Viel Geld und technisches Know-How hatte die Regierung der USA nach dem Zweiten Weltkrieg den staatlichen westeuropäischen Sendeanstalten zukommen lassen, um sie für die Propagandaschlacht im nachfolgenden Kalten Krieg gegen den feindlichen kommunistischen Osten zu rüsten. Auch der Eurovision Song Contest sollte nach den Vorstellungen des hierbei federführenden US-Geheimdienstes dem kulturellen Aneinanderrücken der “freiheitlichen” (lies: kapitalistischen) Staaten dienen und mit seinem (zumindest nach dem eigeneb Empfinden) glamourösen und unterhaltsamen Programm, welches man, soweit es die Antennen zuließen, gerne auch ins sozialistische Ausland ausstrahlte, um dort Neid und Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu schüren, die klare Überlegenheit des Westens in Sachen Pop demonstrieren. Dies jedenfalls ist der entweder sehr subtil ironische oder aber ziemlich paternalistische Unterton einer britischen ESC-Dokumentation aus dem Jahre 2010 mit dem Titel ‘The Secret History of Eurovision’, die dem gerade in den Anfangsjahren doch sehr steifen europäischen Wettsingen eine kulturelle Strahlkraft zuschreibt, über die man durchaus geteilter Meinung sein kann.
https://youtu.be/1RbWCkW9Pow
“Das sind Bauern”: westliche Vorurteile gegen Osteuropa feiern in dieser Doku fröhliche Urständ.
Das 1945 in Nachfolge des untergegangenen südslawischen Königreichs in Form eines föderativen Bundesstaates gegründete “zweite” Jugoslawien, als sozialistische Gebietskörperschaft aus Sicht der BRD-Bevölkerung mental deutlich jenseits des Eisernen Vorhangs gelegen, als blockfreies Land de facto jedoch kein assimilierter Teil des kommunistischen Sowjetreichs, ging den umgekehrten Weg und unterwanderte den Kapitalismus, in dem es zum einen zahlungskräftige westliche Touristen hereinließ und zum anderen ab 1961 selbst an eben jenem Grand Prix Eurovision teilnahm. Bis zu acht regionale Landesrundfunkanstalten Jugoslawiens – nämlich TV Zagreb (Kroatien), TV Beograd (Serbien), TV Ljubljana (Slowenien), TV Skopje (Mazedonien), TV Sarajewo (Bosnien-Herzegowina), TV Titograd (Montenegro), TV Priština (Kosovo) und TV Novi Sad (Vojvodina) – entsandten Beiträge zur und wechselten sich ab in der Organisation der in den Anfangsjahren noch wenig beachteten, sich im Laufe der Zeit aber rasch als immer einschaltquotenträchtiger erweisenden Vorentscheidung, die etablierte Stars aus dem Balkan anzog und bei der langanhaltende Karrieren ihren Ausgangspunkt fanden.
Gabi Novak mit dem Titel ‘Plave Daljine’ aus dem jugoslawischen Schlagerfilm ‘Bolje je umeti’ von 1960. Ihre Kollegin Lola Novaković coverte ein Jahr später diesen Superschnarchsong – und landete damit auf dem dritten Platz im Eurovisionsvorentscheid!
Die allererste Jugovizija (die bis zum blutigen Auseinanderbrechen des Völkerbundes Anfang der Neunziger strenggenommen nie so hieß: das Label tauchte erstmalig 1987 in einer TV-Parodie auf und geriet erst in der Retrospektive zum Sammelbegriff für die Vorentscheidungen YUs) fand in Ljubljana statt. Drei Landessender beteiligten sich, nämlich der serbische, der kroatische und natürlich der ausrichtende slowenische; insgesamt neun Acts gingen an den Start. Nur der Siegersong lässt sich heute als Bewegtbild im Netz zu finden, vom Rest immerhin ein großer Teil als Audio. Bis auf das possierliche ‘Obećaj mi to’ des Schlagerduos Hani ist allerdings nichts Anhörbares darunter. Der aus internationaler Sicht prominenteste Künstler war der kroatische Schlagersänger Ivo Robić (†2000), der zwei Jahre zuvor mit der in mehreren Sprachversionen eingesungenen Schnulze ‘Morgen’ einen einen echten Welterfolg erzielte (Platz 2 in den deutschen Charts, #13 in den USA, #23 in Großbritannien) und zum Zeitpunkt seiner Jugovizija-Teilnahme in Deutschland gerade einen Nummer-Eins-Hit mit dem Drifters-Cover ‘Mit 17 fängt das Leben erst an’ hatte, der Germanifizierung von ‘Save the last Dance for me’.
Die Playlist mit sechs der neun Vorentscheidungstitel, leider nur als Audioversion.
Zu den in Jugoslawien etablierten Namen dieser Zeit, die uns auch in den folgenden Jahren immer wieder begegnen sollten, zählten die kroatische Jazz- und Schlagersängerin Gabi Novak, der auch in der Sowjetunion erfolgreiche Serbe Đorđe Marjanović und die 2016 verstorbene serbische Schauspielerin und Sängerin Lola Novaković, die den Staatenbund 1962 vertreten sollte (und hier pikanterweise mit einer Coverversion eines Gabi-Novak-Songs aus dem Vorjahr antrat!). Auch den diesjährigen Sieg trug eine Serbin davon, nämlich die bis dahin wenig bekannte und seit den Achtzigern wieder von der Bildfläche verschwundene Ljiljana Petrović, die mit der sehr getragenen, um nicht zu sagen: zähen Ballade ‘Neke davne Zvezde’ (‘Zwei kleine Sterne’) beim Hauptwettbewerb in Cannes leider nur eine weitere musikalische Schlaftablette zu dem ohnehin bereits zum Wegdämmern öden Programm beisteuerte und somit nicht über einen unteren Mittelfeldplatz hinaus kam. Woran sich so schnell nichts ändern sollte: die (meist aufgrund der kulturellen Ignoranz der westeuropäischen Juror:innen) durchweg mäßigen Wettbewerbsergebnisse Jugoslawiens verbesserten sich erst in den Achtzigern, als man aus purer Verzweiflung zum Mittel der musikalischen Assimilation griff und sich bei westeuropäischen Sounds der Sechziger bediente.
Auch 36 Jahre später noch zum Einschlafen: Ljiljana Petrović.
Vorentscheid YU 1961
Jugovizija. Donnerstag, 16. Februar 1961, aus dem Dramatischen Nationaltheater in Ljubljana (heutiges Slowenien). Neun Teilnehmer:innen. Moderation: Milanka Bavcon. Acht regionale Jurys.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Ljiljana Petrović | Neke davne Zvezde | 19 | 01 |
02 | Marjana Deržaj + Stane Mancini | Kako sva si različna | 06 | 05 |
03 | Jelka Cvetezar | Črni Klavir | 03 | 09 |
04 | Ivo Robic | Pjesma o životu | 11 | 03 |
05 | Gabi Novak | Drage misli | 17 | 02 |
06 | Lola Novaković | Plave daljine | 09 | 04 |
07 | Anica Zubović | Sreća | 04 | 08 |
08 | Đorđe Marjanović | Reč il´ dve | 05 | 07 |
09 | Duo Hani | Obećaj mi to | 06 | 05 |
Letzte Aktualisierung: 27.09.2021