ESC-Fina­le 2010: Do I have to sing again?

Logo des Eurovision Song Contest 2010 (Finale)
Das Jahr des Akkordeons

Ein Mei­len­stein­con­test und das Ende eines hei­mi­schen Trau­mas: 28 Jah­re, nach­dem eine block­flö­ten­haf­te jun­ge Saar­län­de­rin im Kom­mu­ni­ons­kleid Euro­pa über­zeu­gen konn­te, dass Deutsch­land nicht mehr den tota­len Krieg will, son­dern nur noch “ein biß­chen Frie­den” (DE 1982), und zwölf Jah­re, nach­dem ein zot­tel­haa­ri­ger Der­wisch dem ungläu­big stau­nen­den Aus­land demons­trier­te, dass Deut­sche doch Humor haben (‘Guil­do hat Euch lieb’, DE 1998), ver­dreh­te eine char­man­te Han­no­ve­ra­ne­rin einem gan­zen Kon­ti­nent den Kopf, in dem sie bewies, dass wir auch läs­sig sein kön­nen. Im Gegen­satz zu den dies­jäh­ri­gen Flu­ten von hör­bar auf den ver­mu­te­ten Jury­ge­schmack hin pro­du­zier­ten, saft- und kraft­lo­sen Seicht­bal­la­den oder den mit viel Geld und Auf­wand zu Tode cho­reo­gra­fier­ten Büh­nen­spek­ta­keln ver­mit­tel­te Lena Mey­er-Land­rut glaub­wür­dig den Ein­druck, einen Sieg nicht um jeden Preis erzwin­gen zu wollen.

Das deut­sche Fräu­lein­wun­der sang statt­des­sen ganz unspek­ta­ku­lär ihren fröh­li­chen, ein­gän­gi­gen Pop­song ‘Satel­li­te’ – neben dem tür­ki­schen Bei­trag ‘We could be the same’, der auch prompt Zwei­ter wur­de, der ein­zi­ge des Abends, der musi­ka­lisch aus die­sem Jahr­tau­send stamm­te. Und sie hat­te erkenn­bar rich­tig Spaß auf der Büh­ne, womit sie sich posi­tiv her­vor­hob. In den Wett­bü­ros lie­fer­te sie sich im Vor­feld mit der Aser­bai­dscha­ne­rin Saf­u­ra Əliz­adə ein Kopf-an-Kopf-Ren­nen. Und obschon ich sowohl Lena als auch ihren Song sehr moch­te, glaub­te ich als typisch pes­si­mis­ti­scher Deut­scher ein­fach nicht an die Mög­lich­keit eines Siegs. Selbst noch, als die­ser nach zwei Drit­teln der Punk­te­aus­zäh­lung längst fest­stand. Da ging es mir wie dem deut­schen Kom­men­ta­tor Peter Urban, der auch erst drei­mal nach­rech­nen muss­te, und den Men­schen auf dem Ham­bur­ger Spiel­bu­den­platz, die sich im Kame­ra­schwenk eher fas­sungs­los als begeis­tert zeig­ten. Dass aus­ge­rech­net wir die Mär vom ost­do­mi­nier­ten “Schum­mel-Grand-Prix” wider­le­gen und bewei­sen soll­ten, dass auch ein Big-Four-Land gewin­nen kann, wenn es sich denn nur Mühe gibt: wer hät­te es gedacht? Selbst Lena schien erschüt­tert und frag­te die sicht­lich amü­sier­ten Mode­ra­to­ren: “Do I have to sing again?”. Aber hallo!

Drei Minu­ten unan­ge­streng­ter Pop-Zau­ber: dan­ke, Lena! (DE)

