

Auf zuschauer*innenfreundliche drei­ein­halb Stun­den gekürzt: die kom­plet­te Türk­vi­zyon 2020.

Türk­vi­zyon 2020

4. Song Con­test des tür­ki­schen Kul­tur­rau­mes. Sonn­tag, 20.12.2020, ab 14:00 Uhr MEZ aus Istan­bul, Tür­kei. 26 Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Esra Bala­mir und Refik Sarıöz.
#Land / Repu­blikTeil vonInterpret:inSong­ti­telJuryPlatz
01Alba­ni­enALIli­re IsmajliPër­sëri17119
02Staw­ro­pol (Nogai­er)RUJan­na MusaevaMunay­ma15924
03Basch­kor­to­stanRUZili­ya BahtievaHal­ky­ma17417
04Bos­ni­enBAArmin Muza­feri­yaDžeh­va19403
05Nord­zy­pernCYÇağıl İşg­üz­arAci­tir hep Hayallerim17121
06Nord­ma­ze­do­ni­enMKCen­giz SipahiKal Yanim­da17120
07TuwaRSOorz­hak Omak ÇopanoviçBay­la la Talgam17615
08Aser­bai­dschanAZAydan Ilxas­za­deCan Can Qar­daş Can19305
09PolenPLMis­hel­leDoğ­ma Yerlər17218
10Tatar­stanRUDili­ya AhmetşınaĞafu it, awılım19106
11Deutsch­landDESey­ran IsmayilkhanovOdun19008
12IrakIQSar­mad MahmoodKele­bek15026
13Gag­au­si­enMDYulia ArnautKemen­çä18510
14Cha­kas­si­enRUDarya Taçee­vaOt-çalın­da18111
15Ukrai­neUANata­lya PapazoğluTiken­li yol22601
16San­džakRSHaris Ska­repDoži­vot­no osuđen17813
17Kir­gi­si­stanKGAyga­nysh AbdievaJüpi­ter17616
18Bela­rusBYSvet­la­na AgarvalMəni anla16623
19Russ­landRUOlga Shi­mans­ka­yaHadi gel18609
20Rumä­ni­enROSunai Gio­la­kaiNiye?16722
21Kasach­stanKZAlmaz Kopzha­sarKim ol15925
22Mol­da­wi­enMDPela­geya StefogluAteş gibi19107
23Sascha (Jaku­ti­en)RUUmsu­uraMokhsoğol­lor20402
24Tju­menRUAdi­lya TuşakovaHavalar­da19304
25Tür­keiTRErtan & İsrafilNe Yap­tıy­sam Olmadı17912
26Uigu­renKZSada Ensem­belSev­giyi besle17814

1 Comment

  • Habe zwar nur die zehn Schnell­durch­läu­fe und die etwas chao­ti­sche Stimm­ver­ga­be geschaut, wur­de aber wäh­rend die­sen knapp zwei Stun­den sehr gut unter­hal­ten. Vie­len Dank für Ihre Bericht­erstat­tung zur Türk­vi­zyon in die­sem Jahr. Ohne die Appe­ti­zer in Form Ihrer Blog­ein­trä­ge im Vor­aus des Wett­be­werbs hät­te ich mir das wahr­schein­lich gar nicht angeschaut.
    Mich hat es ja fast vor Lachen aus dem Hocker geschmis­sen, als nach dem (ich mei­ne) sechs­ten Schnell­durch­lauf kurz zu den Mode­ra­to­ren geschal­tet wur­de, nur, um dann noch­mal vier Schnell­durch­läu­fe zu brin­gen. Im Nach­hin­ein hat mich aber der Tuwi­ner am meis­ten zum Lachen gebracht. Was für eine selt­sam unter­halt­sa­me Mischung an Lied. Und dann noch das Out­fit! Fan­tas­tisch! Über die vor­de­ren Plät­ze lässt sich recht wenig ein­wen­den. Wenn Jaku­ti­en ges­tern gewon­nen hät­te, wäre ich sogar sehr zufrie­den gewe­sen. Hat mich vom Stil her am meis­ten ange­spro­chen! Um mit dem Abschnei­den von Deutsch­land abzu­schlie­ßen: Das hat der Sey­ran gut gemacht! Ver­dien­ter 8ter Platz an der Stelle!

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