Fran­zö­si­scher Vor­ent­scheid 1961: Oh, wär der Win­ter erst vorbei

Wie schon beim schwe­di­schen Melo­di­fes­ti­valen beherrsch­te auch in Frank­reich das immer­grü­ne The­ma “Früh­ling” den Vor­ent­scheid von 1961. Was läge schließ­lich näher im Febru­ar, wo die Sélec­tion Fran­çai­se pour le Grand Prix de l’Eu­ro­vi­si­on de la Chan­son statt­fand, und wo ein jeder Mensch schon längst den zu die­sem Zeit­punkt noch immer mit bru­ta­ler Här­te regie­ren­den, schein­bar end­lo­sen, depri­mie­ren­den, schreck­li­chen Win­ter über hat? Wo man also mit täg­lich wach­sen­der Unge­duld und mit jeder ein­zel­nen Faser sei­nes Seins die ers­ten Boten des bal­di­gen Len­zes her­bei­sehnt? So tru­gen gleich zwei der sechs für das im Fern­se­hen aus­ge­strahl­te Vor­ent­schei­dungs­fi­na­le aus­ge­wähl­ten Bei­trä­ge den Früh­ling im Titel. Und selbst­re­dend hieß, wie zu erwar­ten, einer der bei­den Lie­der ‘Prin­temps de Paris’. Wie es sich für die erwähn­te Welt­me­tro­po­le und das dort zele­brier­te Lais­sez-fai­re geziemt, schlen­der­te sei­ne Inter­pre­tin Sophie Darel beim TV-Liveauf­ritt der­ar­tig ent­spannt auf die Büh­ne und in Rich­tung des dort in eini­ger Ent­fer­nung ihrer Ankunft har­ren­den Mikro­fons, dass sie ihre ers­te Lied­zei­le ver­pass­te. Parb­leu! Die gro­ße Nina Hagen soll­te übri­gens das The­ma Jahr­zehn­te spä­ter mit ‘Früh­ling in Paris’ musi­ka­lisch deut­lich kna­cki­ger umset­zen.

Ein Akkor­de­on­wal­zer mit “Paris” im Titel. Fran­zö­si­scher geht es nun wirk­lich nicht!

Denn nicht nur ‘Prin­temps de Paris’ hin­ter­ließ den Ein­druck einer all­ge­mei­nen Ziel- und Melo­dien­lo­sig­keit, son­dern auch die rest­li­chen Bei­trä­ge die­ses Abends. Die optisch aus­ge­spro­chen anmu­ti­ge frü­he­re Leis­tungs­tur­ne­rin Thé­rè­se Coque­rel­le, Grand-Prix-Fans eher bekannt unter ihrem Künst­le­rin­nen­na­men Isa­bel­le Aubret, prä­sen­tier­te bei­spiels­wei­se ein musi­ka­lisch arg unent­schie­den vor sich hin mäan­dern­des, aus meh­re­ren ange­fan­ge­nen, aber nicht zu Ende geführ­ten Ideen zusam­men­ge­klöp­pel­tes Chan­son, des­sen ent­schlos­se­ne Unbe­stimmt­heit sich auch im Song­ti­tel äußer­te: ‘Le Gars de n’im­por­te où’ (‘Die Jungs von egal woher’). Aubret ver­öf­fent­lich­te das Lied – ohne kom­mer­zi­el­len Erfolg – anschlie­ßend auf einer EP mit drei wei­te­ren Songs, dar­un­ter einer Cover­ver­si­on des dies­jäh­ri­gen luxem­bur­gi­schen Grand-Prix-Sie­ger­ti­tels ‘Nous, les Amou­reux’. Dane­ben fan­den noch zwei Kon­kur­renz­lie­der Platz, so das im Vor­ent­scheid zweit­plat­zier­te ‘Les Mou­et­tes’ (‘Die Möven’), im Ori­gi­nal inter­pre­tiert von dem Chan­son­nier Ber­nard Sté­pha­ne, der ein biss­chen so aus­sah wie Georg W. Bush mit Simone-Thomalla-Duckface-Lippen.

Eine gold­far­be­ne Ret­tungs­de­cke, der Ver­weis, dass es kei­ne Rol­le spie­le, wo ihre Jungs her­kom­men: ging Isa­bel­le hier 57 Jah­re zuvor bereits in Vor­leis­tung für Madame Mon­sieur (FR 2018)?

