Öster­rei­chi­scher Vor­ent­scheid 1962: Die dring­lichs­ten Sehn­süch­te der Eleo­no­re Schwarz

Nicht 1981, wie weit­hin ange­nom­men, son­dern bereits knapp zwei Jahr­zehn­te eher fand die ers­te öffent­li­che Grand-Prix-Vor­ent­schei­dung Öster­reichs statt. Dar­auf mach­te mich vor Kur­zem mein Leser Zwelf­bungt auf­merk­sam: herz­li­chen Dank! Sti­lis­tisch such­te die Donau­re­pu­blik auch im sechs­ten Jahr ihrer Euro­vi­si­ons­teil­nah­me noch immer nach einem Erfolg ver­hei­ßen­den Rezept. Dies­mal hef­te­te man sich an die nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs wie­der erstark­te Popu­la­ri­tät des Wie­ner­lie­des, der seit Mit­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts ent­stan­de­nen Kunst­form des ger­ne von schluch­zen­den Schram­meln beglei­te­ten, oft sen­ti­men­ta­len und stets im Dia­lekt prä­sen­tier­ten Haupt­stadt­songs “aus, über und für Wien”, dem der gro­ße Georg Kreis­ler (‘Wie schön wäre Wien ohne Wie­ner’) bereits 1957 mit der herr­lich zyni­schen Par­odie ‘Tau­ben­ver­gif­ten’ ein sati­ri­sches Denk­mal gesetzt hatte.

Kann nur in Wien spie­len: die fie­se Vari­an­te des Rentnerhobbys.

Jeg­li­che Form der Iro­nie kam indes für den ver­ant­wort­li­chen ORF für den inter­na­tio­na­len Wett­be­werb natür­lich nicht in Fra­ge. Viel­mehr kann man sich des Ein­drucks nicht erweh­ren, die fünf in der Show-Sen­de­rei­he Der bun­te Schirm vor­ge­stell­ten, groß­teils ver­schol­le­nen Lie­der sei­en samt und son­ders vom Wie­ner Frem­den­ver­kehrs­bü­ro bei­gesteu­ert, lasen sie sich bereits im Titel doch eines wie das ande­re als unver­hoh­le­ne Lob­prei­sung der Donau­me­tro­po­le und als unmiss­ver­ständ­li­che Wer­be­bot­schaft für geneig­te Tourist:innen. ‘In Wien ist ein Jeder sofort ver­liebt’ behaup­te­te bei­spiels­wei­se die als Ernes­ti­ne Geis­bieg­ler in der Haupt­stadt gebür­ti­ge Erni Bie­ler (†2002). Die in den Fünf­zi­gern mäßig erfolg­rei­che Schla­ger­sän­ge­rin kann zwei wei­te­re Grand-Prix-Berüh­rungs­punk­te vor­wei­sen: 1956 cover­te sie den ita­lie­ni­schen Bei­trag ‘Aprite le Fine­st­re’ als ‘Drei jun­ge Musi­kan­ten aus Tos­ka­na’, 1958 nahm sie am deut­schen Vor­ent­scheid teil. Daheim nun reich­te es heu­er für den zwei­ten Rang.

Eine super­flui­de Ein­deut­schung: da atmet das ESC-Ori­gi­nal doch deut­lich mehr Charme und Esprit.

Gleich vier der fünf Bei­trä­ge führ­ten den Namen der selbst­er­nann­ten “Welt­haupt­stadt der Musik” im Titel (‘Von Wien erzäh­len die Lie­der’, ‘Wie ein Geheim­nis ist Wie­ner Musik’). Ein­zig der vor allem als Zau­ber­künst­ler tätig gewe­se­ne Peter Stock­ham­mer ali­as Peter Heinz Kers­ten (†2004), wie Kon­kur­ren­tin Bie­ler ein Haupt­stadt­kind, tanz­te ein wenig aus der Rei­he. Aller­dings wirk­lich nur mar­gi­nal: sein ‘Café in der Pra­ter­al­lee’, der ein­zi­ge der fünf Auf­trit­te, der auf You­tube zu fin­den ist, ver­or­te­te sich sicher­heits­hal­ber direkt in der Nähe des popu­lärs­ten Wie­ner Wahr­zei­chens, des durch den Kino-Kas­sen­schla­ger Der drit­te Mann welt­weit bekann­ten Rie­sen­rads auf dem dau­er­haft instal­lier­ten Ver­gnü­gungs­park der Stadt, dem Pra­ter. Half nichts: er schaff­te es in der allei­ne durch eine Jury ver­ant­wor­te­ten Wer­tung noch nicht mal unter die ers­ten Zwei.