Lenas Haupt­kon­kur­ren­tin Saf­u­ra eröff­ne­te den Abend. Wie bereits seit ihrer aller­ers­ten Teil­nah­me 2008 woll­te die Tür­kei II (ali­as Aser­bai­dschan) den Wett­be­werb auf Bie­gen und Bre­chen gewin­nen. Man sah und hör­te ihrem däm­lich beti­tel­ten Pop­schla­ger-RnB-Bal­la­den­dra­ma-Amal­gam ‘Drip Drop’, wie immer aus schwe­di­scher Feder, die Mas­sen an Petro­dol­lars an, die in ihm ste­cken. Nichts blieb dem Zufall über­las­sen, jede Mil­li­se­kun­de des Auf­tritts bis zum Anschlag durch­cho­reo­gra­fiert. Die ange­sichts der auf ihren Schul­tern las­ten­den Erwar­tun­gen ein wenig ner­vös wir­ken­de Inter­pre­tin absol­vier­te ein sport­li­ches Höchst­leis­tungs­pen­sum zwi­schen hän­disch unter­stütz­tem Die-Gang­way-Hin­un­ter­schwe­ben (es fehl­te nur noch die Boing 747 auf der Büh­ne!), Knie­beu­gen und Stö­ckel­schuh­sprint. Außer­dem eta­blier­te sie ein neu­es Mar­ken­zei­chen: die schein­bar sie­ges­ge­wiss geschwun­ge­ne Saf­u­ra-Faust™. Half nichts: es reich­te nur für Platz 5. Hof­fen wir mal für sie, dass der des­po­tisch regie­ren­de Ali­y­ew-Clan das arme Ding mitt­ler­wei­le wie­der aus dem Fol­ter­kel­ler ent­ließ, nach­dem Elnet­te & Nigar im Fol­ge­jahr (mit einer viel­fach schlech­te­ren Num­mer aus glei­cher Feder) end­lich die Tro­phäe in die Dik­ta­tur am Kas­pi­schen Meer zu holen vermochten.

Die­se Trä-hä-hänen / machen tropf-tropf-tropf-tropf / oho!” Super Hook­li­ne! (AZ)

Das gab es auch noch nicht beim Grand Prix: einen Flit­zer! Mit­ten im Song stürm­te der ein­schlä­gig bekann­te Stö­ren­fried Jim­my Jump, übri­gens ein Lands­mann des Inter­pre­ten Dani­el Diges, die wie stets unge­si­cher­te Büh­ne und reih­te sich in die Zir­kus-Cho­reo­gra­fie rund um den spa­ni­schen Art Gar­fun­kel ein. Es dau­er­te ban­ge 20 Sekun­den, bevor Sicher­heits­kräf­te auf­tauch­ten und Jump Rich­tung Zuschau­er­raum floh, wo er sich wider­stands­los fest­neh­men ließ. Der ver­ständ­li­cher­wei­se sicht­lich ver­stör­te, den­noch bra­vou­rös die Con­ten­an­ce wah­ren­de Diges durf­te zum Aus­gleich sein wal­zer­se­li­ges ‘Algo peque­ñi­to’ am Ende noch mal sin­gen. Genutzt hat es ihm nicht viel: sei­ne rund­weg char­man­te, wenn­gleich etwas ange­staub­te Neu­auf­la­ge von ‘Pri­ma­bal­le­ri­na’ (DE 1969) lan­de­te so über­ra­schend wie unge­recht den­noch nur im Mit­tel­feld. Auch das Gast­ge­ber­land ent­schied sich für das Recy­cling eines alten Hits, in die­sem Fal­le des Kel­ten­sound-Karao­ke­klas­si­kers ‘You rai­se me up’, prä­sen­tiert als ‘My Heart is yours’. Der Schwie­ger­mut­ter­lieb­ling Did­rik Sol­li-Tan­gen wirk­te noch ner­vö­ser als der Spa­ni­er, knö­del­te mehr als zu sin­gen und litt bei der Aus­zäh­lung wohl auch unter der Kon­kur­renz des stark ver­wand­ten iri­schen Beitrags.

