Unerwarteter Ärger für Deutschlands führendes Fachblatt in Vicky-Leandros-Fragen, die Bild: wie Stefan Niggemeier heute im BildBlog berichtet, ließ die Sängerin dem Boulevardblatt, mit dem die Freifrau von Ruppin bislang ein ziemlich enges Verhältnis pflegte, ein anwaltliches Mahnschreiben zugehen. Grund ihrer Incontenance: die Bild hatte sich erdreistet, ihr Alter mit 64 Jahren anzugeben. Vicky besteht jedoch darauf, lediglich zarte 61 Lenze zu zählen. Was bedeutete, dass sie bei ihrem ersten Grand-Prix-Auftritt mit ‘L’Amour est bleu’,1967 in der Wiener Hofburg, erst pubertäre 14 Jahre auf dem haltungsschädenbedingten Buckel hatte (was damals kein Regelverstoß gewesen wäre). Dennoch vermag sich Niggemeier den süffisanten Hinweis nicht verkneifen, dass der Kommentator sie seinerzeit als “eine Sängerin aus Griechenland, 17 Jahre alt” annoncierte, was angesichts ihres Erscheinungsbilds ein bisschen glaubwürdiger wirkt. Bild-Chef Kai Diekmann veröffentlichte das Mahnschreiben auf Twitter und zeigte sich indigniert: “Liebe Vicky, seit wann kommunizieren wir über Anwalt? Du hast doch meine Telefon-Nummer”. Hoffen wir mal sehr, dass da jetzt keine klassische Bild-Racheberichterstattung aus enttäuschter Liebe folgt, denn das hätte unsere ewig junge Eurovisionskönigin nun wirklich nicht verdient!
Beurteilen Sie selbst: vorpubertäre 14 oder süße 17?
Es scheinen gerade Eurovisionskirmestechnowochen zu sein: nicht nur, dass sich der notorische Mave O’Rick, bekannt und gefürchtet von unzähligen Auftritten auf CSDs und Fanclubtreffen, unlängst an Anne-Marie Davids ‘Tu te reconnaîtras’ (LU 1973) vergriff und daraus eine seiner üblichen Duracell-Discobunny-Dancebeatstampfer bastelte. Nun sind auch die nicht minder gefürchteten, kommerziell jedoch ungleich erfolgreicheren Kirmestechnopioniere Scooter (DVE 2004) seinem schlechten Vorbild gefolgt und vergewaltigten Vicky Leandros. Also, musikalisch. Ihren 1967er Grand-Prix-Beitrag ‘L’Amour est bleu’ schickten sie durch den elektronischen Rüttelwürger, ebenso wie Vickys Stimme, brüllten selbst noch ein paar Wortfetzen dazu und mischten knallharte Bummsbeats drunter. Also genau so, wie Mave auch mit Anne-Marie umsprang. Mit dem einzigen Unterschied, dass Scooter aufgrund ihres Namens mit dem entwürdigenden Songbastard ‘C’est bleu’ Airplay erhalten und O’Rick nicht. Böse Welt. Und noch bösere Welt, die solch’ musikalischen Sakrilege überhaupt zulässt. Wo ist die Geschmackspolizei, wenn man sie braucht?
Nach nur zwei Jahren im Amt tritt Vicky Leandros vorzeitig von ihrem Posten als Kulturstadträtin im Athener Hafenvorort Piräus zurück, wie SpOn am Dienstag berichtete. Die in Berlin lebende Schlagersängerin habe die mit der Aufgabe verbundene zeitliche Belastung unterschätzt, wie sie in einem Interview mit dem Politikmagazin Frau im Spiegel sagte. Künftig wolle sie sich wieder verstärkt der Musik widmen.
Auch eine andere Eurovisionssiegerin zogs schon nach Piräus!
Ihren letzten Grand Prix gewann sie 1972. 2006 konnte sie noch nicht mal mehr die Fahrkarte nach Helsinki erringen, genau so wenig wie 2007 einen Posten als griechische Kultusministerin. Entschädigung für all diese bitteren Niederlagen wurde der großen, unvergleichlichen, einzigartigen Eurovisionsdiva Vicky Leandros nun durch den Schifferstädter Karnevalsverein Schlotte zuteil, der sie mit dem Pfälzer Saumagen auszeichnete: eine aus Rosenquarz gefertigte Nachbildung des Leibgerichts unserer Kanzleraltlast – so was stellt man sich doch gerne ins Trophäenregal!