Madame Aubrets wei­te­re, eng mit dem Grand Prix Euro­vi­si­on ver­floch­te­ne Kar­rie­re gestal­te­te sich eben­so inter­es­sant wie abwechs­lungs­reich in ihren Höhen und Tie­fen. Ihr Euro­vi­si­ons­sieg im fol­gen­den Jahr öff­ne­te ihr Türen und ließ nam­haf­te Kom­po­nis­ten wie Jac­ques Brel auf sie auf­merk­sam wer­den, in des­sen Vor­pro­gramm sie unter ande­rem auf­trat. 1963 war sie für die Haupt­rol­le im Kino­film ‘Die Regen­schir­me von Char­bourg’ vor­ge­se­hen, einem von Kri­ti­kern inter­na­tio­nal hoch­ge­lob­ten Art­house-Musi­cal mit aus­schließ­lich gesun­ge­nen Dia­lo­gen, das aber statt ihrer Cathé­ri­ne Deneuve zum Durch­bruch ver­hel­fen soll­te, denn ein schwe­rer Auto­un­fall setz­te Isa­bel­le außer Gefecht. Nach lan­ger Rekon­va­les­zenz trat sie 1968 noch­mals für Frank­reich beim Euro­vi­si­on Song Con­test an und ersang einen respek­ta­blen drit­ten Platz. Es folg­ten natio­na­le Hits und inter­na­tio­na­le Tour­neen sowie wei­te­re, aller­dings erfolg­lo­se Bewer­bun­gen beim gal­li­schen Vor­ent­scheid, zuletzt im Jah­re 1983 mit dem Lied ‘France, France’. Zwei Jah­re zuvor brach sie sich bei einer miss­glück­ten Varie­té-Num­mer am Tra­pez bei­de Bei­ne. 1992 zeich­ne­te sie der dama­li­ge Prä­si­dent Fran­çois Mit­te­rand mit dem Orden der Ehren­le­gi­on, dem fran­zö­si­schen Ver­dienst­kreuz aus. Aubret tourt noch heute.

Konn­te mit sei­nem Lied die kack­dreis­ten Raub­vö­gel sicher­lich pro­blem­los in die Flucht sin­gen: Ber­nard Stéphane.

Das letz­te der vier Lie­der auf Isa­bel­les EP soll­te der Sie­ger­ti­tel die­ses Vor­ent­scheids ein. Das fran­zö­si­sche Fern­se­hen ließ dies­mal die Jury außen vor und statt­des­sen in einer zeit­ge­mä­ßen Früh­va­ri­an­te des Tele­vo­tings abstim­men, wie es auch beim nie­der­län­di­schen Vor­ent­scheid gele­gent­lich zum Ein­satz kam: in elf Städ­ten rief der Sen­der wäh­rend der Sen­dung vor­her aus­ge­wähl­te Zuschauer:innen an und frag­te sie nach ihrer Mei­nung. So gewann, wenig über­ra­schend, der Song ‘Prin­temps (Avril caril­lo­ne)’ (‘Früh­ling [der April pul­siert]’), der, dem Leit­the­ma des Abends fol­gend, vom sprung­haf­ten Erwa­chen der Libi­do im Lenz erzähl­te und hier­für die laut­ma­le­ri­sche Anfangs­zei­le “Bing et bong et bing et bong” wähl­te. Kein Klein­od der Text­dich­tung für­wahr, aber zumin­dest in Maßen ein­präg­sam und erhei­ternd, was man vom rest­li­chen Musik­ta­bleau die­ses Vor­ent­scheids nicht sagen kann. Wenig hei­ter hin­ge­gen das Schick­sal des Inter­pre­ten Jean-Paul Mau­ric, wel­cher kein Dez­en­ni­um spä­ter im Alter von nur 37 Jah­ren an einer Herz­mus­kel­er­kran­kung ver­starb. Die süd­fran­zö­si­sche Gemein­de La Crau bei Mar­seil­le benann­te ein ört­li­ches Kul­tur­zen­trum in sei­nem Ange­den­ken nach ihm.

Gibt mimisch und dar­stel­le­risch alles: Jean Paul Mauric.

Vor­ent­scheid FR 1961

Sélec­tion Fran­çai­se pour le Grand Prix de l’Eurovision de la Chan­son. Sams­tag, 18. Febru­ar 1961. Sechs Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Jac­que­line Jou­bert und Mar­cel Cravenne.
#Interpret:inTitelPunk­tePlatz
01Chris­tia­ne LasquinToi pour moi, moi pour toi0575
02Isa­bel­le AubretLe Gars de n’im­por­te où1003
03Ara­bel­leUn petit brin de Musette0316
04Sophie DarelPrin­temps de Paris0904
05Jean-Paul Mau­ricPrin­temps (Avril cavrillonne)2121
06Ber­nard StephaneLes Mou­et­tes1092

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 28.09.2020.

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