Bei 1:20 Min. schleicht er sich in den spa­ni­schen Auf­tritt: Jim­my Jump

Ein biss­chen fies der Hin­weis von Peter Urban, dass Mol­da­wi­en das ärms­te Land der EU sei – aller­dings erklär­te das die Gar­de­ro­be des Sun­Stro­ke Pro­jects. In hohem Maße irri­tie­rend auch die Art und Wei­se, wie der Saxo­pho­nist auf offe­ner Büh­ne, wie soll man es umschrei­ben: sei­ne Lie­be zu sei­nem Instru­ment demons­trier­te. Den­noch blieb ‘Run away’ ein hüb­sches (und von den Juro­ren gro­tesk unter­be­wer­te­tes) Stück Euro­dance. Im Anschluss öff­ne­te sich ein Zeit­fens­ter für eine wirk­lich aus­ge­dehn­te Toi­let­ten­pau­se, denn es folg­ten am Stück drei der ödes­ten Euro­vi­si­ons-Rock­bal­la­den aller Zei­ten. Los ging es mit dem (war­um auch immer) für Zypern antre­ten­den wali­si­schen Knei­pen­sän­ger Jon Lily­green, der hier natür­lich über­haupt nichts ver­lo­ren hat­te. Der Bos­ni­er Vukašin Bra­jić sorg­te zumin­dest optisch für einen ‘Teriazo­u­me’-Moment (CY 1992): die gei­le Sau der gut­aus­se­hen­de Cas­ting-Star schick­te der­ma­ßen tie­fe Bli­cke in die Kame­ras, dass man sich hin­ter­her eine Ziga­ret­te anzün­den woll­te. Lei­der konn­te das sei­nen drö­gen Rock­song ‘Thun­der and Light­ning’ auch nicht ret­ten. Der trief­äu­gi­ge James-Blunt-Imi­ta­tor Tom Dice aus Bel­gi­en beschloss das Sin­ger-Song­wri­ter-Tri­ple. Sein schlich­ter Auf­tritt bestand tat­säch­lich aus nichts ande­rem als ‘Me and my Gui­tar’ – und das in einem schlim­men C&A‑Anzug, in dem er aus­sah wie der jun­ge Heintje.

Wel­che frau­en­has­sen­de Homo­let­te hat nur Vukis Chor­sän­ge­rin­nen fri­siert? (BA)

Ob der Bel­gi­er den männ­li­chen Juro­ren aller 39 abstim­men­den Län­dern vor dem frei­täg­li­chen Jury­fi­na­le per­sön­lich einen blies, kann ich nur ver­mu­ten – Fakt ist, dass die Geschmacks­ge­ron­ten sein pseu­do­r­ebel­li­sches Weich­ei­ge­win­sel in der Tra­di­ti­on der ‘Rock’n’Roll Kids’ (IE 1994) mit nur zwei (!) Pünkt­chen Abstand hin­ter Lena auf ihren Rang zwei (!!) wähl­ten. Wäh­rend die Anru­fe euro­päi­scher Schwie­ger- und Groß­müt­ter ledig­lich für einen – deut­lich ange­mes­se­ne­ren – vier­zehn­ten Platz im Tele­vo­ting reich­ten (#6 im Gesamt­ta­bleau). Tja, wer Jurys sät, wird Lang­wei­ler­bal­la­den ern­ten™. Und gera­de, als ich nach zehn Minu­ten der quä­lends­ten Ödnis bereit war, mei­ne See­le für ein lus­tig cho­reo­gra­fier­tes Upt­em­po­stück zu ver­kau­fen, beam­te ein gnä­di­ges Schick­sal die ser­bi­sche Tran­sen­ver­si­on von Lt. Spock auf die Büh­ne, wo er / sie / es, beglei­tet vom offi­zi­el­len aufrechtgehn.de-Preisträger “sexies­ter Tän­zer 2010” (der Bär­ti­ge) und zwei Ischen in Lakas (BA 2008) Braut­klei­dern, zum fröh­li­chen Buko­vin­a­sound über die Büh­ne hüpf­te und irgend­was davon trö­te­te, dass der Bal­kan regie­re. Darf er ger­ne, so lan­ge sei­ne Herr­scher dabei so fabu­lö­se Mireil­le-Mathieu-in-Blond-Perü­cken tra­gen wie Milan Stan­ko­vić. Gro­ßes Enter­tain­ment und nicht einen, nicht zwei, nein: drei Küs­se für Serbien!

Per Tele­por­ta­ti­on direkt vom Traum­schiff Sur­pri­se nach Oslo: Mile­na (RS).