Die klei­ne Knei­pe in unse­rer Stra­ße muss in Wien natür­lich ein Café am Pra­ter sein.

Mit kla­rem Punk­te­ab­stand obsieg­te das so gar nicht wie­ner­lied­haf­te, son­dern eher der Ope­ret­te zuge­neig­te ‘Nur in der Wie­ner Luft’, das vom Wal­zer über Johann Strauß, dem Ste­phans­dom, der Staats­oper und dem Burg­thea­ter bis hin zu den berühmt-berüch­tig­ten “Back­hendln” (Älte­re erin­nern sich an die­ser Stel­le viel­leicht noch an die gleich mehr­fach in Insol­venz gegan­ge­ne, mono­the­ma­ti­sche Schnell­re­stau­rant­ket­te Wie­ner­wald) nun wirk­lich abso­lut jedes ein­zel­ne Wien­kli­schee ver­wurs­te­te, und dies völ­lig uniro­nisch. Der Inter­pre­tin Eleo­no­re Schwarz kam die frag­wür­di­ge Ehre zuteil, damit beim Euro­vi­si­on Song Con­test in Luxem­burg das ers­te Null-Punk­te-Resul­tat für ihr Hei­mat­land zu erkrei­schen. Bis in die Sieb­zi­ger­jah­re hin­ein noch als Ope­ret­ten­sän­ge­rin an der Wie­ner Volks­oper tätig, ist Frau Schwarz seit­her spur­los vom Erd­bo­den ver­schwun­den: selbst ein groß ange­leg­ter Such­auf­ruf des abso­lut emp­feh­lens­wer­ten, in sei­ner empa­thi­schen Warm­her­zig­keit irgend­wie ziem­lich Wien-unty­pi­schen Grand-Prix-Pod­casts Mer­ci, Ché­rie der bei­den her­aus­ra­gen­den Bart­trä­ger Mar­co Schreu­der und Alkis Vlas­s­aka­kis konn­te kein Licht mehr ins Dun­kel bringen.

Über Man­ches brei­tet man auch bes­ser den Man­tel des Ver­ges­sen: die Schwarz in Luxemburg.

Lus­ti­ges Detail am Ran­de: ein vie­le Jah­re spä­ter als Abschluss­ar­beit an der Köl­ner Kunst­hoch­schu­le gedreh­ter Kurz­film namens Die dring­lichs­ten Sehn­süch­te der Eleo­no­re Schwarz han­delt zwar ent­täu­schen­der­wei­se nicht von der öster­rei­chi­schen Null-Punk­te-Diva, weist aber den­noch einen deut­li­chen Grand-Prix-Bezug auf: Jen­ny Jür­gens, ihres Zei­chens Toch­ter des Aus­tria-ESC-Sie­gers Udo Jür­gens und Mode­ra­to­rin des deut­schen Vor­ent­scheids von 1988, mimt dar­in die titel­ge­ben­de, ver­bit­ter­te alte Schauspielschachtel.

Vor­ent­scheid AT 1962

Der bun­te Schirm. Aus dem ORF-Sen­de­stu­dio in Wien. 5 Teilnehmer:innen. 100% Jury.
#Interpret:inSong­ti­telJuryPlatz
01Peter Heinz KerstenDas klei­ne Café in der Prateralleen.b.n.b.
02Cora Vere­naVon Wien erzäh­len die Liedern.b.n.b.
03Erni Bie­lerIn Wien ist ein Jeder sofort verliebt04102
04Hel­mut WallnerWie ein Geheim­nis ist Wie­ner Musikn.b.n.b.
05Eleo­no­re SchwarzNur in der Wie­ner Luft05201

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 18.09.2023

Öster­reich 1981 >

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