Fischer & Fischer: Willkommen in der Vergangenheit
Vicky Leandros’ Versuch, griechische Kultusministerin zu werden, ist gescheitert. Ihre Liste, die sozialistische Oppositionspartei Pasok, erhielt bei der Wahl am Sonntag zu wenige Stimmen. Immerhin bleibt der zweimaligen Eurovisionsteilnehmerin und Siegerin von 1972 noch ihr bisheriger Posten als Beauftragte für internationale Beziehungen und Kultur im Athener Hafenvorort Piräus.
Eurovisionskollegin Lisa del Bo (BE 1996) singt Vicky ein Ständchen
Nach der Schande von Kiew (letzter Platz für Gracia mit 4 Mitleidszählern) gab der NDR-Unterhaltungschef Jürgen Meier-Beer entnervt seinen Rücktritt als Eurovisionsverantwortlicher bekannt. In seiner Ratlosigkeit, was er nun mit der Sendung anfangen sollte, holte sich der öffentlich-rechtliche Sender Unterstützung dort, wo in Deutschland die Unterhaltungskompetenz beheimatet ist: bei den Privaten. Genauer: bei ProSieben und dessen Comedy-Aushängeschild Thomas Hermanns (Quatsch Comedy Club, Pop Club). Der bekennende Grand-Prix-Fan stürzte sich mit Feuereifer an die Aufgabe und produzierte eine glamouröse, schwelgerische Retro-Show rund um den fünfzigsten Geburtstag des Song Contests.
Das 1971 siegreiche Fürstentum Monaco, dank eigener Spielbank finanziell auf Rosen gebettet, lehnte die Austragung des Contests ab: nach offizieller Darstellung wollte Teleradio Monte Carlo den Event mangels geeigneter Halle erst im Juni 1972 im Freien abhalten. Das war den größeren Sendern, allen voran der BBC, zu spät: bis dato lief der Contest meist im März. Eine neue Halle konnte und wollte der Stadtstaat innerhalb weniger Monate aber nicht aus dem knappen Boden stampfen. Wie fast immer bei solchen Gelegenheiten sprang die BBC ein. So kam der Wettbewerb aus der Ehrfurcht einflößenden Usher Hall im schottischen Edinburgh. Die anbetungswürdige Tänzerin und Schauspielerin Moira Shearer (‘Die roten Schuhe’) führte in unnachahmlich britischer Weise, in einer hinreißenden Mischung aus professioneller Strenge, aristokratischer Noblesse und natürlichem Charme durch den aus deutscher Sicht besten Jahrgang der Eurovisionsgeschichte.
Schon seit vielen Jahren war den Holländern kein Sieg beim Grand Prix mehr gelungen. Und das, obwohl sie doch in den Anfangsjahren des Wettbewerbs regelmäßig im Wechsel mit Frankreich den ersten Platz belegten! Auch die diesjährige Vertreterin Thérèse Steinmetz, die in Wien als erste Kombattantin auf die mit modernen Drehspiegeln ausstaffierte Bühne im ansonsten extrem barocken Festsaal der kaiserlichen Hofburg – bis heute ungeschlagen die nobelste Location, in welcher der Eurovisionszirkus jemals gastierte! – musste, landete weit abgeschlagen auf dem vierzehnten Rang. Skurril – denn vom lautmalerischen ‘Ring Dinge Ding’ ist es, zumindest phonetisch, nicht sehr weit zu ‘Ding A Dong’, mit dem die Niederländer erst 1975 wieder die Krone erringen konnten (mal abgesehen natürlich von 1969, wo sich Lenny Kuhr den Sieg jedoch mit drei Mitbewerberinnen teilen musste). Eine kommende Grand-Prix-Gewinnerin ging indes heuer erstmals für Luxemburg an den Start.
Ein bissel gruslig: man wartet drei Minuten drauf, ob Thérèses Halsschlagader gleich platzt? (NL)
Die in Deutschland lebende Griechin Vicky Leandros (→ LU1972, Vorentscheid DE2006) hatte jedoch trotz eines grandiosen, klassisch frankophilen Gefühlssturmes in diesem Jahr keine Chance. Denn das vom französischen Komponisten André Popp (→ ‘Tom Pillibi’, FR1960) verfasste ‘L’Amour est bleu’ musste von Startposition 2 aus ins Rennen: bekanntermaßen der Todesstoß für jeden Beitrag. Erschwerend kam hinzu, dass sie hier sang wie eine Hupe und auf der Bühne stand wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Der Legende zufolge schwor sich Vicky nach der Veranstaltung, eine triumphale Rückkehr hinzulegen: fünf Jahre später machte sie es wahr. Die Gastgeber schickten den Liedermacher Peter Horten (→ Vorentscheid DE1972, 1975), der sich später auf Druck der gleichnamigen, mittlerweile längst im Metro-Konzern aufgegangenen Kaufhauskette in Horton umbenennen musste. Hoffen wir für Millionen Deutsche, dass der Molkereipate Theo Müller nie auf dumme Gedanken kommt! ‘Warum es hunderttausend Sterne gibt’, wollte aber außerhalb Österreichs niemand wissen: Platz 14.