In den Fol­ter­ver­lie­sen Lukaschen­kos dürf­ten mitt­ler­wei­le die fünf Weiß­rus­sen von 3 +2 dar­ben. Zwar hör­ten sie noch auf den hier geäu­ßer­ten Rat, ihren Auf­ent­halt in einem frei­en west­li­chen Land zu nut­zen, anhand des bei ihnen frag­los ver­bo­te­nen John-Len­non-Klas­si­kers ‘Ima­gi­ne’ die kor­rek­te Aus­spra­che des von ihnen im Semi noch als “Imay­gi­ne” zer­sun­ge­nen Wor­tes zu üben. Dafür aber zer­säg­te Lead­sän­ger Arty­om Miha­len­ko heu­te sei­ne Zei­len. Außer­dem ist das Final­pu­bli­kum stets ein ande­res als das in dem Min­der­hei­ten­pro­gramm der Qua­li­fi­ka­ti­ons­run­den: kam dort ihre stock­schwu­le Dis­ney-Kitsch-Show mit den pail­let­ten­ver­zier­ten Schmet­ter­lings­flü­geln noch bes­tens an, so fiel sie heu­te um so gna­den­lo­ser durch. Wie übri­gens auch Herr von Boe­de­feld ali­as Niamh Kava­nagh. Im Semi noch von der Jury geret­tet, stürz­te die bom­bas­ti­sche iri­sche Pan­flö­ten-Patent­bal­la­de ‘It’s for you’ hier ins Boden­lo­se. Kein Wun­der, denn die anbe­tungs­wür­di­ge Irin ver­geig­te lei­der sowohl die lan­ge als auch die hohe Schlussnote.

@Keith Mills (AKOE): Ha ha. Ha! (IE)


It’s for me: in der Dis­co­ver­si­on (hier mit Shei­la Fits Patrick) find ich die Num­mer geil!

Macho, Macho Man: der grum­me­li­ge Sugard­ad­dy Schorsch Al Kai­da Gior­gos Alkai­os und sei­ne vier sexy gestie­fel­ten, jugend­li­chen Stri­cher Tän­zer erweck­ten den Geist der schwu­len Sieb­zi­ger­jah­re-Dis­co­kult­band Vil­la­ge Peo­p­le wie­der zum Leben. Butch und camp zugleich wirk­te ihr Gestamp­fe und Gegrun­ze zum trei­ben­den Elek­tro­beat. Visu­el­ler Höhe­punkt von ‘Opa’ (‘Hossa!’) war natür­lich der Break, als die Grie­chen ihre Trom­meln mit­tels Pyro­tech­nik zum, man kann es nicht anders nen­nen, eja­ku­lie­ren brach­ten. Für min­des­tens zwei Minu­ten, bis weit hin­ein in den nächs­ten Bei­trag, ebb­te das hys­te­ri­sche Lachen auf der Grand-Prix-Par­ty im Hau­se Poursa­ni­dis, wo ich den Con­test in fröh­li­cher Run­de schau­en durf­te (dan­ke, ihr Lie­ben!), nicht mehr ab. Die wohl homo­ero­tischs­te Dar­bie­tung des Abends. Kein Wun­der: wer hat’s erfunden…?

1–2‑3–4‑Fire: bei 3:05 Min. kommt’s den Griechen.

Ohne mich loben zu wol­len (denn schwer war das nicht), aber ich sah es vor­aus: mit dem von Pete Water­man (von Stock / Ait­ken / Water­man), einst erfolg­reichs­ter Seri­en­song­schrei­ber und Pro­du­zent der spä­ten Acht­zi­ger­jah­re, im Bemü­hen um die Auf­po­lie­rung des Glan­zes längst ver­gan­ge­ner Tage ver­fass­ten ‘That sounds good to me’ prä­sen­tier­ten die Bri­ten einen hei­ßen Anwär­ter auf die Nach­fol­ge der berüch­tig­ten Jemi­ni (UK 2003). Gut, es wur­den mehr als null Punk­te. Doch auf dem letz­ten Platz lan­de­te Josh Dubo­vie trotz­dem, übri­gens über­ein­stim­mend bei Jurys und Tele­vo­tern. Die Num­mer klang aber auch, als hät­ten S/A/W die B‑Seite einer stein­al­ten Rick-Ast­ley-Sin­gle für den Tanz­tee im Senio­ren­stift ent­schärft. Im Bemü­hen um eine euro­vi­si­ons­kon­for­me Show bau­te man eine Show­trep­pe-Boxen-Kom­bi­na­ti­on, die aber wirk­te wie die bil­li­ge IKEA-Imi­ta­ti­on von Ani Loraks beleuch­te­ten Klei­der­schrän­ken von 2008. Also wie gewollt und nicht gekonnt. Augen- und ohren­schein­lich (Die Flat­ter­lap­pen! Die Kat­zen­ge­sän­ge!) besorg­ten außer­dem drei der vier No Angels (DE 2008) den Back­ground­chor, an dem der ver­ängs­tig­te Josh im Ver­lau­fe der Show so zügig und scham­haft nach unten bli­ckend vor­bei­husch­te, als fürch­te­te er, von den Damen vom Podest geschubst zu wer­den, wenn er sich nicht beei­le. Ein Trauerspiel!

