Ers­te Deka­de 1956–1965: Ein ver­schla­fe­ner Anfang

Dors, mon Amour

Das fran­zö­si­sche Jahrzehnt

Er ver­fügt über eine inter­es­san­te, weit zurück­rei­chen­de Ent­ste­hungs­ge­schich­te, unser aller tele­vi­sio­nä­rer Lieb­lings­event: bereits im Jah­re 1950 näm­lich, kur­ze Zeit nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs, grün­de­te sich mit tech­ni­scher und finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung der USA, die dar­in ein Erfolg ver­spre­chen­des Mit­tel zur Pro­pa­gie­rung kapi­ta­lis­ti­scher Wer­te auf dem ver­wüs­te­ten Kon­ti­nent sah, die Arbeits­ge­mein­schaft der euro­päi­schen Rund­funk­an­stal­ten oder Euro­pean Broad­cas­ting Uni­on (EBU), mit Sitz in Genf. Neben der tech­ni­schen Zusam­men­ar­beit der sei­ner­zeit noch aus­schließ­lich staat­li­chen TV-Anstal­ten und der Bereit­stel­lung eines die Kos­ten sen­ken­den gemein­sa­men Nach­rich­ten­pools bestand eine der wich­tigs­ten Kern­auf­ga­ben der EBU dar­in, das ver­hält­nis­mä­ßig neue Medi­um Fern­se­hen nach­hal­tig auf dem Markt zu eta­blie­ren. Denn eine sol­che Selbst­ver­ständ­lich­keit wie heu­te war das damals nicht: noch zum Ende der Fünf­zi­ger besaß noch nicht mal jeder zehn­te Haus­halt eine eige­ne Flim­mer­kis­te. Mit der euro­pa­wei­ten Über­tra­gung von Fuß­ball­spie­len, der Krö­nung der bri­ti­schen Mon­ar­chin Eli­sa­beth der Zwei­ten im Jah­re 1953 sowie des ita­lie­ni­schen San-Remo-Fes­ti­vals von 1955 hat­te die EBU ers­te prak­ti­sche Erfah­run­gen gesam­melt, nun soll­te eine jähr­lich aus­ge­tra­ge­ne TV-Show die Stel­lung des Fern­se­hens als Event­ma­cher ver­fes­ti­gen. Und ganz neben­bei die Men­schen des Viel­völ­ker­kon­ti­nen­tes kul­tu­rell ein­an­der ein biss­chen näher brin­gen, auf dass sie sich nach Mög­lich­keit künf­tig nicht mehr so oft gegen­sei­tig die Köp­fe einschlagen…

Tech­nisch haper­te es gele­gent­lich noch, doch Welt­hits brach­te der Grand Prix bereits her­vor! (IT 1958)

Dem Schwei­zer Fern­seh­ge­ne­ral­di­rek­tor Mar­cel Bezen­çon wird die Idee eines euro­pa­wei­ten Gesangs­wett­be­werbs nach dem Vor­bild des besag­ten San-Remo-Fes­ti­vals zuge­schrie­ben, bei dem nach offi­zi­el­ler Les­art Komponist:innen gegen­ein­an­der antre­ten, in Wahr­heit aber natür­lich unter dem noblen Deck­män­tel­chen der euro­päi­schen Eini­gung Sän­ge­rin­nen (sowie deut­lich weni­ger Sän­ger und – erst seit den Sieb­zi­gern – noch viel weni­ger Bands) um die Ehre des eige­nen Lan­des kämp­fen. Damit such­te man ab 1956 die ver­gnü­gungs­süch­ti­gen Zuschau­er­mas­sen aus den sei­ner­zeit in Sachen Frei­zeit­ge­stal­tung noch füh­ren­den Kino­sä­len zu locken und vor den hei­mi­schen Bild­schir­men zu ver­sam­meln, was zuneh­mend gelang. Aller­dings leg­ten die sich im Besitz eines geschmack­li­chen Erzie­hungs­auf­trags wäh­nen­den TV-Ver­ant­wort­li­chen der Grand-Prix-Grün­der­jah­re sehr viel Wert auf kul­tu­rell “anspruchs­vol­le” Kost. Was sich vor allem dahin­ge­hend über­setz­te, ame­ri­ka­ni­sche Pop-Ein­flüs­se mög­lichst außen vor zu las­sen. Nur Deutsch­land, bis heu­te das flei­ßigs­te Teil­neh­mer­land, hat­te das Memo wohl nicht erhal­ten und ent­sand­te zur Pre­miè­re im schwei­ze­ri­schen Tes­sin aus­ge­rech­net Fred­dy Quinn mit einer glas­kla­ren ‘Rock around the Clock’-Kopie. Neben einem ledig­lich “dis­kre­ten” Saal­applaus ern­te­te der Wie­ner See­mann in deut­schen Diens­ten ver­mut­lich indi­gnier­te Bli­cke und das Kopf­schüt­teln der ver­sam­mel­ten Juro­ren: die­ser Faux-pas soll­te sich so schnell nicht wiederholen!