Eine Körperhaltung wie ein Fragezeichen: Vicky Leandros (LU)
Für Finnland sang der etwas füllige Fredi (→ FI1976) leidenschaftlich krähend sein eindringliches ‘Varjoon-suojaan’, eine erste Warnung vor den Folgen des Ozonlochs (“Schutz vor dem gleißenden Himmel”). Sein Titel kam jedoch zu früh für die verschnarcht-konservativen → Jurys, die erwartungsgemäß keinerlei Gespür für ökologische Themen bewiesen. Ganz → ohne Punkte schickten sie diesmal immerhin nur eine Künstlerin heim: die schweizerische Repräsentantin Géraldine Gaulier. Das allerdings auch zu Recht, denn sie vergewaltigte die Töne eher, als sie zu singen. Insbesondere die große hohe Schlussnote ging einem so sehr durch Mark und Bein wie das Geräusch kratzender Fingernägel auf einer Schiefertafel. ‘Anouschka’, der deutsche Beitrag, hätte in der von Alexandra interpretierten Fassung durchaus Chancen besessen, womit Inge Brücks Fähigkeiten nicht abgewertet werden sollen. Aber der wunderbar melancholische Tröstungsschlager war, sehr hörbar, auf die schmerzhaft schöne, tieftraurige Stimme Alexandras (eine der Stammabnehmerinnen des Komponisten Hans Blum) hin geschrieben und gewinnt erst in der subtilen Brechung der Durchhaltebotschaft (”Musst nicht weinen, kleine Anouschka / Er kommt wieder, kleine Anouschka”) durch das einzigartig bittersüße Timbre der Ausnahmesängerin den nötigen inhaltlichen Tiefgang. Inge Brück gab ihr Bestes, verfügte aber nicht nur über eine Frisur wie Angela Merkel, sondern auch über deren Bühnenausstrahlung. Und sank in Wien folglich wie ein Stein.
Masochisten halten bitte bis zum bitteren Ende durch: es lohnt sich! (CH)
Denn Großbritannien, bekanntlich das Mutterland des Pop, schickte eine junge, gut aussehende Frau mit echtem Popstar-Appeal und einem echten Popsong. Sandie Shaw, die den britschen Vorentscheid A Song for Europe zuvor alleine bestreiten durfte, brachte – nach der Vorarbeit von France Gall1965 – mit nur fünf Jahren Verspätung nun endgültig den Beat zum Contest. Auch wenn ‘Puppet on a String’ eine gewisse musikalische Verwandtschaft zum Humptata-Schlager des Musikantenstadls aufweist: seinerzeit ging man mit den Genregrenzen noch nicht so streng um wie heute. Zudem erscheint es als naheliegend, dass gerade die Kombination der für damalige Verhältnisse unkonventionell auftretenden und damit frisch wirkenden Shaw und des eher gewöhnlichen, versöhnlich wirkenden Lieds (das für die nächsten zehn Jahre so etwas wie die Blaupause aller britischen Eurovisionsbeiträge liefern sollte) zum Sieg führten. Mit Madame Gall verband Miss Shaw indes nicht nur die Marionetten-Thematik des Songtextes, den die Sängerin selbst als “sexistischen Schwachsinn” brandmarkte, sondern auch der damit verbundene Erfolg und dessen spätere entschiedene Ablehnung.
Wahrlich nicht schlechter: ‘Tell the Boys’, Platz 2 beim Song for Europe 1967
Shaw wäre wohl deutlich lieber mit dem zweitplatzierten Beitrag des britischen Vorentscheids nach Wien gefahren. Verständlicherweise, wie man sagen muss: ‘Tell the Boys’ klang deutlich weniger nach Bierzelt und ein bisschen mehr nach Motown, war dabei sehr eingängig und mitreißend, und erzählte inhaltlich, wenngleich es vordergründig ums Thema Treue ging, eine deutlich emanzipiertere Geschichte (die sich jetzt in festen Händen befindende Sandie verabschiedet sich von ihren zahlreichen früheren Liebhabern, mit denen sie bislang “sehr viel Spaß” hatte) als der Titel, den ihr das Publikum letztlich heraussuchte. Das aber natürlich, wie stets, die richtige Wahl traf: ihr in der Hofburg barfuß vorgetragenes ‘Puppet on a String’ gewann nicht nur mit riesigem Vorsprung den Song Contest, es warf auch einen europaweiten Nummer-Eins-Hit ab und avancierte zum unvergessenen Evergreen. Sogar die eilig eingedeutschte, von der bedauernswerten Interpretin eigens phonetisch eingesungene Fassung ‘Wiedehopf im Mai’ fand trotz absurdester Übersetzungslyrik noch ihre Abnehmer (#36). Sandies Sieg markierte damit den unumkehrbaren Übergang in eine neue Eurovisionsära: weg vom getragenen frankophilen Chanson, hin zum beatbetonten, hitparadentauglichen Popsong. Eine gutzuheißende Entwicklung.