That sounds schief to me: Joshs Kat­zen­chor (UK).

Ich glau­be, nie­mand hat­te Spaß bei der geor­gi­schen Per­for­mance. Weder die unent­wegt durch die Gegend geho­be­ne und geschleu­der­te, garan­tiert blaue Fle­cken davon­tra­gen­de Sophia Niza­ha­ra­de, noch die kör­per­li­che Schwerst­ar­beit leis­ten­den Tän­zer, die mit ihrer über­hek­ti­schen Cho­reo­gra­fie bei die­ser sehr klas­si­schen, sehr lang­wei­li­gen Euro­vi­si­ons­bal­la­de (‘Shi­ne’) völ­lig fehl am Plat­ze waren. So, wie auch der weib­li­che Robo­cop bei den Tür­ken. Soll­te die sich mit dem Dosen­öff­ner aus ihrem Pan­zer schä­len­de Frau wei­te­re Flit­zer von der Büh­ne fern­hal­ten oder wel­chen Zweck ver­folg­te sie? Immer­hin lie­fer­ten die über die Gren­zen ihres Hei­mat­lan­des bekann­ten Rocker von maN­ga mit ‘We could be the Same’ einen kon­tem­po­rä­ren Bei­trag und erfuh­ren mit Platz 2 die ange­mes­se­ne Ent­loh­nung – trotz mas­si­ven Down­vo­tings durch die Jury. Bleibt noch die Fra­ge, wer die­se omi­nö­se “Wan” war, von dem die Alba­ne­rin Julia­na Pasha in ihrem Dis­co­schla­ger ‘It’s all about you’ immer­zu sang (“You are the Wan”). Der pott­häss­li­che Gei­ger? Nein, das war ja kein Asia­te. Der Schnei­der ihres Sei­ten­spoi­ler-Out­fits? Ihr Heli­um­lie­fe­rant? Mer waa­ses net, mer vermut’s nur. Wie schon erwähnt: in den Semis, wo die fabel­haf­te Schwu­len­mut­ti Hera Björk Zwei­te wur­de, schaut eine ande­re Ziel­grup­pe zu als im Fina­le, wo der in einem etwas unvor­teil­haf­ten Zelt­kleid antre­ten­de islän­di­sche Vul­kan mit dem cam­pen Grand-Prix-Dis­co-Schla­ger ‘Je ne sais quoi’ ins Mit­tel­feld abschmier­te. Aller­dings hät­te die­ser auch nach einer etwas aus­ge­feil­te­ren Cho­reo­gra­fie ver­langt als einem fünf­se­kün­di­gen syn­chro­nen Von-links-nach-rechts-Schrei­ten mit ihren Chor­mä­dels. Sei’s drum.


Eyja­f­jal­la­jö­kull dampft schon: Hera bei der islän­di­schen Vorentscheidung.

