Frankreich, in den Gründerjahren des Grand Prix Eurovision eine der häufigsten Siegernationen und im Hinblick auf die damalige durchgängige Bestückung des Wettbewerbs mit möglichst frankophil klingenden Chansons stilistisch tonangebend, neigte bei der Auswahl seiner Wettbewerbsbeiträge (wie auch heutzutage noch) mit nur wenigen Ausnahmen meist zum internen Verfahren. Und obwohl bei der Eurovisionspremiere von 1956 vonseiten der EBU ein nationaler Vorentscheid vorgeschrieben gewesen sein soll, bestimmte der gallische Sender seine beiden ersten Repräsentantinnen Dany Dauberson (†1979) und Mathé Altéry auf eben diese Weise. Die letztgenannte, in Paris geborene Operettensängerin fand sich ebenfalls im Teilnehmer:innenkreis des bizarren Vorentscheidungsverfahrens von 1957 wieder, das unter dem Motto Sept Villes, un Chanson (Sieben Städte, ein Lied) stand. Interessanterweise aber nicht, wie man erwarten könnte, aus sieben Vorrunden bestand, sondern lediglich aus deren sechs.
Drei der für das Vorentscheidungsfinale platzierten Lieder sind als Audiofile erhältlich (Playlist).
Ob man diese, wie das Motto suggeriert, tatsächlich in verschiedenen Städten organisierte, ist wie so vieles in der gallischen Grand-Prix-Geschichte ebenso wenig überliefert wie die Antwort auf die Frage, ob diese Vorrunden öffentlich stattfanden oder hinter verschlossenen Türen. Das erste Semi datiert jedenfalls vom 21. Dezember 1956, von seinen fünf Teilnehmer:innen erzielte die heute weithin unbekannte Jacqueline Roland mit dem Titel ‘Le petit Homme et la Noix’ mit 34 Punkten das überzeugendste Ergebnis aller Semifinalist:innen. Auf den zweiten Platz in dieser Runde kam ein Beitrag mit dem Titel ‘Il est là’: exakt so hieß dubioser Weise auch das Lied, welches die oben erwähnte Dany Dauberson bereits beim Eurovision Song Contest von 1956 gesungen hatte. Der Knüller: der kurzlebigen französischen Fan-Seite l’Eurovision au Quotidien zufolge habe es sich hierbei tatsächlich um gleichen Song gehandelt, der dann auch folgerichtig disqualifiziert worden sei!
Zu schade, um ihn nur einmal zu verwerten: der französische Beitrag von 1956, ‘Il est là’, angeblich beim Vorentscheid 1957 nochmals im Rennen.
Weitere Vorrunden folgten in zweiwöchigen (!) Abständen. An der vierten nahm die Sängerin Danièle Dupré (†2013) teil, die sich hier allerdings nicht durchsetzen konnte. Dennoch stand sie beim Grand Prix in Frankfurt am Main auf der Bühne: wenn schon nicht fürs Heimatland, dann eben als Vertreterin Luxemburgs – immerhin mit einem anderen Lied als dem in Frankreich vorgestellten ‘Le vieux Marin’. Das sechste und letzte Semi fand am 28. Februar 1957 statt, nur wenige Tage (!) vor dem europäischen Wettsingen also. An ihm nahmen (warum auch immer) sechs statt der üblichen fünf Sänger:innen teil, den ersten Platz teilten sich gleich zwei von ihnen punktgleich. Da es nun zeitlich ein ganz klein wenig pressierte, bestimmte eine Senderjury direkt im Anschluss aus allen sieben Vorrundengewinner:innen den Siegertitel. Die Wahl fiel (warum auch immer) auf das arg maue Chanson ‘La belle Amour’, einen Titel, wie er französischer nicht sein könnte.
Wie praktisch für die französischen Chansonetten, dass es beim Grand Prix noch Luxemburg und Monaco gab! Danièle Dupré, im Heimatland abgelehnt, wanderte 1957 eben virtuell ins Großherzogtum aus.
Das Lied hatte in seiner Vorrunde eigentlich die Mitte der Fünfziger kurzzeitig aktive Filmschauspielerin und Sängerin Josette Privat (ein Name wie ein schlechter Porno!) interpretiert. Allerdings tauschte der Sender sie (warum auch immer) für den internationalen Wettbewerb gegen die ebenfalls nicht gerade langfristig erfolgreiche Paule Desjardins aus. Eben jene Dame also, die L’Eurovision au Quotidien zufolge das disqualifizierte ‘Il est là’ in den Vorentscheid geschmuggelt hatte! Das Webarchiv ESC History benennt als Interpreten des umstrittenen Titels in der Vorrunde indes die Kapelle Les Blues Stars, was besonders bizarr erscheint, da die EBU offiziell erst 1971 Bands beim Wettbewerb zuließ. Gleichwohl findet sich mit Les Bass Harmonistes gleich ein weiteres Gesangsensemble im Line-up von Sept Villes, un Chanson: ganz offensichtlich scherte man sich in Paris also einen feuchten Kehricht um die internationalen Regeln. Bei all dem Chaos und trotz der extrem kurzen Vorbereitungszeit ersang Frau Desjardins in Frankfurt am Main dann die Silbermedaille: Chapeau, Madame!
Viel Rauch um Nichts: der französische Wettbewerbstitel, der klingt wie aus einem Disney-Streifen.
Vorentscheid FR 1957
Sept Villes, un Chanson. Donnerstag, 28. Februar 1957, aus Paris. Sieben Teilnehmer:innen (interne Juryauswahl aus sieben Vorrundensieger:innen).# | Interpreten | Songtitel | Platz |
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01 | Jacqueline Roland | Le petit Homme et la Noix | n.b. |
02 | John Littleton | Le Manteau de Laine | n.b. |
03 | Jean Bertola | C’est demain | n.b. |
04 | Jean Louis Tristan | Je m’ballade dans Paname | n.b. |
05 | Josette Privat | La belle Amour | 01 |
06 | Guy Sevrard | Quelqu’un viendra demain | n.b. |
07 | Lucien Lupi | La Reine du Port | n.b. |
Letzte Überarbeitung: 23.03.2020
Hier der erste NULLER der ESC-Geschichte; das herrlich atavistisch-hysterische Les aurochs (Die Auerochsen der Bass‘Harmonistes.
https://www.youtube.com/watch?v=bRAVYdezbrI
Bei der VE sind Sie tatsächlich barfuß und im Fell überaus tuntig herumgehüpft. Wenn auch ein gefährlicher Auerochse auf dem Weg ist ! Es existiert ein grandioser Ausschnitt bei den Plauderdänen auf Minute 1:37
https://www.youtube.com/watch?v=GD0o4aMDV4k
Es könnte sein, dass der gesamte Vorentscheid noch filmisch existiert. Das großartige “Le vieux marin” der Duprè im lasziven Schlabberpulli (anstelle dieser Langeweile, die sie für Luxemburg auf die Bühne bringen musste) oder die viel bessere tatsächlich überaus kokottige Fassung des französischen Beitrages von Josette Privat sind mir erinnerlich.
Mal sehen, wann das wieder auftaucht bzw. OGAE France es wieder freigibt Und es gibt durchaus noch ein paar weitere geheimnisvolle Interpreten: Einen komponierenden Modeschöpfer oder den “Jim” aus “Jules et Jim” von Francois Truffaut z.B.