Da stand anfangs wohl irgendjemand auf der Leitung! (UK)
Einen weiteren Modernitätsschub lieferte Monaco, das die Französin Minouche Barelli und ihr von Serge Gainsbourg (→ ‘Poupée de Cire, Poupée de Son’, LU1965) komponiertes Antikriegslied ‘Boum Badaboum’ eingekauft hatte. Nicht nur ein musikalischer Donnerschlag: die Aussage, angesichts des durch die Atombombe bald bevorstehenden Weltuntergangs noch schnell das Leben in vollen Zügen genießen zu wollen (natürlich, es ist ja von Gainsbourg, auch sexuell), kann für Grand-Prix-Verhältnisse als geradezu revolutionär politisch gelten. Heutzutage fiele so eine Nummer sicherlich der EBU-Zensur zum Opfer. Barelli verstarb 2004 im Alter von nur 57 Jahren in Monaco, zwei Jahre, nachdem sie die Staatsangehörigkeit des Stadtstaates angenommen hatte. Mit gar nur 43 Jahren riss ein Autounfall 1980 den belgischen Vertreter Luis Neefs (→ BE1969) aus dem Leben. Sein deutlich traditionellerer Schlager ‘Ik heb Zorgen’ hätte auch von Peter Alexander stammen können, unterhielt aber immerhin durch eine perfide Klatschfalle: einem angetäuschten, abrupten Liedende, das aber in Wahrheit nur aus einer zirka einsekündigen Kunstpause bestand, nach welcher der Interpret so überraschender- wie überflüssigerweise den Refrain noch einmal wiederholte. Solche kleinen Schockmomente liebte Neefs sehr, was ihn zum gruseligsten Mann des Grand Prix machte.
Ein wenig fröhlicher als Nicole: das Antikriegslied von Minouche (MC)
Spanien schickte erneut den Vorjahressänger Raphael (→ ES1966), mit einem weiteren dramatischen Beitrag namens ‘Hablamos del Amor’, der aber nicht ganz an die Eindringlichkeit von ‘Yo soy aquél’ anknüpfen konnte. Fast allen diesen Ländern sollte der erste Triumph noch bevorstehen. Österreich hingegen musste ein knappes halbes Jahrhundert auf einen weiteren Sieg warten, und nach dieser Veranstaltung ist das auch kein Wunder. Die ORF-Moderatorin Erica Vaal verhedderte sich bei der Punktevergabe völlig und rief Sandie Shaw (die zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits uneinholbar führte) bereits vor der letzten Wertung zur Siegerin aus, was der düpierte irische Jurysprecher mit einem mokanten “I thought we were going to be left out” kommentierte, während die Gastgeberin vor lauter Zerknirschtheit an ihrem “Oh, I am so sorry” fast erstickte. So weit, so amüsant. Doch galt das weniger für den zähen Show-Auftakt, bei dem Frau Vaal ihre gefühlt dreistündige (und real zehnminütige) Begrüßungsrede auf deutsch, französisch, englisch, italienisch, spanisch und – für die Zuschauer/innen der Intervision – russisch hielt. Anschließend entschuldigte sie sich, nicht auch noch die Sprachen der restlichen Teilnehmerländer gelernt zu haben, versprach aber, das nachzuholen, sollte der Contest “in naher Zukunft” nochmals in Wien stattfinden. Die Europäer begriffen das wohl als ernstzunehmende Drohung: erst der Tod von Frau Vaal im Oktober 2013 ebnete tragischerweise den Weg für Conchita Wurst (→ AT2014)!
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer singt am schönsten im ganzen Land? Der ESC 1967
Eurovision Song Contest 1967
Grand Prix de la Chanson. Samstag, 8. April 1967, aus dem Großen Festsaal der Hofburg in Wien, Österreich. 17 Teilnehmerländer, Moderation: Erica Vaal.