Nicht 1981, wie weithin angenommen, sondern bereits knapp zwei Jahrzehnte eher fand die erste öffentliche Grand-Prix-Vorentscheidung Österreichs statt. Darauf machte mich vor Kurzem mein Leser Zwelfbungt aufmerksam: herzlichen Dank! Stilistisch suchte die Donaurepublik auch im sechsten Jahr ihrer Eurovisionsteilnahme noch immer nach einem Erfolg verheißenden Rezept. Diesmal heftete man sich an die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder erstarkte Popularität des Wienerliedes, der seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entstandenen Kunstform des gerne von schluchzenden Schrammeln begleiteten, oft sentimentalen und stets im Dialekt präsentierten Hauptstadtsongs “aus, über und für Wien”, dem der große Georg Kreisler (‘Wie schön wäre Wien ohne Wiener’) bereits 1957 mit der herrlich zynischen Parodie ‘Taubenvergiften’ ein satirisches Denkmal gesetzt hatte.
Kann nur in Wien spielen: die fiese Variante des Rentnerhobbys.
Jegliche Form der Ironie kam indes für den verantwortlichen ORF für den internationalen Wettbewerb natürlich nicht in Frage. Vielmehr kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die fünf in der Show-Sendereihe Der bunte Schirm vorgestellten, großteils verschollenen Lieder seien samt und sonders vom Wiener Fremdenverkehrsbüro beigesteuert, lasen sie sich bereits im Titel doch eines wie das andere als unverhohlene Lobpreisung der Donaumetropole und als unmissverständliche Werbebotschaft für geneigte Tourist:innen. ‘In Wien ist ein Jeder sofort verliebt’ behauptete beispielsweise die als Ernestine Geisbiegler in der Hauptstadt gebürtige Erni Bieler (†2002). Die in den Fünfzigern mäßig erfolgreiche Schlagersängerin kann zwei weitere Grand-Prix-Berührungspunkte vorweisen: 1956 coverte sie den italienischen Beitrag ‘Aprite le Finestre’ als ‘Drei junge Musikanten aus Toskana’, 1958 nahm sie am deutschen Vorentscheid teil. Daheim nun reichte es heuer für den zweiten Rang.
Eine superfluide Eindeutschung: da atmet das ESC-Original doch deutlich mehr Charme und Esprit.
Gleich vier der fünf Beiträge führten den Namen der selbsternannten “Welthauptstadt der Musik” im Titel (‘Von Wien erzählen die Lieder’, ‘Wie ein Geheimnis ist Wiener Musik’). Einzig der vor allem als Zauberkünstler tätig gewesene Peter Stockhammer alias Peter Heinz Kersten (†2004), wie Konkurrentin Bieler ein Hauptstadtkind, tanzte ein wenig aus der Reihe. Allerdings wirklich nur marginal: sein ‘Café in der Praterallee’, der einzige der fünf Auftritte, der auf Youtube zu finden ist, verortete sich sicherheitshalber direkt in der Nähe des populärsten Wiener Wahrzeichens, des durch den Kino-Kassenschlager Der dritte Mann weltweit bekannten Riesenrads auf dem dauerhaft installierten Vergnügungspark der Stadt, dem Prater. Half nichts: er schaffte es in der alleine durch eine Jury verantworteten Wertung noch nicht mal unter die ersten Zwei.
Die kleine Kneipe in unserer Straße muss in Wien natürlich ein Café am Prater sein.
Mit klarem Punkteabstand obsiegte das so gar nicht wienerliedhafte, sondern eher der Operette zugeneigte ‘Nur in der Wiener Luft’, das vom Walzer über Johann Strauß, dem Stephansdom, der Staatsoper und dem Burgtheater bis hin zu den berühmt-berüchtigten “Backhendln” (Ältere erinnern sich an dieser Stelle vielleicht noch an die gleich mehrfach in Insolvenz gegangene, monothematische Schnellrestaurantkette Wienerwald) nun wirklich absolut jedes einzelne Wienklischee verwurstete, und dies völlig unironisch. Der Interpretin Eleonore Schwarz kam die fragwürdige Ehre zuteil, damit beim Eurovision Song Contest in Luxemburg das erste Null-Punkte-Resultat für ihr Heimatland zu erkreischen. Bis in die Siebzigerjahre hinein noch als Operettensängerin an der Wiener Volksoper tätig, ist Frau Schwarz seither spurlos vom Erdboden verschwunden: selbst ein groß angelegter Suchaufruf des absolut empfehlenswerten, in seiner empathischen Warmherzigkeit irgendwie ziemlich Wien-untypischen Grand-Prix-Podcasts Merci, Chérie der beiden herausragenden Bartträger Marco Schreuder und Alkis Vlassakakis konnte kein Licht mehr ins Dunkel bringen.
Über Manches breitet man auch besser den Mantel des Vergessen: die Schwarz in Luxemburg.
Lustiges Detail am Rande: ein viele Jahre später als Abschlussarbeit an der Kölner Kunsthochschule gedrehter Kurzfilm namens Die dringlichsten Sehnsüchte der Eleonore Schwarz handelt zwar enttäuschenderweise nicht von der österreichischen Null-Punkte-Diva, weist aber dennoch einen deutlichen Grand-Prix-Bezug auf: Jenny Jürgens, ihres Zeichens Tochter des Austria-ESC-Siegers Udo Jürgens und Moderatorin des deutschen Vorentscheids von 1988, mimt darin die titelgebende, verbitterte alte Schauspielschachtel.
Vorentscheid AT 1962
Der bunte Schirm. Aus dem ORF-Sendestudio in Wien. 5 Teilnehmer:innen. 100% Jury.# | Interpret:in | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Peter Heinz Kersten | Das kleine Café in der Praterallee | n.b. | n.b. |
02 | Cora Verena | Von Wien erzählen die Lieder | n.b. | n.b. |
03 | Erni Bieler | In Wien ist ein Jeder sofort verliebt | 041 | 02 |
04 | Helmut Wallner | Wie ein Geheimnis ist Wiener Musik | n.b. | n.b. |
05 | Eleonore Schwarz | Nur in der Wiener Luft | 052 | 01 |
Letzte Aktualisierung: 18.09.2023