Was aller­dings die Ukrai­ne­rin Aly­o­sha im Fina­le ver­lo­ren hat­te, ver­ste­he ich beim bes­ten Wil­len nicht. Und ihr gutes Abschnei­den hier noch viel weni­ger. Ein Lied, das keins ist; ohne Refrain; ohne erkenn­ba­re Struk­tur; bestehend aus so abge­grif­fe­nen und aus­ge­lutsch­ten Welt­un­ter­gangs­kli­schees, dass noch nicht ein­mal Micha­el Jack­son (‘Heal the World’) sie ange­fasst hät­te; mit sau­er­töp­fi­scher Mie­ne in schlech­tem Eng­lisch gejam­mert von einer Frau im fleisch­far­be­nen Nacht­hemd. Sind das die Spät­fol­gen von Tscher­no­byl? Kol­lek­ti­ve Gehirn­erwei­chung? So wie im Fal­le der “roug­hen” Litau­er hof­fe ich, dass auch der taf­fe Jes­sy Mata­dor ein Hühn­chen mit den geis­tes­kran­ken Juro­ren rupf­te, die sei­nen kraft­vol­len Dance­hall-Kra­cher ‘Allez ola olé’ vom ver­dien­ten ach­ten auf den zwölf­ten Platz her­un­ter­ma­ni­pu­lier­ten! Und ver­rät mir bit­te jemand Namen und Anschrift des ver­ant­wort­li­chen Bild­re­gis­seurs, damit ich ihn per­sön­lich ver­prü­geln kann? Da hat Frank­reich mit Ned­jim Maht­al­lah den sexies­ten Chor­sän­ger mit der mus­ku­lö­ses­ten behaar­ten Brust, die jemals auf einer Euro­vi­si­ons­büh­ne zu sehen war. Und dann ver­passt die Kame­ra das Meis­te sei­ner zir­ka fünf­zehn­se­kün­di­gen Tanz­ein­la­ge mit frei­em Ober­kör­per? Arrrgh!

Ab 2:45 zieht er den Strei­fen­pul­li aus: Jes­sy but­cher Back­ing (FR).

Und bevor sich jemand wun­dert: ja, es ist mir bewusst, dass es sich bei ‘Allez ola olé’ um ein Fuß­ball­lied han­delt: die fran­zö­si­sche TV-Titel­me­lo­die zur süd­afri­ka­ni­schen WM. Und ja, das ist beim Grand Prix ein Sakri­leg. Aber wer so wie Jes­sy mit dem Arsch wackelt und so viel anste­cken­de Lebens­freu­de ver­brei­tet, dem kann ich dar­ob nicht böse sein! Zwei klas­si­sche Pär­chen­num­mern tum­mel­ten sich im Fina­le, bei­de am Ende viel zu hoch bewer­tet auf den Plät­zen 3 und 4. Dabei war das rumä­ni­sche ‘Play­ing with Fire’ (mit dem erwart­ba­ren “Fire / Desi­re”-Reim) inso­fern noch erträg­li­cher, als die stimm­ge­wal­ti­ge Leder­do­mi­na Pau­la Seling und ihr glub­schäu­gi­ger Frei­er Ovi sich tat­säch­lich zu mögen schie­nen und die Pyro­ef­fek­te aus dem net­ten Pop­song, der kei­nem weh tat, bei­na­he eine zün­den­de Num­mer mach­ten. Schlim­mer lag der Fall bei den Musik­zom­bies Schan­tall & Never­be­en Cha­née & N’E­ver­green, die ihre tief­sit­zen­de gegen­sei­ti­ge Abnei­gung zwar dies­mal bes­ser ver­ste­cken konn­ten als noch im Semi (oder in der däni­schen Vor­ent­schei­dung), bei denen die Che­mie aber den­noch so sehr stimm­te wie bei Mer­kel & Wes­ter­wel­le. Für ein paar schreck­li­che Minu­ten wäh­rend der Stimm­aus­zäh­lung sah es sogar so aus, als könn­ten die Zwei mit den toten Augen und der Aus­strah­lung einer abge­lau­fe­nen Tüte H‑Milch mit ihrer Gesang gewor­de­nen Lobo­to­mie ‘In a Moment like this’ den Sieg davon tra­gen. Und dann hät­te ich mich wohl erhängt.

Bei 3:26 Min.: fliegt das “Foto” im Wind­ma­schi­nen­sturm Peter gleich ins Auge, und wenn ja, in wel­ches? (RU)

