Um Haaresbreite hätte er es nicht ins Vorentscheidungsfinale geschafft, der britische Eurovisionsvertreter von 1960, Bryan Johnson. Wie bereits im Vorjahr schaltete die BBC dem British Final auch heuer zwei Semis mit jeweils sechs Beiträgen vor, von denen jeweils die ersten drei weiterkamen. Johnsons am Ende siegreicher Uptempo-Song ‘Looking high, high, high’ (der im Lied auf die Titelzeile folgenden Ankündigung “I shall die, die, die” leistete der Sänger dann 35 Jahre später Folge) teilte sich in der zweiten Qualifikationsrunde nach dem regionalen Juryvoting noch punktgleich den dritten Rang mit dem seherisch benannten, zähen Balladenriemen ‘When the Tide turns’ der britischen Vorjahres-Repräsentanten Pearl Carr und Teddy Johnson, der sich musikalisch eher als Ebbe erweisen sollte denn als Flut. Da die BBC nicht auf einen Münzwurf zurückgreifen wollte, durften beide Acts ins Finale weiterziehen, wo der drei Jahre ältere Teddy (Gott sei Dank) gegen seinen jüngeren Bruder Bryan den Kürzeren zog. Immerhin blieb auf diese Weise die Eurovisionsrepräsentanz direkt in der Familie.
So sehr auf Droge (high, high, high) sah er jetzt nicht aus: Bryan Johnson.
Das unterlegene Schlagerpärchen hatte zudem im ersten Semi des diesjährigen britischen Vorentscheids mit dem ursprünglich für das aus zwei Schwägerinnen und dem Ehegemahl einer der beiden Damen bestehende Trio The Avons geschriebenen Song ‘Pickin’ Petals’ (nach dem Baumrindenritzen 1959 nun das Blütenzupfen: die Briten scheinen ein besonders sadistisches Verhältnis zu ihrer Flora zu hegen!) noch ein weiteres Eisen im Feuer gehabt, welches die Zwei kurzfristig übernahmen, nachdem der BBC beim Lesen der Contestregeln auffiel, dass die EBU seinerzeit ausschließlich Solist:innen und Duos beim Wettbewerb erlaubte. Immerhin einer aus dem Trio gelang später quasi doch noch eine Grand-Prix-Teilnahme: Valerie Avon schrieb den britischen Beitrag von 1974, ‘Long live Love’, für Olivia Newton-John. Seinen ersten, noch erfolglosen Versuch wagte heuer Ronnie Carroll, der das Königreich 1962 und 1963 vertreten sollte, und der mit dem nur 80 Sekunden dauernden (leider im Netz nicht verfügbaren) ‘Girl with a Curl’ sogar sein Semi gegen ‘Looking high, high, high’ gewann. Im Finale jedoch, wo alle Wettbewerbslieder in einer längeren Fassung vorgestellt wurden, unterlag er deutlich. Tja, meist liegt eben die Würze in der Kürze!
[embedyt] https://www.youtube.com/watch?v=V1H3ARYLnRo[/embedyt]
Was daran romantisch sein soll, unschuldigen Blumen ihre Blüten brutal abzureißen, erschließt sich mir nicht: The Avons.
Zur Abteilung “Wir waren mal Stars, die Karriere ist vorbei” zählte der Drittplatzierte Malcolm Vaughan, der in den Fünfzigern einige Verkaufserfolge mit Coverversionen amerikanischer Schmachtballaden erzielen konnte. In diese Kategorie der mittlerweile weitestgehend obsoleten Songsülze fiel auch sein Beitrag ‘Each Day’. Aufgrund ausbleibender Plattenverkäufe kehrte Vaughan wieder auf die Theater- und Musicalbühnen zurück. Später erkrankte er an Alzheimer und segnete 2010 im Alter von 80 Jahren das Zeitliche. Deutlich kürzer sollte der Silbermedaillist dieser Vorauswahl, David Hughes (bürgerlich: Geoffrey Paddison) unter uns verweilen. Dessen einziger Hit ‘By the Fountains of Rome’ lag zum Zeitpunkt seiner Teilnahme bereits vier Jahre zurück. Als auch sein Beitrag ‘Mi Amor’ floppte, wandte er sich der Oper zu, wo er unter anderem die Rolle des Lieutenant Pinkerton in Madame Butterfly sang. Nachdem er bereits 1962 einen ersten Herzinfarkt überlebte, schrägte es ihn zehn Jahre später bei einem Bühnenauftritt in eben dieser Rolle, wobei er der Sage nach darauf bestanden habe, trotz eines Zusammenbruchs noch bis zur Schlussszene durchzuhalten. “Ich habe sie nicht enttäuscht, oder?” soll er noch im Notarztwagen gefragt haben. Er starb am nächsten Tag im Alter von 47 Jahren im Krankenhaus.
“I give it to you straight”: in diesem – natürlich nicht zum Vorentscheid entsandten – Nummer-Eins-Hit von 1960 (Repertoirebeispiel) machte Cliff Richard Versprechen, die er nicht halten kann. Zur Eurovision durfte er erst, als sein Repertoire schlagerhafter wurde.
Bryan Johnson hingegen knackte mit seinem ebenfalls nicht unbedingt die Speerspitze des zeitgenössischen Pop-Geschehens repräsentierenden ESC-Song immerhin noch die britischen Top 20. Weitere Hits blieben jedoch aus. Er fand sein Auskommen dann ebenfalls als Theaterschauspieler und Musicaldarsteller.
Vorentscheid UK 1960
Eurovision Song Contest, British Final. Samstag, 6. Februar 1960, aus dem TV-Studio der BBC in London. Sieben Teilnehmer:innen. Moderation: Pete Murray. Sieben regionale Jurys.# | Interpreten | Songtitel | Platz |
---|---|---|---|
01 | Pearl Carr + Teddy Johnson | When the Tide turns | n.b. |
02 | Ronnie Carroll | Girl with a Curl | n.b. |
03 | Malcolm Vaughan | Each Tomorrow | 03 |
04 | David Hughes | Mi Amor | 02 |
05 | Lita Roza | Unexpectedly | n.b. |
06 | Bryan Johnson | Looking high, high, high | 01 |
07 | Dennis Lotis | Love me a little | n.b. |
Letzte Überarbeitung: 06.06.2021