Eurovi­isukar­sin­ta 1961: Tau­send Fenster

Gleich drei beim Euro­vi­si­on Song Con­test Zeit ihres Bestehens meist mas­siv unter­be­wer­te­te Län­der mel­de­ten sich im Jah­re 1961 erst­mals zum euro­päi­schen Wett­sin­gen an: die dama­li­ge rech­te Dik­ta­tur Spa­ni­en unter dem Faschis­ten Fran­co sowie das sei­ner­zeit noch unter der Knu­te des Sozia­lis­ten Tito zwangs­ver­ein­te Jugo­sla­wi­en, bei­des belieb­te Urlaubs­de­sti­na­tio­nen der Deut­schen. Und das block­freie Finn­land, sowohl geo­gra­fisch wie kul­tu­rell der Puf­fer zwi­schen der skan­di­na­vi­schen Halb­in­sel und der dama­li­gen UdSSR. Des­sen Sen­der YLE hat­te im Jahr zuvor den inter­na­tio­na­len Wett­be­werb zum ers­ten Mal im Fern­se­hen über­tra­gen und dem hei­mi­schen Publi­kum gefiel, was es sah. Die damals im Lan­de sehr popu­lä­re Schla­ger­sän­ge­rin Lai­la Kinn­unen cover­te gar die bei­den Grand-Prix-Titel ‘Tom Pil­li­bi’ und ‘Roman­ti­ca’ und hat­te damit zu Hau­se Erfolg. Sie gehör­te selbst­re­dend zu den vier hand­ver­le­se­nen Interpret:innen, die beim hei­mi­schen Vor­ent­scheid Suo­men Eurovi­isukar­sin­ta zunächst im Radio jeweils zwei Titel vor­stel­len durf­ten, von denen jeweils einer ins TV-Fina­le wei­ter­kam, wel­ches in der Työ­vä­en­o­pis­to statt­fand, der Hal­le der Arbei­ter. Wie kommunistisch!

Frau Kinn­unen mit der fin­ni­schen Ein­spie­lung des schmalz­trie­fen­den ita­lie­ni­schen Euro­vi­si­ons­schmacht­fet­zens von 1960, der durch die völ­lig unro­man­ti­sche Spra­che einen herr­lich iro­ni­schen Biss erhält.

Eine neun­köp­fi­ge Jury ernann­te die als Lau­ra Annik­ki gebo­re­ne Lai­la sogar zur Sie­ge­rin, aller­dings auf­grund der hier­für erfor­der­li­chen aus­führ­li­chen Bera­tun­gen (man hat­te schließ­lich eine staats­tra­gen­de Auf­ga­be zu erfül­len!) nicht mehr in der lau­fen­den Sen­dung selbst, son­dern erst in den TV-Nach­rich­ten am nächs­ten Tag. Das bestür­zend melan­cho­li­sche ‘Valoa Ikkunas­sa’, das vom ‘Licht im Fens­ter’ erzählt, wel­ches die Wit­we eines ver­schol­le­nen See­fah­rers des Näch­tens bren­nen lässt, auf dass die See­le ihres Liebs­ten doch noch irgend­wann nach Hau­se fin­den möge, genießt heu­te völ­lig zu Recht Kult­sta­tus im Land. Bestür­zend lei­der auch die Geschich­te der Inter­pre­tin: nach­dem ihr kom­mer­zi­el­ler Erfolg in den Sieb­zi­gern nach­ließ und ein Come­back­ver­such Anfang der Acht­zi­ger schei­ter­te, fiel sie der Trunk­sucht anheim und ver­starb 2000 im Alter von nur 61 Jah­ren an den Fol­gen. Einen klei­nen Miss­klang gab es um den Titel ‘Puut­tu­va leh­ti’ (laut Goog­le-Über­set­zung: ‘Feh­len­des Jour­nal’), einem pos­sier­li­chen Cha-Cha-Cha, den in der Radio­vor­run­de die Jazz-Inter­pre­tin Bri­ta Koivu­nen sang: die wur­de für das TV-Fina­le durch die weit­hin unbe­kann­te Chris­ti­na Hell­man ersetzt. War­um? Weiß niemand.

Je t’ai­me, Mélan­co­lie: Lai­la mit dem ers­ten fin­ni­schen Euro­vi­si­ons­bei­trag, der einen sehr leicht in den Schlaf lul­len kann. Außer, man kennt die Text­über­set­zung. Dann berührt er die See­le und öff­net die trä­nen­um­ne­bel­ten Schleu­sen der Empathie. 

Ein sehr dezent fran­ko­phil ange­hauch­tes Chan­son bot Rit­va Mus­to­nen mit dem Titel ‘Port­inv­ar­ti­ja’ an, den sie aller­dings nie auf Plat­te auf­nahm. Und ja, ganz recht: eine Con­cier­ge oder Por­tiers­frau wur­de hier zu schun­ke­li­gen Akkor­de­on­klän­gen besun­gen! Der Bei­trag von Kai Lind beschäf­tig­te sich hin­ge­gen eben­so wie der Sie­ger­song mit dem Blick nach drau­ßen: ‘Pik­ku Ikku­na’ oder ‘Klei­nes Fens­ter’ hieß das Stück. Dass die YLE-Aus­wahl­ju­ry unter den auf eine öffent­li­che Aus­schrei­bung hin ein­ge­reich­ten 280 Lie­dern gleich zwei aus­such­te, die sich mit dem ver­glas­ten Loch in der Wand beschäf­ti­gen, kann kein Zufall sein: woll­te das geo­gra­fisch wie kul­tu­rell ein wenig rand­stän­di­ge Land mit sei­ner Euro­vi­si­ons­teil­nah­me doch im über­tra­ge­nen Sin­ne das Fens­ter zur Welt auf­sto­ßen, um sich zu delek­tie­ren an den musi­ka­li­schen Genüs­sen ande­rer Natio­nen und um ihre eige­nen, so rei­chen künst­le­ri­schen Gaben ins Schau­fens­ter zu stel­len. Ein Ange­bot, von dem das igno­ran­te Rest­eu­ro­pa bedau­er­li­cher­wei­se nur sehr zöger­lich Gebrauch machen sollte.

Die Audio-Play­list mit sechs der (mit­samt Vor­run­de) acht Bei­trä­gem des ers­ten fin­ni­schen Vorentscheids.

Vor­ent­scheid FI 1961

Suo­men Eurovi­isukar­sin­ta. Sonn­tag, 12. Febru­ar 1961, aus dem Työ­vä­en­o­pis­to in Hel­sin­ki. Vier Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Aar­no Walli.
#Inter­pre­tenSong­ti­telPlatz
01Rit­va MustonenPort­inv­ar­ti­ja3
02Lai­la KinnunenValoa Ikkunas­sa1
03Kai LindPik­ku Ikkuna4
04Chris­ti­na HellmanPuut­tu­va lehti2

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 06.06.2021

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