Lost & for­got­ten’, der rus­si­sche Bei­trag, war das dies­jäh­ri­ge ‘Poku­saj’ und spal­te­te die Zuschau­er in Lie­ben­de und Has­sen­de. Wie schon bei dem ähn­lich geni­al-schrä­gen bos­ni­schen Song von 2008 brauch­te ich auch hier eini­ge Anläu­fe (und den Hin­weis auf Peter Nalitchs bis­he­ri­ges Musik­schaf­fen), um die wun­der­ba­re Iro­nie des herz­zer­rei­ßend über­trie­be­nen Kla­ge­ge­sangs des Peters­bur­ger Bet­tel­stu­den­ten­chors über das Lei­den an einer uner­füll­ten Lie­be (und der all­ge­mei­nen Schlech­tig­keit der Welt) zu begrei­fen. Der von mir ver­ehr­te Roy Delaney fass­te es auf OnEu­ro­pe schön zusam­men: “Ja, es ist mor­bi­de und in schlech­tem Eng­lisch. Genau das ist der Punkt. Es ist eine dunk­le, sich selbst ver­al­bern­de, intel­lek­tu­el­le Bal­la­de mit einem ver­schro­be­nen Sinn für Humor, der weit über allem ande­ren in die­sem Con­test steht”. So sieht’s mal aus! Und für die Nicht-Nalitch-Fans, die im Ergeb­nis außer­halb der Top 10 für Russ­land den Beleg für das Funk­tio­nie­ren der Jurys sehen: auch bei rei­nem Tele­vo­ting wäre nicht mehr als Rang 11 her­aus­ge­kom­men! Drei Plät­ze weni­ger gab’s dage­gen für Eva Rivas und ihre tanz­ba­re Ode auf das arme­ni­sche Natio­nal­obst, die Apri­ko­se. Lag es an den sub­ti­len poli­ti­schen Unter­tö­nen? Oder doch eher an Evas etwas her­bem Aussehen?

Die Haa­r­ex­ten­si­ons sind aber wirk­lich… exten­siv! (AM)

Blie­ben noch zwei im Mit­tel­feld ver­sa­cken­de Jam­mer­lap­pen­bei­trä­ge: zum einen das unend­lich drö­ge ‘Há Dias assim’ aus, natür­lich, Por­tu­gal, vor­ge­tra­gen von einem völ­lig ver­lo­ren wir­ken­den Mädel: pro­fi­tier­te Fili­pa Aze­ve­do im Semi noch vom Wel­pen­schutz, so ging sie im Fina­le im direk­ten Anschluss an die fröh­lich-fre­che Lena kom­plett baden. Und zu Recht. Sowie der Israe­li, das männ­li­che Pen­dant zu Aly­o­sha, auch wenn sich in Harel Skaats gro­ßer, dra­ma­ti­scher Bal­la­de ‘Milim’ so etwas wie eine Melo­die immer­hin erah­nen ließ. Was nun der Grund für sei­ne Kla­ge war – eine Preis­er­hö­hung für Kaba, die Ver­schlüs­se­lung von Nickel­ode­on in Isra­el oder die Pen­sio­nie­rung sei­ner Lieb­lings­kin­der­gärt­ne­rin – das blieb dank der Sprach­gren­ze im Dunkel.


Mei­ne Lieb­lings­stel­le: die Nordsse­e­insel bei 6:49 Min.

Nicht zu ver­ges­sen: der fabel­haf­tes­te Pau­sen­act aller Zei­ten, Mad­cons ‘Glow’ und der euro­pa­weit zele­brier­te Tanz-Flash­mob. Ein inter­ak­ti­ve­res (und dem Grund­ge­dan­ken des Song Con­tests von euro­päi­scher Eini­gung und Spaß näher ste­hen­des) Stim­men­aus­zähl-Über­brü­ckungs­event gab es in der Grand-Prix-Geschich­te noch nicht. Hut ab für den NRK! Ach so, und dann war da noch das ein­gangs bereits erwähn­te und kaum für mög­lich gehal­te­ne Ergeb­nis näm­li­cher Stimm­aus­zäh­lung, das Deutsch­land sein Som­mer­mär­chen 2010 bescher­te, das Land in eine kol­lek­ti­ve Hoch­stim­mung ver­setz­te und Lena zur Köni­gin unse­rer Her­zen mach­te. Samt tri­um­pha­lem Staats­emp­fang auf dem Han­no­ve­ra­ner Flug­ha­fen und Live-Son­der­sen­dun­gen am nächs­ten Tag. Das gab’s bei Nico­le wei­land nicht: end­lich war die Wach­ab­lö­sung voll­zo­gen, die Ära Sie­gel ein für alle mal beendet!