Höhe­punkt der Aus­ge­las­sen­heit: die Bri­ten zei­gen uns den Vogel (UK 1959).

Und so bestand das Pro­gramm des Euro­vi­si­on Song Con­test in der ers­ten Deka­de haupt­säch­lich aus fran­ko­phi­len Bal­la­den, fest­li­chen Abend­ro­ben für die Damen und dem dunk­len Ein­heits­frack mit Flie­ge für die weni­gen Her­ren. Sowie einem unaus­ge­spro­che­nen, aber wei­test­ge­hend streng befolg­tem Tanz­ver­bot. Natür­lich kamen dabei Shows her­aus, die in ihrer staats­tra­gen­den Steif­heit nicht nur aus heu­ti­ger Sicht vor töd­li­cher Lan­ge­wei­le nur so strotz­ten, was viel­leicht kei­ner so tref­fend zusam­men­fass­te wie der Sie­ger­ti­tel von 1958, ‘Dors, mon Amour’ (‘Schlaf, mei­ne Gelieb­te’). Noch aber sen­de­ten die staat­li­chen Rund­funk­an­stal­ten ohne jeg­li­che pri­va­te Kon­kur­renz: selbst das von der CDU einst als deut­sches Kanz­ler­fern­se­hen gegrün­de­te ZDF ging erst 1963 auf Anten­ne. Dem­entspre­chend erreich­ten die weni­gen natio­na­len TV-Sta­tio­nen Ein­schalt­quo­ten, die heu­ti­gen Programmmacher:innen die Trä­nen des Nei­des in die Augen trei­ben. Bei der Punk­te­ver­ga­be hat­ten geschmack­lich erz­kon­ser­va­ti­ve Jurys das Zep­ter fest in der Hand, und ent­spre­chend fie­len die Ergeb­nis­se aus. Auf den Punkt brach­te das der Gewin­ner von 1966, Udo Jür­gens, der mit sei­nem ‘Mer­ci Ché­rie’ geschickt auf die fran­zö­si­sche Chan­son­kar­te setz­te: “Mer­ci, Jury” bedank­te er sich nach sei­nem Sieg schelmisch.

Con­chi­tas Vor­gän­ger: Udo Jür­gens mit sei­nem Raus­wurf an den One-Night-Stand (AT 1966).

Stand: 02.06.2021

Die ESC-Jahr­gän­ge 1956–1965

Logo des Eurovision Song Contest 1956
Euro­vi­si­on Song Con­test 1956
Logo des Eurovision Song Contest 1961
Euro­vi­si­on Song Con­test 1961
Logo des Eurovision Song Contest 1957
Euro­vi­si­on Song Con­test 1957
Logo des Eurovision Song Contest 1962
Euro­vi­si­on Song Con­test 1962
Logo des Eurovision Song Contest 1958
Euro­vi­si­on Song Con­test 1958
Logo des Eurovision Song Contest 1963
Euro­vi­si­on Song Con­test 1963
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Euro­vi­si­on Song Con­test 1959
Logo Eurovision Song Contest 1964
Euro­vi­si­on Song Con­test 1964
Logo des Eurovision Song Contest 1960
Euro­vi­si­on Song Con­test 1960
Logo des Eurovision Song Contest 1965
Euro­vi­si­on Song Con­test 1965

Die natio­na­len Vor­ent­schei­dun­gen 1956–1965

Land1956195719581959196019611962196319641965
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