Euro­vi­si­on Song Con­test 2010

Euro­vi­si­on Song Con­test 2010 – Fina­le. Sams­tag, 29. Mai 2010, aus der For­ne­bu-Are­na in Oslo, Nor­we­gen. 25 Teil­neh­mer, Mode­ra­ti­on: Had­dy N’jie, Erik Sol­bak­ken & Nadia Hasnaoui.
#LandInter­pretSong­ti­telPunk­te
gesamt
PlatzPunk­te
Tele­vo­ting
Platz
01AZSaf­u­ra AlizadəDrip Drop1450516105
02ESDani­el DigesAlgo peque­ñi­to0681510612
03NODid­rik Solli-TangenMy Heart is yours0352001821
04MDSun­stro­ke Pro­ject + Olia TiraRun away0272202818
05CYJon Lily­green & IslandersLife looks bet­ter in Spring0272101623
06BAVukašin Bra­jićThun­der and Lightning0511703516
07BETom DiceMe and my Guitar1430607614
08RSMilan Stan­ko­vićOvo je Balkan0721311010
09BY3+2But­ter­flies0182401822
10IENiamh Kava­naghIt’s for you0252301524
11GRGior­gos Alkai­os & FriendsOpa1400815207
12UKJosh Dubo­vieThat sounds good to me0102500725
13GESofia Niz­ha­ra­d­zeShi­ne1360912709
14TRMaN­gaWe could be the same1700217702
15ABJulia­na PashaIt’s all about you0621603517
16ISHera BjörkJe ne sais quoi0411904015
17UAAly­o­sha KucherSweet Peo­p­le1081009413
18FRJes­sy MatadorAllez! Ola! Olé!0821215108
19ROPau­la Seling + Ovi CernăuţeanuPlay­ing with Fire1620315506
20RUPeter Nalitch & FriendsLost and forgotten0901110711
21AMEva RivasApri­cot Stone1410716604
22DELena Mey­er-Land­rutSatel­li­te2460124301
23PTFili­pa AzevedoHá Dias assim0431802420
24ILHarel SkaatMilim0711402719
25DKCha­née & N’EvergreenIn a Moment like this1490417403

7 Comments

  • Das war mein zweit­liebs­ter ESC (erst­liebs­ter: 1998), mit sehr vie­len guten Songs. Naguuut ein paar Aus­fäl­le gab es, aber was ich schlecht fin­de fin­den ande­re wie­der gut – und umgekehrt 😉

    Ich hat­te “Satel­li­te” schon eini­ger­mas­sen satt, wie ich zuge­ben muss – dau­ernd dudel­te man das über­all, als Web­ra­dio-Mode­ra­to­rin muss­te ich es auch oft spie­len, auf Wunsch^^  Und dann: Lenas Per­for­mance an die­sem Abend war sooo süss, unver­krampft, cuuute! 😀 Ich war selt­sa­mer­wei­se rest­los begeis­tert und glaub­te erst­mals an Sieg­chan­cen (so ganz vor­sich­tig, natür­lich).  Ein wirk­lich denk­wür­di­ger Auftritt.
    Tom Dice fand ich auch super (jahaa ich weiss, der wird hier im Blog nicht sehr geschätzt! :D), aber er kam ein­fach so ehr­lich, unge­küns­telt und sym­pa­thisch rüber *schmelz* Hör den Song immer noch gern. maN­ga gefie­len mir u.a. auch und die Grie­chen (die Durm­strangs des ESC…wer Har­ry Pot­ter und der Feu­er­kelch gese­hen hat, weiss was ich mein :D), nur war ich ent­täuscht daß Mal­colm Lin­coln nicht im Fina­le dabei­war. Sein Song hat­te i‑wie was…

    Ärge­re mich bis heu­te dar­über daß ich die­sen ESC nicht auf­ge­nom­men habe, wie sonst immer (hab kei­ne Ahnung, wie­so). Bei der Kauf-CD feh­len sicher Peter Urbans Kommentare 🙁

  • Die beleuch­te­ten Klei­der­schrän­ke aus 2008 gehör­ten übri­gens nicht Sirus­ho, son­dern Ani Lorak.

  • So sehr ich “We could be the same” auch mag (war mein Favo­rit aus 2010) – was ist dar­an bit­te­schön aus die­sem Jahr­tau­send? Nu-Metal hat sei­ne Wur­zeln in den spä­ten 1990ern. Könn­te ein Track von einer Demo­plat­te von Lin­kin Park oder 3 Doors Down sein, wel­che 1998 oder 1999 abge­mischt